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Uri Avnery

 

22. Juni 2013

 

(Eine kürzere Version dieses Artikels wurde am 19. Juni, dem Tag nach dem offiziellen Jahrestag, in der Zeitung Haaretz veröffentlicht.)

 

Wenn die Götter lachen

 

WÄRE DAS Leben von Shimon Peres ein Theaterstück gewesen, hätte man es nur schwer definieren können. Eine Tragödie? Eine Komödie? Eine Tragikomödie?

 

60 Jahre lang sah es so aus, als ob er unter einem Fluch der Götter steht, so ähnlich wie der Fluch des Sisyphus, der dazu verdammt war, einen enormen Felsbrocken einen Hügel  hochzurollen. Jedes Mal, wenn er sich seinem Ziel näherte, rollte dieser  nach unten zurück.

 

Deklaration: Unsere Lebenswege verlaufen irgendwie parallel. Er ist ein Monat älter als ich. Wir kamen beide als Jungen nach Palästina. Seit unserer Teenagerzeit standen wir im politischen Leben. Aber da endet die Gemeinsamkeit.

 

Zum ersten Mal trafen wir uns  vor genau 60 Jahren, im Alter von 30 Jahren. Er war der Generaldirektor von Israels bedeutendstem Ministerium, ich war Herausgeber und Redakteur von Israels aggressivsten Nachrichtenmagazin. Beim Anblick mochten wir uns gegenseitig nicht.

 

Er war Ben Gurions Hauptassistent, ich Ben Gurions Hauptfeind (so definiert von seinem Sicherheitschef). Von da an kreuzten sich unsere Wege viele Male, aber wir wurden keine Busenfreunde.

 

 

BEREITS IN seiner frühen Kindheit in Polen beschwerte sich Peres (damals noch Persky), dass seine Mitschüler in der (jüdischen) Schule ihn grundlos schlugen. Sein jüngerer Bruder musste ihn verteidigen.

 

Als er mit seiner Familie nach Palästina kam, wurde er in das legendäre Kinderdorf Ben Shemen geschickt und trat in einen Kibbuz ein. Aber bereits als Teenager kam sein Sinn für Politik zum Vorschein. Er war Ausbilder bei einer sozialistischen Jugendbewegung. Sie spaltete sich und die meisten seiner Kameraden gingen zur Linksfraktion, die jünger und dynamischer wirkte. Peres war einer der Wenigen, der bei der vorherrschenden Mapai-Partei blieb und deshalb die Aufmerksamkeit der leitenden Führer auf sich zog.

 

 

Im Krieg von 1948 musste er eine folgenschwerere Wahl treffen, ein Krieg, den wir alle für einen Kampf auf Leben und Tod hielten. Im Leben unserer Generation war es ein einschneidendes Ereignis. Fast alle jungen Menschen hasteten, um sich den Kampfeinheiten anzuschließen, Peres nicht. Er wurde von Ben Gurion ins Ausland gesandt, um Waffen zu kaufen – eine sehr wichtige Aufgabe, aber eine, die von einer älteren Person hätte ausgeführt werden können. Peres wurde bei der größten Bewährungsprobe als Drückeberger angesehen und ihm wurde von den 1948-gern niemals vergeben. Ihre Verachtung verfolgte ihn jahrzehntelang.

 

Im Alter von 30 Jahren ernannte ihn Ben Gurion bereits zum Direktor des Verteidigungsministeriums – eine enorme Beförderung, die ihm einen raschen Aufstieg zur Spitze sicherte. Und in der Tat spielte er eine entscheidende Rolle dabei, Ben Gurion in den Suezkrieg von 1956 zu treiben, in Absprache mit Frankreich und Britannien.

 

Die Franzosen waren mit dem algerischen Unabhängigkeitskrieg belastet und glaubten, dass ihr wirklicher Feind der ägyptische Führer, Gamal Abd-al-Nasser, sei. Sie brauchten Israel, um einen Angriff zu initiieren, um ihn zu stürzen. Es war ein völliger Fehlschlag.

 

Meiner Meinung nach war der Krieg ein politisches Desaster. Er hat letztlich die Kluft zwischen dem neuen Staat und der arabischen Welt gegraben. Die Franzosen jedoch haben ihre Dankbarkeit gezeigt – sie belohnten Peres mit dem Atomreaktor in Dimona.

 

In der ganzen Zeit war Peres ein extremer Falke und ein zentrales Mitglied einer Gruppe, die meine Zeitung, Haolam Hazeh, als "Ben-Gurions junge Gang" brandmarkte – eine Gruppe, die wir verdächtigten, ein Komplott geschmiedet zu haben, um sich Macht mit undemokratischen Mitteln zu verschaffen. Jedoch bevor dies geschehen konnte, wurde Ben-Gurion von den alten Parteiveteranen abgesetzt und Peres hatte keine andere Wahl, als sich ihm im politischen Exil anzuschließen. Sie bildeten eine neue Partei, die Rafi. Peres arbeitete wie verrückt, aber am Ende gewannen sie nur 10 Knessetsitze und blieben in der Opposition. Peres und der Felsbrocken waren wieder unten.

 

Die Rettung kam mit dem Sechs-Tage-Krieg. Am Vorabend wurde die Rafi-Partei eingeladen, sich einer nationalen Einheitsregierung anzuschließen. Aber der große Preis wurde von Moshe Dayan, der Verteidigungsminister und zu einem Idol in Israel und in der Welt wurde, weggeschnappt. Peres blieb im Schatten.

 

Die nächste Gelegenheit ergab sich nach dem Yom-Kippur-Krieg von 1973. Golda und Dayan wurden von einer wütenden Öffentlichkeit abgesetzt. Peres war der eindeutige Präsidentenkandidat. Jedoch siehe da, in letzter Minute erschien Yitzhak Rabin aus dem Nichts und schnappte ihm die Krone weg. Peres bekam nur das Verteidigungsministerium.

 

Die nächsten drei Jahre waren eine permanente Subversionsgeschichte, mit Peres, der mit allen Mitteln versuchte, Rabins Autorität zu untergraben. Als Teil dieser Bemühungen genehmigte er den Extremisten des rechten Flügels Kdumin als erste Siedlung im Herzen der Westbank zu errichten. Man nannte ihn zurecht den „Vater der Siedlungsbewegung“, so wie er früher Vater der Atombombe genannt wurde.

 

Rabin prägte einen Satz, der ihm anhaftete: "Unermüdlicher Intrigant".

 

Dieses Kapitel endete mit dem "Dollar-Konto". Beim Ausscheiden aus seiner früheren Position als Botschafter in Washington, hatte Rabin ein offenes Konto bei einer amerikanischen Bank hinterlassen, was zu der Zeit eine Straftat war, die im Allgemeinen mit einer Geldstrafe bereinigt wurde. Aber Rabin dankte ab, um seine Frau zu schützen.

 

Es wurde nie bewiesen, dass Peres seine Hand bei dieser Enthüllung im Spiel hatte, obwohl viele ihn verdächtigten.

 

 

SCHLIEßLICH UND endlich war der Weg frei. Peres übernahm die Parteiführung und stellte sich zur Wahl. Die Arbeiterpartei hätte gewinnen müssen, wie immer zuvor.

 

Aber die Götter lachten nur. Nach 44 Jahren andauernder Arbeiterpartei-herrschaft in dem Yishuv und dem Staat war es Peres gelungen, das Undenkbare zu erreichen: die Parei verlor.

 

Menachim Begin schloss Frieden mit Ägypten, mit Moshe Dayan, Peres Konkurrent an seiner Seite. Bald darauf fiel Begin in den Libanon ein. Am Vorabend dieses Krieges besuchten ihn Peres und Rabin und drängten ihn, anzugreifen. Nachdem der Krieg fehlgeschlagen war, erschien Peres bei der riesigen Friedensdemonstration und verurteilte den Krieg.

 

Bei der Wahl zuvor hatte Peres am Abend eine niederschmetternde Erfahrung gemacht. Nach Schließung der Wahlurnen am Abend wurde Peres vor der Kamera zum nächsten Ministerpräsident gekrönt. Doch am nächsten Morgen wachte Israel wieder mit dem selben Ministerpräsidenten auf,  mit Menachim Begin.

 

Die Wahlen danach endeten unentschieden. Zum ersten Mal wurde Peres Premierminister, aber nur durch eine Turnusvereinbarung. Als Shamir an die Macht kam, versuchte Peres, ihn durch ein dubioses politisches Komplott seines Amtes zu entheben. Es misslang. Rabin, bissig wie immer, nannte es: " die stinkende Übung".

 

Peres‘ Unbeliebtheit erreichte neue Höhen. Bei den Wahlkampagnen verfluchten die Menschen ihn und warfen Tomaten auf ihn. Als er auf einer Parteiveranstaltung die rhetorische Frage stellte: „Bin ich ein Verlierer?", schrien die Zuschauer einstimmig: „Ja!"

 

Um sein Glück zu verbessern und das Aussehen eines armen Sünders loszuwerden, unterzog er sich einer plastischen Operation. Aber sein Mangel an Würde konnte kein Chirurg ausgleichen, noch seine Redefertigkeit – dieser Mann, der Zehntausende von Reden gehalten hat, hat niemals eine wirkliche Originalidee von sich geäußert. Seine Reden bestehen aus politischen Platitüden, wobei seine tiefe Stimme, der Traum eines jeden Politikers, nachhilft.

 

(Dies widerlegt meiner Meinung nach seine Behauptung, Tausende von Büchern gelesen zu haben. Man kann wirklich nicht so viele Bücher lesen, ohne eine Spur davon in seinen Schriften und Reden zu hinterlassen. Eine seiner Assistenten vertraute mir einst an, dass er für Peres Zusammenfassungen aus aktuellen Büchern erstellt, um ihm die Mühe des Lesens vor seiner Beurteilung zu ersparen.)

 

 

IN DER Zwischenzeit wechselte Peres, der Falke, zu Peres, dem Friedensfreund. Er hat eine Rolle beim Erreichen des Osloabkommens gespielt, aber es war Rabin, der den Ruhm erntete. (Das Gleiche geschah vorher bei dem gewagten Entebbe-Angriff, als Peres Verteidigungsminister war und Rabin Premierminister.)

 

Nach Oslo wollte das Nobelkommitee Rabin und Arafat mit dem Friedensnobelpreis auszeichnen. Aber weltweit wurde enormer Druck auf das Komitee ausgeübt, um Peres einzuschließen. Da nicht mehr als drei Personen dieser Preis gemeinsam verliehen werden kann, wurde Mahmoud Abbas, der das Abkommen mit Peres unterzeichnet hatte, außen vorgelassen.

 

Die Ermordung von Rabin war ein Wendepunkt für Peres. Er stand neben Rabin, als das "Friedenslied" gesungen wurde. Er kam die Treppen hinunter, als Yigal Amir unten wartete, die geladene Pistole in seiner Hand. Der Mörder ließ Peres vorbeigehen und wartete auf Rabin – eine weitere krönende Beleidigung.

 

Aber schließlich und endlich erreichte Peres sein Ziel. Er war Premierminister. Das Naheliegende war, sofortige Wahlen zu verlangen und als Erbe des ermordeten Führers zu posieren. Er wäre durch einen Erdrutsch gewählt worden. Aber Peres wollte aufgrund seines eigenen Verdienstes gewählt werden. Er schob die Wahlen hinaus.

 

Die Ergebnisse waren katastrophal. Peres erteilte den Befehl, Yihyeh Ayash, den "Ingenieur", der die Hamasbomben angefertigt hatte, zu ermorden. Als Gegenschlag explodierte das gesamte Land in einem Tsunami von Selbstmordattentaten. Dann fiel Peres in den Südlibanon ein, ein sicheres Mittel, um Popularität zu gewinnen. Aber etwas ging schief, eine Artilleryfolge verursachte ein Massaker an Zivilisten in einem UN-Camp und die Operation kam zu einem ruhmlosen Ende. Peres verlor die Wahlen, Netanyahu kam an die Macht.

 

Später, als der gefürchtete Ariel Sharon gewählt wurde, bot Peres ihm seine Dienste an. Er wusch erfolgreich Sharons blutiges Image in der Welt weiß.

 

 

IN SEINEM gesamten langen politischen Leben gewann Peres niemals eine Wahl. Deshalb entschied er sich, die Parteipolitik aufzugeben und für das Präsidentenamt zu kandidieren. Sein Sieg war gesichert, um so mehr, da sein Opponent, Moshe Katzav, ein unscheinbarer Likudfunktionär war. Wieder war das Ergebnis eine krönende Beleidigung: der kleine Katzav siegte über den großen Peres. (was einige Menschen sagen ließ: " Wenn eine Wahl nicht verloren werden kann, wird Peres sie auf jeden Fall verlieren!")

 

Aber es scheint, dass die Götter dieses Mal entschieden, dass genug genug ist. Katzav wurde beschuldigt, seine Sekretärinnen vergewaltigt zu haben, der Weg war frei für Peres. Er wurde gewählt.

 

Seitdem feiert er. Die reuevollen Götter überschütten ihn mit ihrer Gunst. Die Öffentlichkeit, die ihn jahrzehntelang verabscheute, hüllte ihn mit ihrer Liebe ein. Internationale Persönlichkeiten salbten ihn zu einem der Großen der Welt.

 

Er konnte nicht genug davon bekommen. Sein ganzes Leben lang hungrig nach Liebe, verschlang er die Schmeicheleien wie ein Fass ohne Boden. Er sprach endlos über "Frieden" und den "neuen Nahen Osten", während er jedoch nichts tat, um ihn voranzubringen. Sogar die TV-Sprecher lächelten, wenn sie seine erbaulichen Sätze wiederholten. In Wirklichkeit diente er als Feigenblatt für Netanyahus endlose Maßnahmen, um den Frieden zu sabotieren.

 

Diesen Dienstag wurde der Höhepunkt erreicht. Peres saß neben Netanyahu und feierte seinen 90. Geburtstag (zwei Monate vor dem eigentlichen Datum), umgeben von einer Fülle von nationalen und internationalen Celebrities, und aalte sich in ihrem Glamour wie ein Teenager. Es kostete eine Menge – Alleine Bill Clinton erhielt eine halbe Million Dollar für seine Teilnahme.

 

Nach all dem Unbarmherzigen, das sie ihm sein ganzes Leben lang zugefügt hatten, lachten die Götter gütig.

 

(Aus dem Englischen Inga Gelsdorf, vom Verfasser autorisiert)