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Uri Avnery,
19.4.2014
DER TOD
von Ron Pundak, einem der ursprünglich israelischen Architekten
des Oslo-Abkommens 1993,
brachte dieses historische Ereignis ins öffentliche Bewusstsein zurück.
Gideon
Levy erinnerte uns daran, dass die Agitatoren des rechten Flügels
mit ihrem wütenden Angriff auf das
Abkommen, die die Initiatoren „Oslo-Verbrecher“ nannten, ein bewusstes Echo zu
Adolf Hitlers Hauptslogan auf seinem Weg zur Macht. Die Nazi-Propaganda
verwendete den Terminus
„November-Verbrecher“ gegenüber den deutschen Staatsmännern, die 1918
das Waffenstillstandsabkommen unterzeichneten, das den 1.Weltkrieg
beendete – übrigens auf
Wunsch des
Generalstabs, der den Krieg verloren hatte.
In
seinem Buch „Mein Kampf“ (das dabei ist, sein Copyright zu verlieren, so dass es
jeder nachdrucken kann) enthüllte
Hitler auch noch eine andere Einsicht: dass eine Lüge
geglaubt wird, je größer sie ist, wenn
sie oft genug wiederholt wird.
Das gilt
auch für das Oslo-Abkommen. Seit mehr als 20 Jahren
wiederholt der israelische rechtsgerichtete Flügel
unermüdlich die Lüge, dass das Oslo-Abkommen nicht nur ein Verrat war,
sondern auch ein totaler Fehlschlag.
Oslo ist
tot, wird uns gesagt. Tatsächlich starb es schon bei der Geburt.
Und das wird auch das Los jedes Friedensabkommens In der Zukunft sein.
Ein großer Teil der israelischen Bevölkerung ist dahin gekommen, dies zu
glauben.
DIE
HAUPT-Errungenschaft des Oslo-Abkommens, ein Akt von
geschichtsverändernden Dimensionen, trägt das Datum des 10. Septembers
1993 – der zufällig auch mein 70. Geburtstag war.
An
diesem Tag wechselten der
Vorsitzende der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) und der
Ministerpräsident des Staates Israel
Briefe zur gegenseitigen
Anerkennung. Yasser Arafat erkannte Israel an, Yitzhak Rabin erkannte die PLO
als die Vertreterin des palästinensischen Volkes
an.
Die
heutige jüngere Generation (beider Seiten) kann die große Bedeutung dieser
Zwillingsaktion nicht begreifen.
Von
ihrem Anfang an, fast 100 Jahre früher, hatte die zionistische Bewegung die
reine Existenz eines palästinensischen Volkes geleugnet. Ich selbst habe viele
hunderte Stunden meines Lebens damit verbracht, israelische
Zuhörer zu überzeugen, dass eine
palästinensische Nation wirklich existiert. Golda Meir erklärte bekanntermaßen:
„So ein Ding wie ein palästinensisches Volk, gibt es nicht“. Ich bin ziemlich
stolz auf meine Antwort ihr gegenüber während einer Knesset-Debatte: „Frau
Ministerpräsidentin, vielleicht haben Sie Recht. Vielleicht gibt es wirklich
kein palästinensisches Volk. Aber wenn Millionen eines Volkes irrtümlicherweise
glauben, dass sie ein Volk sind und
wie ein Volk handeln, dann sind sie ein Volk“.
Die
zionistische Leugnung war keine willkürliche Marotte. Das eigentliche
zionistische Ziel war, Palästina zu übernehmen, und zwar ganz.
Dies machte die Verdrängung der Bewohner
dieses Landes notwendig. Aber der Zionismus war eine idealistische Bewegung.
Viele seiner osteuropäischen Anhänger waren tief durchdrungen von den Ideen
Leo Tolstojs und anderer utopischer
Moralisten. Sie konnten die Tatsache nicht
akzeptieren, dass ihr Utopia nur auf den Ruinen eines anderen Volkes
realisiert werden könne. Deshalb war die Leugnung eine absolut
moralische Notwendigkeit.
Die
Anerkennung des palästinensischen Volkes war deshalb ein revolutionärer Akt.
AUF DER
anderen Seite war die Anerkennung sogar noch schwieriger.
