Israel Palästina Nahost Konflikt Infos
Uri Avnery
12.4.14
ARMER JOHN
Kerry! Diese Woche gab er einen Ton von
sich, der ausdrucksvoller war als Seiten voll diplomatischem Blabla.
In seinem
Zeugnis vor dem Senatskomitee für
ausländische Beziehungen erklärte er, wie die Aktionen der israelischen
Regierung den „Friedens-Prozess“
torpediert hatten. Sie brachen ihr
Versprechen, palästinensische Gefangene zu entlassen und gleichzeitig
verkündeten sie die Vergrößerung
von mehr Siedlungen in Ost-Jerusalem. Die Friedensbemühungen machten
„poof“.
„Pooff“ ist
das Geräusch, wenn einem Ballon die Luft entweicht. Es ist ein guter Ausdruck,
weil der „Friedensprozess“ von Anfang an ein Ballon voll heißer Luft war. Eine
Übung in „Scheinwelt“
JOHN KERRY
kann nicht die Schuld
gegeben werden. Er nahm die ganze Sache sehr ernst. Er ist ein ernsthafter
Politiker, der sich sehr, sehr große Mühe gab, zwischen Israel und Palästina
Frieden zu machen. Wir sollten dankbar sein.
Das Problem
ist, dass Kerry nicht die leiseste Ahnung hatte, in was er sich da eingelassen
hat.
Der ganze
„Friedensprozess“ drehte sich um eine irrtümliche Annahme. Einige würden sagen:
auf einer eigentlichen Lüge.
Nämlich, dass
wir hier zwei Seiten eines Konfliktes haben. Eines ernsten Konfliktes. Eines
alten Konfliktes. Aber ein Konflikt, der gelöst werden
könne , wenn sich auf beiden
Seiten vernünftige Leute
zusammensetzen und es ausdiskutieren würden, von
einem wohlwollenden und unparteiischen Schiedsrichter geleitet.
Nicht ein
Detail dieser Voraussetzungen war real. Der Schiedsrichter war nicht
unparteiisch. Die Führer waren nicht vernünftig
und am bedeutendsten: Die Seiten waren nicht ebenbürtig.
Die
Machtbalance zwischen beiden Seiten ist nicht 1:1, nicht einmal 1:2 oder 1.10.
In jeder materiellen Hinsicht –
militärisch, diplomatisch, wirtschaftlich -
ist es eher wie eins zu tausend.
Es gibt kein
Ebenbürtigkeit zwischen Besatzer und Besetzten, zwischen Unterdrücker und
Unterdrückten. Ein Elefant und eine Fliege können nicht „verhandeln“. Wenn die
eine Seite das totale Kommando über den anderen hat, jede ihrer Bewegungen
kontrolliert, auf ihrem Land siedelt, ihre
Geldbewegung kontrolliert, willkürlich ihre Leute verhaftet, ihren Zugang zur UN
und dem Internationalen Gerichtshof blockiert – dann ist von Ebenbürtigkeit
keine Rede mehr.
Wenn beide
Verhandlungsseiten so extrem ungleich sind, kann die Situation nur durch
einen Vermittler behoben werden, der die schwache Seite
unterstützt. Es ist aber genau das Gegenteil geschehen: der Amerikaner
unterstützte Israel, massiv und
großzügig.
Während der
„Verhandlungen“ tat die US nichts,
um die Siedlungsaktivitäten zu verhindern, die dazu
noch mehr israelische Fakten vor Ort schufen – der Grund und Boden, über dessen
Zukunft gerade die Verhandlungen
liefen.
EINE
GRUNDVORAUSSETZUNG für erfolgreiche Verhandlungen ist, dass alle drei Seiten
wenigstens ein Grundverständnis nicht nur für die Interessen und Forderungen der
anderen Seite haben, sondern sogar mehr von
der geistigen Welt des anderen, seine emotionale Strukturen und sein
Selbstbild kennen Ohne dies sind alle Schritte unerklärlich und sehen irrational
aus.
