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Es kann auch hier geschehen
Uri Avnery
17. September 2016
ZIONISMUS WAR eine revolutionäre Idee. Er schlägt vor, dass das „Jüdische
Volk“ einen neuen jüdischen Staat im Lande Palästina schafft.
Das
zionistische Projekt war tatsächlich sehr erfolgreich. !948 war die
Embryo-Nation stark genug. einen Staat zu schaffen. Israel wurde geboren.
Wenn
man ein Haus baut, benötigt man ein Gerüst. Wenn der Bau fertig ist, wird das
Gerüst wieder abgebaut.
Aber
politische Ideen und Strukturen sterben nicht einfach. Der menschliche Geist ist
faul und besorgt und klammert sich an die familiären Ideen, lange nachdem sie
obsolet geworden sind.. Politische und materielle Interessen werden fest
begründet in der Idee und widersteht dem Wandel.
So
fuhr der „Zionismus“ fort, zu existieren, nachdem er sein Ziel schon erreicht
hat. Das Gerüst wurde überflüssig, tatsächlich hinderlich.
WARUM
HINDERLICH? Denken wir zum Beispiel an Australien. Es wurde von britischen
Siedlern als eine Kolonie von Großbritannien geschaffen. Die Australier wurden
den Briten tief verpflichtet. Während des 2. Weltkrieges kamen sie zu uns, auf
ihrem Weg für die Briten in Nordafrika zu kämpfen. (Wir liebten sie sehr).
Aber
Australien ist nicht Britannien. Ein anderes Klima, eine andere Geographie, ein
anderer Standort, der andere politische Optionen diktiert.
Wenn
wir das Welt-Judentum als eine Art Mutterland betrachten, wie Britannien für
Australien, dann hätte Israel bei der Geburt die Nabelschnur durchschnitten.
Eine neue Nation. Eine neue Örtlichkeit. Eine andere Nachbarschaft. Andere
Optionen.
Dies
geschah nie. Israel ist ein „Zionistischer“ Staat, oder die große Majorität
seiner Bürger und Führer glauben es. Wer kein Zionist bleiben will, ist ein
Abtrünniger, beinah ein Verräter.
Aber
was verstehen die Israeli unter „Zionismus“? Patriotismus? Vaterlandsliebe?
Nationalismus? Solidarität mit Juden in aller Welt? Oder etwas ganz anderes: die
Idee, dass Israel nicht wirklich seinen Bürgern gehört, sondern allen Juden in
aller Welt?
DIESE
GRUND-Entscheidung ob bewusst oder unbewusst hat weitgehende Konsequenzen.
Israel
ist offiziell und juristisch als jüdischer und demokratischer Staat definiert.
Bedeutet das, dass nicht jüdische Bürger, wie die Araber, nicht wirklich
dazugehören, sondern nur geduldet werden und sollten sich der vollen zivilen
Rechte erfreuen? Bedeutet dies, dass Israel als solches in Wirklichkeit eine
westliche Nation ist, die in den Nahen Osten (ein Westlicher Name) verpflanzt
wurde
Theodor
Herzl, der Gründer der zionistischen Bewegung, wies in seinem fundamentalen
Buch „Der jüdische Staat“ darauf hin, dass wir in Palästina freiwillig als
Außenposten für die westliche Zivilisation gegen die Barbarei dienen. Welche
Barbarei hatte er im Sinn?
Etwa
110 Jahre später drückte ein Ministerpräsident von Israel, Ehud Barak dieselbe
Idee mit anschaulichen Worten aus, als er Israel als „eine Villa im Dschungel“
beschrieb. Noch einmal ist es leicht zu erraten, welche wilden Tiere er meint.
Seit
der Massen-Immigration der orientalischen jüdischen Gemeinden nach Israel (und
anderen Ländern) in den frühen 50iger Jahren, sind sehr wenige jüdische
Gemeinden im Osten geblieben und diese sind sehr klein und erbärmlich. Das
Welt-Judentum liegt konzentriert (oder ziemlich verteilt) im Westen, besonders
in den US.
