Israel Palästina Nahost Konflikt Infos
1.Februar 2012
Am letzten Montag wurde ich für mein
„Lebenswerk“ mit dem Leibowitz-Preis ausgezeichnet.
Der Preis war von
der Yesh Gvul-Friedenssoldaten-Organisation initiiert. Ich war nicht in
der Lage, eine Rede vorzubereiten. Also sprach ich frei und muss nun meine
Bemerkungen aus dem Stegreif rekonstruieren. (die Laudatio
der Nobelpreisträgerin Prof. Ada Yonat war viel
zu viel des Lobs, um sie zu verbreiten).
Zuerst möchte ich Yesh Gvul
danken, dass es diesen Preis geschaffen hat. Dann
möchte ich der angesehenen
Jury danken, die so liebenswürdig war, mir und Hagith Ofran, der Enkelin von
Prof. Leibowitz, den Preis
zuzuerkennen. Ich bewunderte seit Jahren Hagits Werk ( innerhalb Peace Now )
gegen den Siedlungsbau. Und dann
möchte ich all jenen danken, die heute zu dieser Feier gekommen sind.
Doch in diesem Augenblick
denke ich an eine, die nicht hier ist und deren Abwesenheit so ungerecht ist:
meine Frau Rachel. Sie war eine vollkommene Partnerin in allem, was ich während
der letzten 58 Jahre tat . Sie hätte – allermindestens - mit der Hälfte des
Preises ausgezeichnet werden sollen. Sie wäre glücklich gewesen, wenn sie
hätte hier sein können.
Als
ich dieses Gebäude betrat, wurde ich stürmisch von einer rechten
Demonstration begrüßt. Ich war schwer beleidigt, als mir gesagt wurde, dass sie
nicht gegen mich gerichtet sei,
sondern gegen meinen Freund Muhammad Bakri, den arabischen Schauspieler, der die
Faschisten durch seinen Film „Jenin, Jenin“ zornig gemacht hatte. In diesem
Augenblick spielte er auf der benachbarten Theaterbühne in Frederico Garcia
Lorcas „Das Haus von Bernarda Alba“ mit.
Wahrscheinlich verdient er diese Demonstration, aber ich fühlte mich
trotzdem tief beleidigt.
ICH BEWUNDERTE und liebte
Yeshayahu Leibowitz.
Ich bewunderte ihn für
seine scharfsinnige Logik. Wann immer er sie bei einem Problem anwandte, war es
eine Wonne,
dies mit zu erleben. Nichts
konnte dem widerstehen. Oft fragte
ich mich neidisch, wenn ich ihm zuhörte: „Warum habe ich
nicht auch daran gedacht?“
Ich liebte ihn wegen seiner
unerschütterlichen moralischen Haltung. Für ihn stand die moralische
Verpflichtung des einzelnen Menschen über allem.
Kurz nach dem 67er-Krieg
und dem Beginn der Besatzung prophezeite er, dass wir eine Nation von Managern
und Geheimdienstagenten werden würden.
Tatsächlich war er für mich
wie ein 2.Yeshayahu , dem Erben des
biblischen Yeshayahu. (Yeshayahu ist die hebräische Form von Jesaja). Als ich
ihm das sagte, wurde er ärgerlich. „Die Leute verstehen die Bedeutung des Wortes
nicht,“ beschwerte er sich, „in den europäischen Sprachen ist ein Prophet
eine Person, die die Zukunft
voraussagen kann. Aber die hebräischen Propheten waren Leute, die Gottes Wort
weitergaben!“ Obwohl Leibowitz orthodox war und ein Kippaträger, dachte er
nicht in dieser Weise von sich.
Wie alle großen Männer und
Frauen war er eine Persönlichkeit voller Widersprüche. Ich versuchte
herauszufinden, wie ein so rationaler Denker religiös sein konnte. Er erklärte
mir, dass eine Person, die strikt alle 613 Gebote der jüdischen Religion
einhält, sehr rational sein kann – weil die Religion auf einer ganz anderen
Ebene liegt. Als Professor verschiedener recht divergierender Disziplinen
(Philosophie, Chemie, Biochemie, Medizin) sorgte er dafür, dass Wissenschaften
und Religion einander nicht
beeinträchtigten.
