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Das Viereck abrunden
Uri Avnery, 16.
April 2016
ICH LIEBE
den Präsidenten des Staates Israel, Reuven (Rubi) Rivlin. Ich liebe ihn sehr.
Das mag etwas
seltsam erscheinen, da er ein Mann der Rechten ist. Er ist ein Mitglied der
Likud-Partei. Er glaubt an das, was man im Hebräischen „das ganze Land von
Israel“ nennt.
Doch ist er
eine sehr menschliche Person. Er ist freundlich und bescheiden. Seine Familie
ist seit vielen Generationen in
Palästina verwurzelt. Er sieht sich selbst als Präsident aller Israelis,
einschließlich der arabischen Bürger.
Ich glaube,
dass er eine geheime Verachtung für Binjamin Netanjah und ähnliche hat.
Wie wurde er zum Präsidenten gewählt‘? Der Präsident Israels wird in
einer geheimen Wahl der Knesset gewählt. Ich habe sehr den Verdacht, dass er
nicht alle Stimmen des Likud
erhielt, aber von den Stimmen der Linken gewählt wurde.
IN DIESER
Woche veröffentlichte Präsident Rivlin einen Friedensplan. Das ist
kein gewöhnlicher Akt des
Präsidenten, dessen Office hauptsächlich zeremoniell ist
Sein Plan
gründet sich auf eine Föderation der zwei „Entitäten“ – eine
zionistisch-jüdische Entität und eine
arabisch-palästinensische.
Er ging nicht
ins Detail. Offensichtlich glaubt er, dass es in diesem Stadium
besser sei, eine allgemeine Idee zu verbreiten und die Leute daran zu
gewöhnen. Dies mag weise sein.
Doch ist es
auch schwierig, den Plan ernsthaft zu beurteilen. Wie die Redewendung es
ausdrückt: der Teufel liegt im
Detail. Es kann ein sehr guter Plan sein oder ein sehr schlimmer. Es kommt auf
die Details an.
Doch die reine
Tatsache, dass Rivlin diese Idee veröffentlicht, ist positiv. Im heutigen Israel
sind Ideen festgefroren. Dies hilft eine Atmosphäre der Resignation, der
Gleichgültigkeit oder gar Verzweiflung
zu schaffen. „Es gibt keine Lösung“ ist eine allgemeine Haltung, die von
Netanjahu unterstützt wird, der die passende Schlussfolgerung für sich
zog: „Wir werden immer mit dem Schwert leben.“
DIE IDEE
einer Föderation ist nicht neu. Ich
selbst habe darüber viel Male nachgedacht. (Ich muss mich deshalb entschuldigen,
wenn ich hier Dinge wiederhole, die ich schon früher erwähnt habe.)
Vor dem
1948er-Krieg glaubten einige von uns, dass die Hebräer und die Araber in diesem
Land in einer neuen gemeinsamen Nation fusionieren könnten. Der Krieg
vernichtete diese Auffassung. Ich
zog die Schlussfolgerung, dass wir in diesem Land zwei verschiedene Nationen
haben und dass jede realistische Lösung sich auf diese Tatsache gründen muss.
Unmittelbar
nach diesem Krieg – anfangs 1949 – traf sich eine kleine Gruppe, um eine Lösung
zu finden. Diese Gruppe schloss
auch einen Muslim und einen Drusen ein.
Sie schuf das, was jetzt die Zwei-Staaten-Lösung im Land
zwischen Mittelmeer und dem
Jordan und vielleicht darüber hinaus genannt wird. Heute ist dies ein
überwältigender Welt-Konsens.
Es war für uns
klar, dass zwei Staaten in einem kleinen Land, wie das unsrige nicht ohne eine
sehr enge Kooperation zwischen ihnen - Seite an Seite - existieren können. Wir
zogen in Erwägung, ob dies eine Föderation genannt werden kann, aber entschieden
uns, dies nicht zu tun, da wir fürchteten, dass dies beide Seiten erschrecken
würde.
Unmittelbar
nach dem !956er-Krieg (in diesem Land sind wir immer „unmittelbar nach dem
Krieg“) bildeten wir eine viel größere Gruppe, die sich „semitische Aktion“
nannte. Sie schloss Nathan Yallin-Mor, den früheren Kommandeur der
(terroristischen) Untergrund-Gruppe Lehi ein, die bei den Briten als die
Stern-Bande bekannt war, auch die
Schriftsteller Boaz und Amos Kenan und andere gehörten dazu.