Die
jüdisch-israelische Verbindung ist für Israel von immenser Bedeutung. Die
herrschende Position der jüdischen Gemeinde in der US-Politik garantiert die
diplomatische Immunität der israelischen Regierung, was auch immer die Regierung
tut und wer auch immer US-Präsident ist (und massive finanzielle militärische
Unterstützung natürlich.)
(Falls
morgen alle US-Juden vom messianischen Eifer ergriffen werden und
en masse nach Israel einwandern, würde
dies für den jüdischen Staat eine schreckliche Katastrophe sein.)
Andrerseits hat die jüdisch-israelische Verbindung Israel tatsächlich zu einem
„Westlichen Außenposten“ gemacht, wie Herzl es vorausgesehen hat und
garantiert, dass der jüdische Staat auf immer mit seinen geographischen
Nachbarn im Krieg sein wird.
„FRIEDEN MIT den Arabern“ ist ein Thema, das in Israel endlos diskutiert wird.
Es ist die Trennungslinie zwischen „Rechts“ und „Links“
Die
vorherrschende Überzeugung ist: „ Frieden würde schön sein. Wir wünschen alle
den Frieden. Leider ist Frieden unmöglich." Warum unmöglich? „Weil die Araber
ihn nicht wünschen. Sie werden keinen jüdischen Staat in ihrer Mitte
akzeptieren . Nicht jetzt und niemals.“
Auf
dieser Überzeugung gründend hat Benjamin Netanjahu seine Bedingung für Frieden
formuliert: Die Araber müssen Israel als einen National–Staat des jüdischen
Volkes anerkennen.
Dies
ist irrsinnig. Gewiss – die „Araber“ müssen den Staat Israel anerkennen. Yasser
Arafat hat dies offiziell und im Namen des palästinensischen Volkes getan am
Vorabend des Oslo-Abkommens. Aber den Charakter des Staates Israel oder sein
Regime zu definieren liegt allein in der Verantwortung der Bürger von Israel.
Wir
erkennen China nicht als kommunistischen Staat an. Wir erkennen die US nicht
als kapitalistisches Land an – noch in der Vergangenheit die US wird nicht als
Weißes Protestantisches Land anerkannt.
Wir erkennen Schweden nicht als ein "schwedisches Land" an. Die ganze Sache ist
lächerlich. Aber keiner wagt innerhalb Israels oder außerhalb Netanjahu das zu
sagen.
Aber in
einem Punkt berührt Netanjahu etwas Fundamentales. Frieden zwischen Israel und
Palästina – und durch Erweiterung, mit der ganzen arabischen und muslimischen
Welt - erfordert einen geistigen Wandel in Israel und in Palästina. Ein Stück
Papier ist nicht genug.
AM
VORABEND des 1948 Krieges, in dem der Staat Israel geboren wurde,
veröffentlichte ich eine Broschüre: „Krieg oder Frieden in der semitischen
Region“. Ich begann mit den Worten:
„Als unsere Väter entschieden, in Palästina eine sichere Heimstätte
aufzubauen, mussten sie zwischen zwei Alternativen wählen:
"Sie konnten in
West-Asien als europäische Eroberer erscheinen, die sich selbst als
Brückenkopf der weißen Rasse und als Meister der Eingeborenen betrachten, wie
die spanischen Konquistadoren und die angelsächsischen Kolonisten in Amerika. So
machten es die Kreuzfahrer zu ihrer Zeit auch.
