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Demütigen und degradieren – Eindrücke aus dem Gazastreifen ( 1.Teil)
Noam Chomsky,
7.11. 12
http://www.informationclearinghouse.info/article32968.htm
(Noam Chomsky war vor kurzem im
Gazastreifen zu einer Konferenz. Er wollte auch das schwedische Schiff Estelle
im Hafen von Gaza mit begrüßen – dieses kam wieder nicht an, sondern wurde von
der isr. Marine gekidnappt und nach Ashdod verschleppt=
Es genügt, eine einzige Nacht im
Gefängnis zu verbringen, um einen Eindruck zu bekommen, was es bedeutet, sich
unter der totalen Kontrolle einer
externen Macht zu befinden. Und man braucht kaum einen Tag mehr im Gazastreifen,
bis einem bewusst wird, wie schwierig der Versuch ist, im größten
Open-air-Gefängnis der Welt zu überleben, wo 1,5Millionen Menschen - im am
dichtesten bevölkerten Teil der Welt
- ständig einem ziellosen und oft brutalen Terror und willkürlichen
Strafen ausgesetzt sind – zu keinem anderen Zweck als zu demütigen und zu
erniedrigen. Und mit dem weiteren Ziel, sicher zu gehen, dass die
palästinensischen Hoffnungen auf eine anständige, normale Zukunft zerstört
werden und die überwältigende
globale Unterstützung für ein diplomatisches Abkommen, das diese Rechte gewährt,
für null und nichtig erklärt.
Die Intensität dieses Einsatzes von Seiten Israels politischer Führung ist
gerade in den letzten paar Tagen dramatisch illustriert worden, als sie warnten,
dass sie „verrückt werden“, wenn den Palästinensern Rechte begrenzter
Anerkennung von der UN gegeben werden. Das ist keine neue Richtung. Die Drohung
„verrückt zu werden“, ist tief in den Labor-Regierungen der 50er-Jahre
verwurzelt und zwar zusammen mit dem verwandten „Samson-Komplex“ : Wir werden
die Tempelmauern niederreißen, wenn ( eine rote Linie) überquert wird. Es war
damals eine leere Drohung, heute
nicht.
Die entschlossene Demütigung ist auch nicht neu, auch wenn sie ständig neue
Formen annimmt. Vor dreißig Jahren haben politische Führer, einschließlich
einiger der bekanntesten Falken,
Ministerpräsident Begin einen schockierenden und detaillierten
Bericht vorgelegt, wie Siedler regelmäßig Palästinenser in verkommendster
Form schikaniert haben und zwar total straflos. Der prominente
militär-politische Analytiker Yoram Peri schrieb empört, dass die Aufgabe der
Armee nicht die Verteidigung des Landes sei, sondern „ die Rechte des
unschuldigen Volkes zu zerstören, nur weil sie
„Nigger“ seien und in dem Land leben, das Gott uns verheißen hat.“
Die Bewohner von Gaza sind für
besonders grausame Bestrafung
auserwählt worden. Es ist fast ein
Wunder, dass Menschen solch ein Leben aufrecht halten können. Wie sie es tun,
hat vor dreißig Jahren Raja
Shehadeh in seinen wortgewandten
Memoiren beschrieben („The
third Way“), die sich auf seine Arbeit als Anwalt gründet, als er sich um die
hoffnungslose Aufgabe bemühte, die elementaren Rechte innerhalb eines
Rechtssystems zu schützen, was zum Scheitern bestimmt war . Er brachte da auch
seine persönlichen Erfahrungen als einer, der SAMUD (Ausdauer, Geduld) übte, und
der mit ansah, wie seine Heimat von brutalen Besatzern in ein Gefängnis
verwandelt wird und er nichts tun konnte als irgendwie
„auszuhalten“.
Seitdem Shehadeh schrieb, ist die Situation viel, viel schlimmer geworden. Die
Oslo-Abkommen, die 1993 mit viel Pomp
gefeiert wurden, bestimmten, dass der Gazastreifen und die Westbank eine
einzige territoriale Einheit bilden. Aber dann hatten die USA und Israel schon
ihr Programm der vollkommenen
Teilung in die Wege geleitet, um so ein diplomatisches Abkommen zu blockieren
und so die „Nigger“ in beiden Gebieten zu strafen.
