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Können zwei zusammengehen?

 

Uri Avnery

 

9. Februar 2013

 

„VERGLICHEN MIT der Knesset, wie sie hätte sein können ,  ist diese eine sehr gute Knesset!“

Dies hörte ich  von mindestens zehn früheren  Knesset-Mitgliedern und anderen als wir im Knesset-Foyer noch Orangensaft tranken.  Ich könnte es auch selbst gesagt haben (und tat es wahrscheinlich).

Es war die Eröffnungssitzung der neuen Knesset, und frühere Mitglieder wurden zu einem Empfang mit den neuen eingeladen. Dann saßen wir im Plenum.

Bei den letzten paar Malen war ich nicht dabei, aber dieses Mal war ich neugierig, die neuen Mitglieder zu sehen  – 49 von 120, eine nie da gewesene Anzahl -  über einigen von ihnen hatte ich nie vorher etwas gehört.

Es war wirklich ein guter Anblick. Einige von den neuen Leuten waren Führer der sozialen Protestbewegung im Sommer 2011, einige  Enthüllungsjournalisten  von Medien, einige Sozialarbeiter. Einige Faschisten blieben, aber die Schlimmsten waren gegangen .

Der Wandel war nicht groß genug, um Freudensprünge zu machen, aber groß genug, um froh zu sein.  Bettler haben keine Auswahl..

ES WAR ein feierliches Ereignis  mit Fahnen und Trompeten. Bis zu einem gewissen Punkt.

Die Juden haben  kein Talent für Pomp und Ähnliches wie  Engländer.. In wirklich jüdischen Synagogen herrscht – nicht wie in westlich-europäischen Kopien christlicher Kirchen -  Chaos.

In den zehn Jahren, in denen ich in der Knesset war, nahm ich an vielen „festlichen“ Sitzungen teil im ehrenvollen Gedenken an dieses oder jenes historische Ereignis oder diese oder jene Persönlichkeit – und keine war wirklich erbaulich. Wir haben es einfach  nicht geschafft.

Diese eine war keine Ausnahme. Der Staatspräsident Shimon Peres, der viel Respekt im Ausland genießt, aber sehr wenig in Israel, kam mit einer Eskorte Motorradfahrer und Reiter an, und die Trompeten schallten. Er betrat das Knesset-Gebäude und hielt eine schwache Rede voller Plattitüden. So auch das Knesset-Mitglied (ein Jüngling von erst 77 Jahren,  also 12 Jahre jünger als ich.)

Viele Mitglieder  waren lässig gekleidet mit Hemden und Pullovern. Wenige trugen eine Krawatte. Sehr israelisch.  Während der Reden, gingen Mitglieder rein und raus. Alle arabischen Mitglieder verließen  unmittelbar nach dem Eid mit Hanin Zuabi als erste die Halle, bevor  die Nationalhymne Hatikwa, angestimmt wurde.

FÜR DIE neuen Mitglieder war es natürlich ein Tag voller Emotionen. Ich erinnere mich an meinen eigenen ersten Tag. Es war tatsächlich aufregend.

Wenn ich auf Yair Lapid schaute, konnte ich es mir nicht verkneifen, an die oberflächliche Ähnlichkeit zwischen ihm und mir zu jener Zeit zu denken. Wir wurden beide als Vorsitzende einer vollkommen neuen Partei gewählt, die wir gegründet hatten. Ich war 42, zur damaligen Zeit der Jüngste, und er ist 49. Wir waren beide Journalisten dem Beruf nach. Keiner von uns beiden hatte ein Abiturzeugnis. Unsere Wähler kamen aus genau demselben Bevölkerungsumfeld: in Israel geboren, gebildete und junge gut positionierte Ashkenazim.

Doch da ist die Ähnlichkeit zu Ende. Ich vertrat eine winzige Fraktion, seine ist die zweitgrößte. Ich brachte eine revolutionäre neue Perspektive für Israel mit – Frieden, einen palästinensischen Staat neben Israel, Religion und Staat getrennt, Gleichheit  für arabische und orientalisch jüdische Bürger. Er bringt  ein Cocktail frommer Slogans.

Nichtdestotrotz ist der erste Tag in der Knesset wie der erste Tag in der Schule. Aufregend. Jedes neue Mitglied brachte seine ganze Familie mit, die Kinder in ihrer besten Kleidung, um von der Galerie aus auf Vater oder Mutter unten  in dieser stolzen Gesellschaft zu sehen.

