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Uri Avnery, 7. März
2015
PLÖTZLICH ERINNERTE ich mich an etwas.
Ich
hörte der REDE von Benjamin Netanjahu vor dem Kongress der Vereinigten Staaten
zu. Reihe um Reihe von Männern in
Anzügen ( und die singuläre Frau) springt
auf und ab, applaudiert wild und schreit Beifall.
Das
Schreien machte es aus - wo hatte ich
dies schon vorher einmal gehört?
Dann
fiel es mir ein: Es war ein anderes Parlament Mitte der dreißiger Jahre.
Der Führer sprach. Reihe um Reihe der Reichstagsmitglieder hörte
begeistert zu. Alle paar Minuten sprangen sie auf und schrien Beifall.
Natürlich ist der Kongress der Vereinigten Staaten von Amerika nicht der
Reichstag. Die Männer tragen dunkle Anzüge, keine braunen Hemden. Sie schreien
nicht „Heil“, sondern etwas
Unverständliches. Doch der Klang des Schreiens war derselbe.
Ziemlich schockierend.
Doch
dann kehrte ich zurück in die Gegenwart. Der Anblick war nicht beängstigend,
sondern irgendwie lächerlich. Hier waren die Mitglieder des mächtigsten
Parlamentes der Welt. Sie benahmen sich wie ein Haufen
Trottel.
In der
Knesset hätte nichts dergleichen geschehen können. Ich habe keine sehr gute
Meinung über unser Parlament, dessen Mitglied ich einmal war, aber verglichen
mit dieser Versammlung, ist die Knesset die Erfüllung von Platons Traum.
Abba
Eban verglich einmal eine Rede von Menachem Begin mit einem französischen
Souflé-Kuchen: eine Menge Luft und sehr wenig Teig.
Dasselbe
kann von dieser REDE gesagt werden.
Was
enthielt sie? Natürlich den Holocaust mit jenem moralischen Imponiergehabe,
dargeboten von Elie Wiesel, der auf der Empore rechts direkt neben der
freudestrahlenden Sarah’le saß, die
den Triumph ihres Gatten sichtbar
genoss. (Ein paar Tage zuvor hatte sie die Frau eines Bürgermeisters in Israel
angeschrien: „Dein Mann erreicht nicht die Fußknöchel
meines Mannes!“)
Die Rede
erwähnte das Buch Esther. In ihm geht es um die Rettung der persischen Juden vor
dem persischen Minister Haman, der vorhatte, sie auszulöschen. Keiner weiß, wie
diese dubiose Geschichte in die Bibel kam. Gott wird darin nicht erwähnt, mit
dem Heiligen Land hat sie nichts zu tun, und Esther selbst ist eher eine Hure
als eine Heldin. Das Buch endet mit dem Massenmord, den Juden an den Persern
begingen.
Die REDE
enthielt, wie alle Reden Netanjahus, viel über das Leiden der Juden während
aller Epochen und die Absichten der bösen Iraner, der neuen NAZIS, uns zu
vernichten. Aber dies wird nicht geschehen, weil wir diesmal Benjamin Netanjahu
haben, der uns beschützt. Und die US-Republikaner natürlich.
Es war
eine gute Rede. Man kann keine schlechte Rede halten, wenn Hunderte
von Bewunderern an jedem Wort hängen und alle paar Minuten applaudieren.
Doch wird sie in keiner Anthologie der
größten Reden der Welt erscheinen.
Netanjahu betrachtet sich selbst als zweiten Churchill. Und, tatsächlich war
Churchill vor Netanjahu der
einzige ausländische Führer, der vor beiden Häusern des Kongresses ein drittes
Mal redete. Doch Churchill kam, um seine Verbindung
mit dem Präsidenten der US zu festigen, mit Franklin Roosevelt, ohne den
er nicht den 2. Weltkrieg gewonnen hätte, während Netanjahu gekommen ist, um in
des Präsidenten Gesicht zu spucken.
WAS HAT
die Rede nicht enthalten?
