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Divide et impera – Teile und herrsche

 

Uri Avnery, 8. August 2015

BENJAMIN NETANJAHU  ist nicht als klassischer Gelehrter bekannt, doch übernahm er den römischen Leitspruch: Divide et impera, teile und herrsche.

Das Hauptziel – und vielleicht das einzige – seiner Politik ist, die Herrschaft Israels zu erweitern, als den „National-Staat des jüdischen Volkes“ über ganz  Erez Israel, das historische Land Palästina. Dies bedeutet, über die ganze Westbank zu herrschen und dieses mit jüdischen Siedlungen zu bedecken, seinen mehr als 2,5 Millionen arabischen Bewohnern aber die bürgerlichen Rechte zu verweigern.

Ost-Jerusalem mit seinen 300 000 arabischen Bewohnern ist offiziell von Israel schon annektiert worden, ohne ihnen jedoch die israelische Bürgerschaft zu gewähren oder das Recht, an den Knesset-Wahlen teilzunehmen.

Das lässt den Gazastreifen, eine winzige Enklave  mit mehr als 1,8 Millionen arabischen Bewohnern, allein; die meisten von ihnen sind Nachkommen der Flüchtlinge aus Israel. Es ist das letzte, das Netanjahu in das israelische Imperium auch einzuschließen wünscht.

Es gibt einen historischen Präzedenzfall. Nach dem Sinai-Krieg 1956, als Präsident Eisenhower verlangte, dass Israel sofort das ägyptische Territorium, das es erobert hat, zurückgibt, riefen viele Stimmen in Israel dazu auf, den Gazastreifen zu annektieren. David Ben-Gurion weigerte sich unnachgiebig. Er wollte keine Hundert Tausende mehr Araber in Israel. Also gab er auch den Streifen an Ägypten zurück.

Die Annexion von Gaza würde jetzt, während man die Westbank behält, eine arabische Mehrheit im jüdischen Staat schaffen. Stimmt, eine kleine Mehrheit, die aber schnell wächst.

 

DIE BEWOHNER der Westbank und des Gazastreifens gehören zum selben palästinensischen Volk. Sie sind eng durch nationale Identität und Familienbande verknüpft. Sie sind jetzt aber getrennte Entitäten, geographisch durch israelisches Gebiet getrennt, das an seiner schmalsten Stelle  nur etwa 45 km breit  ist.

Beide Gebiete wurden 1967 im Sechstagekrieg besetzt. Viele Jahre konnten sich Palästinenser frei von einem Gebiet zum andern bewegen. Palästinenser aus Gaza konnten in der Bir Zeit-Universität in der Westbank studieren, eine Frau aus Ramallah in der Westbank konnte einen Mann aus Beit Hanoun im Gazastreifen heiraten.

Ironischer Weise wurde die Bewegungsfreiheit 1994 mit dem Oslo-„Friedens“-Abkommen beendet, in dem Israel explizit die Westbank und den Gazastreifen als ein einziges Gebiet anerkannte und vier Passagen zwischen ihnen öffnen sollte. Doch wurde keine einzige je geöffnet.

Die Westbank wird jetzt dem Namen nach von der Palästinensischen Behörde verwaltet, die auch vom Oslo-Abkommen geschaffen wurde und die von der UN  und der Mehrheit der Nationen als Staat Palästina unter israelischer Militärbesatzung anerkannt wird. Sein Führer Mahmoud Abbas, ein enger Kollege des verstorbenen Yasser Arafat, hat sich dem arabischen Friedensplan verpflichtet, der von Saudi-Arabien initiiert wurde und der den Staat Israel in seinen Grenzen von 1967 anerkennt. Keiner zweifelt daran, dass er Frieden wünscht, der sich auf eine Zwei-Staaten-Lösung gründet.