Wir widmeten ein ganzes Jahr, um ein Dokument
zu erstellen, von dem ich glaube,
dass es bis heute beispiellos ist. Mit diesem stellten wir einen Entwurf
auf für totale Veränderung des Staates Israel und zwar für alle Lebensbereiche.
Wir nannten ihn das „Hebräische
Manifest“.
Das Manifest
schließt eine Föderation zwischen dem Staat Israel und dem Staat Palästina ein
mit den notwendigen gemeinsamen Instituten an der Spitze. Es befürwortete auch
die Schaffung einer „semitischen Konföderation“ aller arabischen Staaten, Israel
und vielleicht auch der Türkei und dem Iran (die keine semitischen Länder sind,
obgleich ihre Religion semitische
Wurzeln hat.)
SEIT DAMALS
kam der Gedanke einer Föderation oder einer Konföderation verschiedene Male auf
und unter verschiedenen Umständen,
hat aber nie Wurzeln gefasst.
Die Ausdrücke
selbst sind ungenau. Was ist der Unterschied zwischen ihnen? In verschiedenen
Ländern haben sie verschiedene Bedeutungen. Russland ist jetzt offiziell eine
Föderation, doch ist nicht klar, welche Rechte die einzelnen Bestandteile haben.
Die Schweiz nennt sich eine Konföderation. Der deutsche Bund ist eine „föderale
Republik“. Die europäische Union ist für alle praktischen Zwecke eine
Konföderation, wird aber nicht so genannt.
Es wird mehr
oder weniger akzeptiert, dass eine „Föderation“ viel mehr eine Union ist als
eine „Konföderation“. Dies wurde durch den amerikanischen Bürgerkrieg klar, als
der „föderale“ Norden gegen die
„konföderalen Südstaaten kämpfte, die versuchten, sich von der Union zu trennen,
die zu eng für ihren Geschmack war.
Aber wie ich sagte, sind diese Termini
sehr liquide. Und sie sind wirklich nicht bedeutend. Es ist die Substanz, die
von Bedeutung ist, und die Substanz variiert notwendiger Weise von Ort zu Ort,
je nach Geschichte und Umständen.
FÜR UNSER Land,
liegt die Schönheit der Idee in der Tatsache, dass sie das Viereck abrundet.
Was
wünschen beide Seiten?
Die Juden
wollen einen jüdischen Staat, einen Staat, der sich auf die jüdische Kultur und
Geschichte gründet, hauptsächlich hebräisch spricht und mit der jüdischen
Diaspora verbunden ist. Außer einer
sehr kleinen Minderheit ist dies eine ideale Allmende (Was ist das?) für alle
jüdischen Israelis. Viele Israelis würden auch gerne das Land vereint behalten
und besonders die Stadt Jerusalem.
Die
Palästinenser wollen endlich einen eigenen freien Staat, in dem sie ihre eigenen
Herren sind, ihre eigene Sprache sprechen, ihre eigene Kultur und Religion
pflegen, befreit von der Besatzung, unter ihrem eigenen Gesetz.
Eine
(Kon-)föderation kann diesen anscheinenden Widerspruch lösen, das Quadrat zu
einen Kreis machen. Es würde beiden Völkern erlauben, in ihren eigenen Staaten
frei zu leben, mit ihren eigenen Identitäten, nationalen Flaggen, National–Hymne
, Regierungen und Fußball-Teams,
während zur selben Zeit die Einheit des Landes gerettet ist und ihre gemeinsamen
Probleme in Einheit und enger Kooperation gelöst werden. Die Grenze zwischen
ihnen wird notwendiger Weise zur
freien Passage von Personen und Waren offen sein.
Ich bin kein
Experte für Nord-Amerika. Aber es scheint mir, dass so etwas wie dies zwischen
den US, Kanada und Mexiko schon existiert (wenigstens bis Donald Trump Präsident
wird) trotz der kulturellen und sozialen Unterschiede zwischen den drei Völkern.
PRÄSIDENT
RIVLIN
sollte mit der Darlegung der Idee nicht zufrieden sein. Er sollte etwas tun,
trotz der Beschränkung seines Amtes.