Bei dieser ersten Sitzung ist es den alten wie den neuen Mitgliedern nicht erlaubt, etwas zu sagen, außer den drei Worten „Ich verpflichte mich (dem Staat Israel zu dienen)“. Wenn es mir erlaubt ist, einen Augenblick in Erinnerungen zu schwelgen: Ich war entschlossen, meinen Standpunkt  und meine Botschaft am allerersten Tag zu präsentieren. Während ich die Knesset-Satzung studierte, entdeckte ich eine Lücke. Ich verlangte, einen Antrag für die Wahl des neuen Parlamentsvorsitzenden zu stellen, und musste  so aufs Rednerpult gerufen werden. So hielt ich meine erste Rede dort: einen Vorschlag zur Ernennung eines arabischen Sprechers, um die Gleichheit aller Bürger zu symbolisieren. David Ben Gurion, der als ältestes Mitglied, als vorläufiger Sprecher diente, sah mich mit Verwunderung, gemischt mit Widerwillen an, was  in einem seltenen Foto unsterblich gemacht wurde.

ALS DIE  (Eröffnungssitzung) zu Ende war und Benjamin Netanjahu wie wir alle aufstand, geschah noch etwas Seltsames: Yair Lapid sprang von seinem Sitz, rannte auf ihn zu und umarmte ihn. Es war mehr als nur eine beiläufige Geste.

Wie ich schon vorher sagte, Lapids Zukunft hängt davon ab, ob er jetzt die richtigen Entscheidungen trifft, hinsichtlich seiner Rolle in der neuen Koalition und den Bedingungen, die er stellen muss.

Spannung liegt in der Luft. Das Minimum, das Lapid benötigt, um seine Wähler zu befriedigen, liegt weit über dem Maximum, das Netanyahu sich politisch leisten kann, ihm zu geben.

Um seine Position zu stärken, hat sich Lapid mit Naphtali Bennett zusammen getan,  um die  orthodoxen Fraktionen draußen zu halten. Das offizielle  Ziel ist,  die Orthodoxen dahin zu bringen, dass auch sie ihren Armeedienst tun.

Das lässt die sehr alte Frage hochkommen, die vom Propheten Amos (3,2) ausgesprochen wurde: „Können etwa zwei miteinander wandern,  sie seien denn einig  mit einander?“

Bennett ist ein Ultra-Rechter. Einige seiner Kritiker nennen ihn Diät- Faschist. Er hat sich völlig auf Großisrael festgelegt, die Erweiterung der Siedlungen, und ist gegen jeden Kontakt mit den Palästinensern - außer vielleicht für das Angebot für Verhandlungen unter Bedingungen zu führen, das die Palästinenser in keiner Weise annehmen konnten.

Stimmt, Bennett hat ein Talent, seine wirkliche Ideologie hinter einer Fassade von Jovialität zu verbergen. Er gibt vor, zum selben sozialen Sektor  wie Lapid zu gehören: zu den Weißen, den Ashkenazim und Liberalen,  dem israelischen  Gegenstück zum amerikanischen WASP (weiße angelsächsische Protestanten). Die winzige Größe seiner Kippa dient dem gleichen Zweck. (Es erinnert mich immer an den Verweis, den ein britischer Richter in Palästina  aufstrebenden Anwälten gab: Machen Sie Ihre Resümees  wie den Rock einer Dame: lang genug, um das Wichtigste zuzudecken und kurz genug, um attraktiv zu sein.“)

Doch Bennett gehört  in Wirklichkeit einer ganz anderen Gruppe an: dem national-religiösen Lager der fanatischen Siedler. Der nationalistische Teil seiner Ideologie ist für ihn bei weitem wichtiger als der religiöse Teil. Mit ihm im Kabinett würde jede wesentliche Bewegung in Richtung einer Zwei-Staaten-Lösung  unmöglich.

Wenn Lapid  sich auch keine Gedanken darüber macht, was sagt das über ihn? Er begann seine Wahlkampagne  absichtlich in der Hauptstadt der Siedler, in Ariel. Er betonte, dass Jerusalem „die ewige  Hauptstadt Israels“  ungeteilt bleiben muss. Schon dies ist ein Rohrkrepierer.

Als meine Freunde und ich die Zweistaatenlösung  nach dem 1948er-Krieg  vorbrachten, bestanden wir darauf, dass die Grenzen zwischen Israel und Palästina offen bleiben müssen, also Bewegungsfreiheit für Menschen und Waren. Wir hatten enge und freundschaftliche Beziehungen zwischen den beiden Schwesterstaaten  im Sinn.  Was Lapid predigt, ist genau das Gegenteil: die Zweistaatenlösung als eine endgültige und totale “Scheidung“.

