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Ramsey Baroud
23. Mai 2014
In „ Jaffa im
Land der Orangen“ beschreibt Ghassan Kanafani sein Exil
von der palästinensischen Küstenstadt von Jaffa.
Als 12Jähriger
kämpfte er, um zu verstehen, aber „ in jener Nacht, auch als gewisse
Fäden der Geschichte klarer wurden, stand
ein großer LKW vor unserer Tür. Leichte Dinge, hauptsächlich Dinge zum
Schlafen, wurden schnell und hysterisch in den Wagen gebracht.
Ein paar
Jahrzehnte später schrieb Kanafani über sein Exil. Ich, ein 8Jähriger Junge aus
einem Gaza-Flüchtlingslager dachte für sich selbst nach. Als ich an der Küste
von Jaffa stand, deren Linie real war und
mir vorstellte, dass sie plötzlich unscharf wurde. Einmal war Jaffa
Palästinas größte Stadt, und es
stellte sich nun heraus, dass es
kein Hirngespenst meines Großvaters
war, sondern ein mit Händen greifbarer Ort von Sand, Luft und Meer. Die
palästinensisch-arabische Identität von Jaffa war
überall offensichtlich.
Ich war ein
Drittklässler auf meinem ersten Schulausflug. Den Gazaern war es damals noch
erlaubt, nach Israel die Grenze zu überschreiten, meistens als
ausgebeutete billig-Lohnarbeiter. Meine Familie wurde während der Nakba,
der großen Katastrophe, aus
Palästina vertrieben. Sie sah die Vertreibung von Hunderttausenden
Palästinensern aus ihren Häusern. Meine Familie bestand aus einfachen Bauern aus
dem Dorf von Beit Daras. Die Bewohner meines Dorfes waren wegen ihrer Vorliebe
von Couscous bekannt und wegen ihrer legendären
Sturheit, ihres Mutes und Stolzes. Beit Daras’Bewohner sahen in Jaffa ein
Zentrum für viele Aspekte ihres Lebens.
Eine kommerziell lebhafte
Hafenstadt, wegen seiner Orangen weltbekannt; Jaffa
gehörte zu den größten Märkten im
südlichen Palästina.
Jaffa war auch
das Zentrum für arabische Kultur und ein Modell
für die Ko-Existenz von
Religionen. Aber die britische
Kolonisierung Palästinas, die 1917 begann und 1922
eine Mandatsregierung wurde,
unterbrach den natürlichen historischen Fluss, der
Jaffa zum schlagenden Herzen Palästinas machte.
Eine gebildete
Eliteschicht hob das Level des
politischen Bewusstseins der Stadt in einem Maße, sodass man sie noch nach
heutigen Kriterien für den Nahen
Osten als hoch ansehen kann. Politiker, Künstler, Banker, Handwerker,
junge und lebhafte
Studenten-Gemeinschaften gaben Jaffa eine Mittelklasse, die eine wesentliche
Rolle im Kampf gegen den britischen Kolonialismus und seine zionistischen
Verbündeten spielten, schon Jahre vor der Nakba und die Entstehung Israels.
Jaffawi-Union-Mitglieder organisierten
rund herum Arbeitsrechte mit
festem Engagement. Die arabischen Arbeiter
mussten aufhören und jüdische Arbeiter kamen aus Europa, um ihren Platz
einzunehmen Diese Mobilisierung wird ein Teil des Streikes und der Revolution
von 1936, Palästinas erster kollektiver Aufstand, der Generationen von
Palästinensern bis heute anregen.
Zahlreiche
Dörfer und kleine Städte schauten nach Jaffa zur Führung und manchmal auch zum
Überleben. Mein Großvater, der ein kleines Stück Land in Beit Daras besaß, war
ein Handwerker, der Körbe flocht. Alle paar Tage transportierte er
das Beste, das er machte, nach Isdud und manchmal auch zum
al-Majdal-Markt, in der Hoffnung, ein paar palästinensische Dinar zu bekommen,
um sein mageres Einkommen aufzubessern.
Das Beste wurde für Jaffa aufgehoben, denn die Jafawis hatten den besten
Geschmack. Er würde sich für diesen Ausflug piekfein machen. Nachdem er seinen
treuen Esel gefüttert hat, würde er seine Körbe auf der Karre festmachen und
sich auf den langen Weg machen.
„Großvater
(Sido), bitte, erzähle uns Geschichten über deine Abenteuer in Jaffa“ baten wir
ihn, wenn er auf einer alten Matratze in seiner speziellen Ecke einer kleinen
halbverfallenen Hütte in einem Flüchtlingslager in Gaza saß.
