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Die Schlacht der
Titanen
Uri Avnery
23.November
2013
DIES IST nicht nur ein Kampf zwischen Israel und den US.
Es ist nicht nur ein Kampf zwischen dem Weißen Haus und dem Kongress. Es
ist eine „ Schlacht“ zwischen intellektuellen Titanen.
Auf der einen Seite sind die beiden berühmten Professoren Stephen Walt und John
Mearsheimer. Auf der anderen, der überragend Intellektuelle Noam Chomsky.
Es geht darum, ob der Hund mit dem Schwanz wedelt oder der Schwanz mit dem Hund.
VOR sechs Jahren schockierten die beiden Professoren die US (und Israel), als
sie das Buch veröffentlichten „Die
israelische-Lobby und die US-Außenpolitik,“ in dem sie behaupteten, die
ausländische Politik der USA in der Welt oder mindestens im Nahen Osten werde
praktisch vom Staat Israel bestimmt.
Um ihre Argumentation zu umschreiben: Washington DC ist tatsächlich eine
israelische Kolonie. Der Senat und das Haus der Vertreter sind beide israelisch
besetztes Gebiet, so etwa wie Ramallah und Nablus.
Dies ist der Behauptung von Noam Chomsky völlig entgegengesetzt, dass Israel
eine Schachfigur der US sei, die vom amerikanischen Imperialismus als Instrument
benützt werde, seine Interessen auszuführen.
(Ich kommentierte damals, beide Seiten
hätten Recht, und dies sei eine einmalige Hund-Schwanz-Beziehung. Ich zitierte
sogar den alten jüdischen Witz von dem Rabbiner, der einem Kläger sagt, er habe
Recht. und dann dem Angeklagten dasselbe sagt. „Aber sie können doch nicht beide
Recht haben“, protestiert seine Frau: „Du hast auch recht!“antwortet er.)
INTELLEKTUELLE THEORIEN können selten zu einem Labortest genommen werden. Aber
mit diesen geht es.
Es geschieht jetzt. Zwischen Israel und den US hat sich eine Krise entwickelt,
und dies kam an die Öffentlichkeit.
Es geht um die mutmaßliche iranische Atombombe. Präsident Barack Obama ist
entschieden, eine militärische Kraftprobe zu verhindern. Ministerpräsident
Benjamin Netanjahu ist entschlossen, einen Kompromiss zu verhindern.
Für Netanjahu
ist die iranische Nuklear-Sache zu einem endgültigen Problem geworden, sogar zu
einer Obsession. Unaufhörlich spricht er darüber. Er hat erklärt, dies sei eine
„existenzielle“ Bedrohung für Israel, es sei die Möglichkeit eines zweiten
Holocaust. Im letzten Jahr gab er selbst eine Vorstellung bei der
UN-Voll-Versammlung und zeichnete in kindlicher Weise eine Bombe.
Zyniker sagen,
dies sei nur ein Streich, ein erfolgreicher Trick, um die Aufmerksamkeit der
Welt vom palästinensischen Problem abzulenken. Und tatsächlich, seit Jahren ist
die israelische Besatzungs- und Siedlungspolitik beinahe aus
dem internationalen Gedächtnis verschwunden: Still verschwinden, fort aus
dem Rampenlicht.
Aber in der
Politik kann ein Trick mehreren Zwecken auf einmal dienen. Netanjahu ist es mit
der iranischen Bombe ernst. Der Beweis: mit diesem Problem ist er bereit, etwas
zu tun, was noch kein israelischer Ministerpräsident vor ihm jemals gewagt hat,
die israelisch-amerikanischen Beziehungen zu gefährden.
Dies ist eine
Entscheidung von großer Tragweite. Israel ist in fast jeder Hinsicht von den US
abhängig. Die US zahlt Israel jährlich einen Tribut von mindestens drei
Milliarden Dollars und tatsächlich ist es
viel mehr. Sie verkaufen uns die modernsten Waffen. Ihr Veto schützt uns vor dem
UN-Sicherheitsrat, egal was wir tun.
