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Rückblick auf Oslo
Uri Avnery, 7.9.13
ISRAEL
LIEBT Gedenktage. Die Medien sind voller Enthüllungen und Erinnerungen an
Gedenkereignisse, Augenzeugen berichten ihre Geschichte zum
zigsten Mal, Fotos füllen die Seiten und TV-Schirme.
In den
kommenden Tagen spielen zwei
Gedenktermine diese Rolle. Der Yom Kippurkrieg
brach zwar erst im Oktober (1973)
aus, aber die Zeitungen und
das Fernsehprogramm sind schon voll davon.
Das
Oslo-Abkommen wurde am 13. September (1993) unterzeichnet. Kaum einer Erwähnung
wert. Es ist fast aus dem nationalen Gedächtnis ausgelöscht worden.
Oslo?
Oslo in Norwegen? Geschah da etwas? Erzähl mir davon.
TATSÄCHLICH IST der das historische
Datum für mich der 10. September. An diesem Tag
tauschten Yitzhak Rabin und Yasser Arafat Briefe der gegenseitigen
Anerkennung aus.
Der
Staat Israel erkannte die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) als
Vertreter des palästinensischen Volkes an, und die PLO erkannte den Staat Israel
an.
Es ist
eine der historischen Errungenschaften von Oslo, dass
möglicherweise heute keiner
mehr die Wichtigkeit dieser gegenseitigen Anerkennung begreifen kann.
Die
zionistische Bewegung zielte
offiziell auf die Schaffung/Errichtung eines
Heimatlandes
für das jüdische Volk in Palästina.
Inoffiziell wollte es Palästina – und zwar das ganze – in einen jüdischen Staat
verwandeln. Da Palästina schon von einem andern Volk bewohnt war,
war die Existenz dieses Volkes – als ein Volk – geleugnet werden.
Da die zionistische Bewegung in ihren eigenen Augen als moralische und
idealistische Bemühung angesehen wurde, war diese Leugnung ein Grundlehrsatz des
zionistischen Glaubens: „Ein Land ohne Volk für ein Volk ohne Land“. Golda Meir
fasste dies in die berühmten Worte, dass „es
so etwas wie ein palästinensisches Volk nicht gebe“. Ich selbst habe
Hunderte vielleicht Tausende von Stunden in meinem Leben verbracht
mit dem Versuch, die israelische
Zuhörerschaft zu überzeugen, dass es wirklich ein palästinensisches Volk gibt.
Und hier
war der Ministerpräsident von Israel, der ein Dokument unterzeichnete, das die
Existenz des palästinensischen Volkes anerkannte und so eines der vier
Hauptpfeiler des Zionismus nach fast hundert Jahren umwarf.
Yasser Arafats Erklärung war nicht
weniger revolutionär. Für jeden Palästinenser war es eine fundamentale Wahrheit,
dass der zionistische Staat das illegitime Kind des westlichen Imperialismus
war. Palästina war ein arabisches Land, das seit vielen Jahrhunderten von
Arabern bewohnt war, bis ein Haufen
ausländischer Siedler es mit Gewalt und Arglist übernahm, die Hälfte seiner
Bevölkerung vertrieb und den Rest terrorisierte.
Und hier
kam der Gründer und Führer der
palästinensischen Befreiungsorganisation und akzeptierte Israel als legitimen
Staat.
Eine
Anerkennung dieser Art kann nicht rückgängig gemacht werden. Es ist eine
Tatsache in den Köpfen von Millionen Israelis und Palästinensern und in aller
Welt. Das ist der grundsätzliche Wandel, der von Oslo aufgebaut wurde.
FÜR DIE
große Mehrheit der Israelis ist
Oslo tot. Die Geschichte ist ganz einfach: wir unterzeichneten ein großzügiges
Abkommen. Und „die Araber“ brachen es, wie sie es immer tun. Wir taten alles
Mögliche für den Frieden, wir ließen den hinterhältigen Arafat ins Land
zurückkommen, gaben ihm Waffen für seine Sicherheitskräfte – und was haben wir
bekommen? Keinen Frieden. Nur terroristische Angriffe.
Selbstmordattentate.
