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Wach auf Amerika //
( Wach auf Europa! R)
Jonathan Ben-Artzi, Providence, USA
1.4. 2010
Vor mehr als 20 Jahren
entschieden viele Amerikaner, sie könnten nicht länger die Rassentrennung in
Südafrika mit ansehen. Veranlasst
durch eine Ungerechtigkeit ein paar Tausend Kilometer entfernt, verlangten sie
von ihren Gemeinschaften, ihren Kollegen, ihren Gemeinden und ihrer Regierung
einen klaren Standpunkt einzunehmen.
Martin Luther King jr.
sagte: „Ungerechtigkeit irgendwo ist eine Bedrohung für die Gerechtigkeit
überall.“
Heute findet eine ähnliche
Diskussion auf den Universitäts-Campussen überall in den USA statt. Zunehmend
hinterfragen Studenten die Moral
der Verbindungen der US-Institutionen, die sie mit den ungerechten Praktiken
haben, die in Israel und in den
besetzten Gebieten ausgeführt werden. Studenten sehen, dass diese Praktiken oft
nicht mehr nur „ungerecht“ sind. Sie sind rassistisch. Demütigend, unmenschlich
und brutal.
Manchmal ist ein guter
Freund nötig, der dir sagt, genug ist genug. So wie es
besorgte Bürger mit
Südafrika vor zwei Jahrzehnten gemacht haben, so könnten
besorgte Bürger überall in den USA
viel erreichen, wenn sie Washington ermutigen und Israel die Botschaft
vermitteln würden, dass es so nicht weitermachen kann.
Eine legitime Frage ist,
warum soll ich mich darum kümmern? Amerikaner sind sehr in den Konflikt mit
verwickelt: vom Finanzieren (die USA liefern Israel
$3 Milliarden pro Jahr für militärische Hilfe)
bis zu gemeinsamen
Investments (Microsoft hat eine seiner größeren Fabriken in Israel) bis zur
diplomatischer Unterstützung (die US haben 32 Resolutionen des
UN-Sicherheitsrates gegen Israel von 1982 –2006
mit einem Veto verhindert).
Warum kümmere ich mich
darum? Ich bin ein Israeli. Meine
beiden Eltern wurden in Israel geboren. Meine beiden Großmütter wurden in
Palästina geboren ( als es noch nicht Israel war). Tatsächlich gehöre ich der
neunten Generation an, für die
Palästina die Heimat ist. Meine
Vorfahren waren unter den Gründern des heutigen modernen Jerusalems.
Meine beiden Großväter
flohen vor den Nazis und kamen nach
Palästina. Beide wurden im arabisch-israelischen Krieg 1948 verletzt. Der
einzige Bruder meiner Mutter wurde als Fallschirmjäger im Kampf 1968 getötet.
Alle meine Verwandten dienten lange Zeit in der israelischen Armee, einige von
ihnen in Einheiten, von deren
Existenz die meisten Leute gar
nichts wissen.
In Israel ist der
Militärdienst für Männer und Frauen obligatorisch. Als meine Zeit für den
Militärdienst kam, verweigerte ich, weil mir bewusst war, dass ich gezwungen
war, etwas zu tun, was mit der Trennung ( von Israelis und Palästinensern) zu
tun hat. Mir wurde der Status der Verweigerung aus Gewissensgründen
abgesprochen, wie der Mehrheit der 18-jährigen Männer, die diesen Status
wollten. Weil ich mich weigerte, im Militär zu dienen, verbrachte ich 1,5 Jahre
im Militärgefängnis.
Einige der Trennungsakte,
die ich, während ich in Israel heranwuchs, erlebte,
schließen Städte ‚nur für Juden’ ein, die Einwanderungsgesetze, die Juden
aus aller Welt erlauben, einzuwandern, aber vertriebenen einheimischen
Palästinensern dasselbe Recht verweigern; das nationale Gesundheits- und
Schulsystem, das in jüdischen Städten bedeutend mehr öffentliche Mittel erhält
als in arabischen Städten.
