Israel Palästina Nahost Konflikt Infos
Der Liebarak
Uri Avnery,
23.1.10
DAS GESCHÄFT ist im Namen
Binyamin Netanyhus registriert. Aber die Realität sieht anders aus.
Netanyahu ist nie mehr als
ein gewiefter Verkäufer von Patent Medikamenten gewesen. Das ist ein Typ, der
häufig in amerikanischen Wild Westfilmen auftritt und
eine Medizin verkauft, die gut für alles ist: gegen Grippe und
Tuberkulose, gegen Herzinfarkt und gegen Wahnsinn. Das wichtigste Werkzeug des
Verkäufers ist seine glatte Zunge:
seine Wortströme bauen Luftschlösser, erzeugen glitzernde Seifenblasen und
bringen jeden Zweifel zum Schweigen.
Seit seiner Wahl vor fast
einem Jahr bestand seine Haupterrungenschaft darin, ein ( buchstäblich) großes
Kabinett aufgestellt zu haben: 30 Minister und einen Haufen von Vizeministern,
die meisten von ihnen ohne wahrnehmbare Verpflichtungen, einige von ihnen haben
die Verantwortung für ein Ministerium, für das sie am wenigsten geeignet sind.
Seitdem hat seine Hauptaufgabe darin bestanden - worin er am geschicktesten ist
- politisch zu überleben.
In seinem Regierungszoo ist
die einzig bedeutsame Kreatur der
Liebarak – ein zweiköpfiges Monster, vor dem
alle anderen Tiere erschrecken. Dieses Wesen besteht aus 50% Liebermann,
50% Barak und 0% menschlich.
ALS LIEBERMAN zuerst auf
der politischen Bühne erschien, wurde er von
vielen mit Verachtung angesehen. Solch eine Person – so entschieden sie -
hat in der israelischen Politik keine Chance.
Seit
zehn Jahren wird er von der Polizei wegen Korruptionsverdachts
untersucht: er bekommt aus mysteriösen ausländischen Quellen
Geld und anderes.
Außerdem ist er in den
Augen vieler Israelis die am wenigsten israelische Figur, die man sich
vorstellen kann. Er wird permanent
als „neuer Immigrant“ bezeichnet, obwohl er
seit mehr als 30 Jahren hier ist. Man betrachtet seine äußere
Erscheinung, seine Körpersprache und
Aussprache schlicht und einfach als
„unisraelisch“, die zu jemandem gehört, der „keiner von uns“ ist.
Wie können Israelis nur solch eine Person wählen?
Lieberman ist ein Siedler,
der in Nokdim lebt, einer Siedlung
nahe bei Bethlehem; und die Siedler sind in Israel gar
nicht beliebt. Er ist ganz
offen ein Rassist, ein Araberhasser, der den Frieden verachtet,
ein Mann, dessen erklärtes Ziel es ist, die Araber Israels los zu werden.
Es gibt in Israel (wie in jedem Land) eine Menge versteckten, zum Teil
unbewussten Rassismus, aber dieser Rassismus hier wird geleugnet. Die Israelis
werden doch keinen ausgesprochenen Rassisten wählen
- so glaubte man wenigstens.
Die letzten Wahlen
setzten dieser Überzeugung ein Ende. Liebermans Partei gewann fünfzehn
Knessetsitze, zwei mehr als Baraks Partei, und wurde so die drittstärkste
Knessetfraktion. Nicht nur ein paar „wirkliche“ israelische Jugendliche, durch
und durch Sabras, wählten für ihn. Sie sahen ihn als eine gute Adresse für ihre
Protestwahl.
Das Establishment hat sich
nicht zu sehr aufgeregt. OK, das war eine Protestwahl . Bei jeder
israelischen Wahlkampagne erscheint irgendwo aus dem Nichts eine Wahlliste, die
am nächsten Tag wieder verschwindet, wie die Kürbispflanze des Propheten Jonas.
Wo ist sie jetzt?
Aber Lieberman ist nicht
General Yigael Yadin, der die Dash-Partei gründete oder Tommy Lapid, der Führer
von Shinui. Er ist ein Mann von
brutaler Gewalt, der keine Skrupel kennt, ein Mann, der – wie Joseph Goebbels es
ausdrückte – die primitivsten
Instinkte der Massen ansprach.
Es könnte jetzt in Israel
eine Koalition aller Unzufriedenen und Verbitterten zustande kommen – wie es die
Bibel über David sagt, als er vor König Saul floh: „Und jeder, der verzweifelt
war, und jeder, der Schulden hatte, und jeder, der unzufrieden war, sammelte
sich um ihn, und so wurde er ihr Anführer“
(1.Sam.22,2). Liebermans hauseigenes Publikum ist die Immigrantengemeinde
aus der früheren Sowjetunion, die nicht von der israelischen Gesellschaft
absorbiert worden ist und die in einem geistigen und sozialen Ghetto lebt.
Andere Gruppen können sich anschließen: die Siedler,
orientalische Juden, die das Gefühl haben,
der Likud habe sie betrogen,
und junge Leute, die ihn als einen Mann ansehen, der offen ausdrückt, was
sie im Geheimen denken : dass die
Araber aus dem Staat und dem ganzen Land vertrieben werden sollten.