Die
Lektion davon? Die Araber wünschen keinen Frieden. Sie wollen uns ins Meer
werfen. Wie Yitzhak Shamir es einmal treffend bemerkte: „ Die Araber sind
dieselben, und das Meer ist noch dasselbe Meer.“
Für
viele Palästinenser bedeutet die Lektion genau das Gegenteil, Das Oslo-Abkommen
war ein geschickter zionistischer Trick, um die Besatzung in anderer Weise
fortzusetzen. Tatsächlich war die Situation der Palästinenser unter Besatzung
viel schlimmer geworden. Vor Oslo konnten sich die Palästinenser im ganzen Land
frei bewegen vom Mittelmeer bis zum
Jordan, von Nablus bis Gaza, von Haifa bis Jericho, von überallher bis
Jerusalem. Nach Oslo ist dies unmöglich geworden.
WAS ALSO
ist die Wahrheit? Ist Oslo tot? Natürlich nicht.
Die
bedeutendste Errungenschaft des Oslo Abkommens, die Palästinensische Behörde ist
sehr lebendig, auch wenn sie nicht mit Gewalt protestiert.
Man mag
über die Behörde denken, was man will, Gutes oder Schlechtes, aber sie ist da.
Sie wird von der internationalen Gemeinschaft als ein Staat im Werden
anerkannt, der Spenden und
Kapital anzieht. Es ist die sichtbare Verkörperung der palästinensischen
Präsenz.
Trotz
der alles durchdringenden Unterdrückung durch das militärische Besatzungsregime
gibt es eine dynamische, vitale und sich selbst regierende
palästinensische Gesellschaft in beiden Teilen, in der Westbank und im
Gazastreifen, die sich weiter internationaler Unterstützung erfreut.
Andererseits scheint der Frieden weit, weit entfernt.
UNMITTELBAR NACH der Unterzeichnung des Abkommens (die „Prinzipienerklärung“
genannt wurde) auf dem Rasen des Weißem Hauses, riefen wir
in Tel Aviv ein Treffen der Friedenskräfte zusammen, um es zu
diskutieren.
Keiner
von uns hatte Illusionen. Es war kein gutes Abkommen. Arafat nannte es: „das
bestmögliche Abkommen in der schlimmst möglichen Situation.“ Es war kein
Abkommen zwischen Gleichen, sondern zwischen einer starken Militärmacht und
einem kleinen, fast hilflosen besetzten Volk.
Einige
von uns schlugen vor, das Abkommen
auf der Stelle zu verurteilen. Andere, einschließlich mir, akzeptierten es
unter Vorbehalt. „Die einzelnen Paragraphen sind weniger bedeutend“,
sagte ich, „Hautsache ist, die Friedens-Dynamik setzt sich in Bewegung.“
Heute bin ich mir nicht sicher, ob ich Recht hatte,
aber ich bin mir auch nicht sicher, dass ich Unrecht hatte. Es ist noch
nicht heraus, ob es stimmt.
DER
HAUPTFEHLER des Abkommens war, dass sein letztes Ziel nicht festgelegt wurde.
Während es für die Palästinenser ( und viele Israelis) offensichtlich schien,
dass das Ziel klar war: den Weg zwischen dem Staat Israel und die Errichtung des
Staates Palästina und den Frieden zwischen ihm und dem Staat Israel., Aber für
dir israelische Führung war es überhaupt nicht
klar.
Es war
ein Interim-Abkommen – aber Interim
wozu? Wenn man von Berlin nach
Paris fährt, sind die Zwischenstationen sehr unterschieden von jenen, die
man auf der Fahrt von Berlin nach Moskau durchfährt.
Ohne
Abkommen über die Endstation musste bei jeder einzelnen Station unterwegs ein
Streit ausbrechen. Die Einstellung zur Versöhnung kippte schnell in Misstrauen
auf beiden Seiten um. Es wurde fast von
Anfang an verdrießlich.
Man kann
Rabin mit einem General vergleichen, dem es gelungen ist, die Linien
seines Gegners zu durchbrechen. Ein General sollte in solch einer Situation
nicht aufhören, über die Dinge nachzudenken. Er sollte nicht stehen bleiben und
alles, war er hat, in die Bresche werfen. Aber Rabin hielt an, erlaubte allen
Oppositionskräften in Israel, sich
zu sammeln, sich neu zu formieren und einen fatalen Gegenangriff zu beginnen.
