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Leuchtende Fackel
Uri Avnery,
14.Januar 2012
“LEUCHTENDE FACKEL” klingt
wie der Name eines Indianerhäuptling ( oder sollte man
sagen eines eingeborenen
amerikanischen Häuptlings ?) Im Hebräischen ist dies der Name unserer letzten
politischen Sensation: Ja’ir Lapid.
In dieser Woche verkündete
er seine Absicht, in die Politik zu gehen und eine neue politische Partei zu
gründen.
Kaum eine Überraschung.
Seit vielen Monaten sind jetzt die Spekulationen reif geworden. Lapid hat mehr
als einmal seine Absicht angedeutet
und den Eindruck gemacht, er würde
aber erst kurz vor den Wahlen handeln . Das war klug, weil Lapid der populärste
Nachrichten-Moderator im
beliebtesten Fernsehkanal ist. Warum sollte er einen Posten aufgeben, der ihm
einzigartige Öffentlichkeitswirkung verleiht (und ein stattliches Gehalt
obendrein) ?
Jetzt ist
ihm – vielleicht unter politischem Druck - von seinem Arbeitgeber gesagt
worden , er müsse wählen: entweder TV oder Politik.
Vor etwa 2061 Jahren
überquerte Julius Caesar den kleinen Fluss Rubikon, um nach Rom zu marschieren,
und rief aus „Alea iacta est!“ (Der Würfel ist gefallen). Lapid ist kein Caesar
und spricht nicht Lateinisch, aber sein Gefühl
muss in etwa dasselbe
gewesen sein.
Einen Tag später warf eine
andere wohl bekannte Persönlichkeit, Noam Shalit, einen zweiten Würfel. Der
Vater von Gilad, dem gefangenen Soldaten,
der gegen 1027 palästinensische Gefangene ausgetauscht wurde, verkündete,
dass er auf der Laborparteiliste für die Knesset kandidieren will. Nachdem er
fünf Jahre lang die immens erfolgreiche Kampagne für die Befreiung seines Sohnes
angeführt hat, hat er entschieden, seinen Aufstieg aus der Anonymität zu einer
Berühmtheit politisch auszunützen.
Eine ganze Reihe von
Ausgeschiedenen – von Ex-Generälen, Ex-Mossadchefs, Ex-Generaldirektoren warten,
dass sie hier an die Reihe kommen.
Was bedeutet das? Das
bedeutet, dass der Geruch der Wahlen in der
Luft liegt, obwohl die Wahlen
offiziell erst nach anderthalb Jahren stattfinden. Und es gibt keine
Anzeichen dafür, dass Binjamin Netanjahu und seine Partner von weit außen-rechts
sie vorverlegen würden.
DIE ATTRAKTION eines
Knessetsitzes ist schwer zu erklären. Die meisten Israelis verachten die
Knesset, aber fast jeder wäre bereit, seine Großmutter zu verkaufen, um Mitglied
zu werden.
(Ein jüdischer Witz erzählt
von einem Fremden, der ins Schtetl kommt und nach
dem Weg zum Synagogenvorsteher fragt. „Was, dieser Schurke!?“ ruft ein
Passant aus. „Dieser Bastard!“ „Dieser Sohn einer Hure!“ „Dieser Geizkragen!“
antworten andere. Als er schließlich den Mann trifft und ihn fragt, warum er so
an diesem Amt festhalte, antwortet er: „Wegen der Ehre!“)
Aber
das nur nebenbei. Die Frage
lautet: warum glauben so viele Leute, dass eine neue Partei eine gute Chance
habe, Sitze zu gewinnen? Warum glaubt Ja’ir Lapid, dass eine neue, von ihm
angeführte Partei in der Knesset
eine große Fraktion werden und sie
ihn vielleicht ins Amt des
Ministerpräsidenten
treiben würde?
Im Augenblick herrscht ein
gähnendes schwarzes Loch im israelischen politischen System, eine so riesige
Lücke, dass keiner sie übersehen kann.
Auf der Rechten ist die
gegenwärtige Regierungskoalition, die aus dem Likud, der Lieberman-Partei,
und mehreren ultranationalistischen, pro-Siedlungs- und religiösen
Fraktionen besteht .
