Israel Palästina Nahost Konflikt Infos
Uri Avnery,
14.12.13
KANN EIN
Land sich selbst boykottieren? Dies
mag wie eine dumme Frage klingen. Ist es aber nicht.
Bei der
Gedenkfeier für Nelson Mandela, den „Giganten der Geschichte“, wie Barack Obama
ihn nannte, war Israel durch keinen
seiner Führer vertreten.
Der
einzige Würdenträger, der hinging, war der Knesset-Sprecher, Yuli Edelstein,
eine nette Person, Immigrant aus
der Sowjetunion und Bewohner einer Siedlung, der so anonym ist, dass ihn die
meisten Israelis nicht erkennen würden („Sein eigener Vater würde Mühe haben,
ihn auf der Straße zu erkennen,“ scherzte jemand.)
Warum?
Staatspräsident Shimon Peres hatte sich
eine Krankheit zugezogen , die ihn daran hinderte, hinzufliegen, die ihn aber
nicht daran hinderte, eine Rede zu halten und am selben Tag, Besucher zu
empfangen. Nun, es gibt alle Arten von mysteriösen Bazillen.
Der
Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte sogar einen noch seltsameren Grund.
Er behauptete, die Reise sei zu teuer mit all den begleitenden Sicherheitsleuten
usw.
Vor noch
nicht langer Zeit verursachte Netanjahu einen Skandal, als durchsickerte, dass
er für seine Reise zum Begräbnis von Margaret Thatcher - ein fünf-Stundenflug
- ein
spezielles Doppelbett für hohe Kosten in einer El-Al-Maschine installieren ließ.
Er und seine verunglimpfte Frau Sara‘le
wollten keinen weiteren Skandal provozieren. Wer ist denn schon dieser Mandela?
INSGESAMT WAR es eine unwürdige Schau persönlicher Feigheit beider, von Peres
wie von Netanjahu. Wovor fürchteten sie sich?
Nun, sie
hätten ausgebuht werden können. Kürzlich sind viele Details der
israelisch-südafrikanischen Beziehung ans Licht gekommen. Apartheid Südafrika,
das von der ganzen Welt boykottiert wurde, war der Hauptkunde der israelischen
Rüstungsindustrie. Es war ein
perfektes Geschäft. Israel hatte eine Menge Waffensysteme, aber kein Geld, um
sie zu produzieren. Südafrika hatte eine Menge Geld, aber keinen, der ihn mit
Waffen ausrüsten konnte.
Israel
verkaufte also Mandelas Gefängniswärtern, alles, was sie brauchen konnten: von
der Luftwaffe bis zu den elektronischen Geräten und teilte seine nuklearen
Erkenntnisse mit. Peres selbst war tief hinein verwickelt.
Die
Beziehung war nicht nur kommerziell. Israelische Offiziere und
Beamte trafen sich mit ihren südafrikanischen Kollegen, Besuche wurden
erwidert und persönliche Freundschaften gepflegt. Während Israel
nie die Apartheid (SA) offiziell unterstützte, hat unsere Regierung sie
sicher auch nicht verabscheut.
Doch
unsere Führer hätten zusammen mit andern
Führern aus aller Welt da gewesen sein sollen. Mandela war der große Vergeber,
und er vergab auch Israel. Als der
Zeremonienmeister im Stadium durch ein Versehen Peres und Netanjahu ankündigte,
wurden gerade ein paar Buh-Rufe gehört. Viel weniger als die Buh-Rufe für den
jetzigen südafrikanischen Präsidenten.
In
Israel erhob sich nur eine Stimme
öffentlich gegen Mandela. Shlomo Avineri, ein geachteter Professor und früherer
Generaldirektor des Auswärtigen Amtes, kritisierte ihn, er hätte einen „blinden
Fleck“ gehabt, weil er auf Seiten der Palästinenser gegen Israel gestanden habe.
Er erwähnte auch die andere moralische Autorität, Mahatma Gandhi, der denselben
„blinden Fleck“ gehabt hätte.
Seltsam.
Zwei moralische Giganten und
derselbe blinde Fleck? Wie kann das sein?