Von
Natur war Rabin kein Revolutionär. Im Gegenteil; er war eher ein konserativer
Typ, ein Militär ohne große Phantasie. Durch die Anwendung reiner Logik war er
zu der Schlussfolgerung gekommen, dass es im besten Interesse Israels wäre, mit
den Palästinensern Frieden zu machen (eine Schlussfolgerung, zu der ich
44 Jahre vorher gekommen war, als ich denselben Weg beschritt.) Im Alter
von 70 veränderte er seine ganze
Einstellung. Dafür verdient er großen Respekt.
Aber
einmal dort angekommen, zögerte er. Er hatte „Angst vor seiner eigenen Courage“
(wie die Deutschen sagen). Statt voran zu eilen, feilschte er lang und breit
über jedes Detail, sogar während eine intensiv faschistische Propagandakampagne
gegen ihn ausbrach. Dafür zahlte er mit dem Leben.
WER ALSO
brach das Abkommen zuerst? Ich muss
meine eigene Seite anklagen/ beschuldigen.
Es war
Rabin, der verkündete, „Es gebe keine heiligen Daten“ (worauf ich bemerkte: „Ich
wünschte, meinen Bankmanager könnte er
davon überzeugen) Termine eines
Abkommens nicht einzuhalten, bedeutet
aber dieses Abkommen zu brechen? Der Zeitplan, um eine ernsthafte Verhandlung
für einen Endfrieden zu beginnen, wurde ignoriert, und so wurde natürlich auch
das festgelegte Datum für den Abschluss des Friedens: 1999. Zu jener Zeit dachte
keiner mehr an Oslo.
Eine
andere schicksalhafte Verletzung war das Versäumnis „Vier sichere Passagen“
zwischen der Westbank und dem Gazastreifen einzuführen.
Zu Beginn zeigten Straßenschilder „nach Gaza“ und wurden tatsächlich an der
Straße von Jericho nach Jerusalem aufgestellt, aber keine Passage wurde je
eröffnet.
Die
Folge davon wurde erst viel später deutlich: als Hamas im isolierten
Gazastreifen die Macht übernahm, während die Fatah sich an die Macht in der
Westbank klammerte. Es war „divide et impera“
wie es nicht besser (oder schlechter) hätte sein können.
Nach dem
folgenden Oslo-Abkommen wurde die besetzte Westbank
in vorläufige
Zonen A, B und C geteilt. Die Zone C sollte
unter vollständiger israelischer Kontrolle bleiben. Bald danach wurde
klar, dass die israelischen Militärplaner sich
die Landkarte sehr
sorgfältig ausgedacht haben: die Zone C schloss alle Hauptstraßen ein und die
Örtlichkeiten, die für israelische Siedlungen vorgesehen waren.
Leute,
die sich all dies ausgedacht haben, haben keinen Frieden im Sinn.
Das Bild
ist ganz und gar nicht einseitig. Während der Oslo-Periode hörten
palästinensische bewaffnete Angriffe auf Israelis nicht auf. Arafat hat sie
nicht initiiert, aber er tat auch nichts, um sie zu verhindern. Wahrscheinlich
dachte er, dass diese Nadelstiche die Israelis dahin bringen würden, das
Abkommen zu erfüllen. Sie hatten die gegenteilige Wirkung.
DIE
ERMORDUNGEN von Rabin und Arafat setzten allen Aussichten von
Oslo ein Ende. Aber die
Realität hatte sich nicht verändert.
Die
Erwägungen, die Arafat Ende 1973 zu
dem Entschluss brachten, mit Israel zu verhandeln zu müssen und die Rabin 1993
dahin brachten, mit den Palästinensern zu reden, haben sich nicht verändert.
In
diesem Land leben zwei Nationen, und sie müssen wählen: zusammen zu leben oder
zusammen zu sterben. Ich hoffe, dass sie das Leben wählen.
Eines
Tages werden öffentliche Plätze in Tel Aviv nach diesem Abkommen benannt werden.
Natürlich auch in Oslo.
(aus dem
Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser….