Israel Palästina Nahost Konflikt Infos
Jillian Kestler-Damours, 29.6.12
Sollten israelischen
Mädchen daran gehindert werden, mit Palästinensern in Kontakt zu kommen ? Diese
Frage war unter den Fragen in einem neuen Studienführer zum Abschlussexamen am
Gymnasium. Er wurde vorbereitet von einer privaten Gesellschaft und wurde
vom Bildungsministerium anerkannt.
Eine der vorgeschlagenen
Antworten war, dass israelische Mädchen daran gehindert werden sollen, mit
Palästinensern Kontakt aufzunehmen, weil
„arabische Jugendliche für das leben jüdischer Mädchen eine Gefahr
darstellen“, und weil „Beziehungen
zwischen männlichen Arabern und jüdischen Mädchen eine Bedrohung für die
jüdische Mehrheit im Land darstellen.
Während der Studienführer
als Ermutigung rassistischer Stereotypen verurteilt worden sei und nur zu Hass
aufrufe, behaupten viele Aktivisten, es sei kein isoliertes Phänomen.
Tatsächlich sagen sie, es deute auf ein viel tieferes und verwurzeltes Problem:
Der Ultra-Nationalismus, der durch das israelische Bildungssystem läuft und der
negative Einfluss, den dieser auf die israelische Jugend hat.
„Israelische Schulbücher
entsprechen allen Kategorien des rassistischen Diskurses, dem verbalen und
visuellen,“ sagt Nurit Peled-Elhanan, isr. Professorin für Bildung an der
Hebräischen Universität in Jerusalem und Autorin von „Palestine in Israeli
School-Books: Ideologie und Propaganda in der Bildung.“
Von negativen, stereotypen
Portraits von Palästinensern in Schulbüchern – wenn Palästinenser überhaupt
erwähnt werden – und Karten, die Israels Grenze nicht genau wiedergeben, bis zur
strengen Zensur, was palästinensischen Bürgern Israels zu lehren und zu lernen
erlaubt ist. Peled-Elhanan erklärt, dass praktisch alle Themen im israelischen
Curriculum von einer Art extremem Nationalismus durchdrungen sind. …
„Der Zweck, Kinder zu
erziehen, ist, gute Soldaten aus ihnen zu machen. Man kann kein guter Soldat
sein, wenn man nicht dieses verschwommene Bild eines Feindes hat, nicht viel
über diese Leute weiß, außer dass sie „Probleme“ sind und „Bedrohungen“
darstellen.
Gemeinsame Programme vom
isr. Bildungsministerium und der isr. Armee bestehen schon seit Jahren. Ein
neues Programm, Derekh Erek („Pfad der Werte“) wurde Mitte Juni veröffentlicht
und soll gegenüber dem Staat
Pflichtgefühl und Treue beibringen und die Verbindungen zwischen Schule und
Armee stärken.
„Lehrer sind ihr Leben lang
Wehrpflichtige“ sagt der isr. Bildungsminister Gideon Saar, ein Mitglied von
Netanjahus Likudpartei, als er das Programm einführte. Es wird erwartet, dass es
in Tausenden von Schulen im ganzen Land durchgeführt wird. Es ist ihm ein
jährliches Budget von NIS 300 000
(67,854$) zugewiesen worden.
„Meine Erwartungen an das
Bildungssystem sind nicht nur auf dem Feld des Lernens, sondern auch auf den
Gebieten der Werte,“ sagte Saar,
„Ermutigung um in der IDF Dienst zu tun, ist nicht nur
eine Gunst, die wir der IDF zuliebe tun, sondern ein moralisches
Problem.“
Der Schulleiter einer Tel Aviver Schule
sagte 2010, er hätte Todesdrohungen erhalten, nachdem er sich entschieden habe,
an solch einem Programm nicht teilzunehmen, das israelische Armeeoberste in
Schulen bringt, um die Schüler zu ermutigen, sich der Armee anzuschließen und
sich für eine Kampftruppe zu melden.
Nach Sahar Vardi, einem
Mitglied von New Profile, einer feministischen Organisation, die zur
Entmilitarisierung der israelischen Gesellschaft aufruft, macht eine Fülle von
Armeesymbolen und Armeefeierlichkeiten in israelischen Schulen und der
Gesellschaft den Militärdienst unter jungen Leuten selbstverständlich.
