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Das kleinere /
geringere Übel
Uri Avnery
5. November 2016
WER WIRD
bei den nächsten Wahlen in den USA gewinnen?
Ich weiß
es ziemlich sicher. Es ist nicht nötig, die öffentlichen Meinungsumfragen, das
moderne Equivalent der römischen Interpreten tierischer Eingeweide und die
moderneren Leser des Kaffee-Satzes fragen. Die Umfragen sind nicht weniger
genau.
Der
Gewinner wird die PLE – die Partei des kleineren Übels sein, in diesem Fall, der
Kandidat des kleineren Übels.
Die
Leute werden nicht für jemand wählen, sondern gegen jemand.
Gegen das größere Übel.
Dies ist
ein weltweites Phänomen. In fast allen demokratischen Ländern gewinnt das
geringere Übel.
SEIT DER
Gründung des Staates Israel, 1948, hatten wir 20 Wahlen für das Parlament. Das
Parlament (die Knesset) wählte damals die Regierungen.
Bei fünf
dieser Wahlen stimmte ich für mich -
in drei von ihnen stimmte ich für eine Partei, die von mir geleitet
wurde, in einer Partei, in der ich zu den eröffnenden drei gehörte und in einer
für eine Liste, in der ich den ehrenvollen120. Platz einnahm.
In allen
15 anderen Wahlen stimmte ich für die PLE – die Partei, die ich für das
geringere Übel betrachtete.
Nicht
für eine Partei, die ich liebte. Nicht für eine Partei, die ich bewunderte.
Nicht für eine Partei, die ich für gut ansah. Solch eine Partei gibt es nicht.
Also wählte ich eine Partei, von der ich glaubte, sie würde am wenigsten den
Staat und das Ziel belasten, was ich als vorrangig betrachtete: Frieden mit dem
palästinensischen Volk und der ganzen arabischen und muslimischen Welt.
Der
Auswahl-Prozess ist ganz einfach. Man schreibt vor sich die Namen der
Partei-Listen: in Israel gewöhnlich zwischen 10 und 20. Dann streicht man die
Schlechteste. Und so weiter – bis nur eine übrig bleibt.
Sicher
klingt dies nicht sehr aufregend. Man verlässt das Wahllokal nicht in guter
Stimmung, um in der Straße zu tanzen. Aber man hat seine bürgerliche Pflicht in
sensibler Weise erfüllt.
MAN KANN
sich natürlich dafür entscheiden,
überhaupt nicht zu wählen. Man sagt rechtschaffen zu sich selbst: es sind doch
alle gleich, sie sind alle schlecht, eine rechtschaffene Person wie ich, kann
nicht mit gutem Gewissen für einen von ihnen stimmen.
In
Wirklichkeit ist das eine sehr schlechte Entscheidung. Wenn man nicht für das
geringere Übel stimmt, stimmt man in Wirklichkeit für das allgemein bekannteste
Übel.
Dasselbe
gilt für das amerikanische System. Für einen dritten Wahl-Kandidaten, für
jemanden, der keine Chance hat zu gewinnen, auch wenn er oder sie
freundlich sein mögen, ist schlecht/ nicht gut.
Dies gibt einem wohl ein
gutes Gefühl. Aber in Wirklichkeit bedeutet dies, seine wertvolle Stimme
wegzuwerfen. Es ist – falls du mich entschuldigst – eine Art politischer Onanie.
WAS DIE
Systeme betrifft, bin ich immer ein handfester Verteidiger des israelischen
Systems der proportionalen Vertretungen gewesen. Die Bürger wählen für eine
Partei-Liste. Ehrlich gesagt profitierte ich davon, da keine, die ich leitete
jemals mehr als 2% erreichte. In jener Zeit war das Minimum 1%.
Doch
wenn ich mir jetzt das System im Rückblick ansehe, bin ich mir nicht mehr
sicher. Es tendiert dahin, die Knesset mit „nobodys“ zu füllen. Praktisch
ernennt der Parteiführer alle Kandidaten, die auf der Liste erscheinen und er
füllt sie mit Leuten, auf die er sich bedingungslos verlassen kann.
Der
konsequenteste Praktiker ist Avigdor
Lieberman, der bei jeder Wahl alle Knesset-Mitglieder seiner „Israel ist unser
Heim“-Partei hinauswirft und die Liste
mit neuen Personen füllt, die natürlich total von ihm abhängig
sind. In den zwei größten Parteien gibt
es Vorwahlen, das Ergebnis ist
ähnlich,
Dieses
System ist jetzt degeneriert bis zum Punkt keiner Rückkehr.