Liebermans un-israelische
Erscheinung könnte jetzt für ihn in einen Vorteil verwandelt werden. Eine
Person, die so un-israelisch ist, könnte ein idealer Führer für ein Lager
werden, das durch Hass gegen die „Eliten“, den
Obersten Gerichtshof, die Polizei, die Medien und die anderen Pfeiler der
israelischen Demokratie, verbunden ist.
Die polizeilichen
Ermittlungen könnten ihn auch in
den Augen dieses Publikums erhöhen. Sie sind davon überzeugt, dass er von den
heuchlerischen Eliten verfolgt wird. Die dunkle Wolke des Verdachtes schreckte
Netanyahu nicht ab, ihm die Kontrolle über die beiden Ministerien der Polizei
und der Justiz zu geben, die beiden Ministerien, die die Verantwortung
über die Rechtsstaatlichkeit haben, die
nun unter der Führung seiner Lakaien stehen.
Diese Gefahr soll nicht
unterschätzt werden. Andere Führer seiner Sorte wurden zunächst als Clowns
betrachtet und lächerlich gemacht,
bevor sie zur Macht kamen und Unheil anrichteten .
ABER DER zweite Kopf von
Liebarak ist noch gefährlicher als der erste. Die Gefahr Liebermans liegt in der
Zukunft. Die Gefahr von Ehud Barak ist unmittelbar und real.
In dieser Woche tat Barak
etwas, das noch ein rotes Licht aufleuchten lassen sollte. Auf Liebermans
Forderung hin bestimmte Barak, dem Siedler-College in Ariel den Status einer
Universität zu geben.
Barak kommt - anders als
der „fremde“ Lieberman - aus der Mitte des alten Israel. Er wuchs in einem
Kibbuz auf, war ein Kommandeur in der Eliteeinheit des „Generalstabskommandos“
und spricht ein perfektes Hebräisch
mit dem richtigen Akzent. Als früherer Stabschef und gegenwärtiger
Verteidigungsminister repräsentiert er die
Macht des gewaltigsten Sektors in Israel: der Armee.
Lieberman ist es bis jetzt
noch nicht gelungen, die Chancen des Frieden zu beschädigen, außer durch Reden.
Barak hat gehandelt. Ich nannte ihn einmal einen „Friedensverbrecher“ im
Gegensatz zu einem „Kriegsverbrecher“ – obwohl heute
viele kaum
mehr diesen Unterschied machen würden.
Der fatale Schlag Baraks in
Bezug auf Friedenschancen kam 2000
nach der Camp David-Konferenz. Eine
kurze Erinnerung: als er 1999 mit überwältigender Mehrheit gewählt worden war,
von den Begeisterungswellen des Friedenslagers getragen und mit Hilfe klarer
Friedensslogans („Bildung anstelle von Siedlugen“) veranlasste er die
Präsidenten Bill Clinton und Yasser Arafat, sich zu einer Gipfelkonferenz zu
treffen. Mit einer typischen Mischung von Arroganz und Ignoranz
glaubte er, dass, wenn er den Palästinensern
die Chance anbiete, einen palästinensischen Staat zu gründen,
würden sie alle anderen Forderungen aufgeben. Seine Angebote waren
tatsächlich weitreichender als die seiner Vorgänger, doch weit entfernt vom
annehmbaren Minimum der Palästinenser. Die Konferenz war ein Fehlschlag.
Als er von Camp David nach
Hause kam, machte er nicht die üblichen Ankündigungen („Große Fortschritte sind
erreicht worden, und die Verhandlungen gehen weiter …“) noch eine ungewöhnliche
(„Tut mit leid, ich habe mich geirrt, ich hatte kein Ahnung“), sondern prägte
ein Mantra, das seitdem zum Mittelpunkt des nationalen Konsens wurde: „Ich habe
auf dem Weg zum Frieden jeden Stein umgedreht/ ich hab den Palästinensern alles
angeboten, was sie sich wünschten/ sie haben alles zurückgewiesen/ wir haben
keinen Partner für den Frieden.“
Diese Erklärung durch den
Führer der Arbeitspartei, der sich selbst oft als „das Haupt des Friedenslagers“
bezeichnete, teilte einen tödlichen Schlag gegen die israelischen Friedenskräfte
aus, die sich so viel von ihm erhofft hatten. Die große Mehrheit der Israelis
glaubt jetzt von ganzem Herzen, dass „wir keinen Partner für den Frieden haben.“
Auf diese Weise öffnete er den Weg für den Aufstieg zur Macht für Ariel
Sharon und Benyamin Netanyahu.
Während seiner Amtszeit
errichtete und vergrößerte Barak die Siedlungen. Auf seinen Befehl hin stellte
der Kommandeur des Kommandos Mitte eine Genehmigung für eine Radiostation für
die Siedler aus (die schließlich nach einem langen verzögernden Kampf mit Gush
Shalom auch auf Sendung ging). Auch in dieser Hinsicht übertrumpfte er
Lieberman. Seine Entscheidung
hinsichtlich der Ariel-Universität passt in dieses Muster.
