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Uri
Avnery, 30.April 2016
NEIN, ES
ist nicht „wir“ und
„sie“.
Nicht
„wir“ - die Guten, die
Moralischen, die Richtigen. Oder, um es plump zu sagen:
die Großartigen. Die Juden.
Und
nicht „sie“ – die Bösen, die Schlimmen. Um es
wieder plump zu sagen: die Verachtenswerten. Ja, die Araber.
Wir, die
von Gott Auserwählten, weil wir so speziell sind.
Sie, die
Heiden, die zu allen möglichen Idolen beten, wie Allah oder Jesus.
Wir, die
heldenhaften Wenigen, die wir uns in jeder Generation gegenüber jenen sehen, die
uns vernichten wollen, aber wir retten uns vor ihren Händen.
Sie, die
vielen Feiglinge, die uns und unsern Staat vernichten wollen und unser Mut
besiegt sie.
Sie –
alle Goyim, aber besonders die Muslime, die Araber, die Palästinenser.
Nein, so
ist es nicht. Überhaupt nicht.
VOR EINIGEN Tagen
sagte Jitzhak Herzog etwas besonders Widerliches.
Herzog,
der Führer der Labor-Partei, der Vorsitzende des „Zionistischen Lager“-Union,
der Chef der Opposition (ein Titel, der automatisch dem Führer der größten
Oppositions-Partei verliehen wird), erklärte, dass seine Partei bei den Wahlen
scheiterte, weil die Leute glauben, dass seine Mitglieder „Araberliebhaber“
seien
Wenn man
dies ins Deutsche übersetzt, mag dies besser verstanden werden. Zum Beispiel,
dass Angela Merkels Partei aus „Juden-Liebhabern“ besteht.
Keiner sagt so. Tatsächlich
darf das keiner sagen. Nicht im heutigen
Deutschland.
Man mag
vermuten, dass Herzog es nicht so meinte, wie es klingt. Sicher nicht in der
Öffentlichkeit. Es entwich nur aus seinem Mund. Er meinte es nicht so.
Vielleicht. Aber ein Politiker, aus dessen Mund solche Wörter kommen, kann nicht
Führer eines großen politischen Lagers sein. Eine Partei mit solch einem
Führer, die ihn nicht am selben Tag hinauswirft, ist nicht wert, das Land zu
führen.
Nicht,
weil er unrecht hat. Es gibt sicher viele Leute, die glauben, dass die
Labor-Partei Mitglieder hat, die „Araberliebhaber“ sind. (auch wenn es keine
Anzeichen dafür gibt, dass sie es sind. Es mag eine geheime Leidenschaft sein.)
Und viele Leute glauben, dass die Labor-Partei
so tief gesunken sei, weil so viele dieses schreckliche Ding glauben. Das
Problem ist, diese Art von Personen würden nie für Labor stimmen, noch weniger
Herzog, sogar wenn sie auf und abspringen und schreien: „Tod den Arabern!“
Und dies
ist noch nicht die wichtigste Sache. Die bedeutendste Tatsache ist, dass
jenseits all der moralischen und politischen Ansichten, diese Wörter decken
einen entsetzlichen Mangel an Verständnis der israelischen Realität auf.
DIE HEUTIGE
israelische Realität bedeutet, dass es nicht die geringste Chance gibt, die
Rechten von der Macht zu beseitigen, wenn sie nicht
einer vereinigten und resoluten Linken gegenüber steht, die sich auf eine
jüdisch-arabische Partnerschaft gründet.
Es gibt
eine demographische Realität. Die arabischen Bürger stellen etwa 20% der
Israelis dar. Um eine Mehrheit ohne Araber zu erreichen, würde die jüdische
Linke 60% der jüdischen Öffentlichkeit benötigen. Das ist ein Hirngespinst.
Einige
träumen vom Zentrum, das die Arbeit der Linken tun könnte. Das ist auch ein
Hirngespinst. Das Zentrum hat keine Kraft, und kein Rückgrat, keine ideologische
Basis. Es zieht die Schwachen und die Sanftmütigen an, jene die sich
zu nichts verpflichten wollen. Die Yair Lapids und die Moshe Kachalons
wie ihre Vorgänger und wahrscheinlich ihre Nachfolger sind wie Schwänze der
Füchs, nicht wie Köpfe von Löwen. Seit den Tagen der Dash-Partei
1977 hängen sie immer die Rechten an. Von dort
kommen sie, dorthin werden sie zurückkehren.
Vorbei
sind die Tage der alten Laborpartei, Mapai mit ihren Schwänzen – der früheren
national-religiösen Partei und der jüdisch-orientalischen Shas-Partei.
Eine
neue große und starke Linke müsste kommen.
Solch
eine Linke, neu, groß und stark, kann nicht entstehen außer auf einer soliden
Basis einer jüdisch-arabischen Einheit. Dies ist kein Traum oder eine
aussichtslose Hoffnung. Es ist eine
einfache politische Tatsache. Nichts Gutes
wird ins Land kommen, es sei denn, auf der Basis der jüdisch-arabischen
Partnerschaft. Diese Partnerschaft machte das Oslo-Abkommen möglich. Ohne die
arabischen Stimmen in der Knesset wäre dieses nicht genehmigt worden.
