Israel Palästina Nahost Konflikt Infos
Vorbemerkung: Ich schrieb diesen Text am Mittwoch, einen Tag vor Obamas Rede in
Jerusalem. Wie sich herausstellte,
kam ich näher an seine aktuelle Rede, als ich hoffte. Diese Passagen sind fast
identisch. Einige Leser wollen
vielleicht die Texte vergleichen, um zu sehen, was er ausgelassen hat.
LIEBE BÜRGER
Israels,
Ich habe das
Gefühl, ich muss direkt zu euch sprechen, und besonders zu den jungen jüdischen
Leuten unter euch, um euren Verstand zu erreichen und eure Herzen zu berühren.
Um dies zu
tun, verzichtete ich auf die große Ehre, in eurer Knesset zu sprechen, wie meine
Vorgänger es getan haben. Die Knesset ist – wie alle Parlamente – aus Politikern
zusammengesetzt, aber dieses Mal möchte ich direkt zu euch sprechen.
ICH KOMME als
wahrer Freund. Ein wahrer Freund ist verpflichtet, die Wahrheit zu sagen, wie er
sie sieht. Ein wahrer Freund schmeichelt euch nicht. Er verdreht nicht die
Wahrheit, um euch ein gutes Gefühl zu geben.
Ich weiß, wenn
ausländische Präsidenten oder Präsidentinnen euer Land besuchen, fühlen sie sich
verpflichtet, Euch zu sagen, wie wunderbar ihr seid, wie brillant eure Führer,
wie großartig eure Leistungen. Ich denke nicht, dass ein wahrhafter Freund dies
tun muss.
Wenn du
betrunken bist, sagt ein wahrer Freund nicht, nimm das Auto. Ein wahrer Freund
bittet um die Schlüssel für den Wagen.
Wenn du vor
Macht und Erfolg trunken bist, wird ein wahrhafter Freund dich nicht anstacheln,
unverantwortlich zu handeln. Ein wahrer Freund bittet
dich, dich zu beruhigen, nachzudenken, deine nächsten Schritte sorgfältig
abzuwägen.
Das ist heute
mein Ziel.
ICH KANN euch
ehrlich sagen, dass ich den Staat Israel immer bewundert habe, der nur 13 Jahre
vor mir geboren wurde.
Ihr habt einen
lebendigen Staat aus dem Nichts geschaffen. Nur wenige Jahre nach dem
schrecklichen Holocaust, einem der größten Verbrechen in den Annalen der
Menschheit, hat sich dieses Volk aus der Asche erhoben und sich selbst eine
mächtige Präsenz unter den Nationen geschaffen. Ihr habt eine blühende
Demokratie geschaffen. Eure Wissenschaft, Landwirtschaft, High-Tech-Industrie
und all die anderen Errungenschaften auf vielen Feldern haben den Neid vieler
geweckt. Eure militärischen Fähigkeiten werden von allen anerkannt.
Keiner mit
Augen im Kopf kann die großen Ähnlichkeiten der Geschichte unserer beiden
Nationen leugnen. Als kleine Gruppe von Pionieren, von religiöser Verfolgung
getrieben, haben wir uns zu mächtigen Nationen entwickelt. Wider Erwarten haben
wir neue Zivilisationen aufgebaut. Jeder von uns hat eine „leuchtende Stadt auf
dem Berge“ erbaut Wir haben beide Freiheit und Unabhängigkeit in der Mitte eines
schrecklichen Krieges erreicht, der unsere bloße Existenz bedrohte. Wir beide
mussten früher und noch vor kurzem viele andere Kriege kämpfen. Wir beide können
auf unsere Vergangenheit mit Stolz und Genugtuung zurückschauen.
Aber wir beide
wissen genau so, dass diese Geschichte auch dunkle Schatten einschließt. Wir
sind mit dem Volk, das vor uns in unsern Ländern lebte, hart umgegangen. Wir
müssen uns für vieles entschuldigen. Wir sollten das Böse nicht unterdrücken,
während wir das Gute feiern.
OBWOHL VON
Feinden bedroht – wie alle von uns – kann Israel nach vorne in eine glänzende
Zukunft schauen. Doch dunkle Wolken bedrohen diese Aussicht. Einige davon – es
tut mir leid, dies sagen zu müssen – sind Folgen eures eigenen Handelns.
Genau darüber
möchte ich zu euch sprechen.
Während der
letzten vier Jahre habe ich die Ereignisse in diesem Land mit wachsender
Besorgnis verfolgt, in der Tat sogar mit großen Ängsten für eure Zukunft.
