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Ryan
Brownell, Electronic Intifada, 21. Mai
2012
Am frühen Morgen des 3. Mai
wollten sich Vertreter verschiedener Menschenrechtsgruppen zum Frühstück im
bekannten Al-Makrour-Restaurant nahe Bethlehem treffen.
Der Zweck des geplanten
Arbeitstreffens war, über die Hauszerstörungen und Besitzenteignungen
durch israelische Kräfte in Zone C zu reden. Zone C
besteht aus 60% der Westbank und ist unter voller israelischer Kontrolle.
Als die Leute zu dem
Treffen kamen, sahen sie als erstes einen Bulldozer, der abfuhr, und daneben
einige Israelis. Das Restaurant, das neben dem Ort Beit Jala lag, war vor zwei
Stunden zerstört worden.
„Das ist aber komisch,“
sagte Mohammed Zeidan, Direktor der arabischen Vereinigung für Menschenrechte.
„Das Timing – wir konnten es wirklich nicht glauben, was wir hier sahen.“
Kurz vor der
Morgendämmerung an diesem Tag hatten israelische Soldaten das Gebiet
rund herum abgeschlossen und gingen daran, das Restaurant und ein daneben
liegendes Gebäude, das der Familie Qesieh gehört, abzureißen. Die Zerstörung
wurde unter dem Vorwand einer Abrissorder von 2005 ausgeführt.
„Das Restaurant war schon
einmal zerstört,“ sagte Odna Copty von der Vereinigung für die Rechte der intern
Vertriebenen in Israel. “Es ist immer traurig, wenn man so etwas hört und über
so etwas liest. Aber wenn man erwartet, dass es da ist und dann
es zerstört vorfindet, das ist noch etwas anderes.
Für die Qesieh-Familie war
die Zerstörung ihres Restaurants eine gewaltsame Erinnerung an die komplette
israelische Kontrolle über ihre Grundrechte und über die einzige Quelle ihres
Einkommens.
„Ich zahle immer noch
Schulden ab von der Zerstörung im Jahr 2000,“ sagte Ramzi Qesieh, Besitzer von
Al-Makhrour. „Wie kann ich es wieder aufbauen, wenn ich keine Einnahmen habe?
Wenn sie es irgendwann wieder zerstören?“
Keine Erklärung wurde
gegeben
Qusieh erklärte, vor der
Morgendämmerung sei eine Anzahl von Männern in Zivilkleidung gekommen. Sie
sprachen arabisch und sagten ihm, dieses Restaurant würde zerstört werden.
Keine Erklärung wurde
gegeben.
„Wir sehen dies oft“, sagte
Copty, der für Palästinenser kämpft, deren Besitz während der Nakba, der
systematischen ethnischen Reinigung, die 1948 zur Gründung Israels führte,
konfisziert wurde. Der Staat Israel will, dass sie glauben, ihre eigenen Leute
hätten ihnen das angetan. „
Beit Jala grenzt an die
jüdische Siedlung von Gush Etzion und an Har Gilo
Al-Makhrour liegt innerhalb der Zone C. Nach den Oslo-Abkommen sollte Israel angeblich nur für eine begrenzte Zeit die Kontrolle über Zone C haben. Doch 19 Jahre nachdem die Abkommen unterzeichnet wurden, sind die Palästinenser in Zone C noch immer der willkürlichen Verfolgung durch israelische Kräfte im alltäglichen Leben ausgesetzt.
Nach zwei Wochen liegen die
Trümmer immer noch, wo sie hinfielen. Die Familie erklärte, dass es niemanden
gibt, der ihnen beim Wiederaufbau hilft oder ihnen die Baukosten gibt. Sogar als
Christen haben wir niemanden, der uns hilft, Sagte Ramzi Qesieh. „Die Leute von
Jesus haben das Heilige Land verlassen. Wie können wir hier leben, wie können es
meine Kinder, wenn das Leben so ist.“
Die Erfahrungen der
Qesieh-Familie stehen im starken Kontrast zu den kürzlichen Äußerungen des
israelischen US-Botschafters
Michael Oren, In einem TV-Programm der US
behauptete er , die Christen würden aus dem historischen Palästina
wegen innerarabischen Querelen fliehen.
Nach Zeidan
von der Arabischen Vereinigung für Menschenrechte reflektieren Orens
Behauptungen eine größere
Teile-und-herrsche-Mentalität, die Israel anwendet, um die palästinensische
Identität zu schwächen.
„Israel sieht jede
Solidarität zwischen palästinensischen Gemeinden als eine Bedrohung“ ( wie auch
die Solidarität mit internationalen Gruppen), sagte Zeidan, der betont, dass
sich Israel gegenüber isr. palästinensischen Organisationen, die sich mit
Palästinensern der Westbank und im Gazastreifen koordinieren, aggressiv verhält
. Indem die Palästinenser aufgeteilt werden in Muslime und Christen und Beduinen
und Israelis, versucht der Staat, diese kleinen Gruppen besser zu kontrollieren
und sie gegeneinander zu hetzen.
Es ist tatsächlich so, dass
palästinensische Organisationen automatisch unter Verdacht stehen – ob in Israel
oder in den besetzten Gebieten -mit israelischen und jüdischen Organisationen
zusammen zu arbeiten, die unsere Sache unterstützen, bedeutet für uns, eine
andere Perspektive zu gewinnen, sondern auch das Geschichten wie diese mit mehr
Glaubwürdigkeit von einem größeren Leserschaft aufgenommen werden.
So ist es, fügt Zeidan noch hinzu.
Die Qezieh-Familie betonte
auch, dass sie ohne Schutz nicht wieder aufbauen könnte, auch nicht ohne legale
Hilfe und unmittelbare menschliche Präsenz.
