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Avraham Burg: "Hitler besiegen", Campus Verlag 2009
Rezension des Buches von Malcolm Sylvers
(emeritierter Professor für US- Geschichte an der Universität Venedig)
Es ist verständlich, dass viele Muslime eine negative Vorstellung vom
Judentum haben. Der Staat Israel, der mit seiner menschenrechtsverachtenden
Politik Muslime in dem Land selbst und noch mehr in den besetzten Territorien
(West Bank, Gaza) unterdrückt, beschreibt sich als "jüdischer Staat".
Folglich haben die Panzer, Kampfjets und Soldaten, die die 1400 Bewohner
Gazas—unter ihnen 400 Kinder—ermordet haben, ihre Schandtaten unter dem Symbol
des Davidsterns durchgeführt. Aus diesem Grunde ist es ohne Zweifel schwierig
für Muslime, Judentum lediglich als eine Religion zu betrachten. Abgesehen von
den früher oft positiven Verbindungen zwischen Islam und Judentum ist es
einfach zu beweisen, dass nicht alle Juden in der Welt mit Israel und seiner
Politik einverstanden sind. Noch mehr: dass es auch in Israel, obwohl die
überwiegende Mehrheit der jüdischen Bürger ihre Regierung unterstützt, dissidente Stimme gibt und diese versuchen, näher an die
Wurzel des Nahost-Problems zu rühren. Eine dieser Stimmen ist Avraham Burg in seinem gerade ins Deutsche übersetzten
"Hitler besiegen" (Campus Verlag 2009, S. 280). Es ist ein Buch, das
in Deutschland aus zwei Gründen diskutiert werden sollte. Es stellt einen
Verstoß gegen die political correctness
dar, was immer ein Gewinn ist, und der Autor scheut sich außerdem auch nicht,
unangenehme Analogien zwischen Israel und der deutschen Geschichte zu ziehen.
Burg war ein wichtiger israelischer Politiker, Sprecher der Knesset und Leiter
verschiedener internationaler zionistischer Organisationen. Der Stil des Buches
ist nicht der übliche von traditioneller Sachliteratur. Es ist in weiten Teilen
ein tief persönlicher Monolog mit seinem verstorbenen Vater, einem jüdischen
Deutschen, der Ende der 1930er Jahre vor der Nazi-Verfolgung emigrierte und
Minister der ersten Generation Israels wurde. Burg selbst, heute nicht mehr
direkt in der Politik tätig, vertritt eine sehr negative Ansicht über die
heutige Lage, und er versucht zu verstehen, warum dies so geworden ist.
Israel ist für Burg ein Land voller Militarismus und Aggressivität den
umgebenden arabischen gegenüber, ständig misstrauisch auch gegenüber seinen
Freunden USA und Europa. Aus diesem Grund könne es für sein Problem mit den
Palästinensern keine Lösung finden. Der Autor formuliert kurz, Israel habe
Muskeln und keine Seele entwickelt, sein Held sei nicht mehr Gott, es seien die
Makkabäer, die antiken militärischen Helden des Landes. Israel sei ein
imperialistisches Land geworden: Indikator dafür sei auch die moderne
hebräische Sprache, die, – ähnlich wie das sogenannte Pentagon-Englisch - , Begriffe über Gewalt verharmlose. Statt von Liquidierung
und Ausrottung ist die Rede von „gezielter Prävention“, statt von Eliminierung
arabischen Eigentums wird in den Massenmedien der Begriff „Offenlegung“
benutzt, was so viel bedeutet wie „dem staatlichen Zugriff geöffnet“. Israel
sei im Übrigen ein Land, in dem nicht nur Araber diskriminiert werden, sondern
auch orientalischstämmige Juden oft wie Aussätzige
behandelt würden.