Wir haben keinen
anderen permanenten Freund in der Welt außer vielleicht die Fidschi-Inseln.
Wenn es etwas
gibt, mit dem praktisch alle Israelis übereinstimmen, so ist es dies. Ein Bruch
mit den US ist undenkbar. Die US-israelische Beziehung ist – um einen
hebräischen Ausdruck zu benützen, der von Netanjahu gern
gebraucht wird – „Der Felsen unserer Existenz“.
Was gedenkt er
zu tun?
NETANJAHU WURDE
in den US erzogen. Dort besuchte er das Gymnasium und die Universität. Dort
begann er mit seiner Karriere.
Er braucht keine
Berater, wenn es sich um US-Angelegenheiten handelt
Er betrachtet sich selbst als den schlauesten Experten von allen.
Er ist nicht
dumm. Er ist auch kein Abenteurer. Er gründet sich selbst auf solide
Beurteilung. Er ist davon überzeugt, diesen Kampf zu gewinnen.
In gewissem Sinn
ist er ein Anhänger der Walt-Mearsheimer-Doktrin.
Seine
augenblicklichen Schritte gründen sich auf die Beurteilung, dass in einer
direkten Konfrontation zwischen dem Kongress und dem Weißen Haus der Kongress
gewinnen werde. Obama vergießt
schon auf Grund anderer Probleme Blut, werde geschlagen, womöglich zerstört
werden.
Stimmt,
Netanjahu hat sich da das letzte Mal geirrt, als er so etwas wie Folgendes
versuchte. Während der Präsidentenwahlen unterstützte er offen Mitt Romney. Die
Idee war, dass die Republikaner gewinnen müssten. Der jüdische Casino-Baron
Sheldon Adelson schüttete sein Geld in ihre Kampagne, während er gleichzeitig
ein tägliches israelisches Massenblatt für den einzigen Zweck herausgab,
Netanjahu zu unterstützen.
Romney konnte
nicht verlieren- doch er tat es. Dies sollte für Netanjahu eine Lektion gewesen
sein, aber er nahm sie nicht auf. Er spielt jetzt dasselbe Spiel, aber um einen
viel höheren Einsatz.
WIR SIND jetzt
in der Mitte des Kampfes, und es ist viel zu früh, das Ergebnis voraus zu sehen.
Die jüdische
pro-Israel-Lobby AIPAC, unterstützt von anderen jüdischen und evangelikalen
Organisationen, lässt ihre Kräfte auf dem Kapitol-Hügel antreten. Es ist eine
eindrucksvolle Show.
Ein Senator nach
dem anderen, ein Kongressmann nach dem anderen, kommt nach vorne, um die
israelische Regierung gegen ihren eigenen Präsidenten zu unterstützen. Es sind
dieselben Leute, die wie Marionetten auf- und absprangen, als Netanjahu seine
letzte Rede vor beiden Häusern des Kongresses hielt. Jeder versuchte, den
anderen mit Behauptungen ihrer unsterblichen Loyalität gegenüber Israel zu
übertreffen.
Dies geschah in
aller Öffentlichkeit, es war eine Aufführung der Scham. Mehrere Senatoren und
Kongressleute erklären öffentlich, dass sie vom israelischen Geheimdienst
informiert worden wären, und dass sie ihnen mehr vertrauten als
den Geheimdiensten der USA. Nicht einer von ihnen sagte das Gegenteil.
Dies würde
undenkbar gewesen sein, wenn es sich um ein anderes Land gehandelt hätte, sagen
wir mal. Irland oder Italien, aus dem viele Amerikaner stammen. Der „Jüdische
Staat“ steht einzigartig da – eine Art von umgekehrtem Antisemitismus.
Tatsächlich
haben einige israelische Kommentatoren gescherzt, dass Netanjahu an
die Protokolle der Weisen von Zion
glaubt, an die berühmten – und berüchtigten
- Traktate, die von der Geheimpolizei des Zaren fabriziert worden seien.
Sie deuteten auf eine unheimliche Verschwörung der Juden hin, die Welt zu
regieren. Mehr als 100 Jahre später kommt sie dem mit der „Beherrschung“ der
US-Politik nahe.
Die Senatoren
und Vertreter sind keine Dummköpfe (nicht alle von ihnen)
Sie haben einen
klaren Zweck: wiedergewählt zu werden. Sie wissen, auf welcher Seite ihre
Brotschnitte mit Butter bestrichen wird. AIPAC hat bei mehreren Testfällen
demonstriert, dass sie jeden Senator oder Kongressmann absetzen könne, der nicht
die gerade israelische Linie vertritt. Ein Satz mit indirekter Kritik an Israels
Politik genügt, um einen Kandidaten zu verurteilen.
Politiker
bevorzugen Scham und Lächerlichkeit statt politischen Selbstmord. Keine
Kamikaze- Piloten im Kongress.
Dies ist keine
neue Situation. Sie ist mindestens einige Jahrzehnte alt. Was neu daran ist:
ist, es geschieht jetzt in der Öffentlichkeit --ohne Beschönigung
ES IST schwierig
zu wissen, jedenfalls jetzt, wie weit das Weiße Haus durch diese Entwicklung
eingeschüchtert ist.
Obama und sein
Außenminister John Kerry wissen, dass die amerikanische öffentliche Meinung ganz
und gar gegen jeden weiteren Krieg im
Nahen Osten ist. Ein Kompromiss mit dem Iran liegt in der Luft. Dies wird von
fast allen Weltmächten unterstützt. Sogar die französischen Wutanfälle, die
keinen klaren Zweck haben, werfen nur ihr angebliches Gewicht um sich, sind
nicht ernst zu nehmen.
Präsident
Francois Hollande wurde in dieser Woche wie ein Bote des Messias in Israel
empfangen. Schließt man seine Augen, könnte man sich vorstellen, dass die
glücklichen alten Vor-De-Gaulle Tage zurück wären, als Frankreich Israel
bewaffnete, mit seinem militärischen Atomreaktor ausstattete, ja, mit ihm Pferde
stehlen ging, (das misslungene Suez-Abenteuer 1956).
Aber wenn Obama
und Kerry zusammenhalten und auf ihrem Kurs bezüglich des Iran bleiben, kann der
Kongress den entgegen-gesetzten Kurs einnehmen? Könnte dies die ernsteste
Verfassungskrise in der US-Geschichte werden?
Als
Nebenvorstellung bemüht sich Kerry weiter, Netanjahu einen Friedensvertrag
aufzuzwingen, den er nicht wünscht
Dem Außenminister gelang es, Netanjahu in „Endstatus-Verhandlungen“ zu stoßen
(Keiner wagte, das Wort Frieden auszusprechen; Gott bewahre!) Doch keiner in
Israel oder Palästina glaubt, dass irgendetwas dabei herauskommt. Es sei denn
natürlich, wenn das Weiße Haus mit der ganzen Macht der US hinter den Bemühungen
steht – und das scheint eher unwahrscheinlich.
Kerry hat für
die Bemühungen neun Monate vorgesehen wie jede andere Schwangerschaft. Aber die
Chancen für ein Baby sind praktisch null. Während der ersten drei Monate haben
die Seiten (gemeint ist Israel) keinen einzigen Schritt vorwärts getan.
Wer wird also
gewinnen? Obama oder Netanjahu? Chomsky oder Walt/Mearsheimer?
Wie
Kommentatoren zu sagen pflegen: Die Zeit wird es sagen.
Inzwischen
schließt eure Wetten.
(dt. Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)