DIE
BOYKOTT-Bewegung gegen Israel gewinnt langsam an
Boden. Sie besteht vor allem aus drei Hauptformen (und mehreren
dazwischen)
Die
konzentrierteste Form ist der Boykott der Produkte aus den Siedlungen,. Vor 15
Jahren von Gush Shalom begonnen,
wird dies
jetzt in vielem Ländern praktiziert.
Eine
strengere Form ist der Boykott aller Institute und Gesellschaften, die
mit Siedlungen zusammen arbeiten. Dies
ist jetzt die offizielle Politik der EU.
Erst in dieser Woche brach Holland alle Verbindungen mit der
monopolistischen israelischen Wassergesellschaft Mekorot, die den Palästinensern
wesentliche Wasservorräte vorenthält und
stattdessen den Siedlungen zu gute kommen lässt.
Die
dritte Form ist total: der Boykott von allem und jedem, was
israelisch ist (einschließlich mir selbst). Auch dies nimmt langsam in
vielen Ländern Form an.
Die
israelische Regierung hat sich jetzt diesem Boykott angeschlossen. Durch seine
freiwillige Nicht-Vertretung oder Unterpräsentation bei der Mandela-Trauerfeier
erklärte Israel sich selbst zu
einem Paria-Staat. Seltsam.
LETZTE
WOCHE schrieb ich, dass, wenn die
Amerikaner eine Lösung für Israels
Sicherheitssorgen in der Westbank finden sollten,
würden andere Sorgen auftauchen. Ich erwartete nicht, dass dies so
schnell geschehen würde.
Benjamin
Netanjahu erklärte in dieser Woche, dass die Stationierung israelischer Truppen
im Jordantal – wie John Kerry vorschlug, nicht genug sei. Bei weitem nicht!
Israel
kann die Westbank solange nicht aufgeben, wie der Iran nukleare Fähigkeiten hat,
erklärte er. Was ist die
Verbindung? möchte man fragen. Nun, das ist offensichtlich. Ein starker Iran
wird Terrorismus ausüben und Israel
auf viele andere Weisen bedrohen. Das ist doch logisch.
Wenn der
Iran alle seine nuklearen Fähigkeiten aufgibt, wird das dann genug sein? Unter
keinen Umständen. Der Iran muss seine „genozidale“ Politik gegenüber Israel
vollkommen aufgeben, alle Bedrohungen
stoppen, auch alle Äußerungen gegen es. Es muss eine freundliche Haltung uns
gegenüber einnehmen. Doch Netanjahu ging nicht so weit, dass
er verlangt hätte, der Iran müsse
sich der zionistischen Weltorganisation
anschließen.
Bevor
dies geschieht, kann Israel unmöglich einen Frieden mit den Palästinensern
machen. Tut uns leid, Mister Kerry.
IM
LETZTEN Artikel machte ich den
Allon-Plan lächerlich und andere Vorwänden, die unser rechtes Lager vorbrachte,
um das fruchtbare Land des
Jordantals zu behalten.
Einer
meiner Leser entgegnete, tatsächlich seien all die alten Gründe obsolet
geworden. Die schreckliche Gefahr, dass die kombinierten Armeen des Irak,
Syriens und Jordaniens uns vom Osten angreifen könnten, besteht nicht mehr. Aber
–
Aber die
Jordantalwächter kommen jetzt mit
einer neuen Gefahr. Wenn Israel die Westbank aufgibt, ohne am Jordantal und den
Grenzübergängen über den Fluss fest zu halten, werden
andere schreckliche Dinge geschehen.
An dem
Tag, nachdem die Palästinenser die Brückenübergänge in Besitz genommen haben,
werden Raketen hineingeschmuggelt. Raketen werden auf den internationalen Ben
Gurion-Flughafen regnen, das Tor Israels, das nur wenige Kilometer von der
Grenze entfernt liegt. Tel Aviv, 25km von der Grenze, wird bedroht werden,
genauso wie Dimona, die Nuklear Anlage.
Haben
wir das nicht alles schon gesehen?
Als Israel freiwillig den ganzen Gazastreifen
räumte, begannen da nicht, Raketen auf den Süden Israels zu regnen?
