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Uri
Avnery, 27.Januar 2016
HAMELN, EINE
kleine Stadt in Deutschland (nicht weit von da, wo ich geboren wurde)
war von Ratten heimgesucht.
In ihrer Verzweiflung riefen die Bürger nach einem Rattenfänger und versprachen
ein Tausend Gulden dafür, dass er sie von der Plage befreien werde.
Der
Rattenfänger nahm sein Blasinstrument und spielte eine hüsche Melodie, dass alle
Ratten aus ihren Löchern kamen und ihm folgten. Er marschierte mit ihnen zum
Weserfluss, wo sie alle ertranken.
Einmal
von der Plage befreit, sahen die Einwohner keinen Grund zu zahlen. Der Pfeifer
nahm also noch einmal sein Instrument und spielte eine noch viel schönere
Melodie. Die entzückten Kinder der Stadt sammelten sich um ihn und er
marschierte mit ihnen direkt zum Fluss hinunter, wo sie alle ertranken.
Benjamin
Netanjahu ist unser Rattenfänger. Entzückt von seinen Melodien, laufen die Leute
von Israel hinter ihm her zum Fluss.
Jene
Bürger, denen klar ist, was geschieht, schauen zu. Sie wissen nicht, was sie tun
sollen. Wie kann man die Kinder retten?
DAS ISRAELISCHE
Friedenslager ist in Verzweiflung. Kein Retter ist in Sicht. Viele sitzen vor
ihrem Fernseher und wringen die Hände.
Unter
dem Rest findet eine Debatte statt. Wird die Erlösung von innen kommen oder von
außen?
Der
letzte Mitwirkende an dieser Debatte ist Amos Schocken, der Besitzer der
„Haaretz-Zeitung. Er hat einen seiner seltenen Artikel geschrieben, in dem er
behauptet, dass uns nur Kräfte von außen retten können.
Lasst
mich zuerst sagen, dass ich Schocken bewundere. „Haaretz“ („ Das Land) ist eine
der letzten Bastionen von Israels Demokratie. Verflucht und verachtet von der
ganzen rechten Mehrheit führt sie die intellektuelle Schlacht für Demokratie und
Frieden. All dies während die gedruckten Medien in Israel und in aller Welt in
ernster finanzieller Notlage sind. Meine eigene Erfahrung als Besitzer und
Herausgeber eines Magazins–das die
Schlacht verloren hat - weiß genau, wie heroisch und
herzzerbrechend dieser Job ist.
In
seinem Artikel sagt Schocken, dass die Schlacht, Israel von innen zu retten,
hoffnungslos ist. und dass wir deshalb den von außen kommenden Druck
unterstützen müssen: die wachsende weltweite Bewegung, um Israel zu
boykottieren: politisch, wirtschaftlich und akademisch.
Ein
anderer prominenter Israeli, der diese Ansicht unterstützt, ist Alon Liel, ein
früherer Botschafter in Südafrika und gegenwärtiger Hochschuldozent. Auf seiner
eigenen Erfahrung gegründet, behauptet Liel, dass es der weltweite Boykott war,
der das Apartheidregime auf seine Knie zwang.
Es liegt
mir fern, das Zeugnis von solch hervorragenden Experten zu verachten. Ich war
nie in Süd-Afrika, um es selbst zu erleben. Aber ich habe mit vielen
Teilnehmern, Schwarzen und Weißen gesprochen und mein Eindruck ist ein wenig
anders.
ES IST
eine große Versuchung, das gegenwärtige Israel mit der Apartheid Süd-Afrika zu
vergleichen. Tatsächlich ist der Vergleich fast
unvermeidbar. Aber was sagt es uns?
Die
angenommene Ansicht im Westen ist, dass der internationale Boykott des
scheußlichen Apartheid-Regime es war, der ihm das Rückgrat brach.
Dies ist eine beruhigende Ansicht. Das Gewissen der Welt wachte auf und
zerdrückte die Schufte.
Doch
dies ist ein Blick von außen. Der Blick von innen scheint ganz anders. Die
Innenansicht schätzt die Hilfe der internationalen Gemeinschaft, aber führt den
Sieg auf den Kampf der schwarzen Bevölkerung selbst zurück, ihre Bereitschaft zu
leiden, ihren Heldenmut, ihre Hartnäckigkeit. Indem es viele verschiedene
Methoden anwandte, einschließlich Terrorismus und Streiks, machte es
die Apartheid schließlich unmöglich.
Der
internationale Druck half mit, dass den Weißen zunehmend ihre Isolierung bewusst
wurde. Einige Maßnahmen, wie der internationale Boykott der südafrikanischen
Sportteams waren besonders schmerzlich. Aber ohne den Kampf der schwarzen
Bevölkerung selbst, würde der internationale Druck unwirksam gewesen sein.
Den
höchsten Respekt schuldet man den weißen Süd-Afrikanern, die aktiv den Kampf der
Schwarzen unterstützten, einschließlich Terrorismus bei großem persönlichem
Risiko. Viele von ihnen waren Juden. Einige flohen nach Israel. einer war mein
Freund und Nachbar Arthur Goldreich. Die israelische Regierung unterstützte
natürlich das Apartheid-Regime.
Selbst
ein oberflächlicher Vergleich zwischen den beiden Fällen zeigt, dass das
israelische Apartheid-Regime sich
großer Aktivas erfreut, die in
Süd-Afrika nicht existierten.
Die
südafrikanischen weißen Herrscher wurden weltweit verabscheut, weil sie ganz
offen die Nazis im 2. Weltkrieg unterstützten. Die Juden waren die Opfer der
Nazis. Der Holocaust ist ein riesiges Guthaben der israelischen Propaganda. So
wird das Nennen jeder Kritik Israels als antisemitisch angesehen – eine sehr
wirksame Waffe in diesen Tagen.
(Mein
letzter Beitrag: Wer ist ein Antisemit?
Derjenige, der die Wahrheit über die Besatzung sagt.)
Die
unkritische Unterstützung der mächtigen
jüdischen Gemeinden in aller Welt für die israelische Regierung
ist etwas, wovon die südafrikanischen Weißen nicht einmal träumen
konnten.
Und
natürlich ist kein Nelson Mandela in Sicht.
Paradoxerweise gibt es ein klein wenig Rassismus in der Ansicht, dass es die
Weißen in der westlichen Welt waren, die die Schwarzen in Südafrika befreiten
und nicht die schwarzen Südafrikaner selbst.
Es gibt
noch einen großen Unterschied zwischen den beiden Situationen. Während
Jahrhunderten der Verfolgung in der christlichen Welt abgehärtet, können
jüdische Israelis auf Druck von außen anders reagieren als erwartet. Druck von
außen kann sich gegensätzlich äußern. Es kann sich der alte jüdische Glaube
wieder bestätigen, dass Juden nicht verfolgt werden für das, was sie tun,
sondern für das, was sie sind. Das ist einer von Netanjahus Hauptargumenten.
Vor
Jahren sang und tanzte eine Armeeunterhaltungsgruppe zu der
fröhlichen Melodie eines Liedes, das mit den Worten begann: „Die ganze
Welt ist gegen uns, aber uns ist es
schnuppe…“
Dies
betrifft auch die BDS-Kampagne. Vor 18 Jahren waren meine Freunde und ich die
ersten, die einen Boykott auf die Produkte der Siedlungen erklärten. Wir wollten
eine Kluft zwischen Israelis und den Siedlern schaffen. Deshalb erklärten wir
keinen Boykott gegen Israel selbst, was gewöhnliche Israelis in die Arme der
Siedler getrieben hätte. Nur direkte Unterstützung der Siedlungen sollte
bestraft werden
Das ist
noch immer meine Meinung. Aber jeder im Ausland sollte seine/ihre eigene Meinung
dazu haben. Man sollte sich immer daran erinnern, dass die Hauptsache sei, die
öffentliche Meinung zu in
Israel zu beeinflussen
DIE „INNEN-AUSSEN“Debatte
könnte rein theoretisch sein, aber sie ist es nicht. Sie hat sehr praktische
Konsequenzen.
Das
israelische Friedenslager ist in einem Zustand der Verzweiflung. Die Größe und
Macht des Rechten Regierungsflügels wächst. Fast täglich werden widerliche neue
Gesetze vorgeschlagen und erlassen,
einige von ihnen mit einer unverkennbaren faschistischen Variante. Der
Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat sich mit einem Pulk männlicher und
weiblicher Rowdies umgeben, vor allem aus der Likud Partei, obwohl er selbst im
Vergleich zu denen selbst beinahe ein Liberaler ist. Die wichtigste
Oppositionspartei, das „Zionistische Lager“ (früher Labor) könnte Likud B
genannt werden.
Abgesehen von einigen Dutzend Randgruppen, die tapfer diese Welle aushalten und
bewundernswerte Arbeit tun, jede in ihrer ausgewählten Nische, ist das
Friedenslager gelähmt durch seine eigene Verzweiflung. Sein Slogan
könnte gut sein: „Nichts
kann mehr getan werden“
Die
jüdisch-arabische Zusammenarbeit im gemeinsamen Kampf innerhalb Israel – jetzt
trauriger Weise fast fehlend – ist auch wesentlich.
In
diesem Klima ist die Idee, dass Israel nur durch Druck von außen von sich selbst
retten kann, tröstlich. Irgendjemand dort draußen wird die Arbeit für uns tun.
Erfreuen wir uns also der Demokratie, solange sie noch besteht.
Ich
weiß, dass nichts weiter entfernt ist von Schockens, Liels und
all der anderen Gedanken, die
täglich den Kampf kämpfen. Aber ich fürchte, dass dies die Folge ihrer
Ansichten ist.
WER ALSO
hat recht? Diejenigen, die glauben, dass der Kampf innerhalb Israel uns retten
kann oder jene, die ihr Vertrauen ganz auf den Druck von außen setzen?
Meine
Antwort: weder noch
Oder
eher beide.
Diejenigen die innen kämpfen, benötigen alle Hilfe, die sie von außen bekommen
können. Alle moralisch denkenden Menschen in allen Ländern der Welt sollten es
als ihre Pflicht ansehen, den Gruppen und Personen innerhalb Israels zu helfen,
die weiter für Demokratie, Gerechtigkeit und Gleichheit kämpfen.
Wenn
Israel ihnen teuer ist, sollten sie diesen tapferen Gruppen moralisch, politisch
und materiell zu Hilfe kommen.
Aber um
den Druck von außen wirksam zu machen, müssen sie in der Lage sein, sich mit dem
Kampf drinnen zu verbinden, dies veröffentlichen und dafür Unterstützung
gewinnen. Sie können neue Hoffnung denen geben, die am Verzweifeln sind. Nichts
ist entscheidender.
Der
Regierung ist das klar. Deshalb erlässt sie alle Arten von Gesetzen, um die
israelischen Friedensgruppen von ausländischer Hilfe abzuschneiden.
Also
lassen wir den guten Kampf weitergehen – innerhalb, außerhalb, ja überall.
(Aus dem
Englischen: E. Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)