In
Wirklichkeit wählen die Bürger einen Parteiführer. Viele der anderen
gegenwärtigen Knesset-Mitglieder verbringen
ihre Zeit mit wilden Bemühungen, die öffentliche Aufmerksamkeit mit immer
monströseren „Initiativen“ auf sich
zu ziehen. Sie sind nur ihrem Parteiführer verantwortlich.
Jetzt
bevorzuge ich das britische System. Dort ist das Land
in Wahldistrikte aufgeteilt; jeder Distrikt wählt ein Parlamentsmitglied.
Das Mitglied bleibt den Wählern und seines oder
ihres Distrikts verantwortlich. Er/sie muss
seine/ihre Hoffnungen, wenn er wieder
gewählt werden will, erfüllen.
Es
stimmt, auch diesen Wahlsystem hat einen großen Fehler: Der Sieger nimmt alles,
alle Stimmen, die andere Kandidaten verloren haben. 45% der Wähler oder mehr
könnten ohne Vertretung
bleiben.
ZURÜCK ZUR
gesegneten ?? USA. Dort ist das Wahlsystem ganz anders.
Die
Wähler wählen indirekt einen Präsidenten – der Erbe der britischen absoluten
Monarchie, die das ganze Land beherrschte, bevor die Republik gegründet wurde.
Die amerikanischen Präsidenten haben immense Macht. Alle anderen
demokratischen Präsidenten und Ministerpräsidenten aus aller Welt können
sie nur beneiden.
In
diesen Wahlen gibt es nur zwei Kandidaten. Die amerikanischen Wähler müssen
zwischen ihnen wählen. Alles andere ist Unsinn.
Bei den
bevorstehenden Wahlen ist weder der eine noch die andere sehr attraktiv. Die
Amerikaner konnten Abraham Lincoln verehren, Franklin Delano Roosevelt
bewundern, John F. Kennedy und seine Frau lieben. Die gegenwärtigen Kandidaten
zeigen keine solchen Gefühle.
Für die
meisten vernünftigen Bürger ist es eine Frage des „geringeren Übels“. Wenn beide
schlecht sind, wer ist der Schlimmere?
Für
mich, einen Bürger eines anderen Landes, ist dies überhaupt keine Frage.
Zuerst
abgesehen von Ansichten des Charakters, besteht die Frage
der Erfahrung. Ich frage mich, hat es jemals einen Kandidaten für die
Präsidentschaft gegeben, der nie ein öffentliches Amt geleitet hat. Weder als
Vice-Präsident noch als Gouverneur
, oder als Senator oder Vertreter,
noch als Hundefänger.
Politik
ist ein Beruf. Sicherlich kein sehr schöner, aber immerhin ein Beruf. Man lernt,
wie Dinge laufen. Wie man Ziele
erreicht. Wie man das System manipuliert, um seine Ideale voranzubringen. Die
Idee, dass man in wenigen Minuten von einem Privatmann zu einem ziemlich
erfolgreichen - ja, zum mächtigsten
Staatsmann in der Welt werden kann, ist grotesk.
Schlechte Erfahrung ist besser als keine Erfahrung. Von einer schlechten
Erfahrung kann man lernen. Von nichts kann man kann man nichts lernen.
Wenn
dies klar ist, können wir versuchen, die Kandidaten zu analysieren.
Hillary
Clinton hat keinen Charme. Ich bin mir nicht sicher, ob ich bei einem Essen
neben ihr sitzen möchte. Aber sie ist kompetent. Sie hat mehr frühere
Erfahrungen als die meisten Kandidaten in der Geschichte. Sie ist mehr oder
weniger eine normale Politikerin. Gut genug.
Dieses
email-Geschäft ??? scheint mir weit übertrieben. ???
Sicher ist es stupid/ töricht. Aber es gibt keine Chance, dass sie dies
wiederholen würde. Die Obsession der amerikanischen Öffentlichkeit wird diesen
Artikel/ Gegenstand scheint mir seltsam. Ich verstehe das Verhalten des
FBI-Direktors. Solche Leute gehören fast
immer zur extremen Rechten.
SEIT EWIGKEITEN
haben Juden nach jeder Diskussion gefragt: „Ist es gut
für die Juden?“ Heute mögen Israelis eine ähnliche Frage stellen: „Ist er
oder sie gut für Israel?“
Nun, das
hängt davon ab, was man denkt, was gut für Israel sei. Bedingungslose
Unterstützung für eine israelische Regierung, die uns in einen nationalen
Selbstmord führt oder Unterstützung für einen israelisch-palästinensischen
Frieden, wie meine Freunde und ich glauben?