Keine Nation -
ob sie groß oder klein ist - kann ohne Frieden gedeihen. Krieg ist der Fluch der
Menschheit. Er vergröbert unsern Geist, konsumiert unsere Ressourcen, verbreitet
Tod und Zerstörung. In unserer Zeit, in der immer mehr tödliche
Massenvernichtungswaffen entwickelt werden, bedroht der Krieg unsere bloße
Existenz.
Dennoch
scheint es unter euch eine seltsame Aversion gegenüber dem Frieden zu geben.
Friedenstifter werden als Feinde angeprangert. Selbst ich bin als „Zerstörer
Israels“ bezeichnet worden, weil ich zu Beginn meiner ersten Amtszeit versuchte,
zwischen euch und euren Nachbarn Frieden zu bringen.
Mir wird
erzählt, dass in eurer letzten Wahlkampagne alle Parteien das Wort „Frieden“
gezielt vermieden haben. Das klingt für mich unglaublich. Ihr braucht Frieden,
vielleicht mehr als jedes andere Volk auf Erden.
Mir wurde auch
erzählt, dass die meisten Israelis, während sie sich nach Frieden sehnen, fest
glauben, dass „Frieden unmöglich sei“. Frieden ist nie unmöglich, wenn
bereitwillige Männer und Frauen ernsthaft um ihn kämpfen.
Die Geschichte
ist voll unerbittlicher Feinde, die nach jahrhundertelangen Konflikten Frieden
machten. Seht euch den Frieden an,
den mein Land mit Deutschland und Japan nach dem schrecklichen Krieg machte, der
vor noch nicht langer Zeit tobte. Seht auf den Frieden zwischen Frankreich und
Deutschland nach vielen Generationen Krieg. Und Israel selbst hat tatsächlich
Frieden mit Deutschland gemacht und lebt mit ihm in Freundschaft – so bald schon
nach der Shoa.
Angenommen,
der Konflikt zwischen euch und dem palästinensischen Volk sei komplexer als
andere – ich sage euch, der Frieden zwischen euch ist nicht nur notwendig – er
ist auch möglich.
FRIEDEN
BEGINNT damit, dass man den Feind als menschliches Wesen ansieht, dass man ihm
in die Augen schaut.
Das sollte
eigentlich für Juden leicht sein. Steht nicht in unsern Heiligen Schriften,
unserm gemeinsamen Erbe, Gott habe alle Menschen nach seinem Bild geschaffen?
Hat nicht euer großer spiritueller Lehrer Hillel euch gesagt, dass die Grundlage
jedes moralischen Verhaltens das ist, dass man dem anderen nicht das antut, was
einem selbst verhasst ist?
Mir wurde auch
gesagt, in letzter Zeit sei eine wachsende Welle von Rassismus unter euch
offensichtlich geworden, es habe sogar
schon Lynchfälle gegeben, viele Jungen und Mädchen verkünden stolz, sie
seien Rassisten.
Ich finde das
unglaublich. Juden? Rassisten? Nach Jahrhunderten als Opfer langer rassistischer
Verfolgung? Kaum ein halbes Jahrhundert nach dem Holocaust?
Ich bin eine
dunkelhäutige Person. Zum Glück haben meine Vorfahren nie das schreckliche Übel
der Sklaverei erlebt. Anders als Millionen Afrikaner wurde meines Vaters Familie
nicht aus dem Dorf ihrer Vorfahren in Kenia gekidnappt. Aber das Üble der
Sklaverei hat sich tief in meine Seele geprägt. Der entsetzliche Anblick des
Lynchens ist noch vor meinen inneren Augen lebendig.
So auch die
Freiheitsmärsche, bei denen entschlossene tapfere, schwarze Leute rassistischem
Mob, Gewehren und scharfen Hunden trotzten. Wir werden auf immer den weißen
jungen Männern und Frauen dankbar sein, die sich diesen Märschen anschlossen,
viele von ihnen waren Juden. Ich kann einfach nicht verstehen, wie ein Jude in
Israel ein Rassist sein und darauf auch noch stolz sein kann. Was
- ums Himmels willen – lernt ihr in euren Schulen?
ICH BIN nicht
hierhergekommen, um euch einen Frieden
aufzuzwingen.
Frieden sollte
nicht aufgezwungen werden. Er sollte aus dem Herzen kommen und
mit dem Verstand gebilligt werden.
Lasst mich ein
paar Dinge mit euch teilen, die mir selbstverständlich scheinen:
Frieden muss
sich hier auf das gründen, was man allgemein als „Zwei-Staaten-Lösung“
bezeichnet. Zwei Staaten für zwei Völker, für die Israelis und
für die Palästinenser.