Was ist auf der Linken und
im Zentrum? Nun, fast nichts.
Die Hauptoppositionspartei,
Kadima , befindet sich in einem Chaos. Sie hat elendiglich
versagt, für sich selbst eine Aufgabe zu finden. Zipi Livni ist
inkompetent, und es scheint, dass das einzige Verdienst ihres innerparteilichen
Rivalen Shaul Mofas, eines früheren Armeestabschefs, sein orientalischer
Ursprung war. (Er ist aus dem Iran gebürtig ). Die letzten Umfragen ergaben für
Kadima die halbe Anzahl von Sitzen, die sie jetzt inne hat.
Die Labor-Partei, die zu
wachsen schien, als Shelly Jachimovitsch zur Vorsitzenden gewählt wurde, ist bei
den Umfragen bis zu dem Punkt
zurückgefallen, wo sie vorher war. Auch der Bestand von Meretz stieg nicht an.
Dasselbe gilt für die kommunistische und die arabische Fraktion, die am Rande
des Systems – wenn nicht gar außerhalb -
dahinvegetieren. Alle zusammen können die Rechte nicht
ihres Amtes entheben.
Die Lücke ist eklatant. Sie
schreit nach einer neuen Kraft, die die Leere füllt. Kein Wunder , dass einige
Möchte-gern-Messiasse darauf warten, eine innere Stimme zu hören, ihre Zeit sei
jetzt gekommen.
Das Problem ist, dass
keiner dieser Prätendenten mit einer Botschaft kommt. Sie erscheinen mit einer
Kochbuchmentalität auf der Bühne: nimm ein paar volkstümliche Phrasen, füge 3
Berühmtheiten hinzu, 2 Generäle, 4 Frauen, 1 Russen und mit Hilfe eines klugen
PR-Experten und 2 „strategischen Beratern“ bist du auf dem Weg.
Für Lapid gelten nun die
drei populären Phrasen: Nimm das Geld von den unverantwortlichen Magnaten ( Wer
sind sie? Gibt es auch verantwortliche Magnaten?)
Nimm Geld von aufgeblasenen Regierungsabteilungen (von welchen? Schließen
sie auch das Verteidigungsministerium ein?) Nimm Geld von entfernten Siedlungen
(wie weit entfernt? Und wie ist es mit den anderen Siedlungen?)
Es scheint keiner da zu
sein, der mit einer tiefen Überzeugung kommt, einer Botschaft, die „in seinen
Knochen brennt“, wie wir im Hebräischen sagen. Shelly
von der Laborpartei hat eine ernst zu nehmende soziale Botschaft, aber
sie weigert sich hartnäckig, über etwas anderes zu sprechen, besonders über
solch unerfreuliche Themen wie
Frieden und die Besatzung. Kadima redet Wischiwaschi über alles und jedes. Und
Lapid?
NUN – DAS hängt von den
Umfragen ab. Lapid ist ein produktiver Schreiber von vielen Büchern und einer
wöchentlichen Kolumne in der Zeitung mit der größten Auflagenziffer, nämlich
Yediot Aharonot. Aber nicht einmal mit einem Mikroskop kann man Spuren von
ernsthaften Antworten auf die brennenden nationalen oder sozialen Fragen des
Landes finden.
Das mag klug sein. Wenn man
etwas sagt, das außerhalb des Konsens liegt, schafft man sich Feinde. Je weniger
du sagst, um so weniger hast du Probleme. Das ist eine grundsätzliche politische
Binsenwahrheit. Die großen Führer sind aus anderem Stoff gemacht.
Von Lapid ist oft gesagt
worden, er sei der Mann, von dem
jede jüdische Mutter als Schwiegersohn träume. Er ist groß, sehr hübsch, sieht
viel jünger aus als seine 49 Jahre, mit der Qualität eines Filmstars. Er hat
auch einen berühmten Vater.