Solch eine Partnerschaft ist für jeden Schritt in Richtung Frieden
notwendig.
Das
Argument, dass ein Führer „der Araber nicht liebt, ist an sich irrelevant. Es
sagt nur, dass die Person nicht geeignet ist, Israel zu führen. Er wird in
Nichts Erfolg haben, ganz sicher nicht beim Frieden machen.
Ganz zu
schweigen von der Tatsache, dass die Redewendung „die Araber lieben“ kindisch
ist. Wie kann man ein ganzes Volk lieben- oder nicht lieben? In jedem Volk –
einschließlich dem unsrigen – gibt es gute und schlimme Individuen, gutherzige
und üble, freundlich und feindlich gesinnte.
„Araber-Liebhaber“ sind wie „Juden-Liebhaber“ zwei Wörter, die einen
starken antisemitischen Geruch haben, wie jeder Jude weiß.
Ich war
ein Augenzeuge - und Aktionszeuge -
vieler Bemühungen, um eine jüdisch-arabische Partnerschaft in Israel zu gründen,
buchstäblich von den ersten Tagen des Staates an.
Ich habe
schon viele Male (vielleicht zu viele Male) erzählt: unmittelbar nach dem
1948erKrieg war ich Teil einer winzigen Gruppe, die den ersten Plan für eine
„Zwei-Staaten-Lösung“ zusammenstellte. In den 50er-Jahren-nahm ich an
einer Aufstellung eines „Komites gegen die Militärregierung“ teil, eine
jüdisch- arabische Gruppe, die für die Abschaffung des repressiven Regimes
kämpfte, unter dem die arabischen Bürger litten. (Es wurde 1966 abgeschafft).
1948 nahm ich am Aufbau der
„Progressiven Liste für Frieden“ teil, einer arabisch-jüdischen Partei, die zwei
Sitze in der Knesset gewann, einen für einen Araber, einen für einen Juden. Und
es gab zwischendrin viele Bemühungen.
Ich
erwähne sie, um eine erschreckende Tatsache zu illustrieren: während der letzten
30 Jahre ist die Zusammenarbeit zwischen den jüdischen und arabischen
Friedenskräften nicht gewachsen, sondern im Gegenteil: geschrumpft. Es ist ein
ständiger Prozess der Abnahme. Und so ist übrigens auch die Zusammenarbeit
zwischen den israelischen und palästinensischen Friedenskräften.
Dies ist
eine Tatsache. Eine traurige, deprimierende, sogar Verzweiflung-schaffende
Tatsache. Aber eine Tatsache.
WER IST
daran schuld?
Solche
Fragen sind völlig sinnlos, wenn es sich um historische Prozesse geht. Jede
historische Tragöde hat viele Väter. Trotzdem werde ich versuchen, sie zu
beantworten.
Ich
werde gegen mich selbst aussagen: vom Anfang der Besatzung an, seit 1967
reduzierte ich meine Aktivitäten für die jüdisch-arabische Zusammenarbeit
innerhalb Israels, um alle meine Bemühungen dem Kampf für den
israelisch-palästinischen Frieden, für das Ende der Besatzung, für die
Zwei-Staaten-Lösung zu widmen. Auch für die Beziehungen mit Yasser Arafat und
seinen Nachfolgern. All dies schien mir damals wichtiger, als der Streit
innerhalb Israels. Vielleicht war dies ein Fehler.
Die
israelische Linke behauptet jetzt, dass die arabischen Bürger „radikal“ geworden
sind. Die arabischen Bürger argumentierten, dass die jüdische Linke sie betrogen
und vernachlässigt habe. Vielleicht haben beide recht. Die Araber glaubten, dass
die jüdische Linke sowohl im Kampf für den Frieden zwischen den beiden Völkern
als auch in dem Kampf in der Sache der Gleichheit innerhalb des Staates. Die
jüdische Linke glaubt, dass die Äußerungen von Leuten wie die des Scheich Raed
Salah, Knesset- Mitglied Hanin Zuabi und andere, jede Chance der Linken an die
Macht zurück zu- kommen, zerstört.
Beide
haben recht. Vielleicht sollte die Schuld gleichartig verteilt werden, 50 zu 50.
Aber die Schuld der dominanten Gruppe wiegt viel mehr als die Schuld der
Unterdrückten.
Jeder
Tag liefert neue Beweise über die Kluft zwischen den beiden Völkern innerhalb
Israels. Es ist schwierig, das Schweigen der jüdischen Linken in der
Angelegenheit des verletzten Palästinensers der in Hebron von einem jüdischen
Soldaten ermordet wurde. Es ist auch schwierig, die Holocaust-Leugnung, die
unter Arabern wuchert, zu verstehen.