Vom
ersten Tag des Konfliktes an betrachteten alle Palästinenser und in der Tat fast
alle Araber den Zionismus als eine Invasion
eines fremden Volksstammes, der dabei war, ihre Heimat zu rauben, sie zu
vertreiben und ihren Räuberstaat auf ihren Ruinen zu bauen. Das Ziel der
palästinensischen Nationalbewegung war es deshalb, den zionistischen Staat zu
zerstören und die Juden ins Meer zu werfen – wie ihre Ahnen es buchstäblich mit
den letzten Kreuzfahrern getan
hatten – vom Kai von Akko.
Und hier
kam ihr verehrter Führer Yasser Arafat und erkannte die Rechtmäßigkeit Israels
an und kehrte die Ideologie von hundert Jahren
Kampf um, in dem das palästinensische Volk den größten Teil seines Landes verlor
und die meisten seiner Heimstätten.
Im
Oslo-Abkommen, das drei Tage später auf dem Rasen des Weißen Hauses
unterzeichnet wurde, tat Arafat noch etwas anderes, das in Israel vollkommen
ignoriert worden ist: er gab 78% des historischen Palästina auf. Der Mann, der
tatsächlich das Abkommen unterzeichnete, war Mahmoud Abbas. Ich frage mich, ob
seine Hand gezittert hat, als er diese bedeutungsvolle Konzession
unterzeichnete, Minuten, bevor Rabin und Arafat sich die Hände schüttelten.
Oslo
starb nicht trotz der eklatanten Fehler des Abkommens („Das bestmögliche
Abkommen in der schlechtest möglichen Situation“ wie Arafat sich ausdrückte) Es
veränderte die Natur des Konfliktes, obgleich es den Konflikt als solchen nicht
veränderte. Die palästinensische Behörde, die grundlegende Struktur des
palästinensischen Staates im Werden, ist eine Realität. Palästina wird von den
meisten Ländern anerkannt und wenigstens teilweise auch von der UNO. Die
Zwei-Staatenlösung, einmal die Idee einer verrückten
Randgruppe, ist heute ein Konsens der Welt. Eine ruhige, aber reale
Kooperation zwischen Israel und
Palästina läuft weiter auf vielen
Feldern.
Aber
natürlich ist all dies weit entfernt von der Realität des Friedens,
den viele von uns, einschließlich Ron Pundak,
an jenem glücklichen Tag, dem 13. September,
voraussahen. Zwanzig Jahre später brennen die Flammen des Konfliktes
weiter, und die meisten Leute wagen
nicht einmal, das Wort „Frieden“ auszusprechen, als ob es eine pornographische
Scheußlichkeit wäre.
WAS LIEF
falsch? Viele Palästinenser glauben, dass
Arafats historische Konzessionen zu früh waren, dass er sie nicht hätte
machen sollen, bevor Israel den Staat Palästina als
Endziel anerkannt hätte.
Rabin
veränderte seine ganze Weltsicht im Alter von 71 Jahren und traf eine
historische Entscheidung, aber er war nicht der Mann, der durchhielt. Er
zögerte, schwankte und erklärte die
bekannten Worte „es gibt keine heiligen Daten.“
Dieser
Slogan wurde das Schutzschild, das unsere Verpflichtungen
brechen sollte.
Das Endabkommen hätte 1999 unterzeichnet werden sollen.
Lange davor hätten, vier
„sichere Übergänge“ zwischen der Westbank und Gaza
eröffnet werden sollen. Dadurch dass diese Verpflichtung verletzt wurde,
bereitete Israel den Abfall vom Gazastreifen vor
Israel
verstieß auch gegen die Verpflichtung, das „dritte Stadium“ zu erfüllen:
den Rückzug aus der Westbank. Zone C ist nun praktisch ein Teil Israels
geworden, der nur auf die offizielle
Annexion wartet, die von den Parteien
des rechten Flügels verlangt wird.
Es gab
im Oslo-Abkommen
keine Verpflichtung, Gefangene zu entlassen. Aber die Weisheit hätte
dies diktiert. Die Rückkehr
Zehntausender Gefangenen nach Hause
hätte die Atmosphäre elektrisiert
. Stattdessen bauten auf einander folgende israelische Regierungen, linke
wie rechte, Siedlungen auf arabischem Land
mit hektischer Geschwindigkeit und
verhaftete noch mehr Gefangene.
Die
anfänglichen Verletzungen des Abkommens und das Nicht-funktionieren des ganzen
Prozesses ermutigt die Extremisten auf beiden Seiten. Die israelischen
Extremisten mordeten Rabin und die palästinensischen Extremisten begannen mit
einer Kampagne mörderischer Angriffe.
