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Nomadische Beduinen kämpfen ums Überleben des Dorfes, das nicht existiert

 

Rory McCarthy, The Guardian, 1.April 2008-04-16

 

Aqil al-Talalqah aus dem Beduinendorf Twayil Abu Jarwal steht zwischen den Trümmern seines Hauses, das von den israelischen Behörden im Negev in der Nähe der israelischen Stadt Beer Sheva  zerstört wurde. (Bildunterschrift ohne  Bild)

Es gibt keine Straßenhinweisschilder zu dem Dorf, nur ein schmutziger Weg führt von der Schnellstraße ab, die nach Beer Sheba führt. Offiziell  besteht das Dorf Twayil Abu Jarwal nicht, auf dessen Land der Talalqah-Stamm seit Generationen gelebt hat. Es ist „nicht anerkannt“ heißt es in der Terminologie, die den bitteren Landdisput zwischen Israels 160 000 indigenen Beduinen in der Negevwüste und dem israelischen Staat deutlich macht.

Im vergangenen Jahr gab es 8 einzelne Operationen in Twayil, die Häuser von denen zerstörten, die dort leben; aber die Dorfbewohner blieben dort. Jetzt leben sie in dürftigen Zelten, die von Ruinen  ihrer Häuser umgeben sind , von verrostetem Eisen, Ziegel und Erdhaufen  über herunter gerissenen Zelten.

„Die Regierung wendet Gewalt gegen uns an, verhaftet Leute, zerstört Häuser, verurteilt uns zu Geldstrafen,“ sagt Aqil al-Talaqah, 66, ein Schulleiter im Ruhestand, der nun in einem Zelt in Twayil lebt , nur ein paar hundert Meter entfernt von der zweiklassigen Schule, in die er als Kind gegangen war. Sie sagen, wir würden Staatsland  besetzen. Aber wie können wir Staatsland besetzen? Es ist unser Land.

 

Gestern klagte eine internationale Menschenrechtsgruppe die israelische Regierung der Diskriminierung von Beduinen an und nannte ein stark vermehrtes Zerstören von Häusern und eine systematische  Verletzung ihrer Land und Hausrechte.

Der detaillierte Bericht ( 126 Seiten) von Human Rights Watch (HRW) kommt, da eine neue von der Regierung bestimmte Untersuchungskommission   über den seit langem bestehenden  Landbesitzdisput beginnt. Die Goldberg-Kommission, vom Wohnungsministerium bestimmt, doch ohne  Vertretung der nicht anerkannten Dörfer, soll später im Jahr einen Bericht abgeben.

Zehntausende von Beduinen – Araber, die seit vielen Generationen auf diesem Land ein halb nomadische Leben führen  und die alle volle israelische Staatsbürgerschaft haben – leben in 39 „ nicht anerkannten Dörfern“ im südlichen Israel, wo ihre Wohnstätten immer wieder zerstört werden.

„Diskriminierende Land- und Planungspolitik machte es  für Beduinen tatsächlich unmöglich, dort wo sie leben,  legal zu bauen, und schließt sie auch aus dem Staatsentwicklungsplan  der Region aus,“ sagt HRW in dem Bericht.

Er beschreibt eine diskriminierende, ausschließende und strafende Politik“ und stellt fest, dass für jüdische Israelis neue Farmen und Städte in dem Gebiet gebaut werden. Der Staat scheint seine Kontrolle über das Land im Negev zu maximieren und die jüdische Bevölkerung aus strategischen, ökonomischen und demographischen Gründen zu vergrößern“.  2005 übernahm die israelische Regierung einen  $ 3,6 Milliarden plan, um weitere 200 000 Israelis in den Negev zu bringen, um den Wohnungsdruck woanders zu mindern.

HRW rief zu einem sofortigen Ende der Zerstörungen auf und zu einer Bildung einer unabhängigen Kommission, um den Disput zu untersuchen.

 

Twayil ist eines der Dörfer, das am schlimmsten von den Zerstörungen betroffen wurde. Der Talaqah-Stamm wurde in den 50ern  aus dem Gebiet entfernt, als Israels arabische  Bevölkerung noch unter militärischer Herrschaft stand. 1978 kauften Mitglieder des Stammes Landstücke in Laqiya, einem von 7 Townships, die auf Rat des Regierungskomitees errichtet wurden. Man dachte, sie könnten hier mit dem Leben neu beginnen. Doch erhielten sie ihr Land nicht und entdeckten bald, dass Laqiya auf Land gebaut worden ist, das einem anderen Beduinen-Stamm gehört. Schließlich kehrten sie nach Twayil zurück, wo sie jetzt leben, umgeben von den Resten der  Zerstörung und ohne die zum Leben notwendigsten Dinge wie Wasser und Strom.

Talaqah, der einer von denen war, die Land in Laqiya kauften, erkannte bald, dass die beduinische  Weidetradition weitestgehend der Vergangenheit angehört …. Jetzt möchte er, dass das Dorf Twayil offiziell anerkannt und mit den öffentlichen Dienstleistungen versorgt wird.“Sie setzen uns derartig unter Druck, aber wir werden nicht weggehen, bevor es nicht eine richtige Lösung geben wird.“ Sechs Beduinendörfer haben eine begrenzte Anerkennung vom Staat erhalten.

 

Der Fall der Beduinen ist auch deshalb so kompliziert, weil sie von mehreren Gruppen vertreten werden und von der Tatsache, dass nur wenige eine Landbesitzurkunde aus der Ottomanischen Zeit ( Mitte des 19.Jahrhunderts) vorweisen können. Dann  gibt es auch die israelische Auffassung, dass diese Beduinengemeinschaft für die meisten Verbrechen in der Region verantwortlich sei und unrealistische Ansprüche auf Land stellen würden.

Im Dezember 2000 sagte Ariel Sharon, damals Parteivorsitzender der Likudoppositionspartei und späterer Ministerpräsident: „Die Beduinen grapschen nach neuem Land. Sie knabbern an den Landreserven und keiner tut etwas dagegen.“

 

Ein Sprecher des Wohnungsbauministeriums sagte, dass es die Beduinen ermutigen wolle, in die für sie gebauten sieben Townships zu ziehen.  … Unser Ziel ist es, sie daran zu hindern, sich weiter auszubreiten, und sie in diese Städte zu bringen,“ sagt der Sprecher. „Das Land, auf dem sie heute  sitzen, ist nicht ihr Land. Es ist israelisches Land

Die israelische Landverwaltung, die sich mit 93% des israelischen Landes befasst, das in öffentlichem Besitz ist, sagt, sie würde alles in ihrer Macht liegende tun, um das Problem der landlosen Beduinen im Negev zu lösen. Statt sie strafrechtlich zu verfolgen, schlägt Israel vor, den Konflikt durch äußerst großzügige Abmachungen zu regeln, wenn die Beduinen ihre Besitzansprüche aufgeben würden.“

Doch die sieben Townships, in denen man die Beduinen unterbringen möchte, sind schon überfüllt und haben sehr ärmliche Lebensbedingungen – im starken Kontrast zu den neuen jüdischen Gemeinden  ganz in der Nähe.

Nach dem israelischen Zentralbüro für Statistik gehörten die Townships zu den acht ärmsten Gebieten in Israel. Aber von den neu gebauten Gemeinden rund um Beer Sheba mit ihrer vorherrschend jüdischen Bevölkerung gehören zwei zu den fünf reichsten Gemeinden im ganzen Land

 

(dt. Ellen Rohlfs)