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Adieu, lieber Krieg !
Uri
Avnery, 10. November 2012
BENJAMIN NETANJAHU und sein
Schirmherr Sheldon Adelson setzten
auf Mitt Romney und benützten den Staat Israel als ihren Chip.
Sie haben verloren.
Für Adelson, den
Casino-Magnaten bedeutete das nicht viel. Manchmal gewinnt man, manchmal
verliert man.
Für Netanjahu ist das
natürlich etwas völlig anderes. Er wuchs in den US auf (wo er Romney 1976 kennen
lernte), und rühmte sich ein großer Experte Amerikas zu sein. Es war einer
seiner Haupt- Publikumsmagneten, da die Beziehungen zu den USA
für Israel so lebensnotwendig sind. Jetzt steht er zusammen mit seinem
von Adelson empfohlenen Botschafter in Washington DC als Troddel da.
Beschädigt dies
Netanjahus Chancen bei den bevorstehenden israelischen Wahlen?
Vielleicht. Aber nur, wenn ein glaubwürdiger Gegenkandidat gefunden wird, der
die Beziehungen mit Barack Obama wieder herstellen kann.
Ehud Olmert stellt sich als
solcher dar und mag sich jetzt dem Wahlkampf anschließen. Einige träumen
davon, dass Shimon Peres
seine Präsidentschaft aufgeben und Kandidat werden würde. (Er ist
zwei Wochen älter als ich.) Er hat in seinen 50 Jahren als Politiker nie
eine Wahl gewonnen. Aber es gibt immer ein erstes Mal,
nicht wahr?
DIE ISRAELlS sind natürlich
vor allem an den jüdischen Stimmen
interessiert. Das ist tatsächlich aufschlussreich.
Netanjahu machte kein
Geheimnis daraus, dass er Romney voll und ganz unterstützt. Den US-Juden wurde
gesagt, wenn man für den
republikanischen Kandidaten stimmt, dann wählt man für Israel.
Taten sie dies? Nein.
Noch hab ich die
Statistiken nicht im Detail vor mir, aber aus den Ergebnissen in Florida und
anderen Staaten zu schließen, scheint mir, dass die große Mehrheit der Juden den
demokratischen Kandidaten unterstützt hat, wie sie es immer getan hat.
Was bedeutet das? Es
bedeutet, dass eine der wichtigsten Behauptungen von Netanjahu & Co
sich als Trugschluss
herausgestellt hat.
Netanjahu erklärt fast
täglich, Israel sei der „Nationalstaat des jüdischen Volkes“.
Das heißt, Israel
gehört allen Juden der Welt und
alle Juden der Welt gehören zu Israel. Er spricht nicht nur für die sechs
Millionen jüdischen Bürger Israels, sondern für alle 13 Millionen Juden rund um
den Globus (vorausgesetzt, dass auf
dem Mars keine Juden entdeckt werden.)
Auch dies hat sich wieder
als Fiktion erwiesen. Die amerikanischen Juden ( oder besser: die jüdischen
Amerikaner) stimmten als Mitglieder der amerikanischen Nation, nicht als
Mitglieder für die nicht existierende jüdische Nation. Sicher sympathisieren
viele von ihnen mit Israel, aber wenn es zur Wahl kommt, wählen sie als
Amerikaner. Israel spielt eine sehr kleine Rolle bei ihren Erwägungen.
Sie mögen Netanjahu
stehende Ovationen geben, wie amerikanische Katholiken dies gegenüber dem Papst
tun, aber sie ignorieren seine Anweisung, für einen bestimmten Kandidaten zu
stimmen.
Dies ist von großer
Bedeutung für die Zukunft. Bei jedem Zusammenstoß zwischen vitalen
amerikanischen und israelischen Interessen, sind jüdische Amerikaner
zuerst Amerikaner. In so einer zukünftigen Situation könnte eine
Fehleinschätzung Netanjahus oder seines Nachfolgers sich als fatal erweisen.
ZUM BEISPIEL, was den
Iran-Krieg betrifft. Die israelischen Falken können
ihm Adieu sagen.
Ich bezweifle, dass
sogar Romney, wenn er gewählt worden wäre, Netanjahu erlaubt hätte
anzugreifen. Reden bei Wahlkampagnen würden nicht die vitalen Interessen der USA
übertrumpft haben.
Auch er würde einen Blick
auf die Karte mit der Meerenge von Hormuz geworfen haben und hätte geschaudert.
Wie dem auch gewesen sein
mag, es gibt keine Chance, dass Obama jetzt einen israelischen Angriff
tolerieren würde. Es würde einen großen Krieg mit unberechenbaren Konsequenzen
für die Weltwirtschaft entfacht
haben .
Die Amerikaner wünschen
keinen weiteren Krieg. Sie wollen aus dem Irak und aus Afghanistan herauskommen,
praktisch beide Länder ihren Feinden überlassen. Noch einen, weit größeren Krieg
im Iran zu beginnen, ist undenkbar.
Dies könnte für uns das
wichtigste Ergebnis dieser Wahlen sein.
UND WIE ist es mit dem
israelisch-palästinensischen Frieden?
Zweifellos haben sich die
Chancen verbessert.