Falls
die erste Antwort richtig ist, sind beide Kandidaten annehmbar. Nach dem
unglaublich korrupten amerikanischen Wahlsystem benötigen beide immense Summen
Geld, um ihre Wahlkampagnen zu finanzieren. Aus mehreren Gründen sind jüdische
Milliardäre in der Lage, mehr als andere zu geben.
Trump
empfängt riesige Summen vom jüdischen Kasino-Besitzer Sheldon Adelson, der
Benjamin Netanjahu zu seinem wertvollsten Besitz gehört. Israels größte
Tageszeitung, die Adelson gehört und für nichts/ ohne Kosten verteilt wird, ist
Netanjahu persönlich gewidmet.
Clintons
fünf führende Milliardäre sind jüdisch. Sie wird sich sicher an Barak Obamas
Aktionslinie, hinsichtlich jeder Aktion des Nah-Östlichen Friedens (wenigstens
bis jetzt) halten.
Falls
dies antisemitisch klingt, so ist es dies. Als ich vor kurzem einem Ausländer
die totale Unterwerfung des amerikanischen Kongresses unter die israelische
Regierung erklärte, sagte er bestürzt:„ aber das ist ja wie in den „Protokollen
der Weisen zu Zion“ geschrieben!“
So ist
es. Dieses widerliche Dokument, das von der Geheimpolizei des Zaren vor mehr als
hundert Jahren verfasst/gefälscht
wurde, erzählt von einer jüdischen
Verschwörung, die die Welt des Geldes beherrscht. Nun kontrollieren jüdische
Geldgeber beide Kandidaten für den Präsidenten der führenden Macht der Welt.
Aus
irgendeinem Grund unterstützen all diese Milliardäre die gegenwärtige
israelische Politik, von der ich glaube, dass sie uns in die Katastrophe führt.
Mit dieser Ansicht gibt es nicht viel, das die beiden unterscheidet.
ALLES IN ALLEM
scheint mir Hillary Clinton eine akzeptable, wenn auch nicht ideale Kandidatin
zu sein.
So ist
es nicht bei Donald Trump. Falls er nicht existieren würde, würde es unmöglich
sein, sich ihn vorzustellen.
Wir
wissen jetzt, dass er ein Rassist, ein Hasser der Schwarzen und der Latinos ist,
ein Frauenhasser, ein Hasser der Schwulen, alles in allem, eine garstige Person.
Er
scheint, keine Weltanschauung zu haben, keine erkennbare Anlage auf Werte.
Er ist
ein natürlicher Entertainer. Ich gebe zu, dass ich jetzt seit Wochen, wann immer
ich die Morgenzeitung in die Hände nehme, das erste, wonach ich schaue, die
letzte Trump-Kapriole ist.
Er mag
ein hervorragender Geschäftsmann zu sein. Es wird ihm nachgesagt, dass er schon
mehrfach bankrottging. Aber das mag eine kluge Geschäftstaktik sein. (Ein
jiddischer Scherz spricht von zwei Juden, die ein Partnerschaftsabkommen
aufsetzen und einer von ihnen fügt hinzu „im Fall eines Bankrotts
verlangt er eine Klausel, dass der
Profit gleichmäßig geteilt wird.)
Aber ein
Geschäft zu führen, ist etwas völlig anderes, als ein Land zu führen.
Und zwar nicht irgendein Land. Geschäfte führen keine Kriege. Geschäfte
haben keine nuklearen Waffen.
Trump
könnte ein guter Präsident werden, ein pragmatischer Innovator. Aber das Risiko
ist viel zu groß. Eine Stimme für Trump könnte eine weltweite Katastrophe
verursachen, die auch uns verschlingen könnte.
Wenn du/
man ein amerikanischer Bürger bist, bitte, wähle/wählt
das geringere Übel.
Zusatz
in letzter Minute: Selbst wenn diese Dinge nicht existieren, gibt es für mich
einen Grund, der trumpft alle Trumps.
Ein
Geräusch/ ein Laut, einen Klang .
Ein Geräusch, das ich seit meiner Kindheit in meinen Ohren trage:
Das Geräusch einer hysterischen Menge, die nach jedem Satz des Führers
Beifall schrie.
Nicht
noch einmal!
(dt.
Ellen Rohlfs, vom Verfasser …..