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Erniedrigen und degradieren
Noam Chomsky ( 2. Teil)
Nach einem mehrtägigen
Besuch im Gazastreifen war mein
erster Eindruck Verwunderung, nicht nur über die Fähigkeit, ( unter diesen
Umständen) das Leben weiter zu führen, sondern auch über die Dynamik und
Vitalität der jungen Leute, besonders an der Universität, wo ich die meiste Zeit
an einer internationalen Konferenz teilnahm. Aber auch dort kann man auf
Anzeichen stoßen, dass der Druck
(der Besatzung und Blockade) so hart ist, dass er schwer zu ertragen ist.
Berichte deuten daraufhin, dass unter jungen Männern
Frustration schwelt, nachdem sie erkannt haben, dass unter der
US-Israel-Besatzung die Zukunft
nichts für sie bereit hält. Es gibt nur so viel, wie in Käfige eingesperrte
Tiere aushalten können, und dann kann es einen Ausbruch geben, der vielleicht
hässliche Formen annimmt – und israelischen und westlichen Apologeten eine
Möglichkeit der Selbstgerechtigkeit anbietet, um die Menschen zu verurteilen,
die „kulturell zurück“ seien, wie Mitt Romney „einsichtsvoll“ erklärte.
Gaza sieht wie eine
typische Dritte-Welt-Gesellschaft aus, mit wenig Reichen, die von schrecklicher
Armut umgeben sind. Doch ist es nicht „unterentwickelt“. Es ist eher „
de-devellopped“/“zurück-entwickelt“ und zwar sehr systematisch, um den Terminus
von Sara Roy zu gebrauchen, die führende akademische Spezialistin des
Gazastreifens. Der Gazastreifen könnte eine reiche mediterrane Region mit
reicher Landwirtschaft, einer blühenden Fischindustrie und wunderschönen
Stränden sein - und was vor zehn
Jahren entdeckt wurde: gute Aussichten auf
extensive Naturgasvorräte innerhalb seiner territorialen Gewässer.
War es reiner Zufall, dass
Israel seine Seeblockade intensivierte und Fischerboote zur Küste in die drei
Meilenzone trieb?
Die günstigen
Zukunftsaussichten wurden 1948
abgebrochen, als der Streifen eine Flut palästinensischer Flüchtlinge aufnehmen
musste, die vor dem (isr.)Terror
flohen oder zwangsweise aus dem Gebiet vertrieben wurden, was Israel wurde.
In einigen Fällen wurden sie erst Monate nach der Feuerpause vertrieben.
Tatsächlich wurden sie
sogar erst vier Jahre später vertrieben, wie Haaretz
am 25.12.2008 in einer nachdenklichen Studie von Beni Tziper über die
Geschichte des israelischen
Ashkalon (bis zu den Kanaanitern ) brachte. 1953 gab es eine „kühle Kalkulation,
dass es nötig sei, die Region von Arabern zu säubern“. Der ursprüngliche Name
Majdal war schon ins heutige
Ashkalon judaisiert worden – wie es
reguläre Praxis ist.
Das war 1953, als
keinerlei militärische Notwendigkeit bestand . Während Tziper, selbst
1953 geboren, durch die Überreste
des alten arabischen Stadtteils ging,
hatte er die Gedanken: „es ist wirklich schwierig für mich, wirklich
schwierig, mir klar zu machen, dass während meine Eltern
meine Geburt feierten, andere Menschen auf LKWs geladen
und aus ihren Häusern vertrieben wurden.“
Israels Eroberungen von
1967 und ihre Nachwirkungen führten zu weiteren Schlägen. Dann kamen die schon
erwähnten schrecklichen Verbrechen, die bis heute andauern.
Die Anzeichen sind leicht
selbst bei einem kurzen Besuch zu sehen. Während ich in einem Hotel in der Nähe
der Küste sitze, kann man das Maschinengewehrfeuer hören, womit die Fischer aus
Gazas territorialen Gewässern zur Küste getrieben werden. So werden sie
gezwungen, in schwer kontaminierten Gewässern zu fischen, weil
die US-Israel sich weigern, Baumaterial
zum Wiederaufbau der Abwässer und des Stromsystem, das sie zerstört
haben, durch die Grenze zu lassen.
