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Das Monster auf dem Hügel

 

Uri Avnery,

 

5.4.2014

 

ES GIBT nichts Besseres als jede Woche einen Skandal. Ein gepfefferter Skandal regt die Leute auf, beschäftigt die Medien, lässt uns Dinge wie Krieg und Frieden, Besatzung und Apartheid  vergessen. Wie Brot und Spiele im alten Rom.

In dieser Woche hatten wir mehrere Skandale, die uns beschäftigten. Ehud Olmert, ein früherer Ministerpräsident, wurde verurteilt, weil er riesige Bestechungsgelder annahm, als er Bürgermeister von Jerusalem war. Er wurde für die Genehmigung eines monströsen Gebäudekomplexes auf dem höchsten Hügel  West-Jerusalems bezahlt –  schon aus großer Entfernung  sichtbar.

Als ob dies nicht schon genug wäre, Sylvan Shalom, ein Kabinettsminister  mit einem halben Dutzend Funktionen, wurde einer Notzucht  verdächtigt. Eine frühere Sekretärin erinnerte sich, dass er sie vor 15 Jahren in seinem Hotelzimmer angegriffen hatte.

Sich mit solch aufregenden Nachrichten zu beschäftigen, wer kann da noch Zeit und Energie haben, über die Krise bei den israelisch-palästinensischen Verhandlungen nachzudenken, die  wirklich niemals richtig anfingen? Die Öffentlichkeit weiß gut  genug, dass diese Verhandlungen  eine Farce sind, die von der amerikanischen Regierung in Bewegung gesetzt wurde, die nicht den Schneid hat, gegen die Mietlinge der israelischen Regierung im Kongress aufzustehen und  Benjamin Netanjahu etwas  aufzuzwingen.

 

FALLS  SICH TATSÄCHLICH  jemand irgendwelche Illusionen über amerikanische Politik gemacht hat, dann wären sie in dieser Woche zerstreut worden

Der Kasino-Mogul, Sheldom Adelson, organisierte eine öffentliche Vorstellung seiner Macht.

Er lud  die vier wahrscheinlichsten republikanischen Kandidaten für die nächsten Präsidentenwahlen in sein Las Vegas Wett-Paradies ein, um einen  auszuwählen. Alle Eingeladenen beachteten natürlich  die Aufforderung.

Es war eine beschämende Vorführung. Die Politiker krochen vor dem Casino-Herrn. Mächtige Gouverneure von bedeutenden Staaten taten ihr Bestes, um sich selbst wie Bewerber bei einem Jobinterview gut zu verkaufen. Jeder von ihnen versuchte, über den andern zu triumphieren und versprach dem Mogul, alle Bitten zu erfüllen.

Flankiert von israelischen Leibwächtern nahm Adelson  die amerikanischen  Hoffnungsvollen in die Zange. Und was verlangte er vom zukünftigen Präsidenten der USA? Als erstes und  wichtigstes: blinden und bedingungslosen Gehorsam  gegenüber einem anderen Staat: Israel.

Adelson ist einer der reichsten Juden in der Welt. Er ist auch ein Fanatiker  vom rechten Flügel – nicht nur  ein amerikanischer Rechter, sondern auch ein israelischer.

Während er jetzt nach dem besten amerikanischen Präsidenten sieht, den er kaufen kann, hat er schon seinen israelischen Handlanger. Er hat etwas in Israels Geschichte noch nie Dagewesenes getan: ein Instrument  geschaffen, um mit ihm seine ultra-rechten Ansichten auf das israelische Volk zu drücken.

Zu diesem Zweck hat er riesige Summen Geld investiert und eine tägliche Tageszeitung nach seiner Vorstellung geschaffen. Sie wird  „Israel heute“ genannt und kostet buchstäblich nichts. Sie wird für nichts über das ganze Land verbreitet. Seine Leserschaft ist jetzt die Größte im ganzen Land und bedroht die Existenz der  vorherigen Nummer eins „Yedioth Aharonot“ und  hat die nächste „Maariv“ schon umgebracht.

