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Im israelisch-palästinensische Konflikt  geht es nicht um Religion auch wenn ihn religiöse Extremisten „Heiligen Krieg“ nennen

 

Khaled Diab, 17. August 15

Der hebräische Staat verschwindet, der jüdische Staat  übernimmt ihn. Die mutierend-fremden jüdischen Terroristen, die nichts mit dem israelisch rechten Siedleruntergrund  zu tun hat, versucht die israelische Regierung  zu stürzen, sagen Ermittlungsbeamte. Ist der israelisch-palästinensische Konflikt  ein religiöser?  Die letzten terroristischen Angriffe und der Zusammenstoß auf dem Tempelberg lassen das vermuten. Aber es ist kein Heiliger Krieg – weit davon entfernt.

Das palästinensisch-Israelische Journal, eine akademische Veröffentlichung, die sich dem Studium des Konfliktes  widmet, organisierte vor kurzem eine  Diskussion  am runden Tisch über genau dieses Problem: ob dieser Konflikt  ein religiöser oder nationaler  ist.  Die Runde –  die israelische, palästinensische und ausländische  Teilnehmer aus Akademien, den Medien, Geistlichkeit und aktive Gemeindeglieder, einschließlich mir umfasste , war bei dieser Frage äußerst geteilt.

Meine eigene Version der Situation ist die, die wir in Israel-Palästina haben:  im Wesentlichen ein säkular-nationalistischer Konflikt um Land, Ungerechtigkeit und  in geringerem Maße , um Identität . Die wird in der PLO- Charter demonstriert. Während das Dokument  wiederholt die Wörter  „arabisch“, „palästinensisch“ und Nationalismus  erwähnt, wird nicht einmal auf Religion hingewiesen. Am nächsten kommt man dazu, wenn  eine „materielle, spirituelle und historische“ Verbindung mit Palästina hergestellt wird. Die zweite bedeutendste politische Kraft im  palästinensischen Kampf nach der Fatah war jahrzehntelang die marxistisch-leninistische Populäre Front für die Befreiung  von Palästina, gegründet von George Habash, der in eine christliche Familie hinein geboren wurde. Viele ihrer Mitglieder  waren Atheisten; die Reste davon, wie sie ihre „Kameraden“  von Hamas erzählen. Ist „Das Paradies in diesem Leben, nicht im nächsten. Sie sagen Palästina ist das Paradies.“

Ähnlich war es mit dem politischen Gründer des Zionismus Theodor Herzl – er war ein säkularer Agnostiker und vielleicht sogar ein Atheist. Israels Gründungs-generation war gegen die Religion und überzeugt, dass das Judentum  als Glaube  am Rand des Sterbens war, wie der  Veteran-Friedensaktivist Uri Avnery erinnert Und  Hajo Meyer „Das Ende des Judentums“ (2005): . Viele Palästinenser und Araber können  diese Auffassung  kaum verstehen oder akzeptieren. „Judentum ist eine Religion  und der Zionismus versucht, einen jüdischen Staat aufzubauen – so geht es auch den Israelis: „Dies ist ein religiöser Konflikt“, bemerkt Ibrahim, ein Freund. Diese Auffassung wird auch in der PLO-Charter: „Judentum, das eine Religion ist, ist keine unabhängige Nationalität, noch stellen die Juden eine einzige Nation mit einer eigenen Identität dar.“

Im Bezug auf ihre Enteignung  und der Tatsache, dass Juden selbst  nicht darin übereinstimmen, ob Jüdisch-Sein eine Frage der Religion oder der Ethnizität ist – diese Konfusion  ist auch von Seiten der Palästinenser unverständlich.

Doch anders als das, was viele Juden und Araber glauben: diese Verwischung der Trennlinie zwischen Ethnizität und Glaube, auch wenn es für den rationalen Geist irrational ist, ist nicht einmalig für das Judentum.  Die Tatsache, dass die meisten  Weltreligionen in verschiedener Weise und in verschiedenem Grad vererblich sind, unterstreicht, dass das Dazugehören nicht nur vom Glauben abhängig ist, sondern auch von der Herkunft. Außerdem ist die Vorstellung von Religion als „Nation“  für andere Religionen nicht fremd  - im Islam wird es „Umma“ genannt. Meiner Ansicht nach  tendiert das Religion-Ethnizität –Pendel  mehr zum Ethnischen, wenn die religiöse Gruppe  eine Minderheit ist oder sich bedroht fühlt.

