Von
Piraten, Provokateuren und friedlichen
Störern.
Die
Belagerung von Gaza aufbrechen
Ed. Gaffney, Counterpunch, 13./14.
Sept. 2008-09-17
Am 22.
August verließen zwei
kleine Boote den Hafen von Larnaka auf Zypern mit 44 Friedensaktivisten aus aller Welt an
Bord mit dem Ziel Gaza. Die Kapitäne und die Mannschaft waren Saison-Segler.
Wenige der Aktivisten waren vor dieser Reise an eine Schiffsreise gewöhnt.
Die Namen
der beiden Boote, die die Aktivisten nach Gaza brachten, identifizierten auch
den Zweck der Reise. Die SS-„Befreit-Gaza“
drückt den Hauptzweck der Aktion aus: „die Belagerung zu brechen, die Israel der zivilen Bevölkerung
von Gaza auferlegte; der Name des Bootes drückt unsere Solidarität mit dem
leidenden Volk von Gaza aus; es soll
eine freie und regelmäßige Route zwischen Gaza und der Außenwelt schaffen.“
Die „SS Liberty“ ehrt das Gedächtnis
von 34 amerikanischen Seeleuten, die getötet wurden und das Gedächtnis von 170 Seeleuten, die auf der
US-Liberty am 8.Juni 1967 im Mittelmeer von
israelischen Kampfflugzeugen und Torpedobooten
schwer verletzt wurden.
Keiner an
Bord der SS Free-Gaza oder der SS-Liberty konnte sicher sein, ob der Staat
Israel ihre Aktion als harmlose menschliche Geste ansehen würde.
Tatsächlich hatten die Reisenden – wenn sie die Geschichte als Prolog genommen hätten
- allen Grund gehabt, sich zu fragen, ob
ihre Sicherheit nicht gefährdet war.
Im Januar
1988 deportierte Israel Hunderte von Palästinensern, von denen es annahm, sie
seien für den Ausbruch der ersten Intifada
verantwortlich gewesen. Der UN-Sicherheitsrat
bezeichnete - mit der vollen Unterstützung der Reagan-Regierung – die
Deportation als eine Verletzung der 4.
Genfer Konvention. Innerhalb weniger Wochen charterte die PLO ein griechisches
Fährschiff, SS „Sol Phryne“ und verkündete, dass sie mit dem Schiff –
nun in SS“Al-Awda“ (Rückkehr) umbenannt
– mit 135 palästinensischen Vertriebenen
und Hunderten von Journalisten an Bord nach Haifa segeln würde.
Es war
ein kühner Schritt für die
Palästinenser, das Gedenken an die verhängnisvolle Reise der SS-Exodus
1947 wachzurufen, die Tausende von Holocaustüberlebenden nach Haifa brachte, um dann von den
britischen Behörden als illegale Immigranten nach Zypern vertrieben zu werden.
Vielleicht zu kühn . Ministerpräsident Yitzhak Shamir brandmarkte die
Ankündigungen der PLO als Kriegserklärung.
Der Außenminister Shimon Peres nannte die PLO-Bemühungen „propagandistisch“ . Der Verteidigungsminister Yitzhak Rabin befahl eine
militärische Opposition egal in welcher Weise. Der Handelsminister Ariel Sharon
war sicher, dass die Flotte dafür sorgen würde, dass die Al-Awda
niemals in israelische Territorialgewässer vordringen könnte.
Drei
PLO-Leute, die die Reise mit der Al-Awda
organisiert hatten, wurden in ihrem Wagen ermordet, als der Wagen plötzlich im
Hafen von Limassol explodierte. Innerhalb von Stunden
riss eine andere Bombe ein Loch in die Schiffswand und machte es seeuntüchtig.
Nach diesen Bombenanschlägen hatte nur der isr.
Transportminister Chaim Corfu
einen Kommentar: „Wenn die PLO ein zweites Schiff bekommt, so wird sein
Schicksal dasselbe sein.“ Die PLO bekam den Hinweis und ließ diesen Plan, nach
Haifa zu segeln, fallen.
