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König und Kaiser

Uri Avnery,   2. Dezember 2017

DER ZIONISMUS IST ein antisemitischer Glaube. Er war es von Anfang an.

Schon der Gründungsvater, Theodor Herzl, ein Wiener Schriftsteller, schrieb einige Stücke mit einem klaren antisemitischen Slang nieder. Für ihn war Zionismus nicht nur eine geographische  Transplantation, sondern auch ein Mittel, den verachtenswerten, kommerziellen Juden der Diaspora in ein aufrechtes arbeitsames menschliches Wesen zu verwandeln.

Herzl reiste nach Russland, um die Unterstützung der anti-semitischen, Pogrom anstachelnden Führer für sein Projekt zu gewinnen, indem er versprach, die Juden aus ihren Händen zu nehmen.

Tatsächlich  war es immer eine Hauptplanke der zionistischen Propaganda, dass  nur im zukünftigen jüdischen Staat Juden in der Lage sein werden, ein normales Leben zu führen. Der Slogan war  „die soziale Pyramide umdrehen“  - und sie auf eine gesunde  Basis von Arbeitern und Bauern zu setzen, statt auf Spekulanten und Bankiers.

Als ich im (damaligen) Palästina ein Schuljunge war,  war alles, was wir lernten, durchtränkt von  tiefer Verachtung für die  „Exil-Juden“, jene Juden, die überall vorzogen, in der Diaspora zu bleiben. Sie waren zweifellos viel geringwertiger als wir.

Der Höhepunkt wurde von einer kleinen Gruppe in den frühen 1940er-Jahren erreicht, die mit dem Spitznamen „Canaaniter“ versehen wurden.  Sie behaupteten, wir wären eine neue Nation, die hebräische Nation und dass wir nichts mit den Juden in aller Welt zu tun hätten. Als der volle Umfang des Holocaust  bekannt wurde,  wurden diese Stimmen leiser, aber nicht wirklich.

DIE ANTISEMITEN ihrerseits mochten die Zionisten lieber  als die anderen Juden. Adolf Eichmann erklärte bekanntermaßen, dass er lieber mit den Zionisten verhandelte, weil sie „biologisch wertvoller“ wären.

Selbst heute spenden Juden-Hasser überall dem Staat Israel Beifall als Beleg dafür, dass sie keine Antisemiten sind. Israelische Diplomaten sind nicht abgeneigt, ihre Unterstützung zu gebrauchen.

Dies hinderte den Staat Israel nie, die Unterstützung der Juden in aller Welt auszunützen. Vor langer Zeit wurde ein Witz erzählt:  Gott, der Allmächtige, teilte seine Gnade zwischen den Arabern und den Israelis. Er gab den Arabern Erdöl, das ihnen wirtschaftlichen und politischen Einfluss lieferte und den Israelis  vermachte er für denselben Zweck das Weltjudentum.

In den frühen Tagen des Staates Israel benötigte dieser verzweifelt das Geld der amerikanischen Juden -  buchstäblich um das Brot für den nächsten Monat zu kaufen. Ministerpräsident David Ben-Gurion wurde gebeten, in die US zu gehen, um Geld. von den Juden zu erbetteln. Aber es gab ein Problem: Ben Gurion, ein Erz-Zionist,  war entschieden, ihnen zu sagen, alles stehen und liegen zu lassen und nach Israel zu kommen. Seine Mitarbeiter hatten eine schwere Zeit, ihn davon zu überzeugen, die Alyah nicht zu erwähnen (die Einwanderung, wörtlich „nach oben  gehen.)

DIE  UNAUSGEGLICHENE  Beziehung herrscht bis zum heutigen Tag. Die Israelis verachten  im Geheimen die amerikanischen Juden dafür, dass sie  „die Fleischtöpfe Ägyptens“ dem Leben des aufrechten Volkes im jüdischen Staat vorziehen.  Sie verlangen aber bedingungslose politische Unterstützung.  Die meisten amerikanisch jüdischen Organisationen liefern dies auch.  Sie üben riesige Macht in Washington aus, wo AIPAC, die zionistische Lobby, die zweitmächtigste politische Organisation  ist – nach der Nationalen Waffen-Vereinigung.

Bedauerlicherweise schaffen die Beziehungen immer mehr Probleme, die nicht mehr verborgen werden können.

DER LETZTE AUSBRUCH  kam  von unerwarteter Seite. Sie trägt einen ungewöhnlichen Namen: Zipi Chotovely. Ihr Name ist ein georgischer. Ihre Eltern emigrierten tatsächlich aus der früheren Sowjetrepublik. (Da in der hebräischen Schreibweise die Vokale nicht geschrieben werden, wissen nur wenige Israelis, wie dieser Name  korrekt ausgesprochen wird.)

Zipi  (Dimunitiv von Zipor, Vogel) ist eine intelligente und schöne Frau von 39 Jahren.  Sie ist auch eine extrem Rechte. Ihre Ansicht ist eine Kombination von radikalem Nationalismus und orthodoxer Religion. Sie ist natürlich ein Mitglied des Likud.  Dies half ihr, die hohe Position der Vertreterin des Außenministers zu werden.

Wer ist der Außenminister? Keiner. Netanjahu ist viel zu klug, jemanden auf diesen hohen Posten zu ernennen, damit nicht er oder sie ein Konkurrent wird. Dies  erhebt Zipis Geltung.

Gewöhnlich hält sich Chotovely zurück. Aber vor ein paar Wochen warf sie eine virtuelle Bombe.

In einem Interview mit einer amerikanischen Agentur griff die israelische Vertreterin des Außenministers die amerikanischen Juden bösartig an und wiederholte alte antisemitische Slogans. Unter anderem bezichtete sie die amerikanischen Juden, sie würden ihre Söhne nicht in die US-Armee schicken. Die Folge davon sei, dass  sie nicht in der Lage seien, die Israelis zu verstehen, deren Söhne jeden Tag kämpfen würden, sagte sie.

Dies ist eine alte  Anklage. Ich erinnere mich an Nazi-Flugblätter, die  von deutschen  Flugzeugen über den amerikanischen Linien in Frankreich während des 2. Weltkrieges abgeworfen wurden. Sie zeigten einen fetten, Zigarre- rauchenden Juden , der eine rein arische amerikanische Frau sexuell belästigte – mit dem Aufdruck: während du dein Blut in Europa vergießt, vergewaltigt der Jude  deine Frau zuhause.

Die Beschuldigung selbst ist natürlich Quatsch. Die Einberufung ist seit langem  in den US abgeschafft worden. Die  US-amerikanische Armee besteht aus  Freiwilligen der unteren Klasse. Juden gehören  gewöhnlich nicht zu diesen.

Chotovely ist weithin verurteilt, aber nicht abgesetzt worden. Sie ist weiter für alle israelischen Diplomaten zuständig.

DIESER VORFALL  war nur  der letzte in einer langen Kette von Störungen in der Beziehung zwischen den beiden Gemeinschaften.

Von Anfang an hat der Staat Israel viele religiöse Privilegien an die israelisch orthodoxe Führung verkauft, deren Wähler in der Knesset waren und die wesentlich  für das Zusammenhalten der Regierungskoalition waren.

In Israel gibt es keine  zivile Heirat. Alle Heiraten sind religiös. Wenn ein israelisch jüdischer Mann eine christliche oder muslimische Frau heiraten will – eine seltene  Angelegenheit – müssen sie ins benachbarte  Zypern gehen und dort heiraten. Ausländische Heiraten werden anerkannt.

Aber im modernen Judentum gibt es mehrere religiöse Gemeinschaften. In den US sind die Hauptgemeinschaften  liberal – das  Reform-Judentum und das Konservative  Judentum.  Diese werden in Israel kaum anerkannt. Alle  Heiraten  sind streng orthodox.  So ist die Übersicht über die koscheren  Einrichtungen, ein äußerst lukratives Unternehmen.

Dies bedeutet, dass der Hauptstrom des amerikanischen  Judentums praktisch keine  Rechte in Israel hat. Es existiert hier kaum.

Als ob dies nicht schon genug wäre, so gab es noch einen bösartigen Konflikt um die Klagemauer, die heiligste jüdische Stätte. Sie wird als der einzige verbliebene Rest des jüdischen Tempels angesehen, der von den Römern  vor etwa 2100 Jahren zerstört wurde (tatsächlich ist es nur ein Rest  der Stützmauer des Tempelplatzes.)

Während diese Mauer theoretisch allen Juden gehört, hat die israelische  Regierung diese heilige Stätte der orthodoxen Institution übergeben, die nur Männern erlaubt, sich ihr zu nähern. Die Reformgemeinschaft und  die Frauenorganisation protestierten, und schließlich hat man einen Kompromiss erreicht, der den Hauptteil der Mauer den Orthodoxen überlässt, doch einen  abgetrennten Teil den Frauen und den Reform-Juden lässt. Jetzt hat die Regierung diesen Kompromiss zurückgenommen.

DAS GRUNDÜBEL ist, dass die ganze Beziehung zwischen Israelis und Diasporajuden auf einer Lüge beruht: der Glaube, dass sie dasselbe Volk seien. Sie sind es nicht.

Die Realität hat sie seit langer Zeit getrennt.  Die wirkliche Situation ist, dass die israelischen „Juden“ eine neue Nation sind, die durch  die spirituellen, geographischen und sozialen  Realitäten im neuen Land anders  sind als Juden anderswo , so wie US-Amerikaner  anders sind als die Briten oder  die Briten anders sind als die Australier.

Sie haben ein starkes Gefühl, dass sie mit einem gemeinsamen Erbe und engen Familienbanden zu einander gehören. Doch sind sie anders.

Je eher die beiden Seiten dies offiziell anerkennen, umso besser wäre es für beide. Die amerikanischen Juden könnten Israel unterstützen, wie  - sagen wir – irische Amerikaner Irland unterstützen. Es liegt an ihnen. Sie schulden Israel keine Loyalität und sind nicht verpflichtet, uns Tribut zu zahlen.

Israel kann seinerseits Juden überall helfen, wenn sie Probleme haben und  ihnen erlauben, sich uns anzuschließen. Herzlich willkommen.

Doch gehören wir nicht zu einer gemeinsamen Nation. Wir in Israel sind eine Nation aus israelischen Bürgern. Amerikanische und andere Juden sind Teil ihrer Nationen und der weltweiten jüdischen ethnisch-religiösen Gemeinschaft.

Netanjahu  würde gern wie Königin Viktoria sein, die „Königin von Groß-Britannien und Kaiserin von Indien" war.  Netanjahu will "König Israels und Kaiser der Juden“ sein. Nun, er ist es nicht.  

 (dt. Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)