„Das Militär sollte als
etwas Gewalttätiges angesehen werden und als etwas, das notwendig ist, da es die
letzte Rettung sein könne, aber die Art und Weise, in der es in Israel gesehen
wird, ist sehr natürlich, ja, alltäglich,“ sagt Vardi, die sich 2008 weigerte,
ihren Pflichtmilitärdienst zu tun.
Das Bildungssystem lehrt
die Jugend, dass das, was die Armee tut, OK sei, dass Gewalttätigkeit eine Form
der Problemlösung sei,
legitim ist. Es ist nicht nur legitim, sondern wird
von der Gesellschaft auch gefördert.
2010 veröffentlichte das
Friedensforschungsinstitut im Nahen Osten ein Schulbuch mit dem Titel:
Learning Each Others Historical Narrative. Es wurde von einer Gruppe
israelischer und palästinensischer Akademiker und Historiker
geschrieben und schloss das israelische und palästinensische Narrative
verschiedener historischer Ereignisse ein und hatte auf jeder Seite freien Raum
gelassen, damit die Schüler ihre eigenen Gedanken dazu schreiben können.
Das Buch berührt Themen wie
die Balfour-Erklärung, die Gründung Israels 1948 und die beiden Intifadas. Es
wurde in einer israelischen und zwei palästinensischen Gymnasien benützt, bevor
es von beiden Bildungsministerien verboten wurde.
Staatlich gesponserte
Siedlungstouren.
Zusätzlich zu den
stärkenden Verbindungen zur Armee, verkündete der Bildungsminister letztes Jahr
, dass er ein Programm einführen wolle, um den Schülern „die historischen
Wurzeln des Staates Israels im Land Israel“ zeigen wolle.
Dieses Programm schließt
Besuche in israelischen Siedlungen,
einschließlich Shiloh in der nördlichem Westbank nahe Nablus ein, und das Grab
der Patriarchen im Herzen von Hebron und die Stadt David, den archäologischen
Park in Silvan, einer palästinensischen Vorstadt von Ost-Jerusalem.
„Es ist gut, zu den
Siedlungen zu kommen; es ist gut die Siedlungen blühen zu sehen“ sagte Saar,
während er Shiloh 2011 besuchte. Wir sollten die Araber nicht in die Irre
führen, dass hier eines Tages keine Juden mehr sind. Juden werden immer hier
bleiben und jede andere Illusion bringe nur Hindernisse auf dem Weg des
Friedens.“ ((??? ER))
Mehr als 250 israelische
Lehrer sandten im Februar dieses
Jahres dem Bildungsminister einen Brief und kündigten an, dass sie sich weigern
würden, an den vom Minister
vorgeschlagenen „Hebron-Erbe-Touren“
teilzunehmen, die die „jüdischen und zionistischen“ Werte unter den
Schülern
stärken sollen.
Wir wissen, dass es als
Pädagogen unsere Aufgabe ist, den Schülern so gut wir können, die Wahrheit
mitzuteilen. Eine halbe Wahrheit ist keine Wahrheit. Aus diesem Grund, werden
wir keine Agenten solch einer Politik sein und werden uns
nicht selbst belügen,“ schrieben die Lehrer in ihrem Brief.
Wir rufen sie auf, das
Bildungssystem nicht zynisch für politische Ziele zu nützen, und erklären, dass
wenn wir zu solchen Touren
aufgerufen werden, um sie zu begleiten, dann werden wir dies nicht tun.“
Ein Sprecher des
israelischen Bildungs-Ministeriums
lehnte wiederholt ab, zu diesen Touren einen
Kommentar zu geben.
Heute leben mehr als 500
jüdische Siedler im Herzen von Hebron unter dem Schutz israelischer Soldaten und
der Polizei. Als Folge der Siedlerpräsenz steht die palästinensische Bevölkerung
Hebrons – über 200 000, die größte in der Westbank – drastischen Einschränkungen
der Bewegungsfreiheit gegenüber, haben den Zugang zu ihren
wirtschaftlichen Zentren verloren und haben es mit häufiger Gewalt und
Verhaftungen zu tun.
Die Art, wie die Schüler
bei diesen (ministerialen) Touren Hebron sehen, ist eine sehr enge. Es ist nicht
das Hebron von heute. Es ist nicht
das Hebron, das die Menschen vertritt, die heute dort leben,“ sagte Yehuda Shaul
von der israelischen Organisation Breaking the Silence, einer Gruppe
israelisch militärischer Veteranen, die in den besetzten
palästinensischen Gebieten ihren Militärdienst machten und deren Ziel es
ist, die israelische Öffentlichkeit über die Realitäten der Besatzung
aufzuklären.