Die Oslo-Abkommen führten
Pläne für zwei Entsalzungsanlagen, eine Notwendigkeit in dieser trockenen
Region. Eine weit entwickelte wurde in Israel gebaut. Die zweite liegt bei Khan
Younis im Süden des Gazastreifens. Der
beauftragte Ingenieur, der für Trinkwasser für die Bevölkerung sorgen
soll, erklärte, dass diese Einrichtung entworfen wurde, aber nicht für salziges
Meerwasser, sondern für Grundwasser. Es ist ein billigerer Prozess, der aber den
armen Aquifer dahinbringt, dass es in Zukunft ernste Probleme geben wird. Das
Wasser ist sehr knapp. Die UNRWA, die für die Flüchtlinge sorgt, aber nicht für
die andern Menschen im Gazastreifen, veröffentlichte vor kurzem einen Bericht,
in dem sie davor warnt, dass der Schaden des Aquifer bald „irreversibel“ ist und
wenn hier nicht bald eine schnelle
Hilfsaktion einsetzt, dann wird
Gaza für Menschen 2020 kein
„erträglicher Ort mehr zum Leben“ sein.
Israel erlaubt, dass Beton
in den Gazastreifen geliefert wird, aber nur
für UNWRA-Projekte, nicht für die riesigen Wiederaufbauprojekte der
Bevölkerung. Die wenigen schweren Baumaschinen stehen meistens untätig herum, da
Israel nicht erlaubt, dass Baumaterial in den Gazastreifen
geliefert wird. All dieses ist ein Teil des allgemeinen Programms, das
Dov Weisglass, Berater des Minister-präsidenten
Ehud Olmert, empfohlen hat, nachdem die Palästinenser bei den 2006-Wahlen
nicht den Ordern folgten ( und stattdessen Hamas wählten). Er sagte, man müsse
die Palästinenser auf Diät setzen, sie aber nicht Hungers sterben lassen. Das
sieht nicht gut aus. (Es wurde sogar die Kalorienzahl festgelegt)
Und dem Plan wird
skrupellos gefolgt. Sara Roy hat in ihren wissenschaftlichen Studien Beweise
geliefert. Vor kurzem gelang es der israelischen Menschenrechtsorganisation
Gisha nach jahrelangen Bemühungen eine Gerichtsorder für die Regierung zu
bekommen, dass sie die Protokolle mit den detaillierten Diätplänen - und wie sie
ausgeführt werden - veröffentlicht.
Der in Israel lebende
Journalist Jonathan Cook fasst sie so zusammen : Offizielle israelische
Gesundheitsarbeiter lieferten Kalkulationen über die Minimumanzahl von Kalorien,
die in Gaza für 1,5 Millionen
Bewohner benötigt werden, um Unterernährung zu verhindern. Diese Zahlen wurden
umgerechnet in LKW-Ladungen mit Nahrungsmitteln, die Israel täglich in den
Gazastreifen lässt … im Durchschnitt
nur 67 LKW – viel weniger als die Hälfte des
erforderlichen Minimumbedarfs - dies verglichen mit mehr als 400 LKWs,
bevor die Blockade begann.“ Und selbst diese Schätzung ist
allzu großzügig, sagt ein UN-Beamter.
Der Nahostwissenschaftler
Juan Kole beobachtete: „Die Folge dieser Diät ist, dass über 10 % der
palästinensischen Kinder unter 5 Jahren im Gazastreifen in ihrem Wachstum wegen
Unterernährung gehemmt sind … zusätzlich ist Anämie weit verbreitet, zwei
Drittel der Kleinkinder, 58,6% der Schulkinder und mehr als ein Drittel der
schwangeren Mütter.“ Die US und Israel wollen sich absichern , dass nur gerade
noch Überleben möglich ist.
„Woran man vor allem denken
muss,“ sagt Raja Sourani (PCHR), „ ist, dass die Besatzung und die absolute
Blockade ein dauernder Angriff auf die menschliche Würde vor allem der Menschen
im Gazastreifen ist, aber auch der Palästinenser allgemein. Es ist eine
systematische Degradierung, Demütigung, Isolierung und Fragmentierung des
palästinensischen Volkes.“
Diese Schlussfolgerung wird
von vielen anderen Quellen bestätigt. In einer führenden medizinischen
Zeitschrift „The Lancet“ beschreibt
ein Arzt aus Stanford, der den Gazastreifen besuchte und erschrocken war über
das, was er dort sah. Er beschrieb Gaza als „ein Laboratorium*, in dem die
Abwesenheit von Würde beobachtet wird“, ein Zustand, der verheerende
Auswirkungen auf das physische, psychische und soziale Wohlbefinden hat. Die
ständige Überwachung vom Himmel her, die kollektive Bestrafung durch Blockade
und Isolierung, die Störung der Privatsphäre, der Kommunikationen und die
Einschränkungen für die, die zu reisen, zu heiraten oder zu arbeiten versuchen,
machen es schwierig, ein würdevolles Leben im Gazastreifen zu führen.“ Den
Arabern / den Niggenr muss beigebracht werden, nicht ihre Köpfe zu heben.