Würde die
Regierung Israels gegenüber der SS Free Gaza und SS-Liberty
in der Weise reagieren, wie sie es tat, als die PLO versuchte, mit einem Boot
nach Haifa zu segeln?
Die erste
Antwort kam von Shlomo Dror,
dem Sprecher für das isr. Verteidigungs-ministerium: „Dies ist eine Art Piratenschiff. Man kann
demonstrieren. Das ist ok. Aber es ist ihnen nicht
erlaubt, das Völkerrecht zu brechen.“
Es ist
natürlich erfreulich, ein Statement vom Verteidigungsministerium zu lesen, das
Israels Verpflichtung gegenüber gewaltfreien Demonstrationen und gegenüber dem Völkerrecht ausdrückt. Aber die
SS-Free Gaza als „eine Art Piratenschiff“ zu bezeichnen, lässt Zweifel
über Israels hochgelobten Ruf seiner militärischen
Intelligenz aufkommen . Die unbewaffneten Landratten
auf diesen beiden kleinen Booten
stellten kaum irgend eine plausible, geschweige denn , gefährliche Bedrohung für den Frieden und das
Wohlbefinden der einzigen Nuklearmacht im Nahen Osten dar. Greta Berlin, eine der Organisatorinnen
dieses friedlichen Protestes, sagte: „wir hoffen, dass die israelische
Regierung einige Weisheit walten lässt. Uns hineinzuziehen und zu sagen, wir
seien eine Gefahr, ist absurd.“
Um die
friedliche Absicht ihrer Mission zu unterstreichen, hatten die Seeleute der SS„Free
Gaza“ die israelische Außenministerin Zipi Livni eingeladen, sich ihnen auf ihrer Reise anzuschließen.
Frau Livni lehnte diese Ehre ab, erkannte aber an,
dass eine Ladung von Hunderten von Hörhilfen für taube Kinder und Tausende von
Luftballone für Kinder, die in dieser verwüsteten Kriegszone ihrer Kindheit
beraubt sind, in ihren Augen als humanitäre Geste angesehen werden kann. Es
wurde deutlich, dass die Piratengeschichte nicht laufen konnte.
Das
bedeutete nicht, dass die Regierung Israels die Idee der „Free-Gaza-Bewegung“
schätzte. Die zweite offizielle Reaktion war, dass diese Aktivisten „Provokateure“ seien. Eine vielleicht passendere
Bezeichnung als „Piraten“. Aber immerhin
ein kriegerischer Terminus, der veranlasste, den Radioempfang dieser kleinen
Schiffe zu stören und so die Fähigkeit, sicher zu navigieren, bedrohte. Diese
Lage wurde sofort an die Außenwelt
weiter berichtet. Nachdem schnell eine Welle des Protestes ausgebrochen
war, hörte die Störung auf, und die Boote konnten weiterfahren.
Die Fahrt
dieser beiden Boote gibt der Welt die Möglichkeit - und das ist noch wichtiger – neu darüber
nachzudenken, wer bei diesen Ereignissen wen provoziert. Jeff Halper, Koordinator des israelischen Komitees gegen
Hauszerstörungen (ICAHD), beschreibt seine Teilnahme an dieser Aktion als eine
gewaltfreie Antwort gegenüber provokativer Gewalt, die gegen die Bevölkerung
von Gaza und ihre Regierung ausgeführt wird: „Der Auftrag ist, die israelische Belagerung
zu brechen, eine ABSOLUT ILLEGALE Belagerung; die 1,5 Millionen Palästinenser in eine elende
Lage gebracht hat: in ihre eigenen Häuser
eingesperrt, extremer
militärischer Gewalt ausgesetzt, grundlegender Bedürfnisse des Lebens
beraubt, ihrer fundamentalsten Menschenrechte und Würde genommen. Die
Belagerung verletzt die fundamentalsten Prinzipien des Völkerrechts: die Unzulässigkeit, der zivilen Bevölkerung
Schaden zuzufügen … da