Boutrous
Boutrous Ghali, einer der intelligentesten Leute, denen ich je in meinem Leben
begegnet bin, sagte mir einmal:“ Ihr habt in Israel die intelligentesten
Experten der arabischen Welt. Sie haben alle Bücher gelesen, alle Artikel, jedes
einzelne Wort, das darüber geschrieben wurde.
Sie wissen alles und verstehen nichts, weil sie nie einen Tag in einem
arabischen Land gelebt haben.“
Dasselbe
trifft auch auf die amerikanischen Experten zu, nur noch viel mehr. In
Washington DC fühlt man die verdünnte Luft eines Himalaja-Gipfels. In den
grandiosen Paläste der Regierung, in denen das Schicksal der Welt entschieden
wird, da sehen fremde Völker klein, primitiv und weithin irrelevant aus. Hier
und da einige wirkliche Experten, die weggesteckt werden, aber keiner fragt
wirklich um Rat.
Der
durchschnittliche amerikanische Staatsmann hat nicht die leiseste Ahnung von
arabischer Geschichte, ihrem Weltbild, ihren Religionen, Mythen oder Traumata,
die die arabische Einstellung
gestaltet, ganz zu schweigen vom palästinensischen Kampf. Er hat keine Geduld
für diesen primitiven Unsinn.
ANSCHEINEND
ist das amerikanische
Verständnis für Israel
viel besser. Aber nicht wirklich.
Die
durchschnittlichen amerikanische Politiker und Diplomaten wissen eine Menge über
Juden. Viele von ihnen sind Juden. Kerry selbst scheint teilweise jüdisch zu
sein. Sein Friedensteam schließt viele
Juden ein, sogar Zionisten, einschließlich des aktuellen Verhandlungsmanager
Martin Indyk, der in der Vergangenheit für AIPAK arbeitete. Selbst sein Name ist
jiddisch (und bedeutet Truthahn).
Die Vermutung
ist, dass sich Israelis
von amerikanischen Juden nicht sehr unterscheiden. Aber das ist völlig
falsch. Die israelische Regierung mag behaupten, der „Nationalstaat des
jüdischen Volkes“ zu sein, aber dies ist nur ein Instrument, um die jüdische
Diaspora auszunützen und Hindernisse für den „Friedensprozess“ zu schaffen. In
der Realität gibt es wenig Ähnlichkeit zwischen Israelis und der jüdischen
Diaspora, kaum weniger als zwischen einem Deutschen und einem Japaner.
Martin Indyk
mag eine gewisse Affinität zu Ziipi Livni empfinden, der Tochter eines
Irgun-Kämpfers (oder Terroristen nach britischer Redeweise), aber das ist eine
Illusion. Die Mythen und Traumata,
die Zipi formten, sind sehr anders als die. die Martin formten, der in
Australien aufgewachsen ist.
Falls Barack
Obama und Kerry mehr wüssten, wäre ihnen von Anfang an klar, dass die
gegenwärtigen israelischen politischen Umstände jede israelische Evakuierung von
Siedlungen, ein Rückzug aus der Westbank
und ein Kompromiss über Jerusalem ganz unmöglich wäre.
ALL DIES
gilt auch für die palästinensische Seite.
Die
Palästinenser sind davon überzeugt, dass sie Israel verstehen. Schließlich sind
sie Jahrzehnte lang unter israelischer Besatzung gewesen. Viele von ihnen haben
Jahre in israelischen Gefängnissen verbracht und perfekt Hebräisch sprechen
gelernt. Aber sie haben im Umgang mit Israelis viele Fehler gemacht.
Der letzte
Fehler war der Glaube, dass Israel den vierten Trupp von Gefangenen entlassen
würde. Dies war fast unmöglich. Alle israelischen Medien, einschließlich der
moderaten, sprechen über die Entlassung von „palästinensischen Mördern“, nicht
von palästinensischen Aktivisten oder Kämpfern. Die Parteien vom rechten
Flügel standen im Wettkampf miteinander und mit
rechten „Terroropfern“, indem sie diese Untat denunzierten.