 

1996 WURDEN die allgemeinen Wahlen in beiden Gebieten von der Hamas (arabische Initialen für „Bewegung des islamischen Widerstandes“) gewonnen. Auf israelischen Druck hin wurden die Ergebnisse annulliert. Gewalttätig übernahm die Hamas daraufhin die Kontrolle über den Gazastreifen. Da sind wir jetzt: zwei getrennte palästinensische Entitäten, deren Regierende sich gegenseitig hassen.

Oberflächliche Logik würde der israelischen Regierung diktieren, Mahmoud Abbas zu unterstützen, der sich für den Frieden engagiert, und ihm gegen die Hamas helfen, die wenigstens offiziell sich damit befasst, Israel zu zerstören. Nun das ist nicht unbedingt der Fall.

Es stimmt, dass Israel mehrere Kriege gegen die im Gazastreifen herrschende Hamas geführt hat. Es hat sich aber nicht darum bemüht, es wieder zu besetzen, nachdem es sich 2005  daraus zurück gezogen hat. Netanjahu will, genau so wenig wie Ben-Gurion vor ihm, all diese Araber. Er gibt sich mit einer Blockade zufrieden, die den Gazastreifen „zum größten Freiluft-Gefängnis der Welt“ macht.

Doch ein Jahr nach dem letzten Israel-Gaza-Krieg ist die Region voller Gerüchte über indirekte Verhandlungen, die im Geheimen zwischen Jerusalem und Gaza über einen langen Waffenstillstand („hudna“ auf Arabisch) geht, ja, der sogar an einen inoffiziellen Frieden grenzt.

Wie geht das? Frieden mit dem radikal feindlichen Regime in Gaza, während sie gegen die Friedens-orientierte Palästinensische Behörde in der Westbank opponiert?

Das klingt verrückt, ist es aber nicht. Für Netanjahu ist Mahmoud Abbas der größere Feind. Er zieht die internationale Sympathie an , die UN und die meisten  Regierungen der Welt erkennen seinen Staat Palästina an; er mag auf dem Weg sein, einen wirklich unabhängigen palästinensischen Staat zu errichten, einschließlich Gaza.

Solch eine Gefahr droht nicht vom Hamas-Ministaat in Gaza. Er wird  weltweit, selbst von den meisten arabischen Staaten, als „terroristischer“  Ministaat geächtet. Keiner will ihn anerkennen.

 

SIMPLE PRAGMATISCHE Logik könnte Israel in Richtung Hamas stoßen. Die winzige  Enklave stellt keine wirkliche Gefahr für die israelische Militärmaschine dar, höchstens eine kleine Irritation, der alle paar Jahre mit einer kleinen militärischen Operation begegnet werden kann – wie es während der letzten paar Jahre geschah.

Es würde für Netanjahu logisch sein, mit dem Regime in Gaza einen inoffiziellen Frieden zu machen und weiter gegen das Regime in Ramallah zu kämpfen. Warum die Seeblockade des Gazastreifens aufrecht halten? Warum nicht das Gegenteil tun? Lasst die Gazaner einen Tiefseehafen bauen und ihren wunderschönen internationalen Flughafen wieder aufbauen, (den Israel zerstört hat)? Es würde kein Problem sein, eine Inspektion einzurichten, um den Waffenschmuggel zu verhindern.

Einmal war die Rede davon, Gaza in ein arabisches Singapur zu verwandeln. Das ist eine große Übertreibung, doch der Gazastreifen könnte eine reiche Handelsoase werden, ein Hafen für die Westbank, Jordanien und drüber hinaus.

Dies würde das PLO-Regime in der Westbank in den Schatten stellen, sein internationales Ansehen entziehen und die Gefahr des Friedens abwenden. Die Annexion der Westbank  - die jetzt sogar von den israelischen Linken „Judäa und Samaria“ genannt wird – könnte langsam, zunächst inoffiziell, dann offiziell  fortschreiten. Jüdische Siedlungen würden sich im Land immer mehr verbreiten und am Ende würde nichts außer ein paar kleinen palästinensischen Enklaven bleiben. Die Palästinenser würden ermutigt sein, wegzugehen.

ZUM GLÜCK(für die Palästinenser) ist solch logisches Denken  für Netanjahu und seine Anhänger fremd. Nun zwei Alternativen gegenüberstehend, wählt er keine.

Während er eine inoffizielle Hudna mit der Hamas in Gaza sucht, hält er die totale Blockade über dem Gazastreifen aufrecht. Gleichzeitig verstärkt er die Unterdrückung in der Westbank, wo die Besatzungsarmee jetzt routinemäßig etwa sechs Palästinenser pro Woche tötet.

Hinter dieser Nicht-Logik lauert ein Traum: der Traum, dass am Ende alle Araber Palästina verlassen und uns alleine lassen.

War dies die verborgene Hoffnung des Zionismus von Anfang an? Wenn man seine Literatur beurteilt, ist die Antwort nein. In seiner futuristischen Novelle „Altneuland“ beschreibt Theodor Herzl ein jüdisches Gemeinwesen, in dem Araber glücklich als gleiche Bürger leben. Der junge Ben Gurion versuchte sogar zu beweisen, dass die palästinensischen Araber in Wahrheit Juden seien, die irgendwann keine andere Wahl hatten, als zum Islam überzutreten. Vladimir Jabotinsky, der extremste Zionist und Vorvater der heutigen Likudpartei, schrieb ein Gedicht, in dem er einen jüdischen Staat voraussah, in dem „Der Sohn Arabiens, der Sohn von Nazareth und mein Sohn/ zusammen im Überfluss und glücklich leben werden.“

Doch viele Leute glauben, dass dies leere Worte seien, auf die Realitäten ihrer Zeit eingestellt, dass aber dahinter der grundsätzliche Wille stand, ganz Palästina exklusiv in einen jüdischen Staat zu verwandeln. Dieser Wunsch, so glauben sie, hat unbewusst alle zionistischen Aktionen damals bis heute geleitet.

Diese Situation resultiert jedoch nicht von irgendwelchen diabolischen israelischen Plänen. Israelis planen die Dinge nicht, sie schieben sie vor sich her.

Indem es in zwei sich gegenseitig hassende Entitäten geteilt ist, kollaboriert das palästinensische Volk tatsächlich mit diesem zionistischen Traum. Statt sich gegen einen weit überlegeneren Besatzer zu vereinen, unterminieren sie einander. In beiden Mini-Hauptstädten, Ramallah und Gaza, herrscht nun eine lokale Herrscherklasse, die ein Interesses hat, die nationale Einheit zu sabotieren.

Statt sich gegen Israel zu vereinen, hassen sie sich und kämpfen gegen einander. Die kleine palästinensische Nation in zwei noch kleinere, einander feindliche Gebilde zu teilen, die gegenüber Israel hilflos sind, ist ein Akt  politischen Selbstmords.

Anscheinend hat der israelische Traum des rechten Flügels gewonnen. Das palästinensische Volk, aus einander gerissen und gespalten durch gegenseitigen Hass, ist weit davon entfernt, erfolgreich für Freiheit und Unabhängigkeit zu kämpfen. Dies ist aber eine vorläufige Situation.

Am Ende wird diese Situation explodieren, die palästinensische Bevölkerung, die von Tag zu Tag (von Nacht zu Nacht) wächst, wird wieder zusammen kommen und den Kampf für Freiheit wieder aufnehmen. Wie jedes andere Volk auf Erden werden sie für ihre Freiheit kämpfen.

Deshalb kann das „Teile und herrsche“-Prinzip  sich in eine Katastrophe wandeln. Das wirkliche langfristige Interesse Israels ist, mit dem ganzen palästinensischen Volk Frieden zu machen, das friedlich in einem eigenen Staat und enger Kooperation mit Israel lebt.

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)