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Uri Avnery, 27. Juni 2015
„KRIEG
IST DIE HÖLLE!“ rief der US-General
George Patton berühmtermaßen aus.
Krieg
ist das Geschäft des Tötens des „Feindes“, um ihnen unsern
Willen aufzuzwingen.
Darum
ist „der humane Krieg“ ein
Oxymoron.
Der
Krieg ist ein Verbrechen. Es gibt wenige Ausnahmen. Ich würde den Krieg gegen
das Nazi-Deutschland als Ausnahme ansehen, da es gegen ein Regime von
Massenmördern geführt wurde, geleitet von einem pathologischen Diktator, der
nicht anders zur Strecke gebracht werden konnte.
Da dies
so ist, ist das Konzept von „Kriegsverbrechen“
dubios. Das größte
Verbrechen ist, den Krieg als erster zu beginnen. Dies ist nicht das Geschäft
der Soldaten, sondern der politischen Führer. Doch diese werden selten
angeklagt.
DIESE
PHILOSOPHISCHEN Gedanken kamen mir im
Zusammenhang mit dem kürzlichen UN-Bericht über den letzten Gaza-Krieg.
Das
Untersuchungs-Komitee tat alles, um
„ausgewogen“ zu sein und verklagte beide – die israelische Armee und die Hamas –
mit fast denselben Ausdrücken an. Allein dies ist in sich schon problematisch.
Das war
kein Krieg zwischen gleichen. Auf der einen Seite der Staat Israel mit einer der
mächtigsten Armeen der Welt. Auf der andern Seite eine staatenlose
Bevölkerung von 1,8 Mill. Menschen, geführt von einer
Guerilla-Organisation ohne irgendwelche moderne Waffen.
Jede
Gleichstellung zwischen zwei solchen Entitäten ist der Definition nach
künstlich. Selbst wenn beide
Seiten schwere Kriegsverbrechen begingen, so ist es nicht dasselbe. Jeder
muss nach seinen eigenen
(Un-)taten
beurteilt werden.
DIE IDEE
von „Kriegsverbrechen“ ist relativ neu.
Sie kam während des 30jährigen Krieges auf, der große Teile Mitteleuropas
verwüstete. Viele Armeen nahmen daran teil und alle zerstörten bedenkenlos
Städte und Dörfer. Die Folge davon war, dass zwei Drittel von Deutschland
verwüstet und ein Drittel des deutschen Volkes getötet
worden war.
Hugo de
Groot, ein Holländer, behauptete, dass zivilisierte Nationen sogar im Krieg
an gewisse Einschränkungen gebunden seien. Er war kein naiver Idealist,
von der Realität abgeschnitten. Sein Hauptprinzip – so wie ich es verstanden
habe – war, dass es keinen Sinn hat, Aktionen zu verbieten, die einem
kriegsführenden Land helfen, den
Krieg zu führen, aber dass Grausamkeit -
für eine wirksame Durchführung des Krieges nicht notwendig - verboten ist.
Die Idee
setzte sich durch. Während des 18. Jahrhunderts wurden
von professionellen Armeen
endlose Kriege geführt, ohne die zivile Bevölkerung unnötig zu verletzen. Die
Kriege wurden „human“.
Nicht
lange. Mit der französischen Revolution wurde der Krieg eine Sache
von Massen-Armeen, der Schutz der Zivilisten wurde untergraben, bis er im
2. Weltkrieg völlig verschwand, als ganze Städte durch
unbegrenzte Luftangriffe (Dresden und Hamburg) und durch die Atombombe
(Hiroshima und Nagasaki) zerstört wurden.
Jedoch
Eine Anzahl internationaler
Konventionen verbieten jedoch
Kriegsverbrechen, die der zivilen Bevölkerung schaden oder die Bevölkerung in
besetzten Gebieten verletzen.
Das war
der Auftrag dieses Untersuchungs-Komitees.
DAS
KOMITEE beschuldigte
die Hamas, dass sie Kriegsverbrechen gegen die israelische Bevölkerung
begangen hätte.
Die
Israelis brauchten das Komitee
nicht, um dies zu erfahren. Ein großer Teil der israelischen Bürger verbrachte
während des Gaza-Krieges wegen der
Bedrohung durch Hamas-Raketen Stunden im Luftschutzkeller.
