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So ist es geschehen
Uri Avnery, 11.2.2017
NACH MEINEM
letzten Artikel, in dem ich erwähnte, dass die Araber nach der
Teilungsresolution der UN den 1948er-Krieg begonnen haben, erhielt ich mehrere
wütende Briefe.
Die Schreiber, (von denen ich vermute, dass sie erst nach diesen Ereignissen
geboren wurden), klagen die Zionisten an, den Krieg begonnen zu haben, um die
arabische Bevölkerung zu vertreiben.
Da ich an diesen Geschehnissen teil genommen habe – ich war damals 24 Jahre alt
– habe ich das Gefühl, sagen zu müssen,
was wirklich geschah – so wahrhaftig wie möglich. (Ich habe zwei Bücher darüber
geschrieben, eines während des Krieges, eines direkt danach.)
UM DIE
Atmosphäre im Land direkt vor dem Krieg zu beschreiben, lasst mich eine der
großen Momente meines Lebens erzählen.
Im Spätsommer 1947 fand ein Volkstanz-Festival in einem natürlichen
Amphie-Theater in den Carmel-Bergen statt. Etwa 40 Tausend junge Männer und
Frauen waren versammelt – eine sehr große Zahl, da unsere totale Bevölkerung
aus etwa 635 000 Personen bestand.
Zu jener Zeit begann eine Kommission der Vereinten Nationen (UNSCOP) im Land
herumzureisen, um eine Lösung für den jüdisch-arabischen Konflikt zu finden.
Wir schauten uns die Tanzgruppen an - unter ihnen war
auch eine aus einem benachbarten
arabischen Dorf, die die Debka mit solcher Begeisterung tanzte, dass sie nicht
Schluss machen konnte – als die Lautsprecher verkündigten, dass Mitglieder der
UN-Kommission dabei waren, uns zu besuchen.
Spontan standen die Tausenden von jungen Männern und Frauen auf und stimmten
die National-Hymne mit solcher Kraft an, dass das Echo von den Bergen rings um
uns wiederhallten.
Es war das letzte Mal, dass meine Generation versammelt war. Innerhalb eines
Jahres waren Tausende von den damals Anwesenden tot.
DER EMPFEHLUNG
jener Kommission nach, beschloss die General-Versammlung der UN am 29. November
1947 die Teilung Palästinas zwischen einem jüdischen und einem arabischen Staat
- mit Jerusalem als einer separaten Einheit - unter internationaler Herrschaft.
Obwohl das Gebiet, das dem jüdischen Staat zugewiesen wurde, klein war,
realisierte die jüdische Bevölkerung die immense Bedeutung der
Eigenstaatlichkeit. Es war nur drei Jahre nach dem Ende des Holocaust.
Die ganze arabische Welt war gegen diese Lösung. Wie sie es sah, warum sollte
die arabische Bevölkerung von Palästina den Preis für den Holocaust zahlen , der
von Europäern begangen worden war?
Ein paar Tage nach der Resolution wurde ein jüdischer Bus beschossen. Das war
der Anfang der Phase 1 des Krieges.
Um diese Ereignisse zu verstehen, muss man die Situation näher betrachten. Die
beiden Bevölkerungen in diesem Land waren eng mit einander verflochten: In
Jerusalem, Haifa und Jaffa-Tel-Aviv lebten arabische und jüdische Viertel eng
beieinander.
Jedes jüdische Dorf war von arabischen Dörfern umgeben. Jetzt brachen überall
im Lande Schießereien aus. Die Briten waren (als Mandatsmacht) nominal noch
verantwortlich, aber sie versuchten so wenig wie möglich sich zu involvieren.
Die jüdische Untergrund-Organisation, Haganah (Verteidigung) genannt, war
verantwortlich dafür, die Straßen offen zu halten. Jüdischer Verkehr bewegte
sich in Kolonnen, von männlichen und weiblichen Haganah-Mitgliedern verteidigt.
