Israel Palästina Nahost Konflikt Infos
Uri Avnery,
14.6.14
DIE
EXISTENZ der Armee in einem wahrlich demokratischen Staat
ist / präsentiert ein Paradox.
Die
Armee sollte der gewählten Regierung gehorchen. Dieser Gehorsam ist
bedingungslos.
Aber die
Armee (einschließlich der Landkräfte, der Marine und Luftwaffe) ist
die einzige bewaffnete Kraft im Land. Sie kann in jedem Augenblick einen
Staatsstreich ausführen und nach der Macht greifen.
Allein
in den letzten Monaten haben Armeekommandeure Staatsstreiche in Ägypten Thailand
und vielleicht auch an andern Orten gemacht.
Was
verhindert Armeekommandeure überall
Staatsstreiche durchzuführen? Nur die demokratischen Werte, mit denen sie
erzogen wurden .
IN
ISRAEL ist ein Staatsstreich undenkbar.
Hier ist
der Ort, den alten israelischen Witz zu wiederholen: der Stabschef versammelt
seine ranghohen Kommandeure und
wendet sich an sie: Kameraden, morgen früh um 6 Uhr werden wir die Regierung
übernehmen.
Einen
Augenblick lang herrscht Schweigen. Dann bricht die ganze Hörerschaft in
histerisches Gelächter aus.
EIN
ZYNIKER könnte hier einwerfen: „Warum sollte die Armee mit einem Staatsstreich
stören? Sie regiert doch Israel sowieso schon!“
In
Bürgertum- Klassen lernen wir, dass Israel eine Demokratie ist. Offiziell: „ein
jüdischer und demokratischer Staat.“ Die Regierung entscheidet, die Armee folgt
Befehlen.
Aber wie
der Mann sagte: „Es ist muss nicht
so sein .“
Stimmt,
es hat in Israel nie einen Fall von hochgradig militärischem Ungehorsam gegeben.
Das Äußerste, das wir je erlebten, war der Fall am Vorabend des Krieges
von 1967, als Ministerpräsident Levy Eshkol zögerte, den Befehl zum
Angriff zu geben und einige ungeduldige Generäle drohten, zurückzutreten. Auch
ein Oberst trat aus
Protest gegen den Plan, Beirut im Libanonkrieg 1982 anzugreifen, zurück.
Doch
sogar während des Rückzuges 2005
vom Gazastreifen, einen Moment der
höchsten emotionalen Krise, als die Öffentlichkeit tief gespalten war, gab es
keinen Rücktritt. Die Armee führte die Befehle der Regierung aus.
Aber die
Rolle der Armee ist bei nationaler Politik weit komplizierter. .
GERADE
JETZT steckt die Armee im
jährlichen
Ritual des Budget-Kampfes.
Die
Armee sagt, dass sie viel mehr benötigte, als das Finanzministerium zu geben
bereit sei. Es ist eine Frage der nationalen Sicherheit,
nein, des nationalen Überlebens. Schreckliche Gefahren werden erwähnt.
Nach einem bitteren Streitgespräch wird ein
Kompromiss erreicht. Ein paar Monate später kommt die Armee noch einmal
und verlangt einige Milliarden mehr. Eine neue Gefahr lauert am Horizont. Bitte
mehr Geld.
Die
Leute vom Finanzamt behaupten, dass ein riesiger Batzen des Militär-Budgets an
Pensionen gegeben werden. Um die Armee jung und frisch zu halten, werden
die Offiziere im reifen Alter von 42
pensioniert – und für den Rest ihres Lebens erhalten sie sehr großzügige
Pensionen. Dies wird nicht nur bei Kampfoffizieren angewandt, die viel Zeit im
Feld verbringen und ihre Familien
vernachlässigen, sondern auch die die Papiere
hin und herschieben, Büroangestellte und technisches Personal, deren Job im
Wesentlichen zivil ist. Zaghafte
Vorschläge, ab jetzt weniger zu
zahlen, werden ärgerlich
zurückgewiesen.