Die Strafe für die Gazaer wurde im Januar 2006 noch strenger, als sie ein großes
Verbrechen begingen und bei den ersten freien Wahlen in der arabischen Welt
falsch wählten, nämlich die Hamas. Indem die USA und Israel , gestützt von der
zaghaften EU, nach „Demokratie lechzten“, verhängten sie sofort
unter intensiven militärischen Angriffen eine Belagerung.
Die USA machte sich sofort daran, eine Prozedur einzuführen, dass wenn irgendwo
eine ungehorsame Bevölkerung die falsche Regierung wählt,
ein militärischer Schlag vorbereitet wird, um wieder Ordnung
herzustellen.
Die Bevölkerung des Gazastreifens
beging ein Jahr später ein noch größeres Verbrechen, indem sie einen
Angriffsversuch blockierte, der zu einer Eskalation
der Belagerung und militärischen Attacken führte. Diese kulminierten im
Winter 2008/09 in der Operation Cast Lead, eine der feigsten und grauenhaftesten
Erfahrungen militärischer Kraft, die eine schutzlose zivile Bevölkerung, die
keinen Fluchtweg hat, noch gut im Gedächtnis hat. Sie war einem erbarmungslosen
Angriff eines der am meisten entwickelten militärischen Systeme unterworfen, das
sich auf US-Waffen verlässt und von US-Diplomatie beschützt wird. Ein
unvergesslicher Augenzeugenbericht
des Massakers – in ihren Worten ein „Infanticid“/ Kindermord – wird von zwei
mutigen norwegischen Ärzten ( in einem bemerkenswerten Buch: „Augen in Gaza“)
gegeben, die während des gnadenlosen Angriffs in Gazas Hauptkrankenhaus
arbeiteten, Gilbert und Erik Fosse.
Der
gerade zum Präsidenten gewählte Obama war abgesehen von einer Wiederholung
seines Mitgefühls für die Kinder unter den Angriffen
- in der israelischen Stadt Sderot -
unfähig, dazu ein Wort zu sagen. Der sorgfältig geplante Angriff
wurde kurz vor Obamas
Einführung ins Amt beendet, so dass er dann sagen konnte, nun ist die Zeit, um
nach vorne zu schauen und nicht rückwärts - die übliche Flucht eines
Kriminellen.
Natürlich gab es Vorwände – die gibt es immer. Der übliche Vorwand, der immer
dann vorgebracht wird, wenn es nötig ist, ist auch in diesem Fall „Sicherheit“ :
die selbst gebastelten/ primitiven Raketen aus dem Gazastreifen. Wie es
gemeinhin der Fall ist, fehlte auch hier die Glaubwürdigkeit.
2008 war zwischen Israel und der Hamas ein Waffenstillstand ausgehandelt
worden. Die israelische Regierung erkannte offiziell an, dass die Hamas sie voll
eingehalten hat. Nicht eine einzige Hamasrakete wurde abgefeuert, bis Israel den
Waffenstillstand unter dem Deckmantel der US-Wahlen am 4, November 2008 brachen
und aus lächerlichen Gründen im
Gazastreifen einfielen und ein halbes Dutzend
Hamasmitglieder töteten.
Der israelischen Regierung wurde von ihrem höchsten Geheimdienst geraten, der
Waffenstillstand könnte durch eine Erleichterung der kriminellen Blockade
und das Beenden der militärischen Angriffe erneuert werden. Aber die
Regierung von Ehud Olmert, der als Taube gilt, wies diese Optionen zurück, und
zog die Anwendung von Gewalt vor: die Operation Cast Lead. …
Das Muster der Bombardierung bei dieser Operation wurde sorgfältig von dem sehr
gut informierten und international anerkannten Gazaer Menschenrechtsanwalt Raji
Sourani analysiert. Er weist daraufhin, dass das Bombardieren auf den Norden
konzentriert war und schutzlose Zivilisten im
dichtest besiedelten Gebiet
ohne jeden militärischen Vorwand traf. Das Ziel könnte nach seiner
Vermutung folgendes gewesen sein : die eingeschüchterte Bevölkerung in den Süden
zur ägyptischen Grenze zu treiben. Aber die „Samidin“ (die Geduldigen) hielten
durch, trotz der US-Israelischen Terrorlawine.