Die Malaise der israelischen Politik, so Burg, sei direkt verbunden mit der
Ideologie der Shoah („Zerstörung“), d.h. der Nazi-
Judenvernichtung, und dieses sei das Problem. Es bedeutet, dass alle Nichtjuden
Gegner des jüdischen Volks seien. Seine Geschichte sei so eigenartig, dass
Israel sich in der "Menschen-Familie" nicht wohl fühle. Der Mythos
der Shoah sei wie eine Epidemie, die ständig im Namen
der Toten spreche und den Lebenden nicht viel zu sagen habe. Kein Wunder, so
Burg, dass die israelische Politik Antisemitismus hervorbringe. „Wir haben [die
Shoah] aus ihrem historischen Kontext gerissen zur
Entschuldigung für eine unmenschliche Politik“. In diesem Sinn werde die
jüdische Shoah als Rechtfertigung für die
palästinensische Naqba („Katastrophe“) benutzt.
Trotz seines radikalen Blicks auf die israelische Gesellschaft und Politik
macht der Autor wenig konkrete Vorschläge, das Buch ist eher ein
Stimmungsbericht über Mentalität und Staatsideologie. Burg selbst möchte, dass
Israels arabische Bürger als Partner angesehen werden, kommt aber nur bis zum
Vorschlag einer Entschädigung für die Flüchtlinge. Zwar spricht er gegen einen
"jüdischen Staat" und möchte eine neue, lockerere Definition für eine
israelische Staatsbürgerschaft. Er erklärt aber nicht, wie die Araber, immerhin
20% der Bewohner Israels, sich auch nur mit dem Namen des Staates
identifizieren könnten.
Burg ist tief entrüstet darüber, dass die israelischen Gesetzbücher von
"Verbrechen gegen die Juden" spricht, statt
die Judenvernichtung als eine Mahnung für die Menschheit im Allgemeinen zu
interpretieren. So wird Auschwitz z.B. israelischen Schülern als rein
nationales Ereignis nahegebracht. Aus diesem Grunde wünscht er, dass die
ständigen Schulfahrten nach Auschwitz aufhören. Burg erinnert daran, dass, als
er einmal im Parlament den Antisemitismus in einen allgemeinen Zusammenhang
gestellt hatte, er nur von den arabischen Mitgliedern Zuspruch erhielt.
Außerdem sei es nötig, speziell Deutschland endlich von seiner Schuld zu
befreien, damit man auch in diesem Land das Recht erhalte, Israel zu
kritisieren, -- dies wäre dann tatsächlich eine historische Änderung in der
deutschen political correctness.
Ein nicht zweitrangiger Aspekt dieses Buches sind die verschiedenen
historischen Analogien zwischen Israel und Deutschland von der Kaiserzeit bis
zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Wie jeder weiß, der sich für die
palästinensische Sache engagiert, provoziert keine Äußerung soviel Geräusch von
Seiten der pro-zionistischen Lobby in Deutschland wie die Behauptung, dass
Israel sich zu den heutigen Palästinensern ähnlich wie Nazi-Deutschland zu den
Juden verhält. Bis zur Pogrammnacht 1938, d.h., bevor
die eigentliche Vernichtungskampagne begann, findet Burg diese Analogie
korrekt. Nach dem Krieg gegen Gaza—die erste Ausgabe dieses Buches ist von
2007—hat er vielleicht seine Meinung über diese Zeitbegrenzung geändert. Auf
jeden Fall spürt er in der Sprache von Begin und Netanyahu mit ihrer
Rechtfertigung jeder Aggression als "Schicksalskampf des israelischen
Volkes" eine starke Ähnlichkeit mit der Sprache Hitlers and Goebbels’. Und die vielen Aufschriften überall in
Israel, „Araber raus“, erinnern ihn direkt an das Nazistische „Juden raus“. Die
israelische Bevölkerung handele wie damals die deutsche im Dritten Reich nach
der Devise: „Wir stellen uns blind und schauen weg“. Für Burg ist die Bedrohung
durch den Faschismus bereits real.
