Israel Palästina Nahost Konflikt Infos
Deutschland zahlt seine Nach-Holocaust-Schulden an Israel zurück
– aber nicht an die
Palästinenser
Daniel Barenboim,
7.6 2017,
Haaretz,
Der
israelisch-palästinensische Konflikt ist zunehmend
aus den Medien und aus den Köpfen
der Leute verschwunden wie die
Flüchtlingskrise, die Bedrohung der
amerikanischen Isolierung unter Präsident Trump, der Krieg in Syrien, Brexit und
der Kampf gegen den islamischen
Extremismus. Dies beherrscht unsere Schlagzeilen. Seine
Resolution pflegt eine amerikanische und europäische
politische Priorität zu sein.
Nach
vielen fehlgeschlagenen Versuchen einer Lösung, scheint sich ein Status Quo
festgelegt zu haben. Der Konflikt geht weiter und wird mit Unbehagen angesehen,
aber auch mit Hilflosigkeit und mit gewisser Desillusionierung als unlösbar.
Dies ist
umso tragischer, da das
opponierende Lager ihre Isolierung bestärkt. Die Situation der Palästinenser
verschlechtert sich ständig und selbst Optimisten
können kaum vermuten, dass die augenblickliche US-Regierung
eine spürbare
Veränderung des Konflikts erreicht.
Aber es
ist besonders tragisch, dass wir in diesem und im nächsten Jahr zweier trauriger
Jahrestage besonders der Palästinenser gedenken.
2018
werden wir uns an
den 70. Jahrestag der Al-Nakba (die Katastrophe)
erinnern, dann folgte am 14. Mai
1948 die Teilung und die Gründung
des Staates Israel, die zu der
Vertreibung von mehr als 700 000 Palästinensern aus dem früheren
britischen Mandatsgebiet führte. Mehr als 5Millionen
direkter Abkommen von
vertriebenen Palästinensern leben noch im erzwungenen Exil.
Und am
10. Juni 2017 werden wir der
50 Jahre der israelischen Besatzung
des palästinensischen Landes gedenken
- eine tatsächliche und moralisch unerträgliche
Angelegenheit.
Selbst
jene . die zugeben, dass der 1967
er-Krieg notwendig war, um Israel zu verteidigen, kann nicht leugnen, dass die
Besatzung eine absolute Katastrophe
geworden ist – nicht nur für die Palästinenser
sondern auch für die Israelis, strategisch wie moralisch.
Ein Kind
mit einer auf seinem Gesicht gemalten palästinensischen Fahne, nimmt mit
palästinensischen Unterstützern am Samstag den 9. August 2014 an einer Rally
gegen die israelische Besatzung der
palästinensischen Gebiete
in Kapstadt, Südafrika, teil. Tausende von
Anti-israelischen Demonstranten gingen auf die Straße und marschierten
auf das südafrikanische
Parlamentsgebäude zu , um gegen die
israelische Besatzung und die Angriffe auf Gaza in letzter Zeit
zu demonstrieren. Pro-palästinensische Unterstützer nahmen in Kapstadt am
9. August 2014 an der Rally gegen
die israelische Besatzung des palästinensischen Gebietes teil (Schalk van
Zuydam) .
Ein
halbes Jahrhundert ist vergangen
und eine Resolution des Konfliktes
scheint entfernter denn je zu sein. Keiner kann heute erwarten, dass ein junger
Palästinenser oder ein junger Israeli dem andern seine Hand reicht. Aber trotz
der Tatsache, dass es nicht in die allgemeine Kultur und die Medien tendiert,
ist der Konflikt noch immer bedeutend, tatsächlich ist er
von vitaler Bedeutung, nicht
nur für Menschen in Palästina und
Israel, sondern für den ganzen
Nahen Osten und für die Welt.