Wir
können uns nicht auf die Palästinenser verlassen. Sie hassen uns und werden
weiter gegen uns kämpfen. Falls Mahmoud Abbas versucht, dies zu stoppen, wird er
gestürzt werden. Hamas -- oder schlimmer noch al-Qaeda -- werden an die Macht
kommen und eine terroristische
Kampagne auslösen. Das Leben in Israel wird zur Hölle werden.
Deshalb
ist es offensichtlich, dass Israel die Grenze zwischen dem palästinensischen
Staat und der arabischen Welt und besonders die Grenzübergänge kontrollieren
muss. Wie Netanjahu immer wieder sagt: Israel kann und will nicht seine
Sicherheit anderen überlassen – besonders nicht den Palästinensern.
ZUNÄCHST
IST die Gazastreifen –Analogie
nicht anwendbar. Ariel Sharon evakuierte die Gaza-Siedlungen - ohne
Einverständnis oder Beratung mit der
palästinensischen Behörde, die damals noch den Streifen beherrschte. Statt einen
ordentlichen Transfer des Gazastreifens an die palästinensischen
Sicherheitskräfte durchzuführen, hinterließ er ein Machtvakuum, das sich später
mit Hamas füllte.
Sharon
hielt auch die Land- und Seeblockade aufrecht, die den Streifen praktisch in ein
riesiges Open-Air-Gefängnis verwandelte.
In der
Westbank besteht jetzt eine starke palästinensische Regierung und robuste, von
Amerikanern trainierte Sicherheitskräfte. Ein Friedensabkommen
würde sie immens stärken.
Abbas
widersetzt sich einer Präsenz
ausländischen Militärs in der Westbank, einschließlich des Jordantals nicht. Im
Gegenteil, er bittet um sie. Er hat eine internationale Streitkraft unter
amerikanischem Kommando vorgeschlagen. Er ist nur gegen die Präsenz der
israelischen Armee – eine Situation, die nur eine andere Art von Besatzung wäre.
ABER DER
Hauptpunkt ist etwas anderes, etwas das tief an die Wurzeln des Konfliktes geht.
Netanjahus Argumente setzen voraus, dass es keinen Frieden gibt, nicht jetzt,
nie. Das
mutmaßliche Friedensabkommen – das Israelis das „permanente
Statusabkommen“ nennen – wird nur eine andere Phase des generationenalten
Krieges eröffnen.
Dies ist
das Haupthindernis. Die Israelis – fast
alle Israelis können sich eine
Situation wie den Frieden nicht vorstellen. Weder sie noch ihre Väter und
Großväter haben jemals einen Tag des Friedens in diesem Land erlebt. Frieden ist
etwas wie das Kommen des Messias, etwas, das gewünscht, wofür gebetet, aber nie
wirklich erwartet wird.
Aber
Frieden bedeutet nicht, um Carl von Clausewitz‘Zitat zu umschreiben,
die Fortsetzung des Krieges mit nur andern Mitteln. Es bedeutet nicht
Waffenruhe
oder gar einen Waffenstilstand.
Frieden
bedeutet Seite an Seite leben. Frieden bedeutet Versöhnung, ein echter
Wunsch, die andere Seite zu verstehen, die Bereitschaft, alten Groll zu
vergessen, langsam neue Beziehungen zu
knüpfen, wirtschaftlich, sozial und persönlich.
Um
anzudauern muss Frieden alle Seiten
befriedigen. Er muss eine Situation schaffen, mit der alle Seiten leben können,
weil er ihre grundsätzlichen Wünsche erfüllt.
Ist dies
möglich? Da ich die andere Seite
gut kenne, antworte ich mit äußerster Sicherheit: Ja,
tatsächlich. Aber es ist kein automatischer Prozess. Man muss für ihn
arbeiten, in ihn investieren, einen Frieden führen, wie man einen Krieg führt.
Nelson
Mandela tat dies. Deshalb nahm die ganze Welt an seinem Begräbnis teil. Das ist
es vielleicht, warum unsere Führer vorzogen, zu Hause zu bleiben
(dt.
Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)