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Eins, zwei -
freut euch!
Uri Avnery ,
6. Mai
2017
DER UNABHÄNGIGKKEITS
Tag dieses Jahres am letzten Dienstag war keine sehr fröhliche
Angelegenheit.
Ich
erinnere mich an die ersten Unabhängigkeitstage kurz nach der Gründung des
Staates Israel. Damals gab es einen spontanen Jubel, wir waren alle auf den
Straßen, die Feier war real.
Das ist
nun lange her. Der Feiertag war gedrückt, ja, sogar traurig. Ältere Personen
empfanden, „dass dies nicht mehr unser Staat war“, dass „sie“ den Staat
gestohlen haben. Mit
„sie“ meint man die Rechten.
Einer
der Gründe mag sein, dass es keine wirkliche
Einheit mehr gibt. Die israelische Gesellschaft ist auseinander gefallen:
in eine Anzahl von
Untergesellschaften, die immer
weniger gemeinsam haben.
Da sind
die Aschkenasim (europäischer Herkunft). Die Mizrahim ( aus arabischen Ländern
und dem Iran, oft irrtümlicher Weise auch Sephardim genannt,
die „Russen“( aus der früheren Sowjetunion, die ein separates Leben
führen), die Haredim (gottesfürchtig, ultraorthodox, keine Zionisten) , die
National-Religiösen, einschließlich der Siedler in den besetzten Gebieten und
faschistische Elemente) und natürlich die palästinensisch-arabische Minderheit,
die mehr als 20% der Bevölkerung
darstellt und die außerhalb von allem lebt).
In
letzter Zeit haben einige der Mizrahim einen fast pathologischen Hass gegen die
Aschkenazim entwickelt, von denen
sie sich verachtet und diskriminiert fühlen.
So
wurden alle Routine-Feiern des Unabhängigkeitstages als geplant beobachtet,
ohne viel Begeisterung und ohne irgendetwas Neues. Das Feuerwerk, der
Flug der Luftwaffe, das Bibel-Quiz, die offiziellen Fackeln von herausragenden
Bürgern angezündet (einschließlich einem Führer der Siedler, der sich durch das
Vertreiben der Araber aus Jerusalem hervortut).
Die
meisten Feiern waren nur bei
Gelegenheiten, um König, Binjamin Netanjahu immer wieder im Fernsehen zu zeigen.
Seine Königin Sarahle bekam auch
das Maß an Publicity, das sie fordert. Weh dem TV-Editor, der Sarahle nicht
gebührlich behandelt!
(Was ist
ihr Verdienst? Nun, sie heiratete Netanjahu, als sie
Stewardess
in einer Luftfahrtslinie war und er nur ein junger Diplomat, zweimal
geschieden.)
ICH LIEBE
keine offiziell verordneten Feiertage und offizielle Tage des Trauerns.
Als die
Nazis in Deutschland an die Macht kamen, war ich neun Jahre alt. Ich hatte den
Eindruck, dass fast jeder zweite Tag ein nationaler Feiertag wurde,
an dem man an einen deutschen Sieg in einem vergessenen Krieg
erinnerte oder an ein Nazi-Ereignis.
Bei
solch einer Gelegenheit wurden alle Jungs (es war nur eine Jungenschule)
an meinem Gymnasium in der Aula versammelt, hörten patriotische Reden an,
hoben den rechten Arm und sangen zwei Nationallieder – die Nationalhymne und das
Nazi-Lied..
Diese
besondere Gelegenheit war im 17. Jahrhundert die Schlacht bei Belgrad, in der
der österreichische Prinz Eugen die Türken besiegte. Ich war der jüngste und
kleinste Schüler in der untersten Klasse und der einzige jüdische Schüler
in der Schule. Ich stand stramm, wie jeder, aber hob meinen rechten Arm nicht
hoch und sang das Nazi-Lied nicht mit. Mein Herz schlug mächtig.
Mein
Klassenlehrer, ein katholischer Priester schützte mich. Ein paar Wochen später
waren wir auf unserm Weg nach Palästina.
Seit
damals liebe ich keine offiziell befohlenen Feiern.