Als ihm einmal jemand
erzählte, er habe während des
Holocaust aufgehört, an Gott zu glauben, erwiderte er, „Dann hast du auch vorher
nicht an Gott geglaubt.“
WÄHREND ICH hier in dieser
Halle stehe, bereue ich
meinen Anteil an der Tatsache , dass er nie den Israelpreis, die höchste
Auszeichnung erhalten hat, die das Establishment vergeben kann. Es geschah 1993,
als Yitzhak Rabin Ministerpräsident war. Ein frischer Wind wehte (so schien es
wenigstens) und die offizielle Jury entschied – endlich – Leibowitz den hohen
Preis zu verleihen.
Zufällig organisierte ich
gerade zu dieser Zeit eine öffentliche Konferenz des „Israelischen Rates für
israelisch-palästinensischen Frieden“. Ich rief Leibowitz an und fragte ihn, ob
er kommen und sprechen würde.
Ich muss
hier hinzufügen, dass ich immer stark daran interessiert war, ihn bei
unsern Versammlungen dabei zu
haben, und zwar aus zwei Gründen. Erstens war er ein äußerst faszinierender
Redner. Zweitens, wenn Leibowitz kommen sollte, war die Halle – egal, wie groß
sie war –immer bis auf den letzten Platz besetzt,
sogar auf den Treppen und den Fenstersimsen.
Allerdings arrangierte ich das Programm
immer derart, dass ich nach ihm sprach. Aus guten Gründen: Wenn er
anfing, verriss er alle Reden seiner Vorredner in Stücke, indem er seine
unglaubliche Macht der Analyse anwandte und bewies, dass alles, was sie sagten,
absoluter Unsinn sei.
Als ich ihn diesmal fragte,
war er bereit zu reden, unter einer Bedingung: er wolle nur über ein einziges
Thema sprechen: dass die Soldaten ihren Dienst in den besetzten Gebieten
verweigern sollten.
„Bitte sprechen Sie über
alles, was Sie wollen,“ erwiderte ich, „schließlich ist dies
ein freies Land – bis zu einem gewissen Punkt
.“
Also kam er und hielt eine
Rede, in der er unsere Soldaten mit der Hamas verglich, die damals
(wie heute) als die brutalsten Terroristen angesehen wurden. Dies führte
zu einem schrecklichen öffentlichen Aufschrei. Rabin drohte, die
Preisverleihungsfeier zu boykottieren. Die Jury überlegte, ob es möglich sei,
den Preis zurückzunehmen und Leibowitz verkündete,
er würde den Preis nicht annehmen. Also wurde er niemals mit dem
Israel-Preis ausgezeichnet, wie einige andere Leute, die ich kenne.
ES MACHTE mir immer
Freude, mit ihm ins Gespräch zu kommen. Er lebte in einer bescheidenen,
mit Büchern vollgestopften Wohnung , die man über einen Hinterhof erreichte. Sie
lag im Jerusalems Rehavia-Viertel. Greta, seine Frau und Mutter seiner sechs
Kinder, hatte er an einer deutschen Universität getroffen, an der er studierte.
Sie hielt die Ordnung. Rachel und ich liebten ihre bescheidene Art sehr.
Wann immer er über irgend
ein Thema sprach, wurden die kleinen Rädchen in meinem Gehirn lebendig. Er ließ
kleine Brocken von Einsichten fallen. (Nur ein Beispiel: „Die Deutschen und die
Juden schufen all ihre kulturellen
Güter, als sie keinen Staat hatten“)
Unsere Beziehungen beruhten
auf der Tatsache, dass wir entgegen gesetzte Typen waren. So wie ich ein
überzeugter Atheist bin, so war er
ein überzeugter orthodoxer Jude – eine Tatsache, die ihn nicht im Geringsten
störte. Ich bin von Natur aus ein
Optimist (wie es mein Vater und
auch mein Großvater waren) . Er war eher ein Pessimist. Er war 20 Jahre älter
als ich und ein mehrfacher Doktor und Professor, während ich nicht einmal
die Grundschule beendet hatte. Er kam
als Teenager aus Riga nach Deutschland, während ich dort geboren wurde.