„Der andere Weg war, sich selbst als ein asiatisches Volk zu sehen das in
seine Heimat zurückehrt...“
Ein
Jahr später, fast am Ende des Krieges wurde ich schwer verwundet. Während ich
im Krankenhaus lag - mehrere Tage ohne zu schlafen oder zu essen - hatte ich
viel Zeit zum Nachdenken, um aus meinen Erfahrungen als Frontsoldat Schlüsse zu
ziehen. Mein Schluss war, dass ein
arabisches palästinensisches Volk existiert, dass dieses Volk
einen eigenen Staat benötigt, und dass
niemals Frieden zwischen ihnen und uns herrschen wird, wenn nicht ein Staat
Palästina neben unserm neuen Staat entsteht.
Das war
der Anfang der „Zwei-Staaten“-Idee , wie es jetzt diskutiert wird. Sie wurde
damals von allen zurück gewiesen – von den Arabern, den USA und der
Sowjet-Union. Und natürlich von den auf einander folgenden israelischen
Regierenden. Golda Meir sagte den berühmten Satz: „So etwas, wie ein
palästinensisches Volk gibt es nicht.“
Heute
ist die Zwei-Staaten-Lösung ein Welt –Konsens geworden. Die meisten Israelis
akzeptieren dies, wenn auch nur theoretisch. Selbst Netanjahu gibt es von Zeit
zu Zeit vor. Aber aus welchen Gründen?
Viele
der neuen Anhänger übernehmen dies als einen guten Weg der „Trennung“. So wie
Ehud Barak („Die Villa im Dschungel“) es definierte. "Sie werden dort sein und
wir werden hier sein“.
Das
wird so nicht gehen. Es wird eine negative Haltung sein. Einige seiner
Anhänger gehen in diese Richtung, weil sie - ganz richtig – fürchten, dass
auf andere Weise Eretz Israel zu Eretz Ishmael, ein bi-nationaler Staat mit
einer arabischen Mehrheit wird. In diesem Gebiet zwischen dem Mittelmeer und
dem Jordanfluss existiert schon eine arabische Mehrheit. Jene, die einen
„Jüdischen Staat" wünschen, sind von der Zwei-Staaten-Lösung angezogen, aber aus
falschen Gründen.
Aber
das Hauptargument gegen diese Art von Denken ist dies: nach einem historischen
Konflikt der schon fast 140 Jahre dauert, ist dies nicht genug, um Frieden zu
schaffen. Man kann nicht einen historischen Frieden erlangen durch eine
Gesinnung von Krieg und Konflikt.
Als ich
im Krankenhaus lag, dachte ich das erste Mal über diese Lösung nach, während
der Krieg noch voll im Gange war. Ich dachte nicht an „Trennung“. Ich dachte
über eine Versöhnung zwischen den beiden Völker nach einem langen, langen
Konflikt, zwei Völker, die Seite an Seite in zwei freien und nationalen
Staaten leben, jeder unter der eigenen Flagge, ohne eine Mauer zwischen ihnen.
In der Tat malte ich mir eine offene Grenze aus mit freier Bewegung für
Menschen und Waren.
Dieses
Land – nenne es Palästina oder Eretz Israel – ist sehr klein. Darin zu leben mit
zwei feindlich gesinnten Staaten würde ein Alptraum sein. Deshalb brauchen
wir eine Art freier Genossenschaft. Man nennt es Konföderation oder
Föderation; es ist eine reine Notwendigkeit. Es aufzurichten und zu erhalten,
benötigt einen Geist der Versöhnung.
Nicht
nur einen negativen Frieden, einen kalten Frieden, die Abwesenheit von Krieg
und gegenseitige Feindschaft , sondern ein positiver Frieden, ein wirklicher
Frieden, bei dem jede Seite die Grundmotive der andern Seite versteht, sein
historisches Narrativ. Seine Hoffnung und seine Ängste.
IST
DIES möglich?
Nun es
geschieht zwischen Deutschland und Frankreich nach vielen Jahrhunderten des
Konfliktes, einschließlich zweier Weltkriege.
Ja, ich
glaube daran, dass es hier geschehen kann.
Nennt
mich einen Optimisten – es gibt schlimmere Schimpfworte.
( dt.
Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)