Israel Palästina Nahost Konflikt Infos

Israel: Die Vision und die Phantasie

Der politische Zionismus führte vor 65 Jahren zum Staat, schwankte seitdem aber zwischen diplomatischem und militärischem Aktivismus.

www.aljazeera.com

Shlomo Ben Ami, 23. Mai 2013

Israel, eine kühne, wahr gewordene Vision, feierte vor kurzem seinen 65. Geburtstag und zwar mit einem Gefühl wohlverdienter Befriedigung über seine außerordentlichen innenpolitischen Errungenschaften. Was seine Beziehungen zur Außenwelt jedoch betreffen, da hat es noch einen langen Weg zu gehen. Die jüdische Erfahrung mit internationalen Beziehungen ist historisch nicht besonders erbaulich. Ein jüdischer Staat hat nur kurze Perioden in der Geschichte  des Judentums existiert und beging zweimal politischen Selbstmord. Die Gründe waren immer dieselben: politisch-religiöser Fanatismus und der Fehler, die derzeitigen Weltmächte heraus zu fordern – also das zwanghafte Suchen des modernen Zionismus nach einem Bündnis mit einer Supermacht.

Ethnozentrismus muss die Beziehungen eines Volkes mit dem Rest der Welt negativ beeinträchtigen, und Israels Doktrin der Macht kam aus den Tiefen jüdischer Erfahrungen, besonders der ewigen, nicht zu vergebenden Feindseligkeit einer nicht jüdischen Welt. Die Rolle des Holocaust als Bestandteil des zionistischen  Meta-Narrativs verstärkte Israels Tendenz, der „Welt“, einem amorphen, aber  beeindruckenden Gedankengebäude, gegenüber zu stehen, mit dem die Juden ein Streitgespräch führen, das mit den traditionellen  Mitteln  internationaler Beziehungen nicht gelöst werden kann.

Dank des Zionismus‘, einer wesentlich säkularen nationalistischen Bewegung, kehrten die Juden zur politischen Aktion zurück und entwickelten die notwendigen diplomatischen Hilfsmittel. Aber, während der frühe Zionismus mit Pragmatismus  und diplomatischem Know-how gesegnet war, hat das Übergewicht des militärischen  Ethos der Nation in Waffen die Errungenschaften der außergewöhnlichen  Außenpolitik des Zionismus‘ degradiert und bis in eine ferne Ecke des israelischen Kollektivgedächtnisses geschoben.

Ein entscheidender Moment in der Geschichte von Israels Schwanken zwischen diplomatischem und militärischem „Aktivismus“ fand am Vorabend der 1967er Krieges statt.  Dieser Scheideweg deckte eine tiefe Kluft zwischen den jungen selbstsicheren in Israel geborenen Generälen auf, die boshaft gegenüber der  unterwürfigen Haltung  der älteren Generation waren, und den in der Diaspora geborenen Politikern, die von Holocaust-Erinnerungen  und existentieller Furcht vor internationaler Isolierung verfolgt, sich gegen einen Bruch mit dem alten politischen und diplomatischen Zionismus wehrten .

Die pragmatische Weisheit des frühen Zionismus ist leicht zu erklären: im Gegensatz zum antisemitischen Klischee der „jüdischen Macht“, war der Zionismus die nationale Bewegung eines schwachen Volkes, dezimiert durch Unterdrückung und Völkermord – ein Volk, das der Vernichtung gegenübersteht, wenn es die falsche Entscheidung bei einem entscheidenden Moment trifft.

Zugegeben, die zionistischen Führer verließen wirklich nie die  territorialen Träume – aber sie würden nie daran gedacht haben, die Errichtung des jüdischen Staates  aus dem einzigen Grund verzögern: sie hatten keinen Zugang zur Klagemauer oder dem Tempelberg. Das positive Ethos, eine neue Gesellschaft aufzubauen, war vermutlich der Grund, die Armut der territorialen Lösung zu kompensieren.

