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Netanjahu macht Israel zu einer Demokratieschaft

Abraham Burg

 

 Haaretz 19.8.16

Die Krise der Demokratie in Israel geschieht heimlich. Sie geschieht langsam und ist bedeckt. An einem Tag wird ein bizarres Gesetz verabschiedet, am nächsten Tag wird eine neue Einschränkung verhängt.  Extreme Erklärungen werden gemacht und peinliche Enthüllungen. Einiges verbindet die Punkte zu einer roten Linie. Erst in der Rückschau sehen wir, dass wir eine Reihe roter Linien wie diese überquert haben, rote Linien, die wir nie zu überqueren schwörten.

Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und seine Spießgesellen verwandeln Israel in ein seltsames Regime, das man kaum als Demokratie bezeichnen kann – eine Einmann-Herrschaft und Anarchie, die Herrschaft durch eine Mehrheit, die nicht regiert, weitgehende Freiheit des Ausdrucks, was Rassismus und Religiosität betrifft, während ein liberaler Ausdruck eingeschränkt ist. Religiöser und nationalistischer Fundamentalismus durchdrang immer mehr die Reihen der Armee und das Rechtssystem, während die Presse und die Nichtregierungsorganisationen begrenzt sind. Dabei haben wir noch nicht einmal die  Negation der Rechte der halben Bevölkerung erwähnt, die unter israelischer Herrschaft zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer lebt.

Die Opposition trägt auch Verantwortung für die Erosion der Demokratie. In einer richtigen Demokratie gibt es eine Regierung und eine Opposition. So lange wie die Regierung funktioniert, kann sie wieder gewählt werden. Wenn diese aber versagt, ist die Opposition mit Alternativen bereit. Doch wenn es keine Opposition gibt und keine besseren Alternativen, ist die einzige Alternative zum Versagen der Regierung Verzweiflung.

Seit Mitte der 80iger-Jahre hat Israel keine oppositionelle Alternative zur Regierung gehabt. Es gibt  eine Regierung und es gibt Leute, die sich der Regierung anschließen wollen. Ist es da ein Wunder, dass die Situation so schlecht aussieht? Jeder scheint gebannt am Fernseher zu surfen, zu plaudern oder Pokermon Go spielen, sie machen alles Mögliche nur nicht Politik.

Seitdem sich die Opposition kategorisch weigert, ihre substantielle Aufgabe zu erfüllen, warum sich dann nicht besser mit Spielen beschäftigen, als sich der Verzweiflung hingeben. Es ist noch nicht alles verloren. Liebe Opposition, ersetzt euer Betriebssystem! Stellt euch eine wirkliche Krise vor,  so etwas wie ein politischer Mord, ein gewalttätiger Staatsstreich, die Errichtung eines halachisch religiösen Staates, einige mega-terroristische Angriffe von Juden auf dem Tempelberg oder irgendein Horror, der euch gefällt. Dann handelt.

Eine echte Opposition würde den Diskurs ergreifen und nicht auf ein paar Internetposter reagieren. Sie sollte Netanjahu Grenzen setzen, nicht das Gegenteil tun. Und sagt mir nicht, das kann nicht gemacht werden. Hundert Tausende Demonstranten gingen  im Sommer 2011 auf die Straße ohne Organisation und dies hatte Wirkung, die heute noch Wellen schlägt. Nehmen wir an, die Opposition kämpft, um die Demokratie zu retten. Nehmen wir an, dass sie die Krise auf der Ebene der Emotion (und der Angst) bekämpft, als ob es der Iran wäre oder Terrortunnels oder eine andere Netanjahu-Phobie. Macht das zum Haupt-Thema.

In der Schlacht um Demokratie sollten sie kämpfen und zwar so, dass sie es ernst meinen. Geht nicht harmlos in das Knesset-Plenum, stimmt nicht über Gesetze ab und nehmt nicht an Diskussionen teil: lasst sie allein abstimmen. Lasst es die einzige Demokratie im Nahen Osten und der Welt sein, die nur vom rechten Flügel angeführt wird. Lasst es kristallklar sein, dass diese ganze Gesetzgebung eine feindselige Übernahme  der Mehrheit über alles ist.  Schafft eine „Schatten-Knesset“ in der ihr parallele Diskussionen führt.  Gewährt Rassisten, Gangstern und Dieben keine Druckerlaubnis.  Wenn sie versuchen, lästige Knesset-Mitglieder los zu werden, dann soll die ganze Opposition den Saal verlassen, so dass keiner ihre Plätze einnimmt. Falls diese Botschaft nicht verstanden wird und die chauvinistische Dampfwalze weiterrollt, macht den nächsten Schritt. Boykottiert die Wahlen – keine Oppositionspartei wird teilnehmen. Und schließlich gibt es ja immer noch die allgemeine Öffentlichkeit – ein gewaltfreier ziviler Aufstand.

Eine Rebellion gegen Steuern und den Reservedienst in der Armee. Wer unsere Rechte nicht will, will auch keine Pflichten. Und versteckt euch nicht hinter dem sinnlosen Argument, dass solche Aktionen die Demokratie zerstören. Manchmal müssen Dinge zerbrochen werden, um wieder aufgebaut zu werden. Bis ihr das Antibiotikum werdet, das heilt, werdet ihr ein Teil des Eiters sein. Der Kampf wird kein leichter sein. Einige von Euch werden für diesen nicht gebaut sein. Aber die Robusten werden überleben und sie sind diejenigen, die diese schlechte Regierung stürzen werden und sie werden diejenigen sein, die die Hoffnung wieder herstellen, und zwar schneller als ihr euch vorstellen könnt.

(dt. E. Rohlfs)