( *Gaza ist aber auch ein Testlabor für neue Waffen: DIME,
Flechetteraketen, DU, Nervengas, Phosphor, Phantomangriffe u.a.
Bericht in Baltische Rundschau vom 15.1.09
und Goldstone-Bericht
S. 362; ER)
Es gab Hoffnungen, dass die
neue Morsi-Regierung in Ägypten weniger im Banne Israels stünde als die
westlich-unterstützte Mubarak-Diktatur und den Rafah-Übergang öffnet, den
einzigen Ausgang nach draußen für die gefangenen Gazaer, der nicht der direkten
israelischen Kontrolle
unterworfen ist. Es gab eine leichte Öffnung, aber nicht viel und nicht
lange. Die Journalistin Laila el-Haddad schreibt, die Wieder-Eröffnung unter
Morsi „ ist einfach eine Rückkehr zum Status Quo vergangener Jahre: nur
Palästinenser mit einem israelisch anerkannten Gaza-Ausweis können die
Rafa-Kreuzung benützen“, was eine große Menge Palästinenser ausschließt,
einschließlich El-Haddads Familie, in der nur ein Ehepartner solch einen Ausweis
hat.
Sie fährt fort:“ Außerdem
führt dieser Übergang nicht in die Westbank, noch dürfen hier Waren eingeführt
werden, die nur über von Israel kontrollierte Übergänge eingeführt werden dürfen
. Es ist auch verboten, Baumaterial
hier zu importieren und jeder Export ist verboten.“ Der eingeschränkte
Rafa-Übergang verändert nicht die
Tatsache, dass Gaza unter dichter Belagerung von der Luft und vom Meer her
bleibt und weiter für
palästinensisches kulturelles, wirtschaftliches und akademisches Kapital im Rest
der besetzten Gebiete verschlossen bleibt – was eine Verletzung der
US-israelischen Verpflichtungen nach den Oslo-Abkommen ist.“
Die Auswirkungen sind
schmerzlich offensichtlich. Im Khan Yunis-Krankenhaus beschreibt der Leiter, der
auch Chef der Chirurgie ist, zornig
und leidenschaftlich, dass sogar Schmerzmedikamente fehlen, die den leidenden
Patienten helfen könnten, als auch einfache ärztliche Ausrüstung und so die
Ärzte hilflos lässt und die
Patienten in Agonie. Persönliche Geschichten verdeutlichen die allgemeine
Empörung, die man bei der
Obszönität der harten Besatzung empfindet. Ein Beispiel ist das Zeugnis einer
jungen Frau, die verzweifelte, als ihr Vater, der stolz auf seine Tochter war,
die als erste Frau im Flüchtlingslager
einen akademischen Grad erhielt, nach 6 Monaten Kampf gegen den Krebs mit
60 starb. Die israelische Besatzung verweigerte ihm einen Passierschein für die
Behandlung in einem israelischen Krankenhaus. Ich musste meine Studien, meine
Arbeit und Leben abbrechen, um mich an sein Bett zusetzen. Wir saßen alle da,
mein Bruder, ein Arzt, und meine Schwester, eine Apothekerin; alle macht- und
hoffnungslos beobachteten wir sein Leiden. Er starb während der unmenschlichen
Blockade des Gazastreifens im Sommer 2006 …Ich denke, sich macht- und
hoffnungslos zu fühlen, ist das schlimmste Gefühl, das ein Mensch je haben kann.
Es
tötet den Geist und bricht
das Herz. Man kann gegen die Besatzung ankämpfen, aber nicht gegen das Gefühl,
machtlos zu sein. Man kann dieses Gefühl auch nicht auflösen.“
Empörung gegen die
Obszönität, verbunden mit Schuld: es liegt in unserer Macht, dieses Leiden zu
beenden und den Samedin/den Geduldigen erlauben, sich ihres Lebens in Frieden
und Würde zu erfreuen – wie sie es verdient haben.
Prof. Noam Chomsky –
Professor Emeritus der Linguistik
am MIT ( Massachusetts Institut für Technologie, weltbekannter Autor und
führender Intellektueller, der den Gazastreifen vom 25.-30. Oktober 2012
besuchte .
(dt. Ellen Rohlfs, ER)