Der Sechs-Tage-Krieg 1967 stellte jedoch eine verhängnisvolle Wasserscheide dar. Israels Überraschungssieg erinnert an Hegels Diktum über „ Die Machtlosigkeit des Siegers“ Militärische Siege sind niemals endgültig und entschieden.

1980 versuchte der Historiker Jacob Talmon in einem berühmten offenen Brief mit dem Titel „Das Heimatland ist in Gefahr“ diese einfache Lektion mit Ministerpräsident Menachem Begin zu teilen. Talmon kritisierte den Glauben der israelischen Rechten, dass ein größeres „Ereignis“  radikal und auf Dauer die Situation zu Gunsten Israels verändern wird, und wies die „religiösen Sanktionen“ zurück, die angewandt wurden, um die unrealistische Politik in den besetzten Gebieten zu rechtfertigen. Er erklärte die messianischen Illusionen, die nach dem 6-Tage-Krieg  wiedergeboren wurden, als falsche Kompensation für das Leiden in der Shoa. Da gäbe es nichts Mysteriöses um Israels Sieg, behauptete er, es war  eine einfache Verkettung von Umständen.

Ein kleines Land wie Israel, dem eine ernste demographische Grundlage fehlt oder günstige geopolitische Bedingungen, könnte nie seine Präsenz in den besetzten Gebieten auf Dauer halten, behauptete Talmon. Deshalb liegt die Gefahr für Israel in der Sisyphus-Bemühung, die Palästinenser zu unterwerfen. „Der Führer ist blind, der nicht den Krieg der Rassen sieht, der vor uns liegt“ schrieb er.

Israels annexionistische Rechte würde ihre besiegten Kritiker mit der Behauptung  abweisen, dass das ganze zionistische Unternehmen ein unrealistischer Traum wäre, der wunderbarerweise wahr wurde. Tatsächlich wurde Israel  real, weil historische und politische Bedingungen es begünstigten und weil die zionistische Diplomatie erfolgreich die internationalen Beziehungen herausforderte.

Aber der Sieg vom Juni 1967 gab Israel nicht das Recht oder die Lizenz, sich unrealistische Ziele zu setzen. Nicht jede Fantasie ist eine Vision. Das Ethos von Israels extremer Rechten besteht  auf seiner beharrlichen Behauptung,  diesen Unterschied zu verwischen.

Der Fatalismus der Rechten in Bezug auf Chancen für Frieden ist ein sinnloser Ratgeber für die Außenpolitik. Politische Positionen  sind nicht ewig; sie sind immer für Veränderungen anfällig. Es ist auch nicht wahr, dass die Feindseligkeit der arabischen Welt gegenüber Israel nicht beeinflusst  werden kann. Die Araber mögen niemals das moralische Recht des Zionismus akzeptieren, aber  wie die arabische Friedensinitiative beweist, würden sie die politische Legitimität eines jüdischen Staates anerkennen.

Nicht einmal Israels standhafteste Verbündete werden eine  unbestimmte Konfrontation mit der ganzen internationalen Gemeinschaft riskieren, indem sie Israels territoriale Ambitionen unterstützen. Vernünftige Grenzveränderungen sind eine Sache; das jüdische Empire zu legitimieren, ist eine andere Sache.

Internationale Anerkennung der Situation, die 1967 von Israels Sieg geschaffen wurde, bewies sich als extrem kurzlebig. Als ein Krieg der Erlösung und des Überlebens sich in einen Krieg der Eroberung, der Besatzung und Annexion verwandelt, schreckte die internationale Gemeinschaft zurück, und Israel geht in die Defensive. Seitdem ist es dort geblieben.

 

Shlomo Ben-Ami, ein früherer israelischer Außenminister und Sicherheitsminister  des Inneren ist Vize-Präsident des Internationalem Toledo-Friedenszentrum Er ist der Autor von  „Scars of War, Wound of Peace: the Israelish-Arab Tragedy“

(dt. Ellen Rohlfs)