Israel Palästina Nahost Konflikt Infos
Jonathan Cook, 18.11.12
Ein kurzes Interview, das
letzte Woche von CNN verbreitet wurde, lässt zwei Teilnehmer - einen
Palästinenser aus Gaza und einen Israeli reden, der in der Nähe des
Gazastreifens lebt.
Es folgte nicht dem
üblichen Schema.
Ausnahmsweise ließ einmal
eines der Medien seine Rolle als Torhüter fallen, um zu vermitteln. Unser
Verständnis über das, was zwischen Israel und den Palästinensern vorgeht, wird
dadurch zwar beeinträchtigt, aber wird auch zu einem einfachen Fenster zu realen
Vorfällen.
Das gewöhnliche Ziel eines
so „ausgewogenen“ Interviews, das sich mit dem israelisch-palästinensischen
Konflikt befasst, ist ein doppeltes: Den Zuhörern zu versichern, dass beide
Seiten der Geschichte fair dargestellt werden, indem
die potentiellen Gräueltaten an den getöteten palästinensischen
Zivilisten zerstreut wird, werden dem Leiden der Israelis die gleiche Zeit
eingeräumt.
Aber der tiefere Grund für solch eine
Berichterstattung - in Bezug auf Gaza -lässt vermuten, dass die israelischen
Bomben einfach eine Reaktion auf den Hamasterror sind und man den Zorn der
Zuhörer gegen die Hamas umleiten möchte. Auf diese Weise wird die Hamas
stillschweigend für das Leiden der Israelis wie der Palästinenser verantwortlich
gemacht.
Die dramatische
Schlussfolgerung des CNN-Interviews scheint jedoch anderweitig normale
journalistische Betrachtungsweisen zu übertrumpfen.
Das anfangs erwähnte
Interview über Skype begann mit Mohammed Sulaiman in Gaza . Was wie ein
überfüllter Abstellraum aussah, diente vermutlich als Schutzkeller. Er sprach
davon, dass er viel zu viel Angst hat, um nach draußen zu gehen. Während des
ganzen Interviews konnten wir die dumpfen Geräusche von explodierenden Bomben in
der Nähe hören. Mohammed schaute immer wieder nervös auf die Seite.
Der andere Interviewte
Nissim Nahoom, ein israelischer Beamter in Ashkalon, sprach auch vom Terror, den
seine Familie durchmacht, und behauptete, dass dieser wohl kaum anders sei, als
der, den die Gazaer durchmachen.
Außer in einer Hinsicht, beeilte er sich hinzuzufügen: für die Israelis sei es
schlimmer, weil sie mit dem Wissen leben müssen, dass die Hamasraketen
Zivilisten treffen sollen, währen die Raketen und Bomben, die Israel im
Gazastreifen fallen lässt, genau – und nicht Zivilisten -
treffen.
Das Interview
kehrte zu Mohammed zurück. Als er
zu sprechen anfing, wurde das Geräusch des Bombardierens lauter. Er fuhr
fort und sagte, dass er nicht durch das, was draußen geschieht, zum Schweigen
gebracht werden wolle. Die Interviewerin Isha Sesay, unterbrach, anscheinend
verunsichert von dem, was sie hörte, um zu fragen, woher der Lärm komme.
Dann begann Mohammed mit
einer Ironie, die ihm beim Sprechen
nicht bewusst war, zu sagen, dass er sich weigere, einen Vergleich zu ziehen,
wer mehr leidet – als eine große Explosion ihn von seinem Stuhl warf und die
Internetverbindung trennte. Zurück im Studio versicherte Sesay den Zuschauern,
dass Mohammed nicht verletzt worden sei.
Die Bomben sprachen jedoch
eine deutlichere Sprache als Mohammed oder Nissim.
Falls Mohammed mehr Zeit
gehabt hätte, hätte er in der Lage sein können, Nissims Punkt
über die größeren Ängste der Israelis in Frage zu stellen, als auch auf
einen anderen wichtigen Unterschied zwischen seinem und seines Gesprächspartners
jeweiligem Elend aufmerksam zu
machen.
Die weit größere
Genauigkeit von Israels Waffen
beruhigt nicht. Die Tatsache ist, dass ein palästinensischer Zivilist in Gaza in
weit größerer Gefahr ist, von einem von Israels präzisen Waffen getötet oder
verletzt zu werden, als ein Israeli von einem der primitiveren Raketen, die von
Gaza aus abgefeuert werden.