Wie der frühere
Ministerpräsident Ehud Olmert 2008 sagte: „Wir haben noch nicht die
Barriere der Diskriminierung überwunden, die eine bewusste
Diskriminierung ist und eine unerträgliche Kluft .. Regierungen haben (den
arabischen Israelis) ihr Recht verweigert, die Lebensqualität zu verbessern.“
Die Situation in den
besetzten Gebieten ist sogar noch schlimmer. Fast 4 Millionen Palästinenser
leben seit über 40 Jahren ohne die elementarsten Menschen- und zivilen
Rechte.
Ein Beispiel ist die
Trennung auf den Straßen der Westbank, wo Siedler auf Straßen fahren, die nur
für Juden sind, während
Palästinenser an Kontrollpunkten angehalten werden und für ca. 10 km sieben
Stunden brauchen.
Ein anderes Beispiel ist
die Diskriminierung bei der Wasserverteilung: Israel pumpt das Trinkwasser aus
den besetzten Gebieten ( und verletzt damit das Völkerrecht). Die Israelis
verbrauchen vier mal so viel Wasser wie die Palästinenser, während
Palästinensern nicht erlaubt wird,
ihre eigenen Quellen zu bohren und sich
deshalb auf israelische Versorgung verlassen müssen.
Um die zivile Freiheit
steht es nicht besser: um das Durchhaltevermögen der Palästinenser zu brechen,
führt Israel immer wieder Verhaftungen durch
- und zwar ohne rechtliche Überwachung. Nach einer Gefangenenhilfs- und
Menschenrechtsvereinigung haben
grob 4 von 10 palästinensischen Männern einige Zeit in israelischen
Gefängnissen verbracht. Das sind 40 % aller palästinensischer Männer.
Und
schließlich findet eine der größten Ungerechtigkeiten im Gazastreifen
statt, wo Israel mehr als 1,5 Millionen
Palästinenser kollektiv dadurch bestraft, dass sie im größten
Open-air-Gefängnis der Erde eingesperrt sind.
Wegen der
US-Beziehungen mit Israel ist es für alle Amerikaner wichtig, sich selbst
über die Realitäten des Konfliktes zu unterrichten. Wenn sie dies tun, werden
sie merken, dass genau wie vor
Jahrzehnten die Unterstützung Südafrikas ihm selbst am meisten geschadet hat, so
schadet die augenblickliche blinde
Unterstützung Israels uns Israelis.
Wir müssen die
rücksichtslose Belagerung des Gazastreifens aufheben, die nur noch mehr Zorn und
Frustration unter den Gazaern ausbrütet, die dann mit primitiven selbstgemachten
Raketen in Richtung
israelischer Städte reagieren.
Wir müssen die
Reisebeschränkungen für die Westbank-Palästinenser
aufheben. Wie können wir mit einer Bevölkerung in Frieden zusammenleben,
deren Kinder nicht ihre Großeltern im nächsten Dorf besuchen dürfen, ohne an den
Militär-Kontrollpunkten angehalten und stundenlang schikaniert zu werden?
Schließlich müssen wir
allen die gleichen Rechte geben. Egal, wie die
Lösung sein wird – die sog.“ Ein-Staaten-Lösung“, die
„Zwei-Staatenlösung“ oder irgend eine andere Form der Herrschaft.
Israel bestimmt das Leben
von 5,5 Millionen israelischen Juden, 1,5 Millionen israelischen Palästinensern
und 4 Millionen Palästinensern in der Westbank und im Gazastreifen. Solange
Israel für all diese Menschen verantwortlich ist, muss es dafür einstehen, dass
alle die gleichen Rechte, den selben Zugang zu den Ressourcen und die selben
Möglichkeiten in Bildung und im
Gesundheitswesen haben. Nur durch solch eine Plattform elementarer
Menschenrechte für alle Menschen kann es für diese Region zu einer Lösung
kommen.
Wenn die Amerikaner
wirklich unsere Freunde sind, sollten sie uns wach schütteln und uns die
Schlüssel wegnehmen, weil wir gerade als Betrunkene fahren, und ohne diesen
Weckruf würden wir uns bald im Graben eines undemokratischen, verdammten Staates
wiederfinden.
Jonathan Ben –Artzi war einer der Sprecher der Hadash-Partei
bei den israelischen Wahlen 2006.
Seine Eltern sind Professoren in Israel und
zu seiner Familie gehört auch sein Onkel Benyamin Netanyahu. Ben-Artzi
ist ein Doktorant der Brown-Universität in Providence, R.I
(dt. Ellen Rohlfs)