Ein weiteres Ziel mag die Vertreibung über die Grenze gewesen sein. Wenn man in
die früheste Zeit der zionistischen Kolonisierung geht, wurde viel darüber
diskutiert, dass Araber keinen wirklichen Grund haben, in Palästina zu sein. Sie
könnten auch woanders glücklich sein und sollten
gehen – höflich gesagt „transferiert“ werden, wie die Tauben vorschlugen.
Das ist in Ägypten sicher keine
kleine Sorge und vielleicht der Grund, warum Ägypten seine Grenzen nicht
freiwillig den Zivilisten oder verzweifelt notwendigem Material öffnet.
Sourani und andere fundierte Quellen beobachten, dass die Disziplin der Samadin
ein Pulverfass verbirgt, das irgendwann unerwartet explodieren kann, wie die
erste Intifada 1987 nach Jahren elender Unterdrückung, die in Israel keine
Betroffenheit auslöste.
Um nur einen der unzähligen Fälle zu erwähnen: kurz vor dem Ausbruch der
Intifada wurde ein palästinensisches Mädchen, Intissar al-Atar, auf dem Schulhof
erschossen und zwar von einem Bewohner einer nahen jüdischen Siedlung. Er
war einer der mehreren Tausend israelischen Siedler, die in Verletzung
des Völkerrechts nach Gaza gebracht wurden und von großer Militärpräsenz
geschützt wurden, während sie viel Land an sich rissen und das knappe Wasser des
Streifens großzügig verbrauchten. Sie lebten in 22 Siedlungen inmitten von 1,4
Millionen verarmter Palästinenser, wie das Verbrechen vom israelischen
Wissenschaftler Avi Raz beschrieben wird. Der Mörder des Schulmädchens, Shimon
Yifrath wurde verhaftet, aber schnell gegen Kaution entlassen, als das Gericht
entschied, „die Straftat sei nicht schwer genug“ für eine verdiente
Gefängnisstrafe. Der Richter erklärte, dass Yifrah
nur beabsichtigt habe, das Mädchen mit dem Schuss aus seinem Gewehr
auf dem Schulhof nur erschrecken und nicht töten wollte, also ist das
kein Fall einer kriminellen Person, die bestraft
und abgeschreckt werden und der man mit Gefängnisstrafe eine Lektion
erteilen muss. Yifrah wurde eine 7monatige
ausgesetzte Strafe gegeben, während die Siedler im Gerichtssaal vor
Freude sangen und tanzten. Und
danach herrschte das übliche Schweigen. Schließlich wurde es
zur Routine.
Und so ist es: als Yifrah befreit war, berichtete die israelische Presse, dass
eine Armee-Patrouille in den Hof einer Jungenschule
in einem Westbank-Flüchtlingslager
schoss und fünf Kinder verletzte, angeblich nur um ihnen einen Schrecken
einzujagen. Es gab keine Beschuldigungen und der Vorfall zog keine
Aufmerksamkeit auf sich. Es war nur noch eine Episode im Programm des
„Analphabetismus als Strafe“
berichtete die israelische Presse, einschließlich der Schulschließung, Anwendung
von Tränengasbomben, das Schlagen von Schülern mit den Gewehrkolben,
das Verhindern medizinischer Hilfe für Opfer;
und außerhalb der Schulen eine Herrschaft von
schwerer Brutalität, die während der Intifada noch brutaler wurde, auch
nach den Ordern des damaligen Verteidigungsminister Yitzhak Rabin, („Brecht
ihnen die Knochen!“) eine andere bewunderte Taube.
Mein anfänglicher Eindruck nach einem mehrtägiger Besuch war Verwunderung ….
( 2.Teil folgt!)
(dt. Ellen Rohlfs)