Deshalb
ruf ich am 50. Jahrestag der Besatzung speziell Deutschland und Europa im
Allgemeinen dazu
auf,
die Resolution dieses Konfliktes
noch einmal zur Priorität zu machen. Dies ist kein politischer, sondern
eher ein Konflikt zwischen zwei
Nationen, die beide absolut davon überzeugt sind, dass sie das Recht
auf den kleinen schmalen
Streifen Land haben. Wenn heute mehr als
jemals Europa mit einer
lauten Stimme erklärt, dass es stärker sein muss und unabhängiger, dann
wird diese Stärke und Unabhängigkeit die klare
Forderung nach dem Ende der
Besatzung und die Anerkennung des
palästinensischen Staates zur Folge haben .
Als
Jude, der seit mehr als 25 Jahren
in Berlin lebt, habe ich eine besondere Perspektive über
Deutschlands historische Verantwortlichkeiten in diesem Konflikt. Ich
kann nur frei und glücklich in
Deutschland leben, weil die
Deutschen sich mit ihrer Vergangenheit auseinandergesetzt haben. Natürlich
gibt es auch im heutigen Deutschland weit rechts Besorgnis erregende
Trends, gegen die wir alle kämpfen müssen. Aber im Großen und Ganzen ist die
deutsche Gesellschaft eine
tolerante und freie Gesellschaft geworden
und ist sich ihrer humanitären Verantwortlichkeit bewusst. Natürlich
haben Deutschland und Israel immer
eine besonders stabile Beziehung.
Deutschland hat sich gegenüber
Israel immer besonders verpflichtet gefühlt.
Ohne den
Holocaust würde es niemals eine Teilung Palästinas
gegeben haben, da hätte es keine Naqba, keinen 67er-Krieg und keine
Besatzung gegeben. Das ist nicht
nur eine Verantwortung gegenüber den Palästinensern, sondern eine
aller Europäer: Der Antisemitismus war ein pan-europäisches Phänomen und
die Palästinenser leiden noch heute
unter diesen direkten Konsequenzen, obwohl sie selbst in keinster Weise daran
schuld sind.
Es ist
absolut notwendig, dass Deutschland und Europa ihre Verantwortung
gegenüber dem
palästinensischen Volk wahrnehmen.
Die anhaltende Besatzung ist unannehmbar, moralisch und strategisch, und muss
aufhören. Das bedeutet
nicht, dass gegen Israel Schritte
unternommen werden müssen, aber für die
Palästinenser.
Deutschland und Europa müssen das Ende der Besatzung und die Einhaltung der
vor 1967-Grenzen fordern. Die Einhaltung einer Zwei-Staaten-Lösung mit
schließlich einer Anerkennung eines unabhängigen Staates. Eine gerechte
Lösung für das Flüchtlingsproblem
muss gefunden werden. Das Recht der Palästinenser zurückzukehren, muss in
Zusammenarbeit mit Israel anerkannt und erfüllt werden. Die faire Verteilung der
Ressourcen und die Garantie für
fundamental menschliche und zivile Rechte müssen für die Palästinenser
durchgesetzt werden. Dieses abzusichern, ist Europas Aufgabe, besonders
jetzt im Lichte der sich veränderten transatlantischen inner-europäischen
Weltordnung.
Nach 50
Jahren mögen wir weit davon entfernt sein, den israelisch-palästinensischen
Konflikt zu lösen. Doch nur wenn
Deutschland und Europa anfangen, ihre historische Verantwortung jetzt
und Maßnahmen für die Palästinenser
übernehmen, dann können wir vielleicht den hundertsten Jahrestag der
israelischen Besatzung des palästinensischen Landes – ohne dass sich etwas
verändert hat - verhindern.
Daniel Barenboim ist Generalmusikdirektor der Scala, der Berliner Staatsoper und
der Staatskapelle in Berlin. Zusammen mit dem verstorbenen Edward Said gründete
er das
West-Östliche Divan-Orchester, ein in Sevilla beheimatetes
Orchester junger arabischer und israelischer Musiker.
(dt.
Ellen Rohlfs)