Während der Operation Cast
Lead, Israels Angriff auf Gaza im Winter 2008/09 wurden
3 Israelis getötet und sechs Soldaten. Im Gazastreifen wurden unterdessen
fast 1400 Palästinenser getötet, von denen mindestens 1000 nicht in Kämpfe
verwickelt waren – nach der Israelischen MR-Organisation- B’tselem. Viele, wenn
nicht gar die meisten dieser Zivilisten sind durch sog. präzise Bomben und
Raketen getötet worden.
Falls Israelis wie Nissim
wirklich glauben, sie müssten mehr leiden, weil die Palästinenser
keine Waffen haben, die genau gezielt werden können, dann könnte er sich
vielleicht in Washington dafür einsetzen, dass es seine militärische Hardware
gerechter verteilt, dass die Palästinenser die gleiche
militärische Hilfe wie Israel empfängt.
…
Der andere Unterschied ist,
dass die meisten Menschen im Gazastreifen
nicht wie Nissim und seine Familie
Schutzräume haben, in den sie fliehen können. Und der Grund dafür, dass
sie unter dem Bombenhagel im am dichtesten bevölkerten Gebiet der Erde leben
müssen, ist, weil Israel und im geringeren Maße Ägypten – die Grenzen
geschlossen und so ein Gefängnis für sie geschaffen hat.
Israel hat Gaza einen Hafen
verweigert, die Kontrolle über seinen eigenen Luftraum, und seinen Bewohnern das
Recht, ins andere palästinensische Gebiet umzuziehen, in die vom Osloabkommen
anerkannte Westbank. Es ist nicht so, wie Israels Unterstützer behaupten, dass
sich Hamas unter palästinensischen Zivilisten versteckt; es ist eher so, dass
Israel die palästinensischen Zivilisten gezwungen hat, in einem winzigen
Streifen Land zu leben, das Israel in eine Kriegszone verwandelt hat.
Wem ist also
hauptsächlich die Schuld für die Eskalation zu geben, die im Augenblick
1,7 Millionen Menschen im Gazastreifen bedroht. Auch wenn Hamas’ Hände nicht
ganz sauber sind, gibt es
Schuldige, die sehr viel mehr dafür verantwortlich sind als palästinensische
Militante.
Die Ursache für die letzte
Konfrontation zwischen Israel und der Hamas hat wenig zu tun mit dem Abfeuern
der Raketen, egal ob von Hamas oder anderen palästinensischen Fraktionen.
Der Konflikt bestand schon
Jahrzehnte vor den Raketen – und sogar die Entstehung der Hamas. Es ist die
Folge von Israels Enteignung der Palästinenser 1948 . Viele von ihnen wurden
gezwungen ihre Häuser dort
aufzugeben, wo heute Israel ist, und in den Gazastreifen zu fliehen. Diese
ursprüngliche Ungerechtigkeit der Besatzung, die Israel nicht nur zu beenden
versäumt hat, ist tatsächlich in den letzten Jahren
durch eine unnachgiebige
Belagerung dieses kleinen
Landstreifens noch verstärkt worden.
Israel hat das Leben im
Gazastreifen zunehmend erwürgt, seine Wirtschaft zerstört, immer wieder seine
Infrastruktur zunichte gemacht, seinen Bewohnern die Bewegungsfreiheit
verweigert und hat seine Bevölkerung im Elend gelassen ( immiserated ??).
Man muss nur die
Einschränkungen ansehen, die den Fischern von Gaza bez. des Zugangs zum eigenen
Meer auferlegt wurde. Wir meinen
jetzt nicht ihr Recht, ihre eigene Küste zu verlassen oder
ihr Land vom Meer her zu betreten. Wir meinen nur das Recht, ihr eigenes
Gewässer zum Fischfang zu benützen.
Nach einer Bestimmung der Oslo-Abkommen
wurde Gaza das Fischrecht bis 20 Meilen vor der Küste gegeben. Israel hat
dies langsam auf drei Meilen reduziert, und die israelische Marine beschießt die
Fischerboote sogar innerhalb dieser armseligen Begrenzung.
Die Palästinenser haben das
Recht, für ihr Lebensrecht zu kämpfen. Dieser Kampf ist eine Form der
Selbstverteidigung – keine Aggression – gegen die Besatzung, die Unterdrückung
und Blockade, die Kolonialisierung und den Imperialismus.
