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Uri Avnery,
11.10. 2014
IN
LETZTER ZEIT sind die Wörter „Kreuzfahrer“ und „Zionisten“ immer öfter als
Zwillinge erschienen. In einem Dokument über ISIS sah ich gerade, wie sie
zusammen in fast jedem Satz erscheinen, den die islamistischen Kämpfer,
einschließlich Teenagers, äußern.
Vor etwa
60 Jahren schrieb ich einen Artikel mit genau dieser Überschrift: „Kreuzfahrer
und Zionisten“. Vielleicht war es das erste Mal über dieses Thema.
Viele
hatten sich dagegen geäußert. Zu der Zeit war ein zionistischer Artikel
des Glaubens, dass es keine
Ähnlichkeit gibt, Gott bewahre. Die Kreuzfahrer waren kein Volk wie die Juden.
Sie waren Barbaren , während die
Muslime zu der Zeit zivilisiert waren. Die Zionisten sind heute technisch
überlegen. Im Gegensatz zu den
Kreuzfahrern, verließen sich die Zionisten auf ihre eigene Handarbeit. (Das war
natürlich vor dem 6-Tage-Krieg).
ICH HABE
schon mehrfach die Geschichte meiner Zuneigung zur Geschichte der Kreuzfahrer
erzählt, aber ich kann der Versuchung nicht widerstehen, sie noch einmal zu
erzählen.
Während
des 1948er-Krieges kämpfte meine
Kommando-Einheit im Süden. Als der Krieg zu Ende war, blieb ein schmaler
Streifen Land entlang des Mittelmeeres in ägyptischer Hand. Wir nannten ihn den
„Gazastreifen“ und bauten rund um ihn Außenposten.
Ein paar
Jahre später las ich Steven Runkimans monumentale „ Eine Geschichte der
Kreuzfahrer“. Meine Aufmerksamkeit war unmittelbar von einem seltsamen Zufall
angezogen: nach dem ersten
Kreuzfahrerzug blieb ein schmaler
Streifen am Mittelmeer in ägyptischer Hand, er lief bis jenseits Gaza . Die
Kreuzfahrer bauten eine Reihe von Festungen, um das Land drum herum.
Sie waren fast an denselben Orten wie unsere eigenen Außenposten.
Als ich
die drei Bände fertig gelesen hatte, tat ich etwas, was ich nie vorher und
danach getan hatte. Ich schrieb einen Brief an den Autor. Nachdem ich das Werk
gelobt hatte, fragte ich ihn: Haben Sie je über die Ähnlichkeit zwischen ihnen
und uns nachgedacht?“
Die
Antwort kam innerhalb weniger Tage.
Er habe nicht nur darüber nachgedacht, schrieb Runciman, er habe die ganze Zeit
darüber nachgedacht. Tatsächlich wollte er dem Buch einen Untertitel geben „ Ein
Führer für die Zionisten, wie man es nicht tun sollte“.
Doch meine jüdischen Freunde rieten mir davon ab“, bemerkte er. Er fügte
hinzu: „ Falls ich zufällig durch London käme, dann würde er sich freuen, wenn
ich ihn anrufen würde.“
Zufällig
war ich ein paar Monate später in London und rief ihn an. Er bat mich, sofort zu
ihm zu kommen.
(The
Name Runciman war mir bekannt: Sein Vater Walter, ein Viscount, wurde von
Neville Chamberlain 1938 als Vermittler zwischen Nazi-Deutschland und den
Tschechen geschickt und empörte die Welt, indem er die Deutschen mit „Heil
Hitler“ grüßte.)
STEVEN
RUNCIMAN reagierte selbst auf das
Klingeln; ein großgewachsener britischer Gentleman
um die 50. Da ich ein unheilbarer
Anglophil bin, war ich entzückt von seinen aristokratischen Manieren.
Nach
einem Glas Sherry vertieften wir uns in eine Diskussion über Parallelen
Kreuzfahrer/ Zionisten und verloren jedes Zeitgefühl. Stundenlang
verglichen wir Ereignisse und
Namen. Wer war der Herzl der Kreuzfahrer (Papst Urban), wer war der Ben Gurion
der Kreuzfahrer (Godfrey? Baldwin?). Wer war der zionistische Reynald von
Chatillon (Moshe Dayan), wer der israelische Raymond von Tripoli, wer
befürwortete den Frieden mit den Muslimen (Runciman deutete
freundlicherweise auf mich).
Jahre
später lud Runciman meine Frau und mich nach Schottland ein, wohin er umgezogen
war, um in einem alten Beobachtungsturm nähe Lockerbie zu leben. Er war zur
Verteidigung gegen England gebaut worden. Während des Essens, das von einem
einzigen Diener serviert wurde, sprach er über die Geister, die in dem Ort
spuken. Rachel und ich waren erstaunt, als uns klar wurde, dass er wirklich an
sie glaubte.