Ich würde
vorschlagen, dass er auf höchster Ebene eine Konferenz von Experten in seine
Residenz einberuft und damit
beginnt, in die Details zugehen, um herauszufinden, wie dies praktisch aussehen
könnte.
Ich glaube
nicht, dass beide Seiten mit einer „Entity“ zufrieden sein werden. Die jüdischen
Israelis werden die Eigenstaatlichkeit Israels nicht aufgeben, noch
werden die Palästinenser mit irgendetwas das weniger als ein „Staat“ ist.
zufrieden sein.
Vor allem
gibt es das Problem der
Armee. Wird es dann zwei getrennte Armeen geben, mit irgendeiner Form von
Koordination – nicht wie die sehr
ungleiche Beziehung, die jetzt zwischen der israelischen Armee und der
palästinensischen „Sicherheitskraft“ besteht. Kann es eine unitäre Armee geben?
Oder etwas dazwischen?
Das ist sehr schwierig. Viel einfacher
ist das Problem mit der Gesundheit.
Es gibt zwischen den Völkern schon viel Kooperation: arabische Ärzte und
Sanitäter, die in israelischen Kkenhäusern arbeiten, und israelische Ärzte, die
palästinensische Kollegen in den
besetzten Gebieten beraten.
Wie ist es mit
der Bildung? In jedem der zwei Staaten gründet sich
die Bildung natürlich auf ihre eigene Sprache, Kultur, Geschichte und
Traditionen. In jedem Staat müssen die Schüler die Sprache der andern Seite
lernen, so wie die Schweizer Schüler eine der nationalen Sprachen
lernen, eine andere als ihre eigene.
Das genügt
nicht. Auf beiden Seiten müssen die Lehrer weiter gebildet werden und wenigstens
die Grundlagen der Kultur, der Geschichte und Religion der anderen Seite lernen.
Die Schulbücher müssen von den Spuren von Hass befreit werden und ein wahres
objektives Narrativ der Ereignisse der letzten 120 Jahre
geben.
Die Wirtschaft
bietet ernste Probleme. Das durchschnittliche Einkommen eines Israeli ist 20 mal
(ja, das ist kein Fehler. Nicht 120%, sondern „2000%) größer als das
durchschnittliche Einkommen eines Palästinenser in den besetzten Gebieten sein.
Da müsste es eine föderale Anstrengung geben, um diesen
unglaublichen Abstand zu vermindern.
Natürlich kann
nicht alles geplant und verordnet werden. Das Leben wird übernehmen. Israelische
Geschäftsleute, die in Saudi Arabien und im Irak Erfolg haben wollen, werden
sich nach palästinensischen Partnern umschauen und palästinensische Unternehmer
könnten israelische Kompetenz und Kapital anwenden, um Geschäfte im Jemen und
Marokko zu machen. Freundschaften werden geschlossen. Hier und da
werden Misch-Ehen stattfinden. (Nein, Gott verhüte, streich den letzten
Satz aus !!!)
Gegenseitige
Kontakte haben ihre eigene Logik. Wo immer sich Muftis und Rabbiner treffen,
entdecken sie die unglaublichen Ähnlichkeiten zwischen dem Islam und dem
Judentum (viel mehr als zwischen ihnen und dem Christentum). Geld überbrückt die
Kluft zwischen Geschäftsleuten. Akademiker finden eine gemeinsame Sprache.
Da wird es
natürlich immense Schwierigkeiten geben. Und die Siedler? Können die
Palästinenser überzeugt werden, dass einige von ihnen bleiben? Im Gegenzug
können die Israelis erlauben, dass
einige Flüchtlinge zurückkehren? Ich vertraue dem Leben.
ICH KANN
die bedeutende Rolle des Präsidenten Rivlin nicht übertreiben, die er bei all
dem spielt.
Er könnte
Experten in seine Residenz einladen und Gastgeber spielen, und damit ein klares
Signal geben, ohne sich selbst zu kompromitieren.
Die
Diskussionen selbst könnten einen großen geistigen Einfluss haben, die
Atmosphäre verändern, die Hoffnung neu beleben, Optimismus erzeugen.
Rubi Rivlin ist
von Natur ein Optimist – wie ich.
Ohne Optimismus
wird sich nichts zum Besseren verändern.
Der Präsident
kann normalen, anständigen Leuten auf beiden Seiten
zeigen: Ja, das Quadat kann zum Kreis werden!
(Aus dem
Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)