Der israelische
Ministerpräsident und Verteidigungsminister
befassen sich selbst mit der Besatzung und lassen die Gewalt ( der
Siedler) eskalieren.
Israel und seine
Unterstützer sorgen immer dafür, dass wenn Israel einen
neuen Angriffskrieg beginnt, der Zeitpunkt der Vorfälle verwischt wird,
um die Verantwortlichkeit zu verschleiern. Die Medien
geben solche Bemühungen wieder, um in die Irre zu leiten.
In Wirklichkeit arrangiert
Israel eine Konfrontation, um einen Vorwand für einen „Racheakt“ zu liefern,
genau so, wie vor vier Jahren bei der Operation Cast Lead. Damals brach Israel
eine 6-monatige Feuerpause, die es mit Hamas abgemacht hatte, indem es einen
Überfall in Gaza machte und 6Hamasmitglieder tötete.
Dieses Mal erreichte es an
8. November dasselbe, indem es den Gazastreifen nach einer Feuerpause von 2
Wochen wieder überfiel. Ein 13Jähriger wurde beim Fußballspiel vor seinem Haus
tödlich getroffen.
Bei der Gewalt und
Gegengewalt während der nächsten Tage
wurden 8 Israelis verletzt, einschließlich vier Soldaten - und in Gaza
wurden fünf palästinensische Zivilisten getötet und einige Dutzende verletzt.
Am 12. November stimmten
die palästinensisch militanten Fraktionen für einer Feuerpause, die nur zwei
Tage hielt. Israel brach sie mit dem gezielten Mord am militärischen Führer der
Hamas Ahmed Jabari. Die diesen
israelischen Provokationen
folgenden Raketen aus Gaza wurden dann als casus belli missgedeutet.
Aber falls
Netanjahu und Barak für das
Liefern des unmittelbaren Vorwandes
für einen Angriff auf Gaza verantwortlich sind , dann sind sie auch
strafrechtlich fahrlässig für das Nicht-Verfolgen einer Gelegenheit für
eine längere Feuerpause mit der Hamas.
Dank des israelischen
Friedensaktivisten Gershon Baskin
wissen wir jetzt, dass in der Zeit vor Jabaris Exekution Ägypten
daran gearbeitet hat, einen
langfristigen Waffenstillstand zwischen Israel und der Hamas auszuhandeln.
Jaabari war anscheinend sehr damit einverstanden.
Baskin, der sehr in diese
Gespräche mit verwickelt war, war ein glaubwürdiger Mittelsmann zwischen Israel
und der Hamas, weil er im letzten
Jahr schon eine Schlüsselrolle beim Austausch des Gefangenen Shalit spielte und
Jabari dahin brachte, den Gefangenenaustausch zu unterschreiben …
Baskin bemerkte in Haaretz,
dass Jabaris Hinrichtung die „Möglichkeit tötete, einen Waffenstillstand zu
erreichen und auch die ägyptischen Vermittler
zu motivieren.“
Der Friedensaktivist hatte
sich schon mit Barak getroffen, um ihn vor dem Waffenstillstand zu warnen, aber
es scheint, dass der Verteidigungsminister und Netanjahu wichtigere Anliegen als
die Spannungen zwischen Israel und Hamas zu beenden, hatte.
Was könnte denn wichtiger
sein, als einen Mechanismus zu finden, der Leben rettet – und zwar auf beiden
Seiten. Baskin bietet einen Hinweis an: “Jene, die die Entscheidung trafen,
müssen von ihren Wählern verurteilt werden, aber zu meinem Bedauern, werden sie
genau deshalb mehr Stimmen bekommen.“
Es scheint, dass Israels
Wahl im Januar an oberster Stelle in den Köpfen von Netanjahu und Barak waren.
Eine von den israelischen
Führern während der letzten Jahre gelernte Lektion ist, dass Kriege nur für den
rechten Flügel Stimmen gewinnen, wie Baskin bemerkt. Das sollte niemandem klarer
sein als Netanjahu. Er ist zweimal auf dem Rücken von Kriegen Ministerpräsident
geworden.
….
Die dritten Schuldigen:
die israelische Armee.
Die israelische Armee ist
von zwei Doktrinen abhängig geworden: „das Abschreckungsprinzip“ und seine
„qualitative, militärische Überlegenheit“. … Die israelische Armee wünscht,
sicher zu sein, dass nur sie ihre Feinde haushoch schlägt. …
Zweifellos war die Armee
nur zu bereit, Netanjahu und Barak Wahlhilfe zu leisten, falls dies auch eine
Möglichkeit gibt, das Hamas-Raketen-Arsenal
zu zerstören.