DIE ZWEI
historischen Bewegungen waren mindestens sechs Jahrhunderte getrennt, und ihre
politischen, sozialen, kulturellen und
militärischen Hintergründe
sind natürlich total verschieden.
Aber einige Ähnlichkeiten sind offensichtlich.
Die
Kreuzfahrer und die Zionisten (wie auch die Philister vor ihnen) drangen in
Palästina vom Westen ein. Sie lebten mit ihrem Rücken zum Meer und nach Europa
hin und standen der muslimisch-arabischen Welt gegenüber. Sie lebten in einem
ständigen Krieg.
In jener
Zeit identifizierten sich die Juden mit den Arabern. Das schreckliche Massaker
der jüdischen Gemeinden entlang des Rheins, das von einigen Kreuzfahrern auf
ihrem Weg ins Heilige Land begangen wurde, ist tief im jüdischen Bewusstsein.
Nach der
Eroberung Jerusalems begingen die Kreuzfahrer noch ein weiteres abscheuliches
Verbrechen, indem sie alle muslimischen und jüdischen Bewohner
mordeten, Männer, Frauen und Kinder, so dass sie „bis zu ihren Knien in
Blut wateten“, wie ein christlicher Chronist es ausdrückte.
Haifa,
eine der letzten Städte, die die Kreuzfahrer einnahmen,
wurde
von seinen jüdischen Bewohnern verteidigt, Schulter an Schulter mit denen
aus der muslimischen Garnison.
ICH
WURDE erzogen, die Kreuzfahrer zu hassen, aber mir war
der abgrundtiefe Hass der
Muslime nicht bewusst, bis ich den arabisch-israelischen Schriftsteller Emil
Habibi darum bat, ein Manifest für eine israelisch-palästinensische
Partnerschaft über Jerusalem zu unterschreiben. Ich hatte darin alle Kulturen
aufgelistet, die in der Vergangenheit die Stadt bereicherten. Als Habibi sah,
dass ich die Kreuzfahrer mit eingeschlossen hatte, weigerte er sich, zu
unterschreiben. „sie waren ein Haufen von Mördern!“ erklärte er. Ich musste sie
löschen.
Wenn
Araber uns mit den Kreuzfahrern verbinden, wollten sie damit sagen, dass wir
auch ausländische Eindringlinge, Fremde in diesem Land und dieser Region sind.
Deshalb
ist der Vergleich so gefährlich. Wenn die Araber nach sechs Jahrhunderten noch
so einen tiefen Hass gegen die Kreuzfahrer haben, wie werden sie dann jemals mit
uns versöhnt werden?
Statt
unsere Zeit mit Debatten zu verschwenden, ob wir ähnlich sind oder nicht, würden
wir gut beraten sein, wenn wir aus der Geschichte der Kreuzfahrer
lernen.
DIE
ERSTE Lektion betrifft die Frage der Identität. Wer sind wir? Sind wir Europäer,
die einer feindseligen Region gegenüberstehen? Sind wir „eine Mauer gegen die
asiatische „Barbarei“?“ wie es Theodor Herzl einmal ausdrückte? Sind wir „eine
Villa im Dschungel“, nach dem berühmten Ausspruch von Ehud Barak?
Kurz
gesagt, sehen wir uns als ein Teil dieser Region oder als Europäer, die zufällig
im falschen Kontinent landeten?
Meiner
Meinung nach, ist dies die elementare Frage des Zionismus, die auf den ersten
Tag zurückgeht und alles diktiert,
was wir bis zum heutigen Tag gemacht haben. In meiner Broschüre „Krieg oder
Frieden in der semitischen Region“, die ich am Vorabend des 48er-Krieges
herausgab, stellte ich diese Frage im allerersten Satz.
Für die
Kreuzfahrer war das überhaupt keine Frage. Sie waren die Blüte der europäischen
Ritterschaft und sie kamen, um gegen die Sarazenen zu kämpfen. Sie machten mit
den arabischen Herrschern
Waffenstillstand, vor allem mit den Emirs von Damaskus, aber von Zeit zu Zeit
einen Waffengang gegen den Islam, was ihre eigentliche Aufgabe war . Die wenigen
Befürworter des Friedens und der Versöhnung, wie der oben erwähnte Raymond von
Tripoli, waren verachtete Außenseiter.
Israel
ist in einer ähnlichen Situation. Stimmt, wir geben niemals zu, dass wir Krieg
wünschen – es sind immer die Araber, die den Frieden verweigern. Aber von seinem
ersten Tag an weigerte sich der Staat Israel, seine Grenzen festzulegen, immer
bereit, mit Gewalt sich auszudehnen – genau wie die Kreuzfahrer. Heute, 66 Jahre
nach der Gründung unseres Staates befasst sich die Hälfte der täglichen
Nachrichten in unsern Medien mit
dem Krieg gegen die Araber – innerhalb und außerhalb Israels.
(Letzte Woche verlangte unser Minister
für Landwirtschaft, Yair Shamir,
dass wir dringend Maßnahmen unternehmen müssten, um
die Geburtenrate der Beduinen im Negev
einzuschränken – wie Pharao in der biblischen Geschichte.)
Israel
leidet an einem tief sitzenden Gefühl existenzieller Unsicherheit, die sich in
unzähligen Formen ausdrückt. Da Israel in vielen Weisen eine auffallende
Erfolgsgeschichte hat und eine Militärmacht von Weltklasse ist, stößt dieses
Gefühl der Unsicherheit oft auf
Verwunderung. Ich glaube, dass seine
Wurzeln in diesem Gefühl liegt, nicht zu dieser Region, in der wir leben, zu
gehören, sondern eine Villa im
Dschungel sind, die wirklich ein
Ghetto in der Region ist.
Es
könnte gesagt werden, dass dieses
Gefühl natürlich ist, da die meisten Israelis europäischer Abstammung seien.
Aber das ist nicht wahr. 20% der israelischen Bürger sind Araber.
Wenigstens die Hälfte der Juden
kamen hierher, (sie oder
ihre Eltern) aus arabischen Ländern, wo sie arabisch sprachen und arabische
Musik hörten. Der größte sephardische Denker Moses Maimonides ( Rambam auf
hebräisch) sprach und schrieb arabisch und war der persönliche Arzt des großen
Salah ad-Din (Saladin). Er
war so sehr ein arabischer Jude wie
Baruch Spinoza ein portugiesischer Jude und Moses Mendelsohn ein deutscher Jude
war.
WAREN
DIE Kreuzfahrer in ihrem Staat eine kleine aristokratische Minderheit, wie
zionistische Historiker immer
behaupten? Das hängt davon ab, wie man zählt.
Als die
ersten Kreuzfahrer in Palästina ankamen, bestand die Mehrheit der Bevölkerung
noch aus Christen verschiedener östlicher Sekten. Doch die katholischen
Eindringliche schauten auf sie wie minderwertige Fremde. Die
„Poulains“, wie sie genannt wurden, wurden verachtet und diskriminiert .
Sie fühlten sich den Arabern näher, als den gehassten „Franken“ und trauerten
nicht, als diese hinausgeschmissen wurden. Die meisten dieser Christen
konvertierten später zum Islam und waren die
Vorfahren von vielen der
heutigen muslimischen Palästinenser.
Eine
andere Lektion ist, dass man die Einwanderung ernst nimmt. In der
Kreuzfahrer-Gesellschaft gab es ein ständiges Kommen und Gehen. Gerade jetzt
läuft in Israel eine hitzige
Debatte über die zur Zeit in Israel
gehende Auswanderung. Junge
Leute, meistens gut erzogen, verlassen mit ihren Kindern Israel und ziehen nach
Berlin und in andere europäische und amerikanische Städte. Die Israelis sehen
jedes Jahr ängstlich auf die Bilanz: wie viele sind durch Antisemitismus nach
Israel getrieben worden, wie viele
Juden sind durch Krieg und rechten Extremismus nach Europa zurück vertrieben
worden. Dies war für die Kreuzfahrer eine Tragödie.
Ein
Hauptgrund für die zionistische Ablehnung der Kreuzfahrer betrifft
ihr trauriges Ende. Nach fast 200 Jahren in Palästina mit vielen Höhen
und Tiefen wurden die letzten Kreuzfahrer buchstäblich
vom Hafendamm in Acco ins Meer geworfen. Wie der frühere Untergrundchef
und Ministerpräsident Yitzhak Shamir gerne sagte: „Das Meer ist dasselbe Meer
und die Araber sind dieselben Araber.“
Die
Kreuzfahrer hatten natürlich keine
Atombomben und keine deutschen Unterseeboote.
WENN
ISIS und andere Araber den Begriff Kreuzfahrer benützen, meinen sie nicht nur
die mittelalterlichen Invasoren. Sie meinen alle amerikanischen und europäischen
Christen. Wenn sie über Zionisten sprechen, meinen sie alle jüdischen Israelis,
oft alle Juden.
Ich
glaube, dass diese Verbindung der beiden Termini äußerst gefährlich für uns ist.
Ich fürchte mich nicht vor ISIS militärischen Fähigkeiten, die sind unbedeutend,
aber vor der Kraft ihrer Ideen. Kein amerikanischer Bomber wird diese auslöschen
können.
Es ist
spät geworden. Wir müssen uns von den alten und den modernen Kreuzfahrern
abkuppeln. 132 Jahre nach der Ankunft der ersten modernen Zionisten in
Palästina, ist es höchste Zeit, uns als eine wirklich neue Nation definieren,
die in diesem Land geboren ist, in diese Region gehört, natürliche Verbündete in
ihrem Kampf für Freiheit und Demokratie
hat.
Aus dem
Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser …..