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Respekt vor der Grünen Linie
Uri
Avnery 4. Februar 2017
DIE PRÄGNANTESTE
Analyse des israelisch-palästinensischen Konfliktes, über den ich je gelesen
habe, wurde vom jüdisch-polnisch-britischen Historiker Isaak Deutscher
geschrieben. Er besteht aus einem einzigen Bild.
Eine
Person lebt in der oberen Etage
eines Gebäudes, in dem ein Feuer ausbricht. Um sein Leben zu retten, springt der
Mann aus dem Fenster und landet auf einem Vorübergehenden auf der Straße unten.
Das Opfer ist schwer verwundet und zwischen beiden Personen beginnt ein
unerbittlicher Streit..
Natürlich gibt es keine Metapher,
die vollkommen exakt ist. Die Zionisten haben
Palästina nicht zufällig
gewählt, die Wahl gründete sich auf unsere Religion. Der Gründer der Bewegung,
Theodor Herzl zog anfangs Argentinien vor.
Doch ist
das Bild grundlegend wahr wenigstens bis 1967. Von da an begannen die Siedler
weiter über die Grüne Grenze zu springen – ohne dass Feuer sichtbar ist.
DIESE GRÜNE Linie
ist nicht
heilig. Sie ist nicht anders als irgendeine andere Grenzlinie in der Welt..
Die
meisten Grenzen wurden durch
Geographie und den Zufall des Krieges gezogen. Zwei Völker kämpfen um das
Gebiet zwischen ihnen; an einem
gewissen Punkt kommt der Kampf ans Ende, und so wurde eine Grenze geboren.
Die
Grenzen Israels – aus irgendeinem Grund als „Grüne Linie“ bekannt – wurden
auch durch den Zufall des
Krieges geschaffen. Ein Teil dieser
Linie wurde das Ergebnis eines Handels zwischen der neuen israelischen Regierung
und dem König von Jordanien, Abdallah I. der gab uns das sog. Dreieck als
Backschisch, als Gegenleistung für
Israels Zustimmung zu seiner Annexion des größten Teils von Palästina.
Was ist
so heilig an dieser Grenze? Nichts, außer dass sie dort ist. Und das
ist für viele Grenzen in aller Welt so wahr.
Eine
Grenze wird durch Geographie oder Zufall
errichtet und durch ein Abkommen
bestätigt.
Es
stimmt, die UN zogen in ihrer-Resolution von 1948
die Grenzen zwischen dem jüdischen und
den arabischen Staaten; aber nachdem die arabische Seite einen Krieg anfing, um
diese Entscheidung zu vereiteln,
vergrößert Israel sein
Gebiet.
Der
Krieg von 1948 endete ohne einen Friedensvertrag. Aber
die Waffenstillstandslinie, die nach dem Ende des Krieges errichtet
wurde, wurde von der ganzen Welt
als die Grenzen Israels akzeptiert.
Dies hat sich während der 68 Jahre, die
seitdem vergangen sind, nicht verändert.
Die
Situation gilt de facto und de
jure. Israels Gesetz gilt nur innerhalb der Grünen Linie; alles andere ist
erobertes Gebiet unter militärischem Gesetz. Zwei kleine
Gebiete – Ost-Jerusalem und die Golanhöhen – wurden von Israel einseitig
deklariert, aber niemand in der
Welt erkennt diesen Status an.
ICH
WIEDERHOLE
diese wohlbekannten Tatsachen, weil die
Siedler in den besetzten Gebieten vor kurzem angefangen haben, ihre
Kritiker in Israel zu verspotten, indem sie ein neues Argument brachten, „Hallo
hey, was ist der große Unterschied
zwischen uns?“
Auch ihr
sitzt auf arabischem Land, sagen sie uns. Stimmt, vor 1948 siedelten die
Zionisten auf Land, dass sie für
viel Geld kauften
- aber nur ein Teil davon
wurde von Fellachen gekauft, die es bebauten. Das Meiste davon
wurde von reichen abwesenden
Landbesitzern erworben, die es
billig vom türkischen Sultan kauften, als das
ottomanische Reich in großen finanziellen Nöten steckte. Die Ackerbauern
wurden von den türkischen und später von der britischen Polizei vertrieben.