Wenn ein
General die Armee verlässt, betrachtet sie es als ihre
kameradschaftliche Pflicht, ihn mit einem passenden zivilen Job zu
versehen. Das Land ist überschwemmt
von Ex-Generälen und Ex-Obersten, die zentrale Positionen in der Politik inne
haben, allgemeine Verwaltung, regierungseigene Gesellschaften und Dienste
etc..Magnaten beschäftigen sie für riesige Gehälter wegen ihrer einflussreichen
Verbindungen. Viele von ihnen haben Sicherheits-Kompanien gegründet, mit denen
sie im weltweiten Im- und Export
von Waffen und militärischer Ausrüstung
engagiert sind.
Fast
jeden Tag erscheinen diese Exmilitärs im Fernsehen und schreiben als „Experten“
über politische und militärische Angelegenheiten und verüben so einen
riesigen Einfluss auf die öffentliche Meinung aus.
Wenige
sind „Linke“ und propagieren
Pro-Frieden-Ansichten. Die große Mehrheit legt
Meinungen dar, die man von
„Mitte-rechts“ bis faschistisch-rechts einordnen kann.
Warum?
DER
SELBE Zyniker mag eine sehr einfache Erklärung abgeben. Krieg ist das Element
der Armee.
Das
Wesentliche des militärischen Berufs ist, Krieg-führen und
sich für den Krieg vorbereiten. Seine ganze Existenz gründet sich auf
Kriegsführung.
Es ist
für jede professionelle Person natürlich, sich nach einer Gelegenheit zu sehnen,
sein/ oder ihr professionelle(s) Können zu zeigen. Frieden gibt selten solch
eine Möglichkeit für militärische Offiziere. Krieg ist eine
sehr große Möglichkeit. Krieg bringt Aufmerksamkeit, Beförderung,
lebenslange Förderung. Im Krieg kann ein Heerführer
seine Courage zeigen und
sich in einer Weise auszeichnen, wie es
im Frieden nicht möglich ist.
(Ranghohe Offiziere erklären gerne,
dass sie den Krieg hassen mehr als irgend jemand sonst ,“ weil sie seine
Verheerung gesehen haben“. Das ist purer Unsinn)
Besatzung ist natürlich auch eine Art Krieg. Es ist, um Clausewitz zu zitieren:
„eine Fortsetzung der Politik mit andern Mitteln.“
ICH BIN
kein Zyniker und neige nicht zu zynischen Ansichten, die
unbedingt einfach und oberflächlich sind
Ich bin
bereit, anzunehmen, dass die große Mehrheit der gegenwärtigen .und vergangenen
Militärs die Karriere macht, wenigstens nach ihrer eigenen Ansicht, wahre
Idealisten sind. Wenn ihre Kameraden ihren
obligatorischen Armeedienst
beenden und ihre gut bezahlte
zivile Kariere beginnen, bleiben die Offiziere in der Armee aus Pflichtgefühl
und Patriotismus. Wenn sie an Frieden glauben würden, würden sie alles für den
Frieden opfern.
Schade
ist, dass sie dies nicht tun.
Die
Armee schafft eine Aussicht, eine Weltsicht, die ihrem eigenen Wesen
inhärent ist. Sie sagt dem Soldaten vom ersten Tag an, dass es da einen
„Feind“ gibt, gegen den er bereit sein muss, zu kämpfen und wenn nötig, auch
sein Leben opfern. Die Welt ist voll potentieller Feinde, Üblem und Grausamem,
das das Vaterland gefährdet. Man muss kein Jude sein und
sich an den Holocaust erinnern, um dies zu wissen
(auch wenn es sicher hilft).
Hätte
Hitler – einmal an der Macht -
außer durch Krieg besiegt werden
können? Hätte es einen andern Weg
gegeben, um die Welt zu retten?
Gewiss nicht. In friedlichen Zeiten mag
ein Offizier verachtet sein, in Zeiten
der Not ist es der General, auf den jeder aufschaut und von dem erwartet
wird, dass er die Nation rettet.
Diese
Überzeugung, die seit Jahren täglich wiederholt wird, formt die militärische
Gesinnung. Es wird so weitergehen, bis es der Menschheit gelingt,
weltweite Regierungsstruktur zu machen,
um den Krieg zu einem Ding der Vergangenheit zu machen.
ALL
DIESE Trends sind sogar in Israel extremer.
Der
Staat Israel wurde in der Mitte eines langen und brutalen Krieges geschaffen.
Vom 1. Tag seiner Existenz an, hing er von der Moral und der materiellen Stärke
seiner Armee ab. Die Armee ist das Zentrum des nationalen Lebens, der Liebling
der jüdischen Bürger. Es ist heute in Israel bei weitem die populärste
Institution.
Dies
erinnert einen an das Deutsche Kaiserreich, wo gesagt wurde, dass „Der Soldate/
der beste Mann im Staate“ sei. Vielleicht war es ein Zufall, dass der Gründer
des Zionismus, Theodor Herzl, ein eifriger Verehrer des Kaiserreichs war.
In
meinem anhaltenden Internet-Dialog mit meiner Freundin in Lahore, war ich wieder
von der Ähnlichkeit unserer beiden Länder beeindruckt. Pakistan und
Israel wurden zur selben Zeit geboren; aus früheren britischen Kolonien,
nach einer schmerzvollen Teilung mit viel Blutvergießen, bei der riesige Massen
von Menschen Flüchtlinge und Vertriebene wurden.
Beides gründete sich auf eine
religiös-ethnische Ideologie
und ein Leben in ständigem Konflikt mit
seinen Nachbarn.
Beides
sind Demokratien – hinter der Szene beherrscht, von ihren Armeen und der
Geheimdienst-Institution.
VON
JEDEM JUNGEN jüdischen Israeli
wird angenommen, dass er in der Armee dient. Männer dienen drei Jahre-
die prägendsten Jahre im Leben eines
jungen Mannes, die Jahre des Idealismus, noch unbelastet von Familien, bereit
sich zu opfern.
(In der
Praxis dienen fast 40% nicht –
arabische Bürger und Orthodoxe jüdische Bürger werden aus verschiedenen Gründen
ausgenommen).
Die
Armee ist der Schmelztiegel für im Lande Geborene, Immigranten aus Russland,
Marokko, Äthiopien und vielen anderen Ländern. Während 1100 Tagen und Nächten
formt die Armee ihren gemeinsamen Nenner und ihre gemeinsame Weltanschauung.
Sie
kommen schon vorbereitet. Das
israelische Bildungssystem ist eine Werkstatt für
die zionistische Indoktrination – vom Kindergarten an. Diese 15Jahre, gekrönt
von den drei Armeejahren, schafft eine große Mehrheit von engstirnigen,
nationalistischen, ethnisch-zentrierten Männern und Frauen. Von da
startet der professionelle Militäroffizier seine Karriere, und nimmt
sein ideologisches Gepäck mit sich.
Wenn er
die Armee mit 42 verlässt und eine zivile Kariere
beginnt, heißt das nicht,
dass er diese Scheuklappen ablegt.
Im Gegenteil, die Armeeoffiziere
bleiben selbst dann Armeeoffiziere, wenn sie in Zivil gekleidet gehen. Man
könnte sagen, dass die Offiziere, in der Gegenwart und in der Vergangenheit die
einzig wirkliche Partei im Lande bilden.
Dies ist
nicht dieselbe Armee, der ich den Treueeid am Tag ihrer Gründung abgelegt habe.
Zu der Zeit waren viele Offiziere
Kibbuz-Mitglieder, die im Geist des Sozialismus und der Solidarität aufgewachsen
sind. Nach 57 Jahren der Besatzung, ist die Armee brutal geworden, viele
Offiziere sind Siedler, viele tragen die gestrickte nationalistisch-religiöse
Kippa. Die extrem rechten religiösen Parteien machen sich bewusst die Mühe,
diese Siedler ins Offizierskorps zu bringen – und es gelingt ihnen zum großen
Teil.
VOR MEHR
als 200 Jahren sagte Graf Mirabeau,
ein Führer der französischen Revolution, das berühmte Wort, dass Preußen kein
Staat sei, der eine Armee habe, sondern dass es eine Armee sei, die einen Staat
hat.“
Dasselbe
kann heute auch über die einzige Demokratie im Nahen Osten gesagt werden.
(aus dem
Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser
autorisiert)