„MOMENT MAL!“
würde eine vernünftige Person fragen. „Was hat das mit Barak zu tun?
Er ist
Verteidigungsminister und nicht Bildungsminister!“
Ariel ist besetztes Gebiet.
In den besetzten Gebieten ist die Armee souverän. Barak hat die Verantwortung
für die Armee. Die Weisung, das Ariel-College zu befördern, wurde
dem kommandierenden Offizier von Barak gegeben.
Yossi Sarid, ein früherer Bildungsminister, machte darauf aufmerksam,
dass das „Ariel-Universitätszentrum“ die einzige zivile Universität in der
demokratischen Welt ist, die von der Armee gegründet wurde.
Eine israelische
akademische Institution muss einen weiten Weg gehen, bevor sie von kompetenten
Behörden den Universitätsstatus verliehen bekommt. Es gibt viele Colleges in
Israel viel hervorragendere als das
Ariel-College, die nach diesem Status streben. In den besetzten Gebieten genügt
die Anerkennung eines Generals .
Diese Tatsache wirft Licht
auf eine beispiellose israelische Erfindung: die ewige Besatzung.
Ein Besatzungsregime
ist seiner Natur nach eine vorübergehende Situation.
Sie kommt dadurch zustande, dass
die eine Seite in einem Krieg Gebiete der anderen Seite erobert. Die
Besatzungsmacht wird sie mutmaßlich nach detaillierten internationalen Gesetzen
bis zum Kriegsende beherrschen, bis ein Friedensabkommen über die Zukunft
des Gebietes entscheiden muss.
Ein Krieg kann
höchstens einige Jahre dauern, und deshalb ist die Besatzung eine
vorübergehende Angelegenheit. Auf einander folgende israelische Regierungen
haben dies zu einem permanenten Zustand gemacht.
Warum?
Zu Anfang der Besatzung
entdeckte der damalige Verteidigungsminister Moshe Dayan, dass die Besatzung
wirklich eine ideale Situation sei. Sie gibt dem Besatzer absolute Herrschaft
ohne irgendeine Verpflichtung, ohne
den Bewohnern irgendwelche Staatsbürgerrechte
zuzugestehen. Wenn Israel die Gebiete annektieren würde,
würde es entscheiden müssen, was es mit der Bevölkerung macht.
Das würde eine
unangenehme Situation
hervorrufen. Die Bewohner von Ost-Jerusalem, das offiziell 1967 von Israel
annektiert wurde, erhielten nicht die Staatsbürgerschaft, sondern nur den Status
des Bewohners. Die auf einander
folgenden israelischen Regierungen
befürchteten, dass die Welt einen
demokratischen Staat nicht akzeptieren würde, in dem ein Drittel seiner
Bevölkerung keine Rechte hat.
Ein Besatzungsstatus löst
all diese Probleme. Die Bewohner
der besetzten Gebiete haben de facto überhaupt keine Rechte – weder national,
noch als Bürger oder als Mensch. Die israelische Regierung baut überall, wo es
ihr gefällt, Siedlungen hin – entgegen dem Völkerrecht und nun errichtet sie
auch noch eine Universität dort.
( Vor ein paar Tagen wurde
von Sari Nusseibeh, dem Präsidenten der palästinensischen
Al-Quds-Universität im besetzten Ost-Jerusalem ein origineller Vorschlag
gemacht: Die Palästinenser sollten fordern, dass Israel die besetzten Gebiete
annektiert, ohne die Staatsbürgerschaft zu verlangen. Nusseibeh hofft
anscheinend, dass Israel nicht auf Dauer in der Lage sein würde, dem
internationalen Druck zu widerstehen und gezwungen sein würde, ihnen die
Staatsbürgerschaft zu geben. Dann würden die Palästinenser
schon die Mehrheit im Staat sein und sie würden dann in der Lage sein,
das zu tun, was sie wollten. Ich schätze Nusseibeh sehr, aber ich habe das
Gefühl, das Risiko würde zu groß sein.)
DIE SPANISCHE Regierung hat
schon einen Boykott des Ariel-Colleges erklärt und
seine Teilnahme an einem internationalen von Spanien geleiteten
architektonischen Wettbewerb gestrichen.
Ich hoffe, dass mehr
Regierungen und akademische Institutionen diesem Beispiel folgen und dieser
„Universität“ einen Boykott erklären.
Der Liebarak wird sich zwar
wenig darum kümmern. Dieses zweiköpfige Monster ist gegenüber Boykotts
gleichgültig. Aber eine akademische Institution kann
gegenüber einem Boykott von
ihresgleichen in der Welt nicht
gleichgültig sein. Und wenn die israelische akademische Gemeinschaft sich
durch das Errichten einer Universität durch Siedler unter militärischer
Aufsicht nicht gegen diese Prostitution seiner Ideale
erhebt – lädt sie zum
Boykott aller israelischer Universitäten ein.
(Aus dem Englischen: Ellen
Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)