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B'Tselem – das israelische Gewissen

Die bekannteste Menschenrechtsorganisation des Landes besteht seit gut 20 Jahren

Von Johannes Zang

»Das sind interessante Tage in Washington, da die Vereinigten Staaten eine härtere Position bezüglich des Siedlungsbaus vertreten«, beginnt der April-Rundbrief der B'Tselem-Außenstelle in Washington. Seit diese Filiale der israelischen Menschenrechtsorganisation vor über einem Jahr eingerichtet wurde, klären die amerikanisch-jüdischen Menschenrechtsaktivisten die US-amerikanische Gesellschaft bis hinauf in die Etagen von Entscheidungsträgern über die Folgen israelischer Politik in den besetzten palästinensischen Gebieten auf.

B'Tselem, entnommen dem alttestamentarischen Buch Genesis, bedeutet im Hebräischen »Ebenbild« und gilt als Synonym für menschliche Würde. Als Israelisches Informationszentrum für Menschenrechte in den besetzten Gebieten wurde die Organisation 1989 gegründet. Seitdem ist das Ausmaß der Besatzung immer größer geworden: Es sind nicht nur die Toten und Verletzten beider Konfliktparteien, die B'Tselem dokumentiert. Die Bandbreite dessen, was die Organisation anprangert, reicht von Administrativhaft, Folter, Hausabriss, Landbeschlagnahme, Siedlergewalt über die Praxis der menschlichen Schutzschilde, die Einschränkung der Bewegungsfreiheit, Trennbarrieren, »sterile Straßen«, Kassam-Raketen und gezielte Tötungen bis zur Verhinderung der Familienzusammenführung zwischen Palästinensern und ihren ausländischen Ehepartnern und dem Thema Wasser. Da verwundert es nicht, dass in der Zentrale in Jerusalem fast 40 Angestellte mit der Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen und deren Veröffentlichung befasst sind.

In den vergangenen 20 Jahren wurden fast 8900 Menschen getötet: Israelische Sicherheitskräfte töteten 7398 Palästinenser, darunter mindestens 1537 Minderjährige, Palästinenser ihrerseits töteten 1483 Israelis, darunter 139 Minderjährige. Doch weist B'Tselem auch auf Verstöße Israels gegen die Genfer Konventionen hin. Die vierte Konvention besagt in Artikel 49, dass eine Besatzungsmacht die eigene Bevölkerung nicht im besetzten Gebiet ansiedeln darf. Genau das aber tut Israel seit Ende des Sechstagekrieges 1967. Siedelten zu Beginn von B'Tselems Dokumentation gerade einmal 69 800 jüdische Siedler im Westjordanland, so sind es heute mehr als viermal so viel, etwa 300 000.

B'Tselem-Direktorin Jessica Montell ist trotzdem stolz auf das Erreichte: »Vor 20 Jahren wurden Tausende von Palästinensern beim Verhör systematisch und routinemäßig gefoltert. Dank der Anstrengungen von Menschenrechtsaktivisten, darunter B'Tselem, ist diese Folter beendet worden.« Und Pressesprecherin Sarit Michaeli benennt einen weiteren Erfolg: Dass der Verlauf der Trennbarriere – teils Mauer, teils Zaun – beim palästinensischen Dorf Bil´in verschoben werden musste und deshalb nun weniger Dorfland verloren geht, sei auch dem Einsatz von B'Tselem zu verdanken.

Kritisch äußert sie sich dagegen über die Politiker und Unterhändler, vor allem diejenigen, die während des Oslo-Prozesses in den 90er Jahren verhandelten. »Während des Oslo-Prozesses wurde das Thema Menschenrechte nicht genug betont. In gewisser Weise wurden Menschenrechte im Namen des Friedens geopfert«, meint sie. Auch deshalb sei der Prozess nicht erfolgreich gewesen. Für ihre Organisation gehören Frieden und Menschenrechte untrennbar zusammen. »Das universelle Prinzip der Menschenrechte kann man während eines politisch-diplomatischen Prozesses nicht aufgeben und gleichzeitig erwarten, dass am Ende Menschenrechte respektiert werden«, gibt sie zu bedenken.

Wie wird B'Tselem in der israelischen Gesellschaft wahrgenommen? Avraham Burg, ehemaliger Sprecher der Knesset und Autor des Buches »Hitler besiegen«, urteilt über Menschenrechtsorganisationen wie B'Tselem so: »Sie sind sehr wichtig, sie haben eine hohe Moral. Aber sie haben keinen Einfluss auf die Politik.«

Damit sich dies ändert, müssten sich Politiker wohl das zu Herzen nehmen, was sich Pressesprecherin Michaeli von Israels Freunden in aller Welt wünscht: »B'Tselem ist eine Organisation, die ihre eigene Regierung kritisiert. Ich glaube, alle wahren Freunde Israels sollten verstehen, dass man nicht wegschauen darf, wenn ein Freund etwas Falsches tut, sondern dass man ihn kritisieren muss. Das ist der beste Beitrag, den man für Israel leisten kann. Je mehr Palästinenser sich ihrer Menschenrechte erfreuen, desto mehr werden das auch die Israelis tun.«