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Uri Avnery

19  November 2016

 

 

Der gewählte Präsident   

 

DER ERSTE Schock ist vorüber. Trump, der gewählte Präsident. Allmählich gewöhne ich mich an den Klang dieser Worte.

 

Wir treten in eine Ära vollkommener Ungewissheit ein. Wir Israelis und die gesamte Welt. Vom Schuhputzer-Jungen zum Staatsoberhaupt.

 

Niemand weiß es.

 

 

ABER ZUERST müssen wir Obama verabschieden.

 

Offen gesagt, ich mag den Kerl. Er hat so etwas Aristokratisches an sich, etwas Aufrichtiges, Ehrliches, Idealistisches.

 

Als die Kameras ihn diese Woche zeigten, während er mit Donald Trump zusammensaß, hätte der Kontrast nicht größer sein können. Obama ist der Anti-Trump. Trump ist der Anti-Obama.

 

Und dennoch…

 

Bisher, in all den acht langen Jahren seiner Präsidentschaft, hat Präsident Obama nichts, aber auch gar nichts, für den Frieden in unserer Region getan.  

 

In diesen acht Jahren ist die Ultra-Rechte aufgeblüht. Die Siedlungen in den besetzten Gebieten haben sich vervielfacht und wurden ausdehnt. Nach jeder neuen Siedlungserweiterung hat das Außenministerium diese pflichtgemäß verurteilt. Und danach Binyamin Netanyahu einige Milliarden Dollar mehr gegeben. Und sein letztes Geschenk war das größte, das bisher je gemacht wurde.

 

Als Obama sein Amt antrat, hielt er einige sehr wundervolle Reden in Kairo und Jerusalem. Viele hervorragende Worte. Aber das waren sie nur: bloße Worte.

 

Einige Menschen glauben, dass Obama nun, wo er frei von allen Verpflichtungen ist, seine letzten zwei Monate, in denen er noch an der Macht ist, nutzen wird, um für seine Sünden zu büßen und etwas Bedeutsames für den israelisch-palästinensischen Frieden zu tun. Ich bezweifele das.

 

(Jahre zuvor, bei einem europäischen Kongress, warf ich dem spanischen Diplomaten Miguel Moratinos vor, er hätte nichts für den israelisch-palästinensischen Frieden getan. In seiner aggressiven Antwort beschuldigte er mich der schieren Impertinenz. Weshalb sollte irgendjemand etwas für die israelischen Friedenskräfte tun, wenn diese Kräfte selbst nichts täten, um Frieden zu erlangen?)  

 

Haben wir das Letzte über die Obama-Familie gehört? Ich bin mir nicht sicher. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass nach vier oder acht Jahren der Name Obama wieder auf der Liste der Kandidaten für das Präsidentenamt zu sehen sein wird: Michelle Obama, die äußerst und rechtmäßig beliebte First Lady, die alle dazu notwendigen Eigenschaften besitzt: Sie ist schwarz. Sie ist eine Frau. Sie ist hoch intelligent. Sie besitzt einen lauteren Charakter. (Es sei denn, in dem Neuen Amerika sind dies alles negative Eigenschaften.)

 

 

ES GAB einen kleinen Trost bei den Wahlergebnissen. Hillary Clinton hat mehr Stimmen als Donald Trump erhalten. Sie verlor erst in dem Wahlausschuss.

 

Für einen Außenstehenden sieht diese Institution genauso steinzeitmäßig wie ein Dinosaurier aus. Sie mag ihre Dienste getan haben, als die Vereinigten Staaten von Amerika (Plural) wirklich eine Föderation aus diversen und unterschiedlichen regionalen Entitäten waren.

 

Diese Tage sind längst vergangen. Wir benutzen heute die Bezeichnung “US” im Singular. Die US tut es. Die US denkt. Die US wählt.

 

Was ist der große Unterschied zwischen einem Wähler in Arizona und einem in Montana? Weshalb sollte die Stimme eines Bürgers in Oregon mehr wiegen als die Stimme eines Bürgers in New York oder Kalifornien?

 

Der Wahlausschuss ist undemokratisch. Man hätte es schon seit langem abschaffen sollen. Aber politische Institutionen sterben langsam, wenn überhaupt. Immer profitiert jemand von ihnen. Dieses Mal ist es Trump.

 

EIN ÄHNLICH antiquiertes System ist die Ernennung von Richtern des Obersten Gerichtshofs.

 

Der Oberste Gerichtshof hat eine außergewöhnliche Macht, indem er tief in das Privatleben jedes US-Bürgers einschneidet. Es genügt, Abtreibungen und Homo-Ehen zu erwähnen.  Er beeinflusst auch internationale Beziehungen und noch weit mehr.

 

Dennoch verbleibt die Macht, neue Richter zu ernennen, einzig und allein in den Händen des Präsidenten. Ein neuer Präsident ändert die Zusammensetzung des Gerichts und siehe da! - die gesamte rechtliche und politische Situation ändert sich.

 

In Israel herrscht genau das Gegenteil. Jahre zuvor wurden neue Richter praktisch von den alten Richtern ernannt, "ein Freund bringt einen Freund”, wie es scherzhaft im Volksmund hieß.  

 

Später wurde dieses System ein wenig verändert – Richter des Obersten Gerichtshof werden von einem Komitee, das aus neun Personen besteht, gewählt: drei von ihnen sind Amtsrichter, zwei andere sind Politiker der Knesset (je einer aus der Regierungskoalition und aus der Opposition), zwei sind Minister der Regierung und zwei repräsentieren die Rechtsanwaltskammer.

 

Fünf der Mitglieder des Komitees müssen Frauen sein. Einer der Richter des Komitees ist ein Araber, der aufgrund seines Dienstalters ernannt wurde.

 

Aber der entscheidende Punkt des Gesetzes ist, dass jede Ernennung durch eine Mehrheit von sieben Mitgliedern erfolgen muss – sieben von neun. Das bedeutet in der Praxis, dass die drei Amtsrichter des Komitees ein Vetorecht bei jeder Ernennung haben, ebenso wie die Politiker. Ein Richter kann nur durch einen Kompromiss ernannt werden.

 

Bis jetzt hat dieses System sehr gut funktioniert. Keine Beschwerden wurden registriert. Aber die neue Justizministerin, eine fanatische, ultrarechte Frau, will das System ändern: keine Mehrheit von sieben mehr, sondern eine einfache Mehrheit von fünf. Das würde den rechten Politikern die Entscheidungsmacht verleihen und die drei Richter ihrer Macht berauben, politische Ernennungen zu unterbinden.

 

Dieser Vorschlag hat starken Widerstand hervorgerufen und die Debatte darüber hält immer noch an.

 

 

WIE KANN man den kommenden Präsidenten beschreiben, knapp zwei Wochen nach seiner Wahl?

 

Das erste Wort, das einem in den Sinn kommt, ist: unberechenbar.

 

Wir sahen es bei der Wahlkampagne. Er würde zwei gegensätzliche Dinge im selben Atemzug sagen. Etwas sagen und dann wieder verneinen. Einen Teil der Wähler umschmeicheln und danach ihre Gegner.

 

Ja, ja, würden einige Menschen sagen. Na und! Ein Kandidat sagt alles, um gewählt zu werden.   

 

Das stimmt, aber dieser besondere Kandidat hat das übertrieben. Er präsentierte eine sehr unangenehme Persönlichkeit, ohne Anstand, propagierte Hass gegen Schwarze, Hispanoamerikaner und Homos, verunglimpfte Frauen und lehnte Antisemiten und Neonazis nicht gänzlich ab.

 

Aber es wirkte, nicht wahr? Es brachte ihn dahin, wo er sein wollte, oder etwa nicht? Es zwingt ihn nicht, nun, wo er sein Ziel erreicht hat, in derselben Art weiterzumachen. Also, vergessen Sie es.

 

Einige Menschen träumen heute von einem komplett neuen Trump, einer Person, die all ihre alten Slogans und Erklärungen aufgibt und sich als einfühlsamer Politiker erweist, der sein erwiesenes Talent für Geschäftsabschlüsse einsetzt, um Ziele zu erreichen, die erforderlich sind, um Amerika wieder groß zu machen.

 

Als Kandidat tat er das, was notwendig war, um gewählt zu werden. Sobald er im Amt ist, wird er tun, was notwendig ist, um zu regieren.

 

Andere Menschen verpassen diesen Hoffnungen eine kalte Dusche. “Trump ist Trump”, sagen sie. Als Präsident wird er genauso unangenehm sein, wie er als Kandidat war. Ein extrem-rechter Hassprediger. Jeder seiner Schritte wird von seiner hässlichen Gedankenwelt diktiert. Sehen Sie, seine erste wichtige Ernennung war die eines radikalen Antisemiten zu seinem engsten Berater.

 

NUN, ich weiß es nicht. Niemand weiß es. Ich glaube, dass er es noch nicht einmal selber weiß.

 

Ich glaube, dass vier Jahre der Ungewissheit vor uns liegen. Wird er mit einem Problem konfrontiert, weiß er nichts darüber, sondern wird seiner momentanen Laune entsprechend reagieren. Von niemandem wird er Rat annehmen, und niemand wird im Voraus wissen, was seine Entscheidung sein wird. Das scheint mir ziemlich sicher zu sein.

 

Einige seiner Entscheidungen mögen sehr gut sein, andere wiederum sehr schlecht. Einige mögen sehr intelligent sein, andere idiotisch.

 

Wie ich sagte: unberechenbar.

 

Die Welt wird damit leben müssen. Es wird äußerst riskant sein. Es mag sich als positiv erweisen, oder in eine Katastrophe führen.

 

 

MAN HAT Trump mit Adolf Hitler verglichen. Aber der Vergleich ist ziemlich abwegig.

 

Außer ihrer deutsch-österreichischen Abstammung haben sie nichts gemeinsam. Hitler war kein Milliardär. Er war ein wirklicher Mann aus dem Volk – ein arbeitsloser Niemand, der eine Zeit lang in einem Obdachlosenasyl  lebte.

 

Hitler hatte eine Weltanschauung, eine starre Weltanschauung. Er war ein Fanatiker. Als er an die Macht kam, betrogen die Menschen sich selbst, indem sie glaubten, dass er bald seine demagogischen, radikalen Ideen aufgeben würde. Er tat es nicht. Bis zu dem Tag seines Selbstmords wich Hitler um keinen Deut von seiner Ideologie ab. Zehn Millionen Opfer, darunter Millionen Juden, können das bezeugen.

 

Trump ist kein Hitler. Er ist kein Mussolini, noch nicht einmal Franco. Er ist Trump.

 

Und das mag schlimm genug sein. Vielleicht.

 

Also, schnallen Sie Ihren Sicherheitsgurt an und halten Sie sich fest für die Achterbahnfahrt.

 

(Dt: Inga Gelsdorf, vom  Verfasser autorisiert)