Seine Geschichten, die er mit viel
Spannung erzählte, bewegten
sich fein zwischen Wahrheit und Fantasie. Als ich erwachsen war, wurde mir klar,
dass die Fantasie nicht nur seine Art und Weise war, uns Kinder zu amüsieren,
sondern auch eine Art war, wie
Jaffa meinem Großvater die größten Triumpfe bescherte
und die demütigsten Niederlagen.
Phantasie half
ihm, von der Welt Sinn zu machen, die er inzwischen verlassen hat. Als die
Araber 1936 revoltierten, schlugen die Briten erbarmungslos zurück. Sie töteten
nicht nur, steckten nicht nur ins Gefängnis.
schickten viele Jafawis ins Exil und verunstalteten die Stadt. Große
Teile der Altstadt wurden
eingeebnet, sodass sie nicht mehr gesehen werden konnte. Geschichte wurde
gewaltsam ausgelöscht.
Großvater war
einer der Tausenden, die Palästina bis zum bitteren Ende verteidigten. Obwohl er
ein Bauer war, der sich selbst beibrachte, wie man Körbe herstellt, um zu
überleben, tauschte er alles für ein altes türkisches Gewehr ein, um Beit Daras
zu verteidigen, weil die benachbarten Dörfer – eins nach dem anderen -
schon in die Hände der Zionisten gefallen waren.
Großvater
erzählte viel, wie wunderbar Jaffa aussah.
Er beschrieb die sanfte Briese vom Meer her, als ob sie ihn bei der
Ankunft in der Stadt begrüßen wolle und wir das Gefühl hatten, das
deine Seele zu dir zurück käme.
Als Beit Daras
nach auf einander folgende Schlachten zwischen zionistischen Milizen und
Dorfbewohnern, die nur ein
paar alte Waffen hatten, fiel, war Großvaters Seele auf immer gefangen.
Als der Plan
Dalet, der Meisterplan, mit dem der größte Teil Palästinas
mit Gewalt erobert wurde, erfüllt worden
und auch das britische
Militär abgezogen war, wurde die Eroberung von Jaffa der Höhepunkt einer
gewalttätigen Kampagne.
Die
Schnellstraße zwischen Jaffa und Jerusalem wurde ein Theater für heroische
Schlachten. Der Höhepunkt war die Schlacht von Castal, wenige Meilen von
Jerusalem entfernt.
Jaffa,
als „Meeresbraut“ bekannt, wurde zwischen April und Mai 1948 erobert. Ein
großer Flüchtlingszug war schon nach Jordanien und Syrien unterwegs.
Zionistische Kräfte, die zur Hagana und Irgun gehörten, legten ihre angeblichen
Meinungsunterschiede beiseite, als sie sich auf Jaffa zu
bewegten.
Drei
verschiedene militärische Feldzüge begannen gleichzeitig – Chametz, Jevussi und
Yiftach – durch die Jaffa , die Gegend rund um Jerusalem und das ganze östliche
Galiläa eingenommen wurde. Aber als Jaffa fiel, war auch der Stolz Palästinas
dahin.
Die Stadt war
eingeschlossen und zwang Tausende von Leuten übers Meer
nach Gaza oder Ägypten zu
fliehen. Viele ertranken, da die
kleinen überfüllten Fischerboote nachgaben und sanken. Die arabische Führung
hatte gehofft, die Britten würden den Zionisten nicht erlauben, Jaffa zu
erobern. Sie waren schlecht vorbereitet.
Auf Verteidigung von Zivilisten war man nicht eingestellt.
Der
militärische Unterschied zwischen zionistischer Miliz (über 5000 gut
ausgebildeter Kämpfer) und arabische Freiwillige ( etwa 1500)
war unmöglich. Ohne von Außen
unterstützt zu werden, konnten sie nichts erreichen. Keiner kam. Männer und
Frauen starben in Scharen. Zehntausende flohen in Trecks übers Land, aber
meistens übers Meer.
Im Alter von
acht entdeckte ich, dass Jaffa nicht nur Phantasie war. Viel später in meinem
Leben entdeckte ich, dass Jaffa, obwohl erobert,
noch stand, und zwar durch das kollektive Gedächtnis der Jafawis überall.
Während der
Terminus Nakba eine passende Beschreibung für das ist, was das palästinensische
Volk 1947-48 durchgemacht hat, ist es SUMUD – Standhaftigkeit – das Millionen
von Flüchtlingen an ihrem Rückkehrrecht festhalten lässt, auch 66 Jahre, nachdem
das Land der Orangenbäume erobert wurde.
Und es ist SUMUD, das Jaffa für immer am Leben hält-
Ramzy Baroud ist der Editor of
Middle East-Eye. Er
ist ein international syndicated
Kolumnist, ein Medien-Berater, und
der Gründer von PalestineChronicle.com. Sein letztes Buch ist „Mein Vater war
ein Freiheitskämpfer: Gazas unerzählte
Geschichte“ (Pluto Press, London)
(dt. Ellen Rohlfs)