Hamas
warf Tausende von Raketen gen Städte und Dörfer in Israel. Es waren primitive
Raketen, die nicht auf spezielle Ziele gelenkt werden konnten – wie z.B.
auf die Dimona –Nuklearinstallation oder das Verteidigungsministerium ,
das mitten in Tel Aviv liegt. Sie
waren vielmehr dafür gedacht, die zivile Bevölkerung zu terrorisieren, damit
diese fordert, dass der Angriff auf den Gazastreifen aufhört.
Sie
erreichten dieses Ziel nicht, weil Israel eine
Anzahl von „Eisernen
Kuppeln“- Batterien („Iron Domes“) gegen die Raketen installiert hatte. Sie
fingen fast alle Raketen ab, die auf zivile Ziele gerichtet waren. Der Erfolg
war fast vollkommen.
Wenn sie
vor das Internationale Gericht in Den Haag gebracht werden, werden die
Hamas-Führer behaupten, dass sie keine andere Wahl hatten: sie hätten keine
andere Waffen, um sich gegen die israelische Invasion
zu wehren. Wie mir einmal ein palästinensischer Kommandeur sagte: „Gebt
uns Kanonen und Kampfflugzeuge, dann werden wir keinen Terror anwenden“.
Der
Internationale Gerichtshof wird dann entscheiden müssen, ob es einem Volk, das
praktisch unter endloser Besatzung lebt, erlaubt ist, wahllose Raketen zu
benützen. Wenn man die Prinzipien, die von de Groot
festgelegt wurden, betrachtet, frage ich mich, zu welcher Entscheidung
man kommen wird.
Das gilt
für Terrorismus allgemein, falls er von einem unterdrückten Volk ausgeführt
wird, das keine anderen Mittel zum Sich-wehren hat.
Die schwarzen Südafrikaner benützten Terrorismus in ihrem Kampf gegen das
unterdrückerische Apartheidsystem und Nelson Mandela verbrachte 28 Jahre im
Gefängnis, weil er an solchen Akten
beteiligt war, und er weigerte
sich, sie zu verurteilen.
DER FALL
gegen die israelische Regierung und Armee ist völlig anders. Sie haben
eine Unmenge von Waffen: von Drohnen über Kampfflugzeuge, von Artillerie
bis zu Panzern.
Falls es
ein Kardinal-Kriegsverbrechen in diesem Krieg gab, war es die
Kabinettentscheidung, ihn zu beginnen. Weil ein israelischer Angriff auf den
Gazastreifen Kriegsverbrechen unvermeidbar macht.
Jeder,
der jemals ein kämpfender Soldat im Krieg war, weiß, dass Kriegsverbrechen – ob
in der moralischsten oder gemeinsten Armee
der Welt, -geschehen. Keine Armee kann
vermeiden, dass psychisch kranke Leute in ihr sind. In jeder Kompanie
gibt es wenigstens ein pathologisches Exemplar. Wenn es da nicht sehr strenge
Regeln gibt, die von einem sehr strengen Kommandeur eingeübt werden, werden
Verbrechen geschehen.
Ein
Krieg bringt das Innerste des Mannes (oder heute auch der Frau) zum Vorschein.
Ein wohl erzogener Mann wird sich plötzlich in ein wildes Biest verwandeln. Ein
einfacher, bescheidener Arbeiter wird sich als dezentes, großzügiges
menschliches Wesen zeigen. Selbst in der „moralischsten Armee der Welt“
- ein Oximoron, falls es jemals so etwas
gab.
Ich war
im 1948er-Krieg ein Soldat der Infanterie. Ich habe
eine Menge Verbrechen gesehen, und ich beschrieb sie in meinem Buch
(1950) „Die andere Seite der
Münze“).
DIES
GILT für jede Armee. Während des letzten Gaza-Krieges
war die Situation in unserer Armee sogar noch schlimmer.
Die
Gründe für den Angriff auf den Gazastreifen waren undurchsichtig. Drei
israelische Jugendliche wurden von arabischen Männern gefangen genommen,
offensichtlich für einen Gefangenenaustausch. Die Araber gerieten in Panik und
töteten die Jungs. Die Israelis reagierten, die Palästinenser reagierten und
sieh – das Kabinett entschied sich für einen vollen Angriff.
Unser
Kabinett besteht auch aus Trotteln; die
meisten von ihnen haben keine Idee davon, was ein Krieg ist. Sie entschieden
sich, den Gazastreifen anzugreifen.
Diese
Entscheidung war das wirkliche Kriegsverbrechen.
Der
Gazastreifen ist ein winziges
Gebiet, völlig übervölkert mit 1,8
Millionen Menschen; die Hälfte von ihnen Abkömmlinge von Flüchtlingen aus
Gebieten, die im 1948er-Krieg
israelisch wurden.
Unter
allen Umständen brachte solch ein Angriff
eine große Anzahl ziviler Todesfälle. Aber eine andere Sache macht dies
sogar noch schlimmer.
ISRAEL
IST ein demokratischer Staat. Die Führer müssen vom Volk gewählt werden. Die
Wähler bestehen aus den Eltern und Großeltern der Soldaten, Mitglieder der
regulären und der Reserveeinheiten.
Dies
bedeutet, dass Israel außerordentlich sensibel auf Todesfälle reagiert. Wenn
eine große Anzahl von Soldaten in Aktion getötet wird, wird die Regierung
stürzen.
Deshalb
ist es der Grundsatz der israelischen Armee, um jeden Preis Todesfälle zu
vermeiden – auf Kosten des Feindes d.h. um einen
einzigen israelischen Soldaten zu retten, ist es erlaubt, zehn, zwanzig,
hundert Zivilisten der andern Seite zu töten.
Diese
ungeschriebene und selbstverständliche Regel wird durch die „Hannibal Prozedur“
symbolisiert – das Schlüsselwort für das
Verhindern von Gefangenschaft eines
israelischen Soldaten - um jeden Preis. Auch hier ist ein „demokratisches“
Prinzip am Werk: keine israelische Regierung kann dem öffentlichen Druck
widerstehen, viele Dutzende palästinensischer Gefangener zu entlassen, um einen
einzigen Israeli frei zu bekommen.
Also: verhindere, dass ein Soldat gefangen genommen wird, selbst wenn der Soldat
während des Prozesses sich selbst getötet hat.
Hannibal
erlaubt – tatsächlich befiehlt - er
unermessliche Zerstörung und Tötungen
zuzulassen, um zu verhindern, dass ein Soldat verschwindet. Dies allein
ist schon ein Kriegsverbrechen.
Ein
verantwortliches Kabinett mit einem Minimum von Kampferfahrung, würde
all dies in dem Augenblick
wissen, wo es dazu aufgerufen war, sich für eine Militäroperation zu
entscheiden. Wenn sie es nicht wissen, ist es die Pflicht der Armeekommandeure,
die bei solch einer Kabinett-Sitzung dabei sind, es ihnen zu erklären. Ich frage
mich, ob sie dies taten.
ALL DIES
bedeutet, dass wenn erst einmal angefangen ist, dass die Ergebnisse fast nicht
zu vermeiden sind. Um einen Angriff mit
so wenig als möglichen Todesfällen zu machen, müssen ganze Stadtteile durch
Drohnen, Kampfflugzeuge und Artillerie flach gemacht werden. Und das
geschah offensichtlich.
Die
Bewohner wurden oft gewarnt zu fliehen, und viele taten es auch. Andere taten es
nicht – unwillig alles, was ihnen teuer und lieb ist, zurückzulassen. Einige
Menschen fliehen im Augenblick der Gefahr, andere hoffen gegen alle Hoffnung und
bleiben.
Ich
würde den Leser bitten, sich selbst für einen Moment
in diese Situation zu versetzen.
Füge
diesem das menschliche Element
hinzu – die Mischung von humanen und sadistischen Männern, guten und bösen, die
man in jeder Kampfeinheit in aller Welt
findet – dann bekommt man das Bild.
Wenn man
erst einmal einen Krieg anfängt, „ dann passiert so etwas
eben einmal“,
wie man so sagt. Da mögen
mehr oder weniger Kriegsverbrechen sein, aber es wird eine Menge passieren.
ALL DIES
konnte bei der UN-Komitee-Untersuchung, die von einer amerikanischen
Richterin geleitet wurde, von
den Chefs der israelischen Armee gesagt werden, wäre ihnen die Aussage
erlaubt worden. Die Regierung erlaubte es ihnen nicht.
Der
einfachste Weg aus diesem Dilemma ist, zu behaupten, dass alle UN-Mitarbeiter
von Natur aus antisemitisch und Israelhasser seien, so dass das Beantworten
ihrer Fragen kontraproduktiv sei.
Wir sind
moralisch. Wir haben Recht. Von Natur aus. Wir können nicht anders. Diejenigen,
die uns anklagen, müssen Antisemiten sein. Ganz logisch.
Zur
Hölle mit ihnen allen!
(Aus dem
Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)