Was Religion betrifft, macht der Autor keinen Hehl daraus, dass ihm viele
Bestandteile des Judentums nicht gefallen, z.B. die „heidnischen" Rassentheorien
der Orthodoxen. Burgs ideales Judentum ist dagegen „ein ständiger Kampf gegen
Rassismus, religöse Arroganz…“, gegen „israelischen
Separatismus“. Ein wichtiger Teil seines Buches ist ein Plädoyer für ein neues
Judentum. Er möchte zu einem spirituellen Zionismus zurückkehren. Sein Ideal
ist ein universelles Judentum - Namen wie Marx, Freud, Heine, Moses
Mendelssohn, Martin Buber werden als Beispiele erwähnt, aber auch von
Nichtjuden, z.B. Ghandi ist die Rede. Für Burg sind
die Juden eher wie alle anderen Völker ein Teil der menschlichen Geschichte,
wenn auch mit einer besonderen Botschaft. Er erinnert daran, dass Nichtjuden
auch in Palästina oft Solidarität mit den Juden gezeigt haben: Während der
arabischen Revolte 1929 wurde Burgs Mutter von ihrem arabischen Vermieter und
dessen türkischer Frau vor Gewalttaten beschützt.
Mindestens zwei Fragen lässt Burg offen: War die Gründungsideologie des
Zionismus nicht von Anfang an rassistisch?
Kann der Slogan "Ein Land ohne Volk für ein Volk ohne Land" überhaupt
anders interpretiert werden? Ein lediglich spiritueller Zionismus, in dem die
Juden in Nahost Kontakt mit ihren Anfängen wiederaufnehmen, aber ohne einen
Staat aufzubauen, war in Wirklichkeit nie eine Option. Zionismus war immer Teil
realer europäischer Politik. Er begann als Antwort auf den virulenten
Antisemitismus des letzten Drittels des 19. Jahrhunderts in Europa und wurde
alsbald Spielball des britischen Imperialismus. Nach der Nazi-Judenverfolgung
und der deutschen Niederlage war die Gründung des Staates Israel eine
Wiedergutmachung Europas. Diejenigen, die dafür bezahlten, lebten weit weg.
Eine weitere offene Frage besteht darin, ob man überhaupt so einfach wie Burg
über ein "jüdisches Volk" sprechen kann, das überall und immer ein
und dasselbe Schicksal erlitten habe. Die Wahrheit liegt vielleicht zwischen
dieser Ansicht und der ausschließlich religösen
Perspektive.
Es ist unklar, was für eine Wirkung das Buch haben wird. Auf jeden Fall ist der
Weg zu einem gerechten Frieden in Nahost so einfach nicht. Abgesehen von der
Debatte über die Ein- oder Zweistaatenlösung muss Israel, - wie viele wissen,
aber es nicht zu äußern wagen -, einfach aufhören, Israel zu sein:
Entmilitarisiert, mit einem neuen Staatsnamen, und mit Gleichberechtigung aller
Bürger, könnte ein neuer Staat möglicherweise der dort lebenden Bevölkerung,
Juden, Muslimen und anderen, Frieden und die Ausübung ihrer Religion und Sitten
zusichern - eine Utopie vielleicht, aber trotzdem richtunggebend.
Für Burg gibt es die Hoffnung, dass Kritik von außen die
israelischen Politik in Bewegung setzen könnte. Aber muss nicht,
schärfer formuliert, die sogenannte internationale Gemeinschaft Israel in
Gewahrsam nehmen? Bis jetzt haben die selbst erklärten Freunde dieses Landes,
voran Deutschland, nur die schlechtesten Tendenzen Israels ermutigt. Um ein
Umdenken in der Nahost-Politik zu initiieren, ist es unvermeidlich, auch in
Europa die Shoah-Ideologie in Frage zu stellen, was
etwas ganz anderes ist, als den Holocaust zu leugnen.