WENN  LAPID Bennett als seinen Lieblingsgenossen wählt, erklärt er stillschweigend und eindeutig, dass das Problem mit dem Militärdienst der Orthodoxen für ihn viel wichtiger ist als Frieden.

Wenn er den Frieden gegenüber dem Militärdienst bevorzugte, würde er die religiöse Shas-Partei anstelle von Bennett wählen. Das wäre sehr unpopulär, aber würde den Frieden möglich machen.

Shas ist eine Falkenpartei, auch wenn siesich eine Partei der Tauben anfing. Aber wie ihre Schwesterpartei, die Torah-Juden, kümmert sie sich wirklich um nichts, außer um die engen Interessen ihrer Gemeinschaft.

Am Abend, als die Labor-Partei  bei den 1999er-Wahlen, siegte, strömten Zehntausende freudige Wähler spontan auf Tel Avivs Rabin-Platz, um das zu feiern, was sie als Befreiung von Netanyahus (erster Regierungs-) Periode sahen. Als der Sieger Ehud Barak auf dem Balkon erschien, ging ein Schrei  von den Tausenden aus: „ Nur ja nicht Shas!  Nur ja nicht Shas!“

Ein paar Tage später bei der Eröffnungssitzung der neuen Knesset (Die letzte, an der ich bis diese Woche teilnahm) ging ich auf Barak zu und flüsterte ihm ins Ohr: „Nimm Shas!“

Vor vier Jahren, als Zipi Livni eine Regierung bilden konnte, statt Neuwahlen auszurufen, brauchte sie Shas. Shas verlangte wie gewöhnlich eine Menge Geld für seine Kundschaft. Statt  zu zahlen, hielt Zipi ihre Tugend hoch und weigerte sich. Die Folge davon: Netanjahu kam an die Macht zurück.

Dies ist dasselbe Dilemma, dem wir jetzt gegenüberstehen. Zahle den Shas-Mann ?? und gehe in Richtung Frieden – oder nimm Bennett und rede über  „Gleichheit beim Militärdienst“. (Das ist auf jeden Fall Gerede. Ein Gesetz, um wirkliche Gleichheit beim Militärdienst zu erreichen, würde Bürgerkrieg bedeuten.)

 

UND WIE ist es mit dem wirklichen Boss?  Ich meine nicht Sarale Netanjahu,  die  bei der Eröffnungsfeier auch eine Hauptrolle spielt. Ich meine Barack Obama.

Ohne Warnung kündigte er diese Woche an, dass er nach Israel komme. Unmittelbar nach der Bildung unserer neuen Regierung. Er wird auch nach Ramallah gehen.

Sollten wir nun glücklich sein oder nicht?

Kommt drauf an! Wenn es ein Trostpreis für Netanjahus Wahlrückschlag  ist, dann ist es ein schlechtes Zeichen. Der erste Besuch eines US-Präsidenten seit George Bush jr. Würde dann geknüpft, Netanjahu  stärken und sein Image als dem einzigen israelischen Führer mit internationalem Format zu bestätigen.

Aber wenn Obama  dieses Mal mit der Absicht kommt, ernsthaften Druck auf Netanjahu auszuüben, um eine  bedeutungsvolle Friedensinitiative zu starten,  dann  willkommen!

Netanjahu wird versuchen, Obama mit  der „Eröffnung von Friedensgesprächen“ zu befriedigen. Das bedeutet  so viel wie nichts. Selbst Bennett kann damit einverstanden sein. Ganz zu schweigen von Lapid und Livni. Ja, lasst uns reden. „Ohne Vorbedingungen.“ Das bedeutet: ohne  die Siedlungsexpansion zu stoppen. Reden und weiterreden, bis zum Erbrechen und  bis Obamas und Netanjahus Amtszeit  vorüber sind.

Aber wenn  Obama es  dieses Mal  ernst meint, könnte es anders sein. Ein  amerikanischer oder internationaler Entwurf für die Realisierung der Zweistaaten-Lösung mit einem strengen Zeitplan.  Vielleicht eine internationale Konferenz. Eine UN-Resolution ohne amerikanisches Veto.

Wenn dies geschieht, wird die neue Knesset mit all den frischen, neuen  Gesichtern aufgerufen werden, um eine wirkliche Debatte zu führen und  schicksalhafte Entscheidungen zu treffen. Und vielleicht, vielleicht, vielleicht – Geschichte machen.

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasserautorisiert)