Israel Palästina Nahost Konflikt Infos
Uri
Avnery, 19.9.2015
IN DEN
frühen 1950er -Jahren
veröffentlichte ich eine Geschichte von einem Freund. In jener Zeit war der
Staat Israel in ernster Notlage, seine Führer wussten nicht, wie man die
Lebensmittel für den nächsten Monat bezahlen sollte.
Irgendjemand erinnerte daran, dass in einem fernen Teil Afrikas es eine kleine
jüdische Gemeinde gibt, der all die Diamantminen gehörte
und die sehr reich war. Die Regierung
wählte ihren effektivsten Geldbeschaffer und sandte ihn dorthin.
Dem Mann
war klar, dass das Schicksal des Staates auf seinen Schultern ruhte. Er
versammelte die lokalen Juden und hielt ihnen die Rede: Über die Pioniere, die
alles hinter sich gelassen hatten, um nach Palästina zu gehen und die Wüste zum
Blühen zu bringen – mit einer den Rücken brechenden Arbeit und ihren
hochfliegenden sozialistischen Idealen.
Als er
geendet hatte, war im Raum kein Auge mehr trocken. Als der Mann zu seinem Hotel
zurückkehrte, wusste er, dass er
die Rede seines Lebens gehalten hatte.
Und
tatsächlich klopfte am nächsten Morgen eine Delegation der lokalen Juden an
seine Tür. „ Deine Worte ließen uns
fühlen, dass wir ein unwürdiges Leben führen“, sagten sie . „Ein Leben in Luxus
und Ausbeutung. Also entschlossen wir uns einstimmig, die Minen als Geschenk
unseren Arbeitern zu geben, hier alles zurückzulassen, mit dir nach Israel zu
gehen und Pioniere zu werden“.
DAVID BEN GURION
war ein wirklicher Zionist. Er war davon
überzeugt, dass ein Zionist ein Jude war, der nach Israel geht, um dort zu
leben. Selbst ein Präsident der zionistischen Weltorganisation war kein Zionist,
wenn er in New York lebte. Er war in seinen Überzeugungen unerbittlich.
Als er
das erste Mal in die US als Ministerpräsident Israels reiste, wurde er von
seinen Beratern gefragt, welches wohl seine Botschaft sein würde. „Ich werde
ihnen sagen, alles zurückzulassen und nach Israel zu kommen!“ antwortete er.
Seine
Berater waren zu tiefst erschrocken. „Aber Israel braucht ihr Geld!“ riefen sie
aus.“ Ohne das können wir nicht auskommen!“
Eine
Schlacht des Gewissens folgte. Endlich gab Ben Gurion nach. Er ging nach
Amerika, sagte den Juden, dass sie gute Zionisten sein könnten, wenn sie
gegenüber Israel großzügig seien und ihm ihre politische Unterstützung gäben.
Nach dieser Episode war Ben Gurion nie mehr derselbe. Seine Grundüberzeugung war
zerbrochen worden.
Dasselbe
geschah mit dem Zionismus. Er wurde ein zynischer Slogan, der von jedem
benützt wurde, der seine oder ihre Agenda
vor sich herschob. Hauptsächlich wurde es ein Instrument der israelischen
Führung, um das Weltjudentum zu
beherrschen und für ihre
nationalen, parteipolitischen oder
politischen Ziele zu aktivieren.
Um zur
Geschichte zurückzukommen: Es hätte keine größere Katastrophe geben können als
die, wenn das Weltjudentum eingepackt hätte und nach Israel gekommen wäre. Die
ungeheure Macht der organisierten US-Juden, die ihre Order aus Jerusalem erhält,
ist wesentlich für die Existenz des Staates.
ICH DACHTE
über all das nach, als ich übers Wochenende einen provozierenden Aufsatz
von dem bekannten linken israelischen Schriftsteller A.B.Yehoshua las, der
unter den israelischen Top-Schriftstellern fast allein ist: da er kein
Aschkenasi ist. Sein Vater gehörte
zu einer alten sephardischen Familie in Jerusalem, seine Mutter ist
Marokkanerin. Das macht ihn im heutigen Slang zu einem Misrahi (Ein „Östlicher“)
In
seinem Aufsatz macht Yehoshua einen Unterschied zwischen Nationalismus und
Zionismus. Nach ihm sind diese beiden nicht zu einem Begriff verschmolzen, wie
man die Leute in Israel heute glauben lässt, sondern zwei verschiedene Dinge
sind miteinander „verschmolzen“.die in ständigem Konflikt
mit einander sind. „Zionismus spielt eine zweifelhafte Rolle bei dieser
Dualität.
Im
heutigen Israel ist es eine gewagte Theorie, die an Ketzerei grenzt. Im alten
Rom wurden Menschen für weniger verbrannt.
Als ob man sagen würde, dass Gott und Jehova zwei verschiedene Gottheiten
seien. Aber meiner Meinung nach, ist dies eine Konstruktion von überholten
Ausdrücken. Jetzt können wir wagen, viel weiter zu denken. Ist Israels
Nationalismus‘ wirklich mit dem nicht -israelischen Zionismus verschmolzen?
ICH MUSS
den Leser daran erinnern, wie es begonnen hat: die große Idee des Theodor Herzl
hatte nichts mit Zion im buchstäblichen Sinn zu tun.
Ursprünglich wollte Herzl einen Staat der Juden (keinen „jüdischen Staat“) in
Patagonien, im südlichen Argentinien. Die ursprüngliche Bevölkerung war gerade
mehr oder weniger ausgelöscht worden und Herzl dachte, dass dieses leere Land
für eine jüdische Masseneinwanderung geeignet sei, wenn der Rest der
Eingeborenen vertrieben worden ist (aber erst, „nachdem sie alle wilden Tiere
getötet hatten“.)
Als
Herzl, ein völlig assimilierter Wiener Jude, mit wirklichen Juden zusammentraf,
besonders mit Russen, wurde ihm zögerlich klar, dass
nichts außer Palästina in Frage kommen würde. So wurde seine Idee zum
Zionismus. Er liebte Palästina nicht. Er besuchte es nur einmal, als er
praktisch vom romantischen deutschen Kaiser Wilhelm II. dorthin befohlen wurde,
der darauf bestand, ihn in Jerusalem zu treffen (Der Kaiser bemerkte später,
dass der Zionismus eine große Idee wäre, dass „er aber nicht mit Juden zu machen
wäre“) .
Herzls
Idee des Zionismus‘ war ganz einfach: alle Juden der Welt werden in den neuen
Staat kommen, und sie werden die einzigen sein, die Juden zu sich riefen.
Diejenigen, die vorzogen, dort zu bleiben, wo sie sind, würden danach aufhören,
Juden zu sein und schließlich Österreicher, Deutsche, Amerikaner etc. werden.
Ende der Geschichte.
NUN, SO
geschah es nicht. Der Zionismus war
ein viel zu zweckdienliches Instrument für die Politiker – in Israel wie
außerhalb - um auf den Müllhaufen
geworfen zu werden.
Jeder benützt ihn. Die amerikanischen Politiker, die jüdisches Geld brauchen.
Die israelischen Politiker, die sonst nichts zu sagen haben, israelische
Regierungsangestellte aller Farben, die offen die israelischen arabischen Bürger
diskriminieren. Koalitionsmitglieder der Knesset gegen die Opposition.
Oppositionsmitglieder der Knesset gegen die Regierung.
Lasst
Benjamin Netanjahu Yitzhak Herzog, den Führer der Opposition, einen
„Anti-Zionisten“ nennen, und er wird härter dagegen protestieren, als würde er
ihn nur Verräter genannt haben. Anti-Zionist ist schrecklich. Unverzeihlich.
Doch
wenn einer von diesen gefragt worden wäre, was Zionismus
eigentlich ist, die Antwort wäre: Zionismus?
– warum, jeder weiß doch, was Zionismus ist. Was für eine Frage?!
Zionismus ist eh…eh … eh
Auf der
andern Seite des Zaunes ist es nicht viel anders. Jeder klagt den andern als
Zionisten an. Du bist für die Zwei-Staatenlösung?
Ein boshafter zionistischer Plot.
Du willst nicht, dass Israel verschwindet?
Du bist also ein Teil der
weltweiten zionistischen Verschwörung.
Jemanden
einen Zionisten nennen, heißt so viel, wie die Diskussion beenden. Das wäre das
Gleiche, als würde man ihn einen Nazi nennen, nur noch schlimmer. Viel
schlimmer.
Und dann
sind da noch die Übriggebliebenen
des klassischen Antisemitismus‘. Was bleibt von der einst so stolzen Bewegung,
mit der alles begann. Die Leute ,
die Herzl auf den Straßen von Wien und Paris traf, als er zu der logischen
Schlussfolgerung kam, dass Juden im 19. Jahrhundert nicht mehr in Europa leben
können . Diese große antisemitische Bewegung ist vergangen. Nur pathetische
Reste bleiben. Gerade so viel, um Zionisten mit dem nötigen Brennstoff zu
versorgen.
ZIONISMUS ALS
solcher, der wirklich anständige, Gütige
starb einen ehrenhaften Tod in
dem Moment in Tel Aviv, als der Staat Israel gegründet wurde.
(In
jenen Tagen war „Zionismus“ unter
jungen Leuten ein Witz. „Rede nicht Zionismus“
bedeutet „Rede keinen angeberischen Quatsch!“)
Was
bleibt, ist die Ko-Existenz von zwei getrennten Gebilden, nicht wirklich
miteinander verschweißt, die zusammen gebunden sind, um eines Tages
in der Zukunft aus einander zu fallen.
Keiner
von ihnen hat viel mit Zionismus zu tun.
Da ist
die israelische Entität – eine normale Nation (Wenigstens so normal wie jede
andere Nation) Sie hat ein
Vaterland, eine kollektive Mentalität, eine geographische und politische
Realität, wirtschaftliche Interessen, eine Mehrheit mit einer Sprache, interne
Probleme im Überfluss. 75% seiner Bevölkerung, also eine Majorität, sind Juden,
20% Araber. (Der Rest sind Juden, die von den Rabbinern – die solche Dinge in
Israel entscheiden - nicht als
Juden anerkannt werden.)
Und dann
gibt es noch das Weltjudentum. Seine Heimat ist die ganze Welt. Es gehört zu
vielen verschiedenen Nationen, hat
etwas vages allgemeines Interesse (von Antisemiten hervorgerufen)
eine Religion, viele Traditionen. Ein großer Teil engagiert sich für
Israel, ein unbestimmter Teil kann noch unbestimmter werden.
Eine der
Hauptfunktionen des „Zionismus‘“ ist es, dieses Volk vollkommen
unterwürfig unter die Interessen von Israels augenblicklicher (aber
wechselnder) Führung (USA) zu halten. Ohne diese Verbindung müsste Israel von
seinen eigenen politischen, wirtschaftlichen und militärischen Ressourcen leben,
einer weithin reduzierten Existenz.
Die
Bande, die diese beiden Gebilde zusammenhalten (oder nach Yehoshua
„zusammenschweißen“), sind die Religion und die Tradition. In diesen Tagen, wenn
Juden in der ganzen Welt und in Israel dieselben
„Hohem Feiertage“ feiern, ist dies offensichtlich. Die Bande, seit
Jahrhunderten vorhanden, sind sie wirklich
viel stärker, fragt man sich heute. Viel stärker als jene zwischen den
irländisch-Amerikanern und Irland oder zwischen den Singapurer Chinesen und
China? Wie würde dies In einem wirklichen Test aussehen?
Ironisch
genug klingt es, dass der extremste Teil der religiösen Juden - in Jerusalem und
in Brooklyn – den Zionismus als
Sünde gegen Gott von sich weist.
DER WIRKLICHE
Schaden, den die zionistische Umklammerung Israels verursacht, ist
Israels Situation in der Welt.
Die
offizielle Bestimmung Israels als „ein jüdischer und demokratischer Staat“ ist
ein Oxymoron. Ein jüdischer Staat kann wirklich nicht demokratisch sein, da die
Definition den Nicht-Juden – besonders den Arabern -
die Gleichheit verweigert. Aus demselben Grund kann ein demokratischer
Staat nicht jüdisch sein. Er muss für
alle seine Bürger gleich vorhanden sein.
Aber das
Problem liegt tiefer. Israels Bande mit den Juden der Welt sind unendlich viel
enger, als die Bande mit seinen Nachbarn. Man kann seinen Blick
nicht auf New York fixieren und gleichzeitig sehr daran interessiert
sein, was die Menschen in Bagdad, Damaskus und Teheran tun.
Bis
Damaskus und Teheran so nah kommen,
dass man sie nicht mehr übersehen kann, vergeht
einige Zeit. Paradoxer Weise schreien einige Leute in Teheran „Tod der
zionistischen Entität!“ Auf die Dauer ist das, was dort geschieht,
für unsere Zukunft, hundert Mal wichtiger als die Republikanische Partei
in San Francisco.
Lasst es
mich klar sagen: Ich predige keine Trennung wie es früher einmal eine kleine
Gruppe mit dem Spitznamen „Kanaaniter“
gefordert hatte. Die natürlichen Bande, die real sind und die das vitale
Interesse der andern Seite nicht verletzt, werden
Israel helfen, im Weltjudentum zu überleben.
Aber nur
unter einer Bedingung: dass sie nicht die Zukunft Israels verletzen, eine
Zukunft, die Frieden und Freundschaft zwischen ihren Bürgermit ihren Nachbarn
verlangt oder die Zukunft der Juden in
aller Welt mit ihren eigenen Nationen.
Wie
passt das in die zionistische Doktrin? Nun wenn es dies nicht tut, dann zur
Hölle mit der Doktrin!
(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)