LETZTE
WOCHE kommentierte ich die Gewohnheit unserer Regierung, sich
unterzeichneter Verpflichtungen
zu enthalten, wann immer sie dachte, dass es das nationale Interesse
verlange.
Als
Soldat im 1948er Krieg nahm ich an der großen Offensive teil, die den Weg in den
Negev öffnete und der von der ägyptischen Armee abgeschnitten war. Dies wurde
unter Verletzung der Waffenruhe gemacht, die von den UN arrangiert worden war.
Wir nutzten einen einfachen Trick, um die Schuld dem Feind zuzuschieben.
Dieselbe Technik wurde später von Ariel Sharon benützt, um die
Waffenstillstandslinie an der syrischen Front zu durchbrechen und durch Vorfälle
zu provozieren, um die sog. demilitarisierten Zonen zu annektieren. Noch
später wurde die Erinnerung an
diese Vorfälle ausgenützt, um die Golanhöhen zu annektieren.
Der
Beginn des 1. Libanonkrieges war eine direkte Verletzung des Waffenstillstandes,
die ein Jahr vorher amerikanische
Diplomaten arrangiert hatten. Der Vorwand war wie gewöhnlich dürftig:
eine anti-PLO-Terrorgruppe hatte
versucht, den israelischen Botschafter in London zu ermorden. Als dem
Ministerpräsidenten Menachim Begin von seinem Mossad Chef gesagt wurde, dass die
Mörder Feinde der PLO seien, antwortete Begin
bekanntermaßen: „Für mich sind sie alle PLO!“
Tatsächlich hat Arafat
die Feuerpause
genauestens eingehalten; da er
eine israelische Invasion vermeiden wollte, hat er seine Autorität
auch oppositionellen Elementen aufgezwungen. Elf Monate lang wurde an der
Grenze keine einzige Kugel abgefeuert. Doch als ich vor ein paar Tagen mit einem
früheren ranghohen
Amtsträger sprach, versicherte er mir
ernsthaft, dass „ sie uns jeden Tag beschossen hätten. Es war unerträglich.“
Nach
sechs Tagen Krieg wurde eine Feuerpause vereinbart. Doch zu dieser Zeit war es
unsern Soldaten noch nicht gelungen, Beirut zu umzingeln. Also brach Scharon die
Feuerpause und schnitt die
lebenswichtige Schnellstraße Beirut-Damaskus ab.
Die
gegenwärtige Krise im „Friedensprozess“ wurde
durch die Nicht-Einhaltung
seiner Verpflichtung, palästinensische Gefangene an einem bestimmten Tag zu
entlassen, gebrochen. Dieser Verstoß war so offensichtlich, dass er nicht
verborgen bleiben oder
wegerklärt werden konnte.
Dies verursachte das berühmte „Poof“ John Kerrys.
Tatsächlich wagte Benjamin
Netanjahu nicht, seine
Verpflichtung zu erfüllen, nachdem er und seine Gefolgsleute der Medien
wochenlang die Öffentlichkeit gegen die
Entlassung der „Mörder“ mit „Blut an den Händen“ aufgehetzt hatte. Sogar das
„linke Zentrum“- blieb stumm.
Jetzt
nimmt eine andere verlogene Geschichte vor unsern Augen Gestalt an. Die große
Mehrheit in Israel ist schon total davon überzeugt, dass die Palästinenser
dadurch die Krise gebracht hätten, indem sie sich 15 internationalen
Konventionen angeschlossen hätten.
Nach diesem flagranten
Verstoß gegen das Abkommen war die israelische Regierung im Recht, die
Entlassung der Gefangenen zu
verweigern. Die Medien haben diese
Verdrehung der Geschehnisse natürlich - so oft wiederholt,
dass diese nun den Status einer Tatsache
angenommen hat
ZURÜCK
ZU DEN Oslo-Verbrechern. Ich gehörte nicht zu ihnen. Während
die Geheimgespräche in Oslo (ohne mein
Wissen) stattfanden, war ich in Tunis und habe mit
Arafat über die ganze Reihe möglicher Kompromisse gesprochen.
Mag Ron
Pundak in Frieden ruhen - auch wenn
der Frieden, für den er arbeitete, noch
weit entfernt scheint.
Aber er wird kommen.
(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)