Die
Israelis verstehen die tiefen Emotionen nicht, die durch die Nicht-Entlassung
der Gefangenen – die nationalen Helden des palästinensischen Volkes
- hervorgerufen werden, obwohl Israel
selbst in der Vergangenheit eintausend palästinensische Gefangene für einen
einzigen Israeli austauschten. Die jüdische Religion verlangt die „Erlösung der
Gefangenen“.
Es ist gesagt
worden, dass Israel ein „Zugeständnis“
dreimal verkauft; einmal, wenn es versprochen wird, sodann, wenn ein offizielles
Abkommen darüber unterzeichnet wird und beim dritten Mal, wenn es tatsächlich
erfüllt wird. Dies geschah, als die
Zeit kam, den 3.Rückzug von der Westbank unter den Oslo-Abkommen, der nie
passierte .
Die
Palästinenser wissen nichts über jüdische Geschichte, wie sie in israelischen
Schulbüchern gelehrt wird, sehr wenig über den Holocaust, noch weniger über den
Zionismus.
DIE LETZTEN
VERHANDLUNGEN begannen als „Friedensgespräche“, fuhren als „Rahmengespräche“ für
weitere Verhandlungen fort, jetzt sind
die Gespräche zu Reden über die Reden über die Reden
degeneriert.
Keiner
will die Farce abbrechen, weil alle drei Seiten sich vor der Alternative
fürchten.
Die
amerikanische Seite fürchtet sich vor einem allgemeinen Angriff auf des
zionistisch-evangelikal-republikanischen Adelson-Bulldozer auf die
Obama-Regierung bei den nächsten Wahlen. Das Außenministerium versucht schon
verzweifelt, sich von Kerrys „Poof“
zurückzuziehen. Er meinte nicht, dass man Israel allein die Schuld geben müsse,
sondern dass ein Fehler auf beiden
Seiten liege. Der Elefant und die Fliege sind gleicherweise zu tadeln.
Wie gewöhnlich
hat die israelische Regierung viele Ängste. Sie fürchtet den
Ausbruch einer dritten Intifada,
verbunden mit einer weltweiten Kampagne der De-legitimation und
des Boykotts von Israel, besonders in Europa.
Es fürchtet
auch, dass die UN, die z.Zt. Palästina nur als ein Nicht-Mitglied-Staat
anerkennt, weitergehen wird und Palästina immer mehr fördert.
Die
palästinensische Führung fürchtet auch eine dritte Intifada, die zu einem
blutigen Aufstand führen kann. Obwohl alle Palästinenservon einer „gewaltfreien
Intifada“ sprechen, glauben nur wenige wirklich daran. Sie erinnern sich daran,
dass die letzte Intifada auch gewaltlos begann, aber die israelische Armee
Scharfschützen einsetzte, die die Anführer der Demonstrationen
erschossen. Mehr Selbstmord –Bombenanschläge wurden unvermeidlich.
Präsident
Mahmoud Abbas (Abu-Mazen) hat auf die Nicht-Entlassung der Gefangenen dadurch
reagiert, dass er im Namen Palästinas 25 Dokumente unterzeichnete, um sich
internationalen Konventionen anzuschließen.
Praktisch
bedeutet der Akt wenig. Eine der Unterschriften bedeutet, dass Palästina sich
der Genfer Konvention anschließt. Eine andere betrifft den Schutz der Kinder.
Sollten wir uns nicht darüber freuen? Aber die israelische Regierung fürchtet,
dass dies ein Schritt näher an der Aufnahme Palästinas
als Mitglied des Internationalen Gerichtshofes bedeute und vielleicht die
Anklage von Israelis wegen Kriegsverbrechen.
Abbas plant
auch Schritte zu einer Versöhnung mit der Hamas und der Durchführung
von palästinensischen Wahlen, um seine
Heimatfront zu stärken.
WENN man nun
der arme John Kerry wäre, was würde man zu all dem sagen?
„Poof“ scheint
das Minimum zu sein.
Aus dem
Englischen: ellen Rohlfs, vom Verfasser
autorisiert