ICH EMPFINDE,
dass diese Kluft immer größer und tiefer wird. Seit Jahren habe ich keinen
ernsthaften Versuch von beiden Seiten gehört, um eine gemeinsame politische
Kraft, ein gemeinsames Narrativ, gemeinsame persönliche und allgemeine
Beziehungen – beides auf einem hohen und niedrigen Niveau.
Hier und
dort initiieren gute Leute kleine Bemühungen. Aber es gibt keine ernsthafte,
nationale, politische Initiative.
Wenn ich
einen Telefonanruf empfangen hätte: „Uri die Zeit ist
gekommen, eine ernst zu nehmende Initiative ist unterwegs. Komm und hilf
uns!“, wäre ich in die Luft gesprungen und hätte gerufen: „ Hier bin ich!“. Aber
es kam kein Telefonanruf.
Er muss
von unten kommen. Keine Initiative von einem alten Mann, sondern eine Bemühung
von jungen Leuten, frisch und entschlossen.
(Die
Alten, wie ich, können mit ihren Erfahrungen, teilnehmen. Aber es liegt
nicht an ihnen, die Initiative zu übernehmen.
SOLCH EINE
Bemühung muss bei null anfangen. Ganz von null an.
Als
Erstes, muss es eine gemeinsame Bemühung sein, von Juden und Arabern, Muslimen
und Christen und Drusen in enger Zusammenarbeit von Anfang an. Nicht dass Juden
die Araber einladen. Nicht dass Araber die Juden einladen. Zusammen eine
untrennbare Verbindung, vom Augenblick des Beginns.
Eine der
ersten Aufgaben ist, im historischen Narrativ überein zustimmen. Nicht ein
künstliches, keine Augenwischerei, sondern real und wahrhaftig, eines das die
Motive der Zionisten berücksichtigt und die der arabischen Nationalisten, die
Grenzen der Führer auf beiden Seiten, die Demütigung der Araber durch den
westlichen Imperialismus, das jüdische Trauma nach dem Holocaust und ja, der
palästinensischen Nakba.
Es ist
sinnlos, hier Fragen zu stellen: „Wer hat recht?“ Solche Fragen sollten nicht
einmal geäußert werden. Beide Völker handelten entsprechend ihren
Umständen, ihrer Not und ihrem Elend, entsprechend ihrem Glauben, ihren
Fähigkeiten. Da gab es Sünden. Viele sogar. Da gab es Verbrechen. Auf beiden
Seiten. Sie müssen erinnert werden. Gewiss. Aber sie dürfen kein Hindernis für
eine bessere Zukunft sein.
Vor
zwanzig Jahren, hat Gush Shalom (die Organisation, zu der ich gehöre) solch ein
gemeinsames Narrativ veröffentlicht, das mit seinen historischen Fakten wahr war
und versuchte, zum Verständnis für die Motive beider Seiten zu ermutigen. Einige
andere sind gemacht worden. Solch eine Bemühung ist unentbehrlich, um eine
intellektuelle und emotionale Basis für eine reale Partnerschaft zu gründen.
Es mag
nicht notwendig sein, eine gemeinsame Partei zu schaffen. Vielleicht ist dies
jetzt nicht realistisch. Vielleicht würde es besser sein, eine permanente
Koalition politischer Kräfte auf beiden Seiten aufzustellen.
Vielleicht sollte ein gemeinsames Schatten-Parlament entstehen, um die
Differenzen in einer regulären und öffentlichen Weise zu diskutieren.
Wahre
Partnerschaft muss persönlich, sozial und politisch sein. Von Anfang an sollte
es das Ziel sein, das Gesicht Israels zu ändern und die Kräfte weg zu schaffen,
die zu einer historischen Tragödie
führen. In andern Worten: die Macht übernehmen.
Zur
selben Zeit sollten persönliche und soziale Brücken gebaut werden – zwischen
Lokalitäten, zwischen Städten, zwischen Institutionen, zwischen Universitäten,
zwischen Moscheen und Synagogen.
WEDER YITZHAK
Herzog noch die Labor-Partei können
diese Bemühung auf der jüdischen Seite anführen. Weder Herzog noch seine Rivalen
in seiner Partei, die seinen Platz übernehmen wollen. (Es scheint, dass die
Labor-Partei keinen Politiker dahin bringt, die Führung anzustreben, es sei denn
er oder sie hat schon einmal in der Vergangenheit völlig versagt.
Was
notwendig ist, ist eine junge energische, innovative neue Führung. Nicht
noch einer dieser jungen Leute, die jetzt auf der politischen Bühne
erscheinen, eine neue kleine Gruppe bilden, eine gute Sache für ein oder zwei
Jahre schaffen und dann verschwinden, als hätte es sie nie gegeben. Was
notwendig ist sind Leute, die bereit sind, zusammen zu arbeiten, eine Kraft
aufbauen, den Staat in eine neue Richtung lenken.
„Araberfreund“? Ja. „Judenfreund“?
Sicher. Aber vor allem ein
Lebens-Freund, ein Friedens-Freund und ein Freund dieses Landes
(Aus dem
Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)