Es ist nicht
nur die beste Lösung – es ist die einzige Lösung.
Diejenigen,
die andere Lösungen vorschlagen, täuschen sich selbst. Es gibt keine andere
Lösung.
Es muss einen
palästinensischen Staat geben, Seite an Seite mit Israel. Eure Väter und Mütter
wären mit nichts weniger als einem eigenen Staat zufrieden, und die
Palästinenser wollen nichts weniger als genau auch dies. Freiheit und
Unabhängigkeit unter ihrer eigenen Flagge ist das Recht aller Menschen. Ihr
solltet die ersten sein, die das verstehen.
Der Staat
Palästina muss alle palästinensischen Gebiete, die 1967 besetzt wurden,
einschließen. Veränderungen der Grenzen müssen zwischen den beiden Regierungen
abgestimmt werden und die ausgetauschten Gebiete müssen gleich groß sein.
Jerusalem,
diese wunderbare Stadt, in der wir uns jetzt treffen und die mich begeistert,
muss zwischen beiden Völkern geteilt werden. Was arabisch ist, sollte die
Hauptstadt Palästinas, was jüdisch ist, sollte die Hauptstadt Israels werden,
die dann endlich von allen Staaten anerkannt wird.
Die Sicherheit
Israels muss von der Welt abgesichert und garantiert werden, besonders von den
USA. Aber ebenso die Sicherheit Palästinas.
Offensichtlich
können die Millionen palästinensischer Flüchtlinge nicht nach Israel
zurückkehren. Gerechtigkeit kann nicht mit Ungerechtigkeit gegenüber den
gegenwärtigen Bewohnern wieder hergestellt werden. Aber wir müssen eine große
internationale Anstrengung machen, um die Flüchtlinge großzügig zu entschädigen;
und wenigstens einer symbolischen Anzahl sollte erlaubt werden, ihr
Rückkehrrecht in Anspruch zu nehmen.
Diese
Friedensbedingungen liegen seit langer Zeit auf dem Tisch. Die Zeit ist gekommen
- ja längst überfällig – um sie in einen dauerhaften Friedensvertrag
umzuwandeln. Die anderen arabischen Nationen, deren lobenswerter Friedensplan
auch seit vielen Jahren auf dem Tisch liegt, sollten Partner bei dieser
Anstrengung sein.
Meine
Regierung wird die Unterzeichnung einer feierlichen Sicherheitsgarantie als ihre
Pflicht für beide Seiten betrachten.
EIN WORT zu
den Siedlungen.
Die US
haben immer betont, dass sie nach dem internationalen Gesetz illegal
sind. Das ist auch jetzt und immer der Fall.
Diejenigen
Israelis, die nach dem gegenseitig anerkannten Austausch
noch auf palästinensischem Gebiet
bleiben wollen, müssen nach Israel repatriiert werden. So sanft wie möglich. Mit
so viel Mitleid wie möglich. Mit so großzügiger Entschädigung wie möglich. Aber
sie können nicht ohne Erlaubnis der Regierung Palästinas bleiben.
Viele von
ihnen haben sich in den besetzten Gebieten extra deshalb dort angesiedelt, um
den Frieden unmöglich zu machen. Es sollte ihnen nicht erlaubt werden, dieses
Ziel zu erreichen.
ICH BIN heute
– so bald nach der Vereidigung eurer neuen Minister – hergekommen, bevor sich
eure neue Regierung an die Arbeit macht, weil ich eine große Dringlichkeit
empfinde.
Die Zeit
vergeht, die Siedlungen breiten sich aus, die Chancen für Frieden werden
weniger. Deshalb müssen wir jetzt handeln.
Wenn ihr auf
eurem jetzigen Kurs weitergeht, wird eine Katastrophe über Euch kommen. Ihr seid
schon eine Minderheit im Land zwischen Mittelmeer und dem Jordan, und diese
Minderheit wird noch kleiner. Sehr bald werdet ihr vor der Wahl stehen zwischen
einem ruhmreichen Israel, das zu einem ekelhaften Apartheidstaat, einem
Pariastaat unter den Nationen wird - oder einem Staat, der von einer arabischen
Mehrheit regiert wird. Auf jeden Fall wird es das Ende des zionistischen Traumes
sein.
Sagt mir nicht
und sagt auch nicht zu euch selbst, dass ihr da nichts tun könnt.
Ihr seid die
Menschen der Zukunft. Die Zukunft ist euer Leben. Es liegt an euch, euch ein
Leben in Frieden zu sichern.
Ja,
ihr könnt es!!!
(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)