Als wir beide am Tag nach
dem 6-Tagekrieg verlangten, die besetzten Gebiete aufzugeben, hatten wir
verschiedene Gründe. Er sagte voraus, dass die Besetzung Israel zu einen
faschistischen Staat mache. Ich war davon überzeugt, dass die Übergabe der
Gebiete an das palästinensische Volk
dieses in die Lage versetzen würde, seinen eigenen Staat zu errichten,
und dies den historischen Konflikt beenden würde.
AUCH WENN wir aus entgegen
gesetzten Richtungen kamen, waren wir uns in der kompromisslosen Forderung
einig, dass Staat und Religion
getrennt werden müssten . Dies führte mich zu einem parlamentarischen Streich.
Als das Ministerium für religiöse Angelegenheiten auf der Agenda stand, bat ich
Leibowitz um ein paar Kommentare zu diesem Thema. Er diktierte meinem
Assistenten ein Statement, und als ich an der Reihe zu reden war,
sagte ich, dass ich anstelle meiner Meinung, die wohlbekannt war, ich
die Ansicht eines orthodoxen Denkers, die von Prof. Leibowitz, lesen
würde.
Ich las dann seine Worte:
„Unter dieser klerikal-atheistischen Regierung, ist Israel ein säkularer Staat,
öffentlich bekannt als religiöser (In Israel ist die Wendung
„öffentlich bekannt“, ein
Ausdruck für ‚ohne Hochzeit
zusammen leben’ ) … Das
Oberrabbinat ist eine säkulare Institution, die von
den säkularen Behörden entsprechend den säkularen Gesetzen ernannt
wurde. Deshalb haben sie keine religiöse Legitimität. … Das Ministerium
für religiöse Angelegenheiten ist eine
Abscheu …
es macht Religion zu einer Hure der säkularen Behörde. Es ist die Prostitution
der Religion …“
Hier explodierte die
Knesset. Die Vorsitzende der Sitzung war so aufgeregt, dass sie verkündete, sie
werde die Worte im Protokoll streichen. Ich erhob
später Einspruch, und die Worte wurden wieder in den Bericht aufgenommen
– deshalb konnte ich sie jetzt vom offiziellen Protokoll lesen.
Als Sprecher
war Leibowitz absichtlich
provokativ. Er war es, der den Ausdruck „Judäonazi“ erfand – das war zu einer
Zeit, als der Vergleich mit den Nazis noch ein striktes Tabu war. Er verglich
gewisse Einheiten der israelischen Armee mit der Nazi-SS, und die Jugend der
Siedlungen erinnerten ihn an die Hitlerjugend. Er nannte das Heiligste vom
Heiligen, die Klagemauer, „eine religiöse Diskothek“
oder kurz Discotel“ (Kotel bedeutet im Hebräischen Mauer). Er glaubte,
solche provokative Sprache würde ihm helfen , die Kruste der etablierten Mythen
zu durchbrechen.
IN DEN LETZTEN Jahren vor
seinem Tod 1994 widmete alle seine Kräfte der Bemühung, Soldaten davon zu
überzeugen, den Wehrdienst in den
Besetzten Gebieten zu verweigern. Wir hatten darüber mehrere Debatten, da ich
nicht ganz davon überzeugt war.
Während meines
Militärdienstes wurde ich Zeuge von Situationen, wenn ein aufrechter Soldat im
richtigen Augenblick am richtigen Platz steht, kann er Brutalitäten verhindern.
Ein leuchtendes Beispiel: als Nazareth 1948 besetzt wurde, war der
kommandierende Offizier ein kanadischer Jude mit Namen Ben Dunkelman. Er erhielt
eine mündliche Order von David Ben Gurion, alle Bewohner zu vertreiben.
Dunkelman weigerte sich, dies ohne schriftlichen Befehl zu tun. Als Offizier und
Gentleman hatte er dem Bürgermeister beim Kapitulationstreffen
versprochen, dass kein Einwohner zu Schaden komme solle. Er wurde sofort von
seinem Posten als Kommandeur entlassen. Doch
als sein Nachfolger seinen Posten übernahm, war es zu spät, die
Vertreibung so darzustellen, als wäre sie in der Schlacht geschehen.
Natürlich wurde kein
schriftlicher Befehl jemals veröffentlicht.
Jahre später
erhielt ich eine Beschreibung der Episode von Dunkelman, der nach Kanada
zurückgekehrt war, und mein Nachrichtenmagazin Haolam Hazeh veröffentlichte sie.
Gegen dieses Argument
behauptete Leibowitz, dass es das Wichtigste für einen einzelnen Soldaten wäre,
aufzustehen und sich zu weigern, an
der Besatzung teilzunehmen, egal welche Folgen
es für ihn persönlich hat – Gefängnis, Ächtung, Einsamkeit. Wenn dies
genügend Soldaten tun würden, So würde die Besatzung zusammenbrechen, glaubte
er. (mit diesem Ziel wurde Yesh
Gvul gegründet).
EIN PAAR Jahre vor seinem
Tod hatte ich die Ehre, neben ihm
in einem Buch mit Interviews der deutschen Schriftstellerfotografin Herlinde
Kölbl zu erscheinen. Da definierte er seine politische Einstellung auf die
kürzeste und einfachste Weise. Ich übersetze aus dem Deutschen.
„Es gibt nur zwei Möglichkeiten: das eine ist Krieg auf Leben und Tod im vollsten Sinn des Wortes, wobei Israel ein faschistischer Staat werden wird. Die andere Möglichkeit, die einzige, die diesen Krieg vermeiden helfen kann, ist die Teilung des Landes. Eine solche Teilung des Landes wird sehr schmerzhaft für beide Parteien. Beide Völker würden ihren Staat haben und ihre nationale Unabhängigkeit. Aber keines von beiden im Rahmen des ganzen Landes.
„Ich glaube, dass eine
Teilung kommen wird, wenn nicht durch ein Übereinkommen zwischen dem Staat
Israel und der PLO, dann als
eine aufgezwungene Ordnung, aufgezwungen
von den Amerikanern und den
Sowjets .
Wenn weder das eine noch
das andere geschieht, dann steuern wir auf eine Katastrophe zu.
Ich wiederhole: eine
dritte Möglichkeit gibt es nicht.
Seit dem 6-Tage-Krieg ist Israel ein Machtapparat, ein jüdischer Machtapparat zur Beherrschung eines anderen Volkes.
Deswegen sage ich es in
schärfster Form: Dieser glorreiche Sieg war
das historische Unglück des Staates Israel.
Im Jahr des „Völkerfrühlings“, 1848, warnte (der österreichische
Dramatiker) Franz Grillparzer vor dem Weg, der „von der Humanität
durch die Nationalität zur
Brutalität führt“. Im 20. Jahrhundert ist das deutsche Volk tatsächlich diesen
Weg bis zum Ende gegangen. Wir haben diesen Weg nach dem 6-Tage-Krieg betreten.
Es kommt darauf an, diesen Gang zu beenden.“
ICH BIN glücklich, diesen
Preis zusammen mit seiner Enkelin
zu erhalten. Das erinnert mich an einen andern Teil desselben Interviews.
„Für die kurze Zeit, die ich noch habe, bleibe ich hier, hier in Jerusalem sind
meine Kinder und meine Enkelkinder, und alle werden hier bleiben.“
Das ist wirklicher
Patriotismus. Der britische Philosoph Dr. Samuel Johnson bezeichnete bekanntlich
„Patriotismus als letztes Refugium eines Schurken“. Wir sehen die
patriotischen Schurken rund um uns. Aber wir sind die wirklichen Patrioten –
Patrioten wie Yeshayahu Leibowitz.
Es wird keinen zweiten
Yeshayahu Leibowitz geben. Wie Shakespeare in Hamlet sagte: „Er war ein Mann,
nehmt ihn für alles in Allem. Ich
werde nie wieder jemandem wie ihn sehen.“
(Aus dem Englischen Ellen
Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)