Der einzige Zweck von  Adelsons Zeitung ist es, Benjamin Netanjahu zu dienen, persönlich und politisch, bedingungslos und offen. Dies ist eine solch unverhohlene Einmischung in Israels Politik durch einen ausländischen Milliardär, dass dies  eine Reaktion auslöst: alle Knesset-Fraktionen, die Rechten wie die Linken (außer Likud, natürlich) haben eine  Forderung unterzeichnet, um dieser Korrumpierung  von Demokratie ein Ende zu setzen.

 

SELTSAM GENUG, die zionistische Bewegung wurde in einem Casino gegründet. Das war der Name der Halle in Basel, Schweiz, in der der erste zionistische Kongress 1897 auch stattfand. Aber er hatte nichts mit Glücksspiel zu tun. Das Stadt-Casino war eben eine zentralgelegene Halle.

Seit damals waren Casinos zu Glückspielplätzen geworden, nach allgemeiner Meinung mit der Mafia verbunden.  Heutzutage scheinen sie in den USA koscher zu sein, obwohl sie in Israel streng verboten sind.

Las Vegas ist jetzt zur Hauptstadt der amerikanischen Politik geworden. Alles was Adelson tut, tut er offen, stolz beschämend. Ich wundere mich wie  einfache Amerikaner auf dieses Spektakel eines Milliardärs – besonders eines Juden – reagieren, der den nächsten Präsidenten für sie wählt.

Uns wird erzählt, dass Antisemitismus in Europa und in der ganzen Welt auf dem Vormarsch ist. In der verrückten  geistigen Welt des Antisemitismus kontrollieren Juden den Kosmos. Und hier haben wir einen Juden, direkt aus den Seiten  der „Protokolle der Weisen von Zion“ der versucht, den Herrscher des mächtigsten Landes auf dem Planeten zu ernennen.

Adelson  hatte das letzte Mal keinen Erfolg. Das letzte Mal spendete er riesige Summen Geld für einen hoffnungslosen Kandidaten, und  dann  auf den gewinnenden republikanischen Nominierten, der gründlich von Barack Obama vernichtet wurde. Aber keiner kann sicher sein, dass dies wieder geschehen wird. Für Adelson  könnte es gut heißen: „Wenn Geld nicht wirkt, dann versuche es mit mehr Geld.“

 

DAS EIGENTLICHE-Problem ist, dass der amerikanische politische Prozess total korrupt ist. Man kann es nicht anders ausdrücken.

Um die Nominierung einer großen Partei zu bekommen und dann als Präsident gewählt zu werden, benötigt man enorme Summen Geld. Seitdem das größte Schlachtfeld das Fernsehen ist und Kandidaten dafür zahlen müssen, werden diese Summen immer größer.

Es ist schön zu denken, dass gewöhnliche Bürger diese Summen mit ihren bescheidenen Beträgen erreichen können, doch  das  ist eine Illusion. Spenden in diesen Dimensionen kann nur von den Reichen kommen, besonders von den sehr, sehr Reichen (Amerikaner  mögen dieses enthüllende Wort nicht mehr und sprechen von den „Wohlhabenden“. Aber das ist schon glatte Schönfärberei“)

Die sehr reichen wurden einmal Millionäre, dann Multi-Millionäre und jetzt Milliardäre genannt. Adelson ist ein Multi-Milliardär.

Ein Milliardär gibt für einen Präsidenten-Kandidaten kein Vermögen für nichts

So wird man an erster Stelle kein Milliardär. Wenn er erst mal seinen Mann gewählt bekommt, verlangt er sein Pfund Fleisch, viele Pfunde zurück.

Mir wird erzählt, Adelson wünsche,  wetten im Internet  solle verboten werden. so dass gewöhnliche, echte Casinos blühen können. Aber ich habe keine Zweifel, dass seine  zionistischen Leidenschaften vom rechten Flügel zuerst kommen.  Falls es ihm gelingt, seinen Mann ins Weiße Haus zu bringen, dann wird die US total der extremen Rechten in Israel unterwürfig sein. Er könne ebenso gut Netanjahu ins Ovale Office setzen. (Und warum nicht? Es benötigt nur eine kleine Änderung in der Verfassung. Wie viel mag das kosten?)