Aber es gibt noch einen
strategischen Grund, warum die israelische Armee vor Ungeduld fieberte, die
Hamas noch einmal fertig zu machen…
Kurz gesagt: die Hamas hat
israelische Kommandeure dadurch zornig gemacht, dass sie sich weigerte, ruhig zu
bleiben, während die Armee große Teile Gazas als ihren Spielplatz behandelte und
ihn betrat, wann immer es ihr gefiel.
Israel hatte eine
Pufferzone innerhalb des Zaunes geschaffen, die oft 1km breit ist und die
Palästinenser (auch keine Bauern zum Bearbeiten ihrer Äcker) nicht betreten
dürfen, die aber die israelische Armee
als Tor benützten, um Einfälle auszuführen.
..
Drei Vorfälle kurz vor
Jabaris außergerichtlicher Hinrichtung illustriert den Kampf um die Kontrolle
über Gaza.
Am 4. Nov.
schoss die israel. Armee einen jungen, geistig behinderten Palästinenser
tot, weil er sich anscheinend dem Zaun zu sehr näherte. Die Ambulanz
wurde mehrere Stunden daran gehindert, ihn zu erreichen.
Am 8.Nov. fiel die
israelische Armee in den Gazastreifen ein, schoss wild um sich und erschoss
einen 12-Jährigen, der vor seinem Haus mit Freunden Fußball spielte.
Am 10. November feuerten
paläst. Kämpfer mit einer Anti-Panzer auf einen gepanzerten Jeep, der außerhalb
des Zaunes patrouillierte, und verletzten vier Soldaten.
In Haaretz stand: dass
Hamas anscheinend zu demonstrieren versucht, dass es genau so ein Recht habe,
sich von der inneren Seite des Zaunes zu verteidigen, wie Israel von der äußeren
Seite. …
Der vierte
Schuldige: das Weiße Haus
Es ist fast unmöglich zu
glauben, dass Netanjahu entschieden hat, Israels Politik der außergerichtlichen
Exekution des Hamasführers – und der in der Nähe stehenden –
durchzuführen, ohne wenigstens das Weiße Haus zu konsultieren. Israel
hielt sich auch deutlich zurück, bis die Wahlen in den USA vorüber sind – genau
wie bei Cast Lead vor 4 Jahren.
Es war so geplant, um dem US-Präsidenten jede allzu große Peinlichkeit zu ersparen. Man muss vermuten, dass Barack Obama Israels Operation im voraus genehmigt hat.
Es sollte auch daran
erinnert werden, dass Israels Aggressivität gegenüber Gaza und das Verringern
des internen Druckes auf Israel, mit der Hamas zu verhandeln oder eine
Feuerpause zu erreichen, weithin
dadurch möglich gemacht worden ist, weil Obama seine US-Steuerzahler zwang,
Israels Anti-Raketensystem (Iron Dome) massiv zu unterstützen und
zwar in Höhe von Hundert Millionen Dollar.
Der Iron Dome wird
benützt, um Raketen aus dem
Gazastreifen abzuschießen, die sonst in Wohngebieten Israels gelandet wären.
Israel und das Weiße Haus waren deshalb in der Lage, die
Großzügigkeit der US als eine humanitäre Geste entgegen zu nehmen.
Die Wirklichkeit aber ist,
dass Iron Dome es Israel ermöglicht hat, eine größeren Angriff
durchzuführen, weil so Israels Einstellung für Straflosigkeit verstärkt wurde.
Egal, was Hamas an raffinierten Waffen in den Gazastreifen
hereinschmuggeln kann, Israel glaubt nun, es könne diese Bedrohung mit seinem
Iron-Dome-System neutralisieren.
Iron Dome
ist weit davon entfernt, eine humanitäre Maßnahme zu sein, es dient einfach
dazu, dass der Gazastreifen weiter unter einer größeren Bürde von Todesfällen
und Verletzungen bei Konfrontationen mit Israel
leidet, und diese sich weiter und regelmäßig zutragen.
Das sind die vier
Hauptschuldigen für die palästinensischen und israelischen Todesfälle in diesen
Tagen und – wenn Israel seine Operation verlängert – auch in den kommenden
Wochen.
(dt. und stark gekürzt und
teilweise freier übersetzt: Ellen Rohlfs)