Nicht
ein Wort über Palästina und die Palästinenser. Kein Wort über Frieden, die
Zwei-Staatenlösung, die Westbank, den Gazastreifen, Jerusalem. Nicht ein Wort
über Apartheid, die Besatzung, die Siedlungen. Kein Wort über Israels eigene
Atom- Technologien.
Natürlich auch kein Wort über die Idee einer nuklearwaffenfreien Region mit
gegenseitiger Inspektion.
In der
Tat, gab es überhaupt keinen konkreten Vorschlag. Nachdem er den schlechten
Handel, der gerade im Gange ist, denunziert hat und darauf anspielte, dass
Barack Obama und John Kerry Tölpel
und Idioten seien, bot er keine Alternative an.
Warum?
Ich vermute, dass der ursprüngliche Text der REDE eine Menge enthielt.
Verheerende neue Sanktionen gegen den Iran. Eine Forderung der totalen
Zerstörung der iranischen Atomanlagen. Und zuletzt
unvermeidbar einen US-Israelischen Militärschlag.
All dies
wurde ausgelassen. Er war von Obamas Leuten klipp und klar gewarnt worden, dass
die Offenlegung von Details der Verhandlungen als Vertrauensbruch betrachtet
würde. Er war von seinen republikanischen Gastgebern gewarnt worden,
die amerikanische Öffentlichkeit wolle
nichts von einem neuen Krieg hören.
Was
blieb übrig? Eine trockene Aufzählung der bekannten Fakten über die
Verhandlungen. Es war der einzige langweilige Teil der Rede. Minutenlang sprang
keiner auf, keiner schrie Beifall. Elie Wiesel wurde schlafend gezeigt. Die
einzige wirklich bedeutende Person in
der Halle, Sheldon Adelson, der Besitzer der Kongress-Republikaner und
Netanjahus, wurde überhaupt nicht gezeigt. Aber er ist da
und beobachtet seinen Diener genau.
ÜBRIGENS, WAS geschah mit Netanjahus Krieg?
Erinnert
man sich noch daran, als die israelischen Verteidigungskräfte dabei waren, den
Iran in tausend Stücke zu bomben? Als die US-Militärmacht dabei war, alle
iranischen Atomanlagen zu zerstören?
Die
Leser dieser Kolumne mögen sich auch daran erinnern, dass
ich vor Jahren versicherte, dass es keinen Krieg geben würde. Kein Wenn
und kein Aber. Keine halb offene
Hintertür für einen Rückzug. Ich versicherte, dass es keinen Krieg geben würde.
Punkt.
Viel
später sprachen sich alle früheren israelischen Militär-und
Nachrichten-dienstchefs gegen den Krieg aus. Generalstabschef
Benny Gantz, der in dieser Woche seine Amtszeit beendete, hat enthüllt, dass es
nicht einmal einen Entwurf für einen Operationsbefehl gibt, um Irans
Nukleareinrichtungen anzugreifen.
Warum?
Weil solch eine Operation zu einer weltweiten Katastrophe führen würde. Der Iran
würde sofort die Straße von Hormus schließen, die nur wenige Meilen breit ist
und durch die etwa 35% des Erdöls
der Welt verschifft werden. Es würde einen unmittelbaren, weltweiten
wirtschaftlichen Zusammenbruch geben.
Um die
Straße von Hormus zu öffnen und
offen zu halten, müsste ein großer Teil des Iran in einem Landkrieg besetzt
werden. Sogar die Republikaner schaudern bei diesem Gedanken.
Die
israelischen militärischen Fähigkeiten wären für solch ein Abenteuer völlig
unzureichend. Und Israel kann natürlich vom Beginn eines Krieges nicht ohne
ausdrückliches amerikanisches Einverständnis träumen.
Das ist
die Realität. Man kann darüber nicht viele Worte machen. Selbst amerikanische
Senatoren sind in der Lage, den Unterschied zu sehen.
DAS
HERZSTÜCK der Rede war die Dämonisierung des Iran. Der Iran ist das verkörperte
Böse. Seine Führer sind unmenschliche Monster. In der ganzen Welt sind iranische
Terroristen am Werk und planen monströse Terroranschläge. Sie bauen
interkontinentale Raketen mit nuklearen Sprengköpfen, um die USA
zu zerstören. Unmittelbar nachdem sie Atombomben haben
- jetzt oder in zehn Jahren – werden sie Israel auslöschen.