Ich will nicht zu
optimistisch klingen. Das übliche Klischee sagt, dass US-Präsidenten in ihrer
zweiten Amtsperiode nicht so unter politischem Druck stehen und endlich
nach ihrem Gewissen handeln können. Das stimmt sicher – bis zu einem gewissen
Punkt.
Der Präsident ist auch der
Führer einer Partei; und vom ersten Tag nach den Wahlen denkt die Partei
an die nächsten Wahlen. Mächtige Lobbys wie die AIPAC hören nicht auf, zu
existieren und werden weiter eine Menge Druck auf die israelische Rechte
ausüben. Großzügige Sponsoren werden noch benötigt. In zwei Jahren sind die
Zwischenwahlen.
Aber ich hoffe, Obama wird
zu seiner anfänglichen Haltung
zurückkommen und versuchen, beide Seiten zu
ernsten Verhandlungen veranlassen. Der bevorstehende palästinensische
Antrag bei der UN-Vollversammlung, ihn als einen Staat (mit Beobachterstatus)
anzuerkennen, mag ein Test sein. Seine Annahme ist von großer Bedeutung, da sie
die Zweistaatenlösung wieder direkt auf den internationalen Tisch legen würde.
Die US hat dort kein Vetorecht, und
es liegt am Präsidenten zu entscheiden, ob Druck auszuüben ist oder nicht.
Die US sind wie ein großer
Flugzeugträger. Um sich zu drehen, benötigt er eine Menge Zeit und Raum. Aber
selbst ein kleiner Kurswechsel kann einen großen Einfluss auf unser Leben haben.
IN ISRAEL lautet die
größere Frage: Wird er sich rächen?
Zweifellos, Obama hasst
Netanjahu - und mit gutem Grund.
Netanjahu wird im Weißen Haus nicht
willkommen sein.
Aber Obama ist ein kalter
Fisch. Er wird seine persönlichen Gefühle unter Kontrolle haben.
Aber wie weit? Wird er
seine Haltung gegenüber Netanjahu und seiner Politik genügend ändern, um die
israelischen Friedenskräfte zu ermutigen und sogar zu unterstützen? Wird er die
israelischen Wahlen beeinflussen, so wie Netanjahu versuchte, die amerikanischen
zu beeinflussen?
Offen gesagt, hoffe ich es
– um Israels willen.
Obamas Sieg wird den
liberalen, demokratischen, säkularen, sozial-gesinnten, weniger militanten Geist
in aller Welt stärken. Wenn die israelische Regierung mit ihrem jetzigen Kurs
fortfährt, wird ihre Isolierung in der Welt gefährlich zunehmen. Wenn wir
Netanjahu gegenüber nicht das tun, was die Amerikaner gerade jetzt gegenüber
Romney taten.
WIE JEDERMANN weiß, gibt es
viele Ähnlichkeiten zwischen den USA und Israel.
Beide sind
Einwanderungsländer. Beide wurden von weißen Siedlern aufgebaut, die ethnische
Säuberungen durchführten. Beide rühmen sich ihrer riesigen Errungenschaften,
während sie über die dunklen Seiten ihrer Vergangenheit
ganz still sind.
Die Wahlen in beiden
Ländern zeigen noch eine andere
Ähnlichkeit: die sich weiter entwickelnde Kluft zwischen verschiedenen
Gruppierungen der Gesellschaft. Weiße männliche Amerikaner versammelten sich
hinter Romney, farbige Amerikaner und Frauen hinter Obama. Demographische
Faktoren spielen eine größere Rolle. In gewisser Weise war es eine
Nachhut-Aktion der dominanten
weißen männlichen Elite gegen die neue Mehrheit der Schwarzen,
der Hispano-Amerikaner, der Frauen und der Jugend.
Die Tea-Party-Fanatiker
haben die Spaltung noch verschlimmert. Es scheint, als ob die
amerikanische Nation alle paar Generationen von einer neuen Wahnsinnswelle
befallen wird – die anti-anarchistische Hysterie nach dem 1. Weltkrieg, der
McCarthyismus nach dem 2. Weltkrieg
und jetzt die Tea-Party . Zu
Amerikas Ehre muss gesagt werden, es hat eine Fähigkeit, mit diesen Wellen
fertig zu werden. Aber die Tea-Party legte Romney um - trotz all seines
verzweifelten Gesinnungswandels.
In Israel gibt es
eine ähnliche Spaltung . Die Gesellschaft ist in Sektoren aufgeteilt, die
ihre Stimme nach den Linien der Sektoren abgibt: Die Weißen (Ashkenazim), die
Orientalen, die Ultra-Orthodoxen
(Haredim), die National-Religiösen, die russischen Immigranten, die Araber. Der
Likud ist eine Partei der Orientalen, die aber von weißen Männern dominiert
wird. Lieberman gehört zur Partei
der „Russen“. Zusammen mit den Religiösen
verschiedener Richtungen
sind sie eine mächtige Koalition.
Die israelische Linke war bis jetzt nicht - wie Obama - in der Lage, eine
effektive Gegen-Koalition zu bilden.
Wir brauchen einen
israelischen Obama, der mit dem
amerikanischen Obama für Frieden arbeitet.
Bevor es zu spät ist,
bitte!
(Aus dem Englischen: Ellen
Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)