Dies war der Fall in Südasien. Ein Jahr bevor Israel errichtet wurde, wurde Pakistan aus Indien herausgeschnitten. Sein wichtigster Gründungsvater Muhammad Ali Jinnah war ein überzeugter Atheist, der den Islam in ethno-nationalistischer Festsetzung sah. Die „Muselmänner sind keine Minderheit. Die Muselmänner sind definitionsgemäß eine Nation“, sagte er bei einer Rallye von 100 000 Anhängern 1940.

Doch wie Jinnah benützten die politischen Führer des Zionismus auch religiöse Symbole und religiöse Autoritäten, um ihre säkulare Agenda voran zu bringen. Herzl gab seine pragmatische Bereitschaft, irgendwo einen jüdischen Staat zu gründen, zugunsten von Palästina auf. Außerdem schmiedete Herzl  einfachheitshalber Verbindungen  mit William Hechler und anderen christlichen Zionisten, die bei ihm ein schlechtes Gefühl hinterließen. „ Hechler erklärte, meine Bewegung sei eine biblische, obwohl ich in allen Punkten rational voranging“, vertraute Herzl  seinem Tagebuch an. 

In ähnlicher Weise  griffen säkulare Führer auf religiöse Symbole  und Rede zurück: islamische und in geringerer Weise christliche – um der zionistischen Expansion  zu widerstehen. Dies wird z.B. mit der Adoption des Felsendoms als ein besonders ergreifendes Symbol der Streitsache sichtbar. Andere Beispiele schließen den religiös aufgeladenen Terminus  „Fedayeen“  ein, der buchstäblich bedeutet „Jene die sich (für Gott) opfern“ , die  die palästinensischen Kämpfer beschreiben, und Yasser Arafats Wahl , seine Bewegung Fatah zu nennen  Abkürzung für palästinensische Befreiungsbewegung  ), die im Arabischen auch die frühen islamischen Eroberungen meinten.

Das heißt also, es ist kein einzigartiges Phänomen. Ob Unterdrückte oder Unterdrücker, Eroberte oder Eroberer, man tendiert dazu mit wenigstens einem religiösen Diskurs, um die Herrschaft zu rechtfertigen oder um ihr zu widerstehen. Und wo dies nicht ist, wird Nationalismus selbst zu einer Pseudo-Religion erhoben.

Doch während Jahrzehnten hat sich auf beiden Seiten ein paralleler Prozess  entwickelt. Der 1967er-Krieg war diesbezüglich ein entscheidender Moment: das „Wunder“, das den religiösen Zionismus vom Rand ins Zentrum rückte. Auf der arabischen Seite brachte die vernichtende Niederlage dem säkularen, revolutionären arabischen Nationalismus einen tödlichen Schlag  bei, von dem er sich nicht mehr erholte. Islamisten haben langsam diese Lücke  gefüllt.

Dies reflektiert, wie der religiöse Aspekt des Konfliktes innerhalb jeder Gesellschaft ein ziviler Konflikt ist, manchmal, wenn zwischen beiden Seiten eine Schlacht um die Seele beider Nationen geht.

Trotz des wachsenden Glaubenseifer religiöser Fundamentalisten bleibt die  säkulare Grundlage dieses Konfliktes: Land, Ressourcen, Rechte und Würde.  Doch  wie die Situationen in Syrien, dem Irak und dem Jemen zeigen , wo sich das Mantra des Heiligen Krieges wiederholt, kann dies zu einer sich selbst erfüllenden Prophetie werden. Wir sollten dieses unheilige Ergebnis im Heiligen Land  vermeiden.

Khaled Diab ist ein ägyptisch-belgischer Journalist, Blogger und Schriftsteller, der in Jerusalem lebt

(dt. Ellen Rohlfs)