In
Wirklichkeit würde Israel seine Fähigkeit des zweiten Schlages, der sich auf die
von Deutschland gelieferten U-Boote gründet, ausnützen, um den Iran innerhalb
von Minuten zu vernichten. Eine der ältesten Zivilisationen der Weltgeschichte
würde zu einem abrupten Ende
kommen. Die Ayatollas würden
objektiv geisteskrank sein, wenn
sie so etwas täten.
Netanjahu tut so, als ob er dies glaube. Doch seit Jahren hat Israel eine
freundliche, geheime Verhandlung mit der iranischen Regierung über die durch
Israel führende Eilat-Ashkalon-Ölleitung, die von einem iranisch-israelischen
Konsortium gebaut wurde. Vor der islamischen Revolution war
der Iran sogar Israels stärkster Verbündeter in der Region. Nach der
Revolution lieferte Israel dem Iran Waffen, um gegen Saddam Husseins Irak
zu kämpfen (die berüchtigte Iran-Gate-Affäre). Und wenn man bis zu Esther
und ihrer sexuellen Bemühung zurückgeht, um die Juden zu retten, warum sollte
man nicht Cyrus den Großen erwähnen, der den jüdischen Gefangenen erlaubte, nach
Jerusalem zurückzukehren?
Wenn man
die Haltung der gegenwärtigen iranischen Führung beurteilt, so hat sie einiges
von ihrem religiösen Eifer verloren. Sie verhält sich (ohne dies immer
auszusprechen) sehr vernünftig, führt zähe Verhandlungen durch, wie man das von
Persern erwartet, die sich ihres
immensen kulturellen Erbes, das älter ist als das Judentum, bewusst sind.
Netanjahu hat recht, wenn er sagt, man solle ihnen
nicht blindlings vertrauen, aber seine Dämonisierung ist lächerlich.
Innerhalb des weiteren Kontextes sind Israel und der Iran schon indirekt
Verbündete. Für beide ist der Islamische Staat (ISIS) der Todfeind. Meiner
Meinung nach ist ISIS weit
gefährlicher für Israel als - auf Dauer gesehen - der Iran. Ich bilde mir ein,
dass ISIS für Teheran ein weit gefährlicher Feind ist als Israel.
(Der
einzig denkwürdige Satz in der REDE war „ der Feind meines Feindes ist mein
Feind“)
Wenn das
Schlimmste zum Schlimmsten kommt, wird der Iran am Ende seine Bombe haben. Na
und?
Ich mag
ein arroganter Israeli sein, aber ich weigere mich, Angst zu haben. Ich lebe
eine Meile vom israelischen Armeekommando mitten in Tel Aviv entfernt, und bei
einem nuklearen Austausch würde ich evaporieren. Doch
fühle ich mich ganz sicher.
Die US
war Jahrzehnte lang (und immer
noch) den Tausenden russischer Atombomben ausgesetzt, die Millionen innerhalb
Minuten auslöschen könnten. Sie fühlen sich unter dem Schirm des
„Terror-Gleichgewichts“ sicher. Zwischen uns und dem Iran würde in der
schlimmsten Situation dasselbe Gleichgewicht herrschen.
WAS IST
Netanjahus Alternative zu Obamas Politik? Wie Obama schnell betonte, er bot
keine an.
Das
bestmögliche Verhandlungsergebnis wird erreicht werden. Die Gefahr wird um
weitere zehn Jahre hinausgeschoben. Und
wie Chaim Weizman einmal sagte: „Die Zukunft wird kommen und sich um die Zukunft
kümmern.“
Innerhalb von zehn Jahren werden sich viele Dinge ereignen. Regime werden sich
verändern, Feinde werden zu Verbündeten und umgekehrt.
Alles ist möglich.
Sogar
Frieden wird – nach Gottes und der Wähler Willen – zwischen Israel und Palästina
möglich sein und den Stachel aus den israelisch-muslimischen Beziehungen
nehmen.
(Aus dem
Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser
autorisiert)