Die weiblichen Mitglieder wurden benötigt, weil sie unter ihrer Kleidung die
illegalen Waffen verstecken konnten.
Die arabische Seite hatte kein zentrales Kommando. Angriffe wurden von
Dorfbewohnern unternommen, viele von ihnen hatten alte Gewehre zu Hause. Da
einige von diesen Fellachen ziemlich primitiv waren, geschahen Gräueltaten.
Unsere Seite rächte sich auf dieselbe Weise. Als Folge davon wurde es ein sehr
schmerzlicher Kampf.
Eine Gruppe von Haganah-Kämpfern, zusammengesetzt aus Universitätsstudenten, die
zur Verteidigung eines jüdischen Siedlungsblockes eilte, wurde aufgelauert und
bis zum letzten Mann getötet. Wir sahen Fotos von ihren abgetrennten Köpfen,
die durch die Straßen vom arabischen Jerusalem getragen wurden.
Die unvermeidliche Strategie der
jüdischen Seite war, dass sie arabische Dörfer entlang den Landstraßen
vertrieben. Jüdischen Dörfern wurde gesagt, sie sollten bleiben, egal wie hoch
der Preis, obwohl ein paar der exponiertesten evakuiert wurden.
Im Februar 1948 evakuierten die Engländer das Tel Aviver Gebiet und dies
wurde dann der Kern des jüdischen Staates. Die Briten verließen gleichzeitig
auch einige dicht gedrängte arabische Gebiete.
Ende März hatten beide Seiten schon schwere Verluste. Nun begann die 2.
Phase.
AM 1. APRIL
wurde meine Kompanie zum improvisierten Hafen von Tel Aviv beordert, um eine
große Schiffsladung sowjetischer Waffen zu empfangen. Ein Jahr zuvor gab es
eine große Überraschung: der Sowjet-Block in der UN hatte angefangen, die
zionistische Seite zu unterstützen. Stalin , so antizionistisch wie man nur sein
konnte, hatte entschieden, dass ein jüdischer Staat in Palästina besser wäre
als eine britische-US-Basis.
Wir verbrachten einen Tag damit, das Fett von den Gewehren zu entfernen, die
von den Tschechen für Hitlers Armee produziert wurden, aber für den 2.
Weltkrieg zu spät kamen. Das war der Beginn der 2. Phase des Krieges.
Das jüdische Viertel von Jerusalem war von arabischen Dörfern auf der Landstraße
abgeschnitten. Unsere Operation – die erste große des Krieges – war, die Straße
zu öffnen.
Eine mehrere Kilometer lange Strecke der Straße verlief durch eine enge Schlucht
mit steilen Hängen auf beiden Seiten, Bab-al-Wad (arabisch Tor des Tales) war
der Schrecken eines jeden Soldaten. Wenn wir von oben beschossen wurden,
mussten wir aus den Fahrzeugen steigen, die Hügel unter Feuer hoch klettern
und oben kämpfen. Keine schöne Aussicht.
Ein riesiger Konvoi von 135 LKWs hatte sich eingefunden, und nun war es unser
Job, ihn nach Jerusalem zu bringen. Meiner Truppe wurde ein LKW mit Käse
zugeteilt und wir versuchten, zwischen den Kisten etwas Deckung zu bekommen.
Wir hatten Glück und fuhren, ohne angegriffen zu werden, durch den Engpass. Wir
kamen an einem Sabbat nach Jerusalem; Massen von religiösen Juden verließen die
Synagogen und empfingen uns mit großer Freude. Es erinnerte an De Gaulles Einzug
in Paris (zufällig nahm ein Fotograf dort ein Foto von mir)
Wir kehrten ohne Schramme zurück. Unser Konvoi war der letzte, der so durchkam
- der nächste wurde angegriffen und musste umkehren. Mehrere kostspielige
Schlachten, um die Straße zu öffnen, die jetzt von irregulären arabischen
Freiwilligen vom Ausland blockiert wurde, schlugen fehl. Wir ein-Hundert Tote.
Die Straße blieb jahrzehntelang geschlossen. Unsre Armee fand einen alternativen
Weg, den wir die Burmastraße nannten, nach dem britischen Weg von Indien nach
China im 2. Weltkrieg.
IN JENER ZEIT
wurde klar, dass die regulären Armeen
der umgebenden arabischen Länder dabei waren, dem Krieg beizutreten. Dies
veränderte den Charakter des Kampfes völlig.
Während der Vorbereitung für die Schlacht säuberte die israelische Armee große
Landstrecken von ihren arabischen Bewohnern, um keine arabischen Konzentrationen
hinter unsern Linien zu lassen. Dies konnte aus taktischer Notwendigkeit
gerechtfertigt werden.
Am 14. Mai verließ der letzte Brite das Land und am nächsten Tag begann die neue
Phase: die regulären Armeen von fünf arabischen Staaten - Ägypten, Jordanien,
Syrien, Irak und der Libanon mit einiger Hilfe von Saudi-Arabien traten dem
Krieg bei. Es waren reguläre Truppen, trainiert und ausgerüstet von ihren
früheren britischen und französischen Oberherren und hatten Artillerie und
Luftwaffen, die uns fehlte.
Auf dem Papier erfreute sich die arabische Seite einer riesigen Übermacht in der
Waffenausrüstung, Ausbildung und (ich bin mir nicht ganz sicher) zahlenmäßig.
Aber wir hatten drei Vorteile: Erstens wussten wir,
dass wir für unser Leben kämpften, ganz
buchstäblich, mit dem Rücken zur Wand. Wir hatten ein vereinigtes Kommando,
während die arabischen Armeen mit einander in Konkurrenz waren und drittens:
hatten die Araber eine tiefe Verachtung für uns. Wer hat je von kämpfenden
Juden gehört? Auch hatten wir den taktischen Vorteil der „Inneren Linien", und
waren so fähig, schnell unsere Truppen von einer Front zur anderen zu bewegen.
Die folgenden Wochen – Phase 3 – sah den verzweifeltsten Kampf des ganzen
Krieges, Schlachten, die an den 1. Weltkrieg erinnerten. Ich sah Schlachten,
in denen fast alle unsere Kämpfer
getötet oder verletzt wurden und ein einsames letztes Maschinengewehr, das
noch feuerte. Es gab Stunden, in denen alles verloren schien.
Aber dann wandte sich langsam das Glück des Krieges. Am Ende dieser Runde
waren wir am Leben und konnten kämpfen.
Phase 4 sah noch einige große Schlachten, ja sogar ein Angriff mit Bajonetten.
Aber unsere Seite roch den Sieg. Es war damals, als die Massenvertreibung der
Bevölkerung aus arabischen Städten und Dörfern offensichtliche Regierungspolitik
wurde. Es war zu diesem Zeitpunkt, als ich schwer verletzt wurde und die
Front verließ.
Als beide Seiten erschöpft waren, endete der Krieg mit einer Reihe von
Waffenstillstandsabkommen, in denen die Grüne Linie definiert wurde, die bis
jetzt die anerkannte Grenze Israels darstellt.
Innerhalb dieser Grenzen blieben sehr wenig Araber übrig. Aber eine fast
vergessene Tatsache ist, dass kein einziger Jude in den von Arabern eroberten
Gebieten blieb. Glücklicherweise waren diese wenigen Gebiete nur klein,
verglichen mit den großen von unsrer Seite eroberten. Der Terminus „ ethnic
cleansing“ (ethnische Säuberung ) war noch nicht erfunden.
DIES SIND die Fakten. Jeder kann sich auf ihnen jede Interpretation und
Ideologie einbilden.
Aber bitte keine Trumpianischen „alternative Fakten.
(dt. Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)