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Ohne mich!
Uri Avnery, 31.10.09
EIN
JAHR vor dem Oslo-Abkommen hatte ich mit Yasser Arafat ein Treffen in Tunis. Er
war sehr neugierig, von mir über Yitzhak Rabin zu
hören, der gerade zum Ministerpräsidenten gewählt worden war.
Ich
beschrieb ihn, so gut ich konnte und endete mit den Worten: „Er ist so
ehrenhaft, wie ein Politiker nur sein kann.“
Arafat
brach in Gelächter aus und alle Anwesenden – unter ihnen Mahmoud Abbas und
Yasser Abed Rabbo – stimmten mit ein.
UM
GANZ ehrlich zu sein: Ich mochte Rabin als Menschen. Ich mochte besonders
einige seiner Charakterzüge.
Zunächst
seine Ehrlichkeit. Dies ist unter Politikern besonders selten und hob sich ab
wie eine Oase in der Wüste. Sein Herz und sein Mund stimmten überein – so weit
es im politischen Leben möglich ist. Er log nicht, wenn er es vermeiden konnte.
Er
war ein anständiger Mensch. Davon zeugt die „Dollar-Affäre“. Als sein Amt als
israelischer Botschafter in Washington DC zu ende
war, hinterließ seine Frau Lea ein Bankkonto – gegen das israelische Gesetz
jener Zeit. Als dies entdeckt wurde,
stellte er sich vor seine Frau
und übernahm persönlich die Verantwortung. Damals – anders als heute –
war „das Übernehmen von Verantwortung“ noch keine leere Phrase. Er verließ das
Ministerpräsidentenamt.
Ich
mochte sogar seinen auffälligsten Charakterzug – er war äußerst introvertiert. Er lebte zurückgezogen mit wenig menschlichen
Kontakten. Er war nicht einer, der
andern schnell auf die Schulter klopfte,
er machte auch keine überschwänglichen Komplimente, er war in der Tat eher ein anti-Politiker.
Ich
mochte an ihm auch, wie er seinen
Gesprächspartnern direkt sagte, was er
von ihnen hielt. Einige seiner Äußerungen in pikantem Hebräisch sind ein Teil der israelischen Folklore geworden.
Wie z.B. „ unermüdlicher Intrigant“ (
über Peres), „Propeller“ ( über die Siedler, die wie Ventilatoren viel Lärm
machen, ohne irgendwohin zu gelangen),
„Abfall von Schwächlingen“ (über Leute, die Israel aus Eigennutz verlassen).
Bei
ihm gab es kein Small Talk. Bei jedem Gespräch kam er gleich auf das
Wesentliche.
Man
könnte sich vorstellen, dass diese
Charakterzüge andere Leute stören würden. Ganz im Gegenteil, die Leute wurden
genau deshalb von ihm angezogen. In einer Welt voller angeberischer,
geschwätziger, verlogener, auf den Rücken klopfender Politiker war er eine
erfrischende Seltenheit.
DOCH
MEHR als alles andere respektierte ich Rabin für den dramatischen Wandel seiner
Einstellung im Alter von 70 Jahren. Der Mann, der seit seinem 18. Lebensjahr
Soldat gewesen war, der sein ganzes
Leben gegen die Araber kämpfte, wurde plötzlich ein Friedenskämpfer. Und nicht
nur ein Kämpfer für Frieden allgemein, sondern für Frieden mit dem
palästinensischen Volk, dessen Existenz
von den Führern Israels immer
abgeleugnet wurde.
Die
öffentliche Erinnerung, eines der wirksamsten Instrumente des Establishments,
versucht heute, dieses Kapitel auszulöschen. Im ganzen Land kann man Karten kaufen, die Rabin zeigen, wie
er König Hussein beim Unterzeichnen des Israel-Jordanien-Friedensabkommens die
Hand reichte. Aber es ist fast unmöglich, eine Karte zu finden, die Rabin mit
Arafat beim feierlichen Unterzeichnen
des Oslo-Abkommens zeigt – als ob dies nie stattgefunden hätte.
Wie
ich schon früher berichtet habe, war ich ein Augenzeuge seiner inneren Wende.
Seit 1969 bis nach dem Oslo-Abkommen hatten wir immer wieder Debatten über das
palästinensische Problem – in der Washingtoner Botschaft, bei Partys, bei denen
wir uns zufällig trafen ( gewöhnlich an der Bar), im
Amtssitz des Ministerpräsidenten und in seiner Privatwohnung.
Bei
einem Gespräch 1969 war er strikt gegen irgendwelche Verhandlungen mit den
Palästinensern. Ein Satz von damals prägte sich mir ein: „Ich will eine offene
Grenze, nicht eine sichere Grenze.“ (Das ist im Hebräischen ein Wortspiel). In
jener Zeit verbreitete sein früherer
Kommandeur Yigal Alon den
Slogan „sichere Grenzen“, um extensive Annexionen
der besetzten Gebiete zu rechtfertigen. Rabin wünschte offene Grenzen zwischen
Israel und der Westbank, die er König Hussein zurückgeben wollte. Nach diesem
Gespräch schrieb ich ihm, die Grenzen
wären nur dann offen, wenn es auf der anderen Seite einen palästinensischen
Staat gebe, weil wirtschaftlichen Realitäten beide Staaten - Israel und Palästina – zwingen würden, enge
Beziehungen zu pflegen.
1975
nach Beginn meiner geheimen Kontakte mit der PLO ging ich (auf ausdrücklichen Wunsch der PLO)
zu ihm, um ihn zu informieren. Bei dem Gespräch, das im Amtssitz des
Ministerpräsidenten stattfand, versuchte ich, ihn davon zu überzeugen, die
„Jordanische Option“ aufzugeben, die ich schon immer für töricht gehalten
hatte. Er weigerte sich hartnäckig. „Wir müssen mit Hussein Frieden machen,“ sagte er mir. „Nach dem Unterzeichnen des Vertrages ist
es mir egal, ob der König gestürzt wird.“
Wie Shimon Peres und viele andere hegte er die Illusion, dass der König
Ost-Jerusalem aufgeben würde.
Ich
sagte ihm, ich verstünde die Logik dieses Gedankenganges nicht. Nehmen wir an,
dass der König ein Abkommen unterzeichnet und dann gestürzt werden wird. Was
dann? Die PLO würde den Staat übernehmen, der sich von Tulkarem
bis zu den Zufahrtsstraßen von Bagdad erstrecken würde, wo sich leicht vier arabische Armeen sammeln
könnten. War es dies, was er wünschte? fragte ich.
Auch
von diesem Gespräch blieb mir ein Satz in Erinnerung: „Ich werde nicht den kleinsten Schritt auf die
Palästinenser zu machen, weil der erste Schritt unvermeidlich zur Schaffung
eines palästinensischen Staates führen würde, und dies will ich nicht.“ Am Ende
sagte er mir: „Ich bin gegen das, was Sie machen, aber ich will Sie nicht daran
hindern, sie zu treffen. Wenn Sie bei diesen Begegnungen Dinge hören, von denen
Sie denken, dass der israelische Ministerpräsident sie wissen sollte – meine
Tür ist offen.“ Das war typisch Rabin.
Alle Kontakte waren natürlich illegal.
Danach
brachte ich mehrere Botschaften von Arafat, die mir vom PLO-Vertreter in
London, Said Hamami übermittelt wurden. Arafat schlug
kleine Gesten vor, die auf Gegenseitigkeit beruhten. Rabin wies alle zurück.
Deshalb war ich um so mehr
von Oslo beeindruckt. Später erklärte
mir Rabin – an einem Shabbat in seiner
Privatwohnung – wie er dahin gekommen war. König Hussein hatte seine
Verantwortlichkeit für die Westbank zurückgezogen. Die von Israel eingesetzten
„Dorfligen“ als fügsame Vertreter der
Palästinenser waren kläglich gescheitert. Als Verteidigungsminister rief er
die lokalen palästinensischen Führer einzeln zu Konsultationen zu sich,
und einer nach dem anderen sagte ihm, dass ihre politische Adresse in Tunis
sei. Bei der Madrid-Konferenz (1992) danach war Israel damit einverstanden, mit
einer vereinigten jordanisch-palästinensischen Delegation zu verhandeln. Die
Jordanier sagten ihnen dann aber, dass sie über die palästinensischen
Angelegenheiten mit den palästinensischen Mitgliedern allein diskutieren
müssten. Bei jedem Treffen mit den palästinensischen Delegierten baten diese um
eine Pause, um mit Tunis zu telephonieren und dort Instruktionen von Arafat zu bekommen.
Rabins Schlussfolgerung: wenn alle Entscheidungen sowieso von Arafat gemacht
werden, warum dann nicht gleich direkt mit ihm verhandeln?
Es
ist über Rabin immer gesagt worden, dass er ein „analytisches Gehirn“ habe. Er
hatte nicht viel Phantasie, aber er sah die Tatsachen nüchtern, analysierte sie
logisch und zog daraus seine Schlüsse.
WENN
ES so ist, warum wurde das Oslo-Abkommen ein Fehlschlag?
Die
tatsächlichen Gründe sind leicht zu erkennen. Von Anfang an war das Abkommen
auf fragwürdigen Voraussetzungen gebaut, weil ihm die Hauptsache fehlte: eine
klare Definition des Endergebnisses des Prozesses.
Für
Arafat war es selbstverständlich, dass
die übereingekommenen „Interimphasen“ zu einem unabhängigen palästinensischen Staat
in der ganzen Westbank und im Gazastreifen führen würden – vielleicht mit
kleinerem Austausch von Land; Ost-Jerusalem, einschließlich der muslimischen
Heiligen Stätten, sollte Hauptstadt Palästinas werden; die Siedlungen würden
aufgelöst werden. Ich bin davon überzeugt, dass er sich mit der symbolischen
Rückkehr einer begrenzten Anzahl von Flüchtlingen ins eigentliche Israel begnügt hätte.
Dies
wäre Arafats Preis gewesen, um 78% des Landes, auf dem das eigentliche Israel
liegt, aufzugeben, und kein palästinensischer Führer der Gegenwart oder
Zukunft würde mit weniger zufrieden sein.
Aber
Rabins Ziel war unklar, vielleicht sogar für ihn selbst. Damals war er noch
nicht bereit, einen palästinensischen Staat zu akzeptieren. Ohne eine
übereingekommene Zielsetzung liefen alle „Interimphasen“ schief . Jeder
Schritt verursachte neue Konflikte. (Ich schrieb damals, wenn man von Paris
nach Berlin fährt, kann man Zwischenstationen machen. Wenn man von Paris nach
Madrid fährt, sehen die
Zwischenstationen anders aus) .
Arafat
war sich der Mängel des Abkommens bewusst. Er sagte seinen Leuten, es wäre das
„bestmögliche Abkommen unter den schlechtmöglichsten Umständen“ gewesen. Aber
er glaubte, die Dynamik des Friedensprozesses
würde die Hindernisse auf dem Weg überwinden. Auch ich dachte so. Wir
hatten beide unrecht.
Nach
dem Unterzeichnen begann Rabin zu zögern. Statt eilig vorwärts zu stürmen, um
neue Fakten zu schaffen, zauderte er. Dies gab den oppositionellen Kräften in
Israel Zeit, sich vom Schock zu erholen, sich neu zu gruppieren und einen
Gegenangriff zu starten, der in der Ermordung endete.
Vielleicht
hätte dieser Fehler vorausgesehen werden
können. Rabin war von Natur eine vorsichtige Person. Er war sich der großen
Verantwortung bewusst, die auf seinen Schultern ruhte. Er hatte keine Neigung
zu einem Drama wie Begin, noch war er
mit so lebhafter Phantasie begabt wie Herzl.
Zum Guten und zum Schlechten lebte er in der Realität. Er wusste nicht,
wie er sie ändern sollte, obgleich er wusste, dass er jetzt genau das tun musste.
ABER
DIESE Erklärungen sind nur der Schaum auf den Wellen. Tief unter der Oberfläche
waren mächtige Strömungen am Werk. Sie stießen Rabin vom Kurs weg und am Ende
verschlangen sie ihn.
Rabin
war ein Kind der klassischen zionistischen Ideologie. Er rebellierte nie gegen
sie. Er trug in seinen Genen den Code der zionistischen Bewegung, einer
Bewegung, deren Ziel es von Anfang an
war, das ganze Land zu einem ausschließlich jüdischen Staat zu machen, die die
Existenz eines arabisch-palästinensischen Volkes leugnete, und dieses zu ersetzen.
Wie
die meisten seiner Generation im Land absorbierte er diese Ideologie mit
der Muttermilch und war auch so erzogen.
Sie formte seine Ideen so durch und durch, dass ihm dies gar nicht bewusst war.
An der entscheidenden Wegkreuzung seines
Lebens wurde er zum Opfer eines unlösbaren inneren Widerspruchs: sein
analytisches Gehirn sagte ihm, er müsse mit den Palästinensern Frieden machen,
einen Teil des Landes „aufgeben“ und die Siedlungen auflösen, während sein zionistisches
genetisches Erbe mit aller Kraft dagegen opponierte. Das wurde sogar beim
Unterzeichnen des Oslo-Abkommens sichtbar: er reichte Arafat seine Hand, weil
ihm dies sein Kopf befahl, aber seine ganze Körpersprache drückte das Gegenteil
aus.
Es
ist unmöglich, Frieden zu machen, ohne ein grundsätzlich geistiges und
emotionales Engagement für Frieden. Es ist unmöglich, die Richtung einer
historischen Entwicklung zu verändern, ohne seine Geschichte neu zu überdenken.
Für einen Führer ist es unmöglich, sein Volk in eine völlig andere Richtung zu
steuern (wie es z.B. Ata Türk in der Türkei tat), wenn er nicht selbst den
Wandel verinnerlicht hat. Es ist unmöglich, mit einem Feind Frieden zu
schließen, ohne seine Wahrheit zu verstehen.
Rabins
innere Überzeugungen entwickelten sich auch nach Oslo weiter. Zwischen ihm und
Arafat wuchs der gegenseitige Respekt. Vielleicht würde er auf seine langsame
und vorsichtige Weise zum nötigen Wandel
gelangt sein. Der Mörder und seine Hintermänner hatten dies befürchtet und
entschieden sich, dem zuvor zu kommen.
Rabins
Scheitern wird bei der Gedenkrallye nächste Woche genau dort, wo wir vor 14 Jahren Zeugen
seiner Ermordung waren, seinen Ausdruck finden. Die Hauptredner werden die
beiden sein, die dem Oslo-Abkommen das Grab geschaufelt haben: Shimon Peres und
Ehud Barak als auch Zipi Livni
und der Erziehungsminister Gideon Sa’ar, die zu den Kräften gehörten, die das Klima für
den Mord vorbereiteten. Rabin wird sich in seinem Grab umdrehen – vermute ich.
Werde
ich dort sein? Nein, danke!
(Aus
dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)
In
einem demokratischen Land
Vertritt
der Verteidigungsminister
Die
zivile (Staats-)Gewalt
Gegenüber
der Armee.
In
Israel stimmte die Armee
Gegen
die Berufung
Einer
Untersuchungskommission
Für
das von der Armee verursachte Leid
der
zivilen Bevölkerung in Gaza.
Der
Verteidigungsminister Barak
Salutierte
und übergab
Der
Regierung den Befehl
Des
Generalstabschefs.
Inserat
in Haaretz am 30. Oktiber
2009
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