„Es war eindeutig ein
Gefühl der Hilflosigkeit,“ sagte Copty der Elektronic Intifada. „Und wir waren
nur Beobachter.
Es ist schwierig, hier ein Gefühl zu haben, dass man genug tut“.
Nach dem Israelischen
Komitee gegen Hauszerstörungen (ICAHD) war 2011 ein Rekordjahr von
Vertreibungen, da im ganzen 622 palästinensische Strukturen von israelischen
Behörden zerstört wurden. Von diesen waren 222
( 36%) Wohnhäuser, während der Rest zum Lebensunterhalt diente
(Wasserbehälter und landwirtschaftliche Einrichtungen.) Die Folge davon war die
Vertreibung von 1094 Menschen, fast doppelt so viel wie 2010. Seit 1967 hat
Israel mehr als 26 000 pal. Häuser in der Westbank und im Gazastreifen zerstört
(„Die Judaisierung von Palästina“)
„Es war ein Schock, und es
war sehr traurig und das Timing war seltsam. Aber wenn es vorüber ist,
erinnerst du dich, dass dies täglich geschieht,“ sagte Copty.
Für Ramzi Qesieh mit einem
Schuldenberg und seinem Lebensunterhalt
- ein Schutthaufen neben ihm - gibt es wenig Optionen und die Zukunft ist
unklarer als je zuvor. Ich liebe diesen Ort und ich liebe mein Land. Vorher
hättest du mich nicht von hier wegholen können. Aber meine Kinder haben schon
soviel Leid gesehen. Welcher Vater will seinem Kind diese Schulden vererben?
Das UN-Komitee für die
Beendigung rassischer Diskriminierung
veröffentliche seinen letzten Bericht über Israel im März und in erfrischendem
Kontrast zu seiner sonst eigenen
lauen Sprache erklärt es, dass es „die Staatspartei drängt unmittelbare
Maßnahmen aufzunehmen, um solch eine Politik und Praxis … rassistischer Trennung
und Apartheid zu verbieten.“
Speziell war UN-CERD
erschrocken über den hermetischen Charakter der Trennung der beiden Gruppen (
Palästinenser und jüdische Siedler)
und die zunehmende diskriminierende Planungspolitik, bei
der palästinensische und Beduinengemeinden sehr selten eine
Baugenehmigung bekommen und Abrissorder
prinzipiell auf Besitz von Palästinensern und Beduinen abzielen.
Trauma
Diese Politik der
erzwungenen Vertreibung hat „emotionale und sozio-ökonomische Auswirkungen auf
die vertriebenen Familien, von denen ein großer Teil
schon 1948 zu Flüchtlingen
wurde“ betont der ICAHD-Bericht 2012 für UN-CERD: die Symptome reichen von der
Abhängigkeit von menschlicher Hilfe bis zu tiefen psychologischen Traumata
besonders bei Kindern (Ängstlichkeit, Depressionen und post-traumatischen
Stress-Disorder ).
Die Qesieh-Familie
erklärte, dass Palästinensern, die seit 1967 in dem Gebiet wohnen keine
Bau-genehmigung gewährt wurden . Die Besitzer dieser Ländereien hatten keine
andere Wahl, als illegal auf diesen zu bauen mit dem ständigen Risiko der
Zerstörung.
Auf mehr als 70% der Zone C
ist es Palästinensern verboten zu bauen, da es
entweder den israelischen Siedlungen zugewiesen wurde
oder zu militärischem Gebiet
erklärt wurde.
„Ich habe eine Tochter an
der Universität und eine andere in der Schule,“ sagt Qesieh. Niemand will ein
illegales Haus bauen. Aber es ist unmöglich eine Baugenehmigung zu erhalten.
Also musst du das Risiko auf dich nehmen. Ich weiß nicht, wie ich es meinen
Töchtern erzählen soll.“
Für jeden, egal wo, aber
besonders für die Palästinenser unter Besatzung ist das
eigene Heim die Verbindung der Familie zum Land“, erklärte Zeidan. „Die
israelische Politik der
Hauszerstörung und besonders der Lebensgrundlage ( Geschäft, Restaurant) ist
Israels Strategie, die Menschen von ihrem Land abzuschneiden, die
Selbst-Genügsamkeit zu zerstören und dem palästinensischen Volk die Hoffnung zu
nehmen.“
Für Ramzi Qeisehs Sohn
Jihad, der seinen Vater beobachtet, wie er versucht, zu reparieren, was
jederzeit zerstört werden kann, ist es schwierig, sich ein Leben
an dem Ort aufzubauen, wo er aufgewachsen ist.
„Sie haben das Restaurant
in einer Stunde zerstört,“ sagte Jihad, „ wir wissen nie, ob sie nicht auch
unsere Wohnung zerstören. Womöglich morgen. Der Stress ist zu viel, um damit zu
leben. Wenn ich eine Möglichkeit finde, wegzugehen, werde ich gehen.“
Mehrere palästinensische
und israelische Organisationen arbeiten daran, rechtliche Hilfe,
finanzielle Unterstützung und physische Sicherheit für die Familie zu
mobilisieren. Im Augenblick sucht
die Familie Unterstützung beim
Wiederaufbau.
„Nach einiger Zeit gingen
wir, um einen anderen Ort für die NGO-Treffen zu finden.
Es gab genug Arbeit, die wir tun müssen,“ sagte Odna Copty.
Doch die Familie wollte für uns kochen. Sie sagten zu uns, lasst sie den
Rauch unseres Barbecue in den Himmel steigen sehen. Lasst sie sehen, dass wir
noch hier sind.
(dt. Ellen Rohlfs)