Große
Strecken Land wurden während des Kampfes von 1948
„befreit“, als Massen von
arabischen Dorf- und Stadtbewohnern flohen, bevor das israelische Militär
anrückte, wie es Zivilisten in jedem Krieg tun. Falls sie das nicht taten,
genügten ein Paar Salven aus
Maschinengewehren, um sie zu vertreiben.
Die
Bewohner, die in Jaffa geblieben waren, nachdem die Stadt erobert war, wurden
einfach auf Lastwagen gepackt und nach Gaza geschickt. Die Bewohner von Lod
(Lydda) wurden zu Fuß vertrieben. Am
Ende waren über 750 000 Araber vertrieben, mehr als die Hälfte des
palästinensischen Volkes in jener Zeit. Die jüdische Bevölkerung in Palästina
betrug damals etwa 650 000.
Eine
innere Stimme nötigt mich an dieser Stelle, einen kanadisch-jüdischen Offizier
zu erwähnen mit Namen Ben Dunkelmann, damals 36 Jahre alt, der in der neuen
israelischen Armee eine Brigade führte. Er hatte mit Auszeichnung in der
Kanadischen Armee im 2. Weltkrieg
gedient. Er bekam den Auftrag Nazareth anzugreifen, die Heimat von Jesus. Aber
es gelang ihm, die lokalen Führer dahin zu bringen, sich ohne
Kampf
zu ergeben. Die Bedingung
war, dass der lokalen Bevölkerung kein Leid erfährt.
Nachdem
seine Soldaten die Stadt besetzt hatten, erhielt Dunkelmann eine mündliche
Order, die Bevölkerung zu vertreiben. Schockiert weigerte sich Dunkelmann, sein
Ehrenwort als Offizier und Gentleman zu
brechen, verlangte, dass ihm der Befehl schriftlich gegeben wird. Solch eine
schriftliche Order kam nie an. (solche Befehle wurden niemals schriftlich
gegeben, doch Dunkelmann wurde abgelöst.)
Wenn ich
heute nach Nazareth, einer blühenden Stadt, komme, erinnere ich mich an diesen
tapferen Mann. Nach dem Krieg kehrte er in seine Heimat nach Kanada zurück. Ich
denke, dass er niemals nach
Israelzurückkehrte. Er starb vor 20 Jahren.
EHRLICHE
ENTHÜLLUNG: Ich nahm an all diesem teil. Als einfacher Soldat und später als
Zugführer. Ich war ein Teil der Ereignisse. Aber unmittelbar nach dem Krieg
schrieb ich ein Buch, das die Wahrheit enthüllte.
(„Die Kehrseite der Medallie“) und ein paar Jahre später veröffentlichte
ich einen detaillierten Plan für
die Rückkehr eines Teils der Flüchtlinge und die Bezahlung
von Wiedergutmachungsgelde an all die andern. Das ist natürlich nie
geschehen.
Das
meiste Land und die meisten Häuser der Flüchtlinge wurden mit neuen jüdischen
Immigranten gefüllt.
Jetzt
sagen die Siedler, nicht ganz zu unrecht. „Wer seid ihr, dass ihr uns verachtet?
Ihr habt dasselbe getan, was wir taten! Nur habt ihr das vor 1967 getan, und wir
tun es jetzt. Was ist der Unterschied?
Das ist
der Unterschied. Wir leben in einem Staat, der von den meisten Staaten der Welt
innerhalb errichteter Grenzen anerkannt wurde. Ihr lebt in Gebieten, die die
Welt als besetzte palästinensische Gebiete ansieht. Der Staat Texas wurde von
den USA in einem Krieg mit Mexiko erworben. Wenn Präsident Trump jetzt
Mexiko überfallen würde und ein Stück Land (warum nicht?) annektieren
würde, würde sein Status sehr anders sein
Benjamin
Netanjahu - einige nennen ihn jetzt
Trumpyahu – ist für das Vergrößern der Siedlungen. In dieser Woche
inszenierte er unter dem Druck
unseres Obersten Gerichtes die
Beseitigung einer winzig kleinen Siedlung, Amona mit einer Menge von
Herz-zerreißen und Tränen, aber versprach unmittelbar viele Tausend neuer
„Hauseinheiten“ in den besetzten Gebieten.
ENTGEGENGESETZTE POLITISCHE
Extreme berühren sich oft einander. So ist es jetzt auch hier.
Die
Siedler, die den Unterschied zwischen sich und uns wegwischen wollen,
un dies nicht nur, um sich selbst zu rechtfertigen. Ihr Hauptziel ist,
die Grüne Linie zu entfernen und alle besetzten Gebiete in Groß-Israel
einzuschließen, das vom Mittelmeer bis zum Jordan reicht.
Eine
Menge von Israelhassern wollen dieselben Grenzen, aber als einen
arabischen Staat.
In der
Tat würde ich gern den Vorsitz einer Friedenskonferenz von Israel-Hassern und
Palästina-Hassern haben. Ich würde vorschlagen, zuerst
die Punkte zu entscheiden,
in denen sie alle übereinstimmen – nämlich die Schaffung eines Staates vom Meer
bis zum Fluss. Ich würde
am Ende Ihnen die Entscheidung lassen, ob er Israel oder Palästina
genannt wird.
Eine
weltweite Organisation, die BDS genannt wird, schlägt
jetzt vor , Israel zu boykottieren, um dieses Ende zu erreichen. Ich habe
ein Problem damit.
GUSH SHALOM,
die israelische Friedensorganisation, zu der ich gehöre,
ist sehr stolz darauf, die
ersten gewesen zu sein, die einen Boykott auf die Waren der Siedlungen
vor vielen Jahren zu erklären. Wir halten noch immer diesen Boykott,
obwohl er jetzt nach dem israelischen Gesetz illegal ist.
Wir
haben nie einen Boykott auf Israel erklärt. Und nicht nur, weil es ziemlich
peinlich wäre, sich selbst zu boykottieren. Das Hauptziel unseres
Boykottes ist die Israelis zu lehren zwischen Ihnen selbst und den Siedlungen zu
unterscheiden. Wir veröffentlichten und verteilten viele Tausend
Kopien der Liste von
Gesellschaften und Produkten, die jenseits der Grünen Linie liegen.
Viele Leute halten den Boykott.
Der BDS
–Boykott von ganz Israel würde das genaue Gegenteil erreichen:
Indem man sagt, dass es keinen Unterschied gibt zwischen Israel
innerhalb der Grünen Linie und den Siedlern außerhalb, er würde die gewöhnlichen
Israelis in die Arme der Siedler treiben. Die Siedler sind natürlich sehr
glücklich, um die Unterstützung von BDS zu bekommen, indem die Grüne Linie
ausgelöscht würde.
ICH HABE
keinen emotionalen Streit mit den BDS-Leuten. Es stimmt, dasss einige von ihnen
alte Antisemiten in einem neuen Gewand sind, aber ich vermute, dass die meisten
BDS-Unterstützer aus aufrichtiger Sympathie für das Leiden der Palästinenser
handeln. Ich respektiere dies.
Doch
würde ich die wohlmeinenden Idealisten, die BDS unterstützen, darum bitten, noch
einmal über die höchste Bedeutung der Grünen Line nachzudenken – sie ist die
einzige Grenze, die Frieden zwischen
Israel und Palästina möglich macht, mit ein paar kleinen gegenseitigen
anerkannten Grenzbereinigungen.
ISRAEL IST
da. Es kann nicht weg gewischt werden. Dasselbe gilt für Palästina.
Wenn wir
alle darin übereinstimmen, können wir auch über den Boykott übereinstimmen und
zwar alleine gegen die
Siedlungen.
(dt.
Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)