Shaul sagte, als die
„Hebron-Erbe“- Touren zuerst angekündigt wurden,
die Breaking the Silence-gruppe
ginge auf die Schulen zu und bot an, die Schüler
in alternativen Touren nach Hebron zu begleiten. Als die politische Natur
der ministerialen Touren offen gelegt waren, drängten die früheren Soldaten (
von Breaking the Silence) in die Schulen, um das Programm völlig zu
boykottieren.
„Hebron ist der einzige
Ort, wo unsere große Vergangenheit auf eine ekelhafte Gegenwart stößt,“ sagte
Shaul. Ich kann mir keinen besseren Ort als Hebron denken, um eine wirkliche
Diskussion und ein Gespräch über die Identität unseres Landes zu führen und
darüber, wer wir sind und wofür wir stehen sollten und welches die Werte sind,
die uns als Gesellschaft zusammenhalten sollten – aber das ist nicht das Ziel
des Bildungsministers Saar.
„Dies ist nicht einmal
Indoktrination; es ist noch schlimmer, dies ist eine Instrumentalisierung der
Kinder als Soldaten. Man benützt Kinder, um die Gegenwart der Siedler zu
stärken.“
Nach einer Forschungsstudie
der deutschen Friedrich Ebert-Stiftung (2011) zeigten israelische
Jugendliche zunehmend nationalistische Ansichten und legten mehr Wert auf den
jüdischen Charakter des Staates als auf die demokratischen und liberalen Werte.
Etwa 1600 Jugendliche
zwischen 15 und 18 und 21/22 Jahre
alt wurden von der Studie erfasst: die meisten identifizierten sich mit dem
rechten Flügel. Nahezu 70% der jüdisch-israelischen Teenagers zwischen 15 und 18
Jahren sagten, dass im Falle
Staatssicherheit und Demokratie
nicht übereinstimmen, dann sollte die Sicherheit über allem stehen.
Die Studie fand, dass
besonders religiöse jüdische Jugendliche einen „Mangel an Vertrauen in die
Institutionen hatten, denen die demokratischen Prinzipien
anvertraut waren“ und dahin „tendierten, Partei zu Methoden ergriffen,
wie zivilen Widerstand (einschließlich gewalttätigem zivilen Widerstand) und
eine starke Führung vorzogen, die über dem Recht steht, und die die Leugnung von
grundlegenden politischen Rechten den arabischen Bürgern Israels verweigerten
und die Bedeutung der Demokratie
und Frieden als nationales Ziel unterschätzten.
Bei einer 2010
durchgeführten Befragung durch das israelische Forschungsinstitut Maagar Mochot
glaubten 50% der jüdisch-israelischen Jugendlichen zwischen 15 und 18, dass
palästinensische Bürger Israels nicht dieselben Rechte haben sollten wie die
jüdischen .
Etwa 56% dieser Befragten
sagten, Palästinenser sollten daran gehindert werden, für das israelische
Parlament, die Knesset, zu kandidieren, und 50% derjenigen, die sich als
religiös betrachteten, sagten, sie billigen den Slogan : „Tod den Arabern!“
Nach Peled-Elhanan kann
diese Haltung einem Bildungssystem zugeschrieben werden, das Nationalismus über
wirkliche Gelehrsamkeit/Wissen und
einen freien Austausch von Ideen setzt.
„Sie kümmern sich nicht um internationale Rechte (Völkerrecht). Si e kümmern sich nicht um internationale Entscheidungen. Sie kümmern sich nicht um internationale Gerichtsbarkeit oder Menschenrechte oder all diese Dinge, weil sie diese nicht zu respektieren lernen,“ sagte Nurit Peled-Elhanan.
Sie sagte, es sei
unmöglich, das israelische Bildungssystem „von innen“ in Ordnung zu bringen, da
die meisten Israelis dies nicht sehen/ einsehen.
„Es wird sehr schwierig
sein, dies abzubauen“, sagte sie zu Al-Jazeera. „Der große Wandel kann nur
eintreten, wenn Amerika aufhört, Geld für Munition nach hier fließen zu lassen,
und wenn es einen realen, ernst zu nehmenden Boykott gibt. Auf andere Weise
begreifen die Regierungsbehörden die Botschaft nicht.“
(dt. Ellen Rohlfs)