„Tommy“ Lapid war ein
Holocaustüberlebender. Er wurde in der ungarisch sprechenden Enklave des
früheren Jugoslawien geboren und verbrachte den 2. Weltkrieg in Adolf Eichmanns
Budapest. Er wurde in Israel ein Feuilletonschreiber (wenn auch weniger
erfolgreich als sein Landsmann und Kollege Ephraim Kishon),
aber machte sich einen Namen als TV-Diskussionsteilnehmer, der einen
völlig neuen Stil von Aggressivität - manche sagten Geschmacklosigkeit -
einführte. Ein Beispiel: als eine
von Armut betroffene Frau sich über ihre erbärmliche Situation beklagte, schoss
er zurück: „Wie hast du deinen Friseur bezahlt?“
Lapid sen. ist eine
gespaltene Persönlichkeit: seine persönlichen Beziehungen waren problemlos,
sogar charmant, in der Öffentlichkeit aber streitlustig und rau.
So war auch seine
politische Botschaft. Er war bekannt für seinen großen Hass gegenüber den
orthodoxen Juden. Er war auch ein fanatischer Ultranationalist, der sogar
Slobodan Milosevitch verteidigte. Aber in internen Angelegenheiten war er ein
wahrer Liberaler.
Fast durch Zufall wurde er
der Führer einer moribunden Partei,
führte sie zu einem erstaunlichen Wahlsieg mit 15 Knessetabgeordneten und wurde
ein guter Justizminister. Die Partei löste sich so schnell auf, wie sie
erschienen war.
All dies sagt uns wenig
über Lapid jun. Welches politische Programm wird er präsentieren, wenn er erst
mal gezwungen ist, Antworten zu geben? Im Gegensatz zur Aggressivität seines
Vaters redet er von Versöhnung, Zusammengehörigkeit, Mäßigung. Er stellt sich
selbst genau ins Zentrum und hält
an einem möglichst weiten Konsens fest. Seine Chancen scheinen ausgezeichnet zu
sein.
Doch von jetzt bis zu den
Wahlen – wann immer sie auch gehalten werden – kann
noch eine lange Zeit dauern. Israel ist ein grausames Land, die
Popularität kann schnell dahinschwinden. Der erste politische Test für Lapid
wird der sein, ob er das öffentliche Interesse ohne seine TV-Kanzel
wird halten können.
Ich bin davon überzeugt,
dass sein Eintritt auf die politische Bühne eine gute Sache ist. Unser
politisches System benötigt dringend frisches Blut. Und ich kann kaum mit denen
übereinstimmen, die sagen, Journalisten sollten
nicht in die Politik gehen.
WELCHES SIND die Chancen?
Das ist unmöglich vorauszusagen. Es hängt von vielen Faktoren ab: Wann werden
die Wahlen abgehalten, was wird bis dahin geschehen, wird es einen Krieg geben?
(Lapid war kein Soldat im Einsatz, ein echter Mangel in den Augen vieler
Israelis). Und vor allem wer wird noch in die Arena treten?
Ich hoffe inbrünstig, dass
eine andere Art neuer politischer Kräfte auftauchen wird -
eine Mitte-Links-Partei mit einer klaren und
umfassenden Botschaft: soziale Reformen, Verringerung der Kluft zwischen
Armen und Reichen, die Zwei-Staaten-Lösung, Frieden mit den Palästinensern und
das Ende der Besatzung, Gleichheit zwischen allen Bürgern ( unabhängig von
Geschlecht, Ethnie und Religion)
Totale Trennung zwischen
Staat und Religion, die Menschenrechte durch ein starkes und unabhängiges
Gericht gesichert – all dies in
einer unverbrüchlich schriftlichen
Verfassung bewahrt.
Dafür benötigt man Führer
mit starkem Rückgrat,
die bereit sind, für ihre Überzeugungen zu kämpfen.
Vielleicht will Lapid
dieses Programm am Ende wenigstens
zum Teil ausfüllen.
Vielleicht will er auch Stimmen
von Likudmitgliedern abziehen, die über den neofaschistischen Wandel
einiger Likudführer empört sind -
genug Stimmen, um das Gleichgewicht in der Knesset zu erschüttern und dem
ultra-rechten Wahnsinn ein Ende zu setzen .
Die nächsten paar Monate
werden zeigen, ob die „leuchtende Fackel“ weiter leuchten wird -
und was sie genau beleuchten
wird.
(Aus dem Englischen: Ellen
Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)