Das würde bei mir OK gewesen sein, wenn Adelson wirklich etwas vom israelisch- arabischen Konflikt verstünde.  Es ist das Problem, das er nichts davon versteht. Mit der typischen Arroganz der sehr Reichen denkt er, dass er es wohl tut.  Doch scheint es, dass er nicht die leiseste Ahnung über die Wurzeln des Konfliktes hat, seine Geschichte und die akute Gefahr, die in unserer Zukunft lauert.

Falls Adelson unsere Zukunft diktieren könnte, es würde eine Katastrophe für unser Land bedeuten.

 

UNSER  EIGENES politisches System ist nicht ganz so korrupt wie das amerikanische, aber es ist schlimm genug.

Israels Parteien, die an den Wahlen teilnehmen, bekommen freie TV-Minuten- entsprechend ihrer Größe in der letzten Knesset, mit einem Minimum an Zeit, die für neue Parteien  reserviert werden. Aber das ist viel zu wenig für eine Wahlkampagne.

Parteien sind in den Geldbeträgen begrenzt, die sie von Spendern akzeptieren  dürfen. Der Rechnungsprüfer übt strenge Kontrolle aus,

Und so kommen wir zurück zu Olmert

Kein ehrgeiziger Politiker ist  mit der genehmigten  Geldmenge zufrieden.  Viele von ihnen schauen sich nach Tricks um, um den  Rechnungsprüfer zu umgehen  Manchmal erreichen sie die Grenzen der Legitimität, oft  gehen sie drüber. Olmert selbst ist mehrfach in der Vergangenheit verdächtigt worden, illegales Geld zu verwenden; aber es gelang ihm immer wieder, davonzukommen.

In dieser Weise gegen das Gesetz zu verstoßen, ist ein strafbares Vergehen, aber in der Vergangenheit verurteilte die israelische Öffentlichkeit es  zu energisch. Die allgemeine Haltung war „Politiker sind eben Politiker.“

Diese Haltung veränderte sich, als zum ersten Mal  heraus kam, dass Politiker Bestechungen nicht zu Gunsten der Partei annahmen, sondern für sich selbst. Der erste große Skandal diese Art – 1976 von meinem Magazin aufgedeckt – betraf Asher Yadlin, einen Führer der Labor-Partei, der gerade zum Direktor der Bank von Israel ernannt wurde. Es  kam heraus, dass er die Bestechung für sich selbst statt für die Partei nahm. Er kam ins Gefängnis. Seitdem wurden viele solche Fälle aufgedeckt. Mehrere Minister sind ins Gefängnis geschickt worden. Einer hat seine Gefängnisstrafe schon  abgesessen, ist zurück und spielt nun eine zentrale Rolle in der Knesset. Ariel Sharon und Avigdor Lieberman entkamen mit knapper Not der öffentlichen Anklage.

(Ich habe schon einmal die Geschichte über einen früheren Bildungsminister erzählt, dem von einem Kollegen gesagt wurde:  „Gratuliere mir! Ich wurde freigesprochen!“ Er antwortete ihm trocken: „Seltsam. Ich bin nie freigesprochen worden!“)

Olmert ist der letzte und überschattet alle anderen, weil er ein Ministerpräsident war. Das Land ist geschockt. Doch seine lange Karriere ist befleckt mit  Anklagen, vor denen er von seinen Anwälten immer gerettet wurde. Als erstes nahm er Geld für seine Wahlkampagnen. Später nahm er Geld für sich selbst.

 

ES GIBT keinen Weg, um die Korruption des politischen Prozesses in den USA – und hier – zurückzuschlagen, ohne dass das Wahlsystem völlig verändert wird. So lange so große Summen benötigt werden, um gewählt zu werden, wird die Korruption unangefochten herrschen.

Bis solch eine Reform stattfindet, werden die Adelsons und die Olmerts die Demokratie korrumpieren.

Und das  Monster auf dem Hügel in Jerusalem wird als Warnung dort stehen.

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser  autorisiert)