Aus der
Dunkelheit ins Licht
Daphna Golan, Haaretz , 6.5.08
Noch einmal feierten wir die
Feiertage der Befreiung, während Gilad Shalit in Gefangenschaft blieb. Wir
sprachen davon, dass wir aus der Dunkelheit ins Licht gehen, ließen aber die
Gespräche über die Entlassung der entführten Soldaten im Dunklen. Wir haben uns
daran gewöhnt, dass unsere Zukunft vom Shin Bet abhängt, der im Geheimen
verhandelt, und wir haben aufgehört zu fragen, was könnte wir denn tun, dass
die entführten Soldaten frei kommen.
Warum sollten wir nicht mit
allen unsern Nachbarn reden? Mit der Hamas, der Fatah und Hisbollah, den
Präsidenten von Syrien und Ägypten und den arabischen Staaten. Über die
Entlassung der entführten Soldaten, über ein Stop der
Qassamraketen, über Versöhnung?
Wir bilden uns etwas auf
Israels Demokratie ein, auf die Informationsfreiheit, lassen aber den Shin
Bet-Sicherheitsdienst unsere Realität lenken, obwohl sie im Dunklen handeln.
Wir haben keine Ahnung, wie unsere zukünftige Karte aussehen wird, aber vor
Jahren schon sagte man uns, nicht zu viele Fragen zu stellen.
Seit 1967 hat Israel mehr
als 700.000 Palästinenser in Gefangenschaft genommen, etwa 1/5 der pal.
Bevölkerung. Nach dem letzten UN-Bericht hält Israel heute mehr als 11.000 pal.
Gefangene fest, einschließlich 118 Frauen und 376 Kinder, die - in Verletzung des Völkerrechts – außerhalb
der besetzten Gebiete im Gefängnis sitzen. Der Shin Bet entscheidet, welche
Gefangenen Besuche bekommen dürfen und welche Familienmitglieder Israel nicht
betreten dürfen.
Wir könnten zunächst - als Geste des guten Willens – etwa 800 pal.
Administrativ-häftlinge entlassen. Sie waren monatelang in Israels Gefängnissen
ohne Gerichtsverhandlung. Diese Gefangenen, die nicht angeklagt wurden und oft
gar nicht wissen, warum sie monatelang – zuweilen Jahre – ohne Urteil im
Gefängnis sind, müssen entlassen werden bei der ersten Entlassungsphase von
politisch Entführten und Gefangnen. Die Entlassung von Gefangnen kann der erste
Schritt eines Versöhnungsprozesses sein,
wie es in vielen Ländern weltweit geschehen ist.
Versöhnungsprozesse werden
überall in der Welt nicht im Dunkeln ausgeführt, sondern bei hellem Licht. Sie schließen eine
öffentliche Debatte über das Zeugnis der Opfer ein und öffentliche Anerkennung
der Schmerzen, der Rechte und Kompromisse, die von allen betroffenen Parteien
gemacht werden. Etwa 22 000 Leute legten vor der Wahrheitsfindungs- und
Versöhnungskommission in Südafrika Zeugnis ab und Millionen hörten und
beobachteten vor dem TV diese Zeugenaussagen. Das Zeugnis vor den Komitees
abzulegen, macht es für die Opfer möglich, ihre Geschichte zu erzählen und die Selbstachtung wieder zu gewinnen. Das
ließ viele Südafrikaner zum ersten Mal das Ausmaß der Unterdrückung des
Apartheidregimes hören und gab der Gesellschaft eine Chance, am Schmerz der
Vergangenheit teilzunehmen, um eine gerechtere Zukunft aufzubauen.
In Israel bevorzugen die
Behörden, Geheimgespräche zu führen und nicht die Geschichte der Palästinenser
zu hören. Wir erzählen die Geschichte von unserer neuen Rückkehr in das Land
unserer Väter weiter. Und wie ist die Geschichte der Palästinenser, die hier
gelebt haben, denen das Land auch gehört
hat? Warum wollen wir ihre Geschichte nicht hören, auch nicht die der
Deportation von hundert Tausenden aus ihren Häusern 1948, vom Zerstören ihrer
Dörfer und vom Plündern ihres Besitzes.
Warum sollten wir nicht ihre Träume von der Rückkehr zu ihren Häusern in Jaffa und Ramle und Lod
hören. Über ihr Leben unter Besatzung, wenn ihre Universitäten auf Befehl des
Militärs jahrelang geschlossen bleiben. Warum hören
wir nichts über die Kinder, die in zu kleinen Wohnungen gedrängt bei
monatelangen Ausgangssperre leben, über die Straßensperren und Zäune und über die Familienmitglieder, die geschlagen,
gedemütigt und verhaftet werden, vom Leben ohne Rechte?
Es wird Zeit, mit den
Palästinensern darüber zu reden, wie wir
hier zusammen leben wollen.
Gibt es da wirklich
niemanden, mit dem man reden kann? Warum sind wir nicht bereit, mit jedem über
alles zu reden?
Ist es möglich, dass Gilad
Shalit noch immer in Gefangenschaft sitzt und die Qassam-Raketen weiter
abgeschossen werden, nicht, weil es niemanden gibt, mit dem man reden kann,
sondern weil wir nicht hören wollen, was die palästinensischen Führer zu sagen
haben? Wir müssen laut und offen mit jedem reden – über die Vergangenheit, die Gegenwart
und die Zukunft, über ein Leben mit fairen, guten nachbarschaftlichen
Beziehungen. Ohne rote und grüne Linien und
ohne Vorbedingungen. Nur darüber, wie wir zusammen und getrennt, Juden
und Araber, in Versöhnung leben können.
Die Autorin
lehrt Menschenrechte an der Juristischen Fakultät der Hebr.Universität, in Jerusalem.
(dt. Ellen
Rohlfs)