IN ISRAEL
wurden wir vom Glück verwöhnt, vielleicht mehr als in irgendeiner
anderen
Nation der Welt, mit offiziellen Tagen der Freude und der Trauer, einige
nationale und einige religiöse mit kaum einem klaren Unterschied zwischen ihnen.
Nach
meiner Zählung sind es 15 im
jüdischen Jahr, aber ich könnte ein oder zwei vergessen haben.
NEUJAHR,
ein religiöser Feiertag. Er kam vor langer Zeit in einer landwirtschaftlichen
Gesellschaft auf. In Palästina ist der Herbst die Zeit, in der die Natur
erwacht, wie in Europa der Frühling.
YOM
KIPPUR: der heiligste Tag im Judentum, an dem Gott schließlich unser Schicksal
für das nächste Jahr endgültig
entscheidet
SUKKOT,
das Fest der Laubhütten, erinnert an die 40 Jahre der Wanderung durch die Wüste
nach der Flucht aus Ägypten. In der Wüste gab es keine Häuser
SHMINI
ATSERET der achte Tag des Sukkot, als Gott uns die zehn-Gebote gab.
HANUKKAH, das Fest des Lichts, erinnerte
-- an was? Für Nationalisten
war es der Sieg der Makkabäer über die „Griechen“ (tatsächlich die Syrer). Für
die Religiösen ist es ein Wunder: Gott ließ eine Lampe im Tempel acht Tage lang
brennen, obwohl kein Öl mehr drin
war. Jetzt zünden die Juden täglich
während dieser acht Tage Kerzen an.
Der 15.
Tag des Monat Shvat – der Geburtstag der Bäume ehrt alle Pflanzen in unserm
Land.
PURIM—ein lustiger Tag, ähnlich dem Karneval wo anders: Als der Anti-Semit Haman
in Persien dabei war, alle Juden zu töten, gelang es der Königin Esther, den
betrunkenen König Ahasuerus zu
heiraten und überzeugte ihn, den Erlass zu verändern und erlaubte den Juden, all
ihre Feinde zu töten, besonders Haman und seine Söhne.
PASSOVER
ist das Fest, das an den Exodus aus Ägypten erinnert, als Gott den Juden verbat,
wirkliches Brot zu essen und ihnen gebot, Matzen, eine Art Brot ohne Hefe zu
essen.
ZWEITER
PASSOVER-Tag; der letzte Tag der Feste. Dazwischen sind halbe Feiertage.
HOLOCAUST-Tag, der Tag der Trauer für Millionen Juden, die von den Nazis mit
Gas, durch Erschießen, durch
Verhungern oder durch Krankheit getötet wurden. Praktisch jeder Aschkenasi-Jude
hatte Verwandte unter diesen, die ums Leben kamen. Da nur wenige Mizrahi unter
den Opfern war, schafft dies eine Menge Eifersucht.
Der
GEDÄCHTNIS-Tag: in Erinnerung an die Gefallenen in den Kriegen des modernen
Israel. Es sind etwa 23 000, aber dieses Jahr war die Öffentlichkeit erstaunt,
als sie erfuhr, dass diese Zahl auch alle Soldaten einschließt, die bei
Straßenunfällen umkamen oder durch Krankheit.
UNABHÄNIGKEITS-TAG beginnt unmittelbar nach dem Gedächtnistag.
LAG
B’OMER:ein alter landwirtschaftlicher Festtag, der den Sommer ankündigte, aber
verbunden war mit jüdischer Mythologie von mehreren verschiedenen historischen
Ereignissen, wie zum Beispiel die letzte Rebellion gegen Rom, die dem jüdischen
Staat in Palästina ein Ende bescherte. Kinder zünden im ganzen Land Freudenfeuer
an.
SHVUOT:
das Fest des Herbstes, auch ein Fest der Torah.
Der
NEUNTE im MONAT AV: der Tag, an dem der Tempel in Jerusalem zweimal
zerstört wurde, zuerst von den
Babyloniern und Jahrhunderte später von den Römern. Ein Tag der Trauer.
An den
meisten dieser Tage ist fast alles geschlossen. Einige beobachten sogar noch
mehr Tage der Erinnerung von Katastrophen in der Vergangenheit.
Was ist
der Grund für diese starke Vermehrung von Freuden- und Trauertagen?
Viele
Jahrhunderte waren die Juden eine ethno-religiöse Gemeinschaft ohne
territoriales Land. Sie waren keine
Ausnahme. In der byzantinischen und der ottomanischen Zeit waren
Gemeinschaften in dieser Art organisiert. Ein jüdisches Mädchen in
Antiochien (heute Syrien) konnte
einen jüdischen Jungen in Alexandria (Ägypten) heiraten, aber keinen
katholischen Jungen von nebenan. Die Gemeinden waren ziemlich autonom.
Solche
Gemeinschaften verschwanden vor langer Zeit. Die Leute adoptierten neue Formen
der menschlichen Organisation. Aber die Juden hingen an ihren alten
Gewohnheiten. All diese Feier- und heiligen Tage waren nötig, um sie
zusammenzu-halten. Die Juden in
Riga lasen die Pesach-Haggadah in genau derselben Weise am selben Abend wie
Juden in Kapstadt.
Vor etwa
250 Jahren wurden menschliche Gemeinschaften zu Nationen.
All diese Nationen wurden die Norm; Juden wurden immer mehr
„anormal“ und verhasst. Die Gründer des Zionismus entschieden, dass auch
Juden eine Nation werden müssen.
Wie aber
sollte eine religiöse Gemeinschaft in eine moderne Nation verwandelt werden? All
die bedeutenden Rabbiner jener Tage verfluchten den Zionismus und seinen
Gründer, den Wiener Journalisten und Stückeschreiber Theodor Herzl.
Um diesen Widerstand zu überwinden und die Juden nach Palästina zu
locken, adoptierte Herzl die religiösen heiligen Tage und gab ihnen einen neuen
nationalistischen Inhalt.
Dies
sind dann die israelischen Feiertage: Eine Mischung der alten Religion und des
modernem Nationalismus, viele von beidem.
Zu
Beginn des modernen Zionismus mag solch eine Anhäufung heiliger Tage nötig
gewesen sein, um die neue Gesellschaft zusammenzuhalten. Aber jetzt?
WAS IST
daran so schlecht?
Das
Üble daran ist, dass diese Feiertage eine endlose Fortsetzung
von Indoktrination schaffen. Jedes Kind absorbiert die nationale
Geschichte fast von Geburt an. Die Eltern sehen dies so. Im Kindergarten werden
diese Ideen ihren Seelen tief implantiert. In der Schule wird von Fest zu Fest,
von Jahr zu Jahr die Indoktrination vertieft. Das Endergebnis ist eine
Gemeinschaft, die völlig von sich selbst überzeugt ist: halb-religiös und halb
nationalistisch, abgeschnitten von allen anderen Nationen: es fehlen die
universalen Werte.
Ausdrücke wie „die ganze Welt ist gegen uns“ oder „sie
wollen uns alle zerstören“
sind allgemein. Die große Mehrheit der Israelis aller Schattierungen glauben
tief in ihrem Herzen daran.
Vielleicht ist es wahr, dass es keinen wirklich säkularen jüdischen Israeli
gibt. Nimm ein säkulares Exemplar, grabe in seinem Bewusstsein und
man findet die Spuren all dieser heiligen Tage. Nur wenige können dem
entfliehen.
Vielleicht ist der symbolischste Übergang am letzten Montagabend gewesen. Der
Gedächtnistag für die gefallenen Soldaten, verwandelte sich in einen
Unabhängigkeitstag ohne Sirenenton zwischen beiden.
Außerordentliche Freude nach außerordentlichem Trauern ging fast in einander
über. Ein Meisterstück von
emotionaler Manipulation.
Wenn wir
wollen, dass Israel ein normaler Staat wird, muss all dieser Überfluss an
heiligen Tagen in ein paar normale reduziert werden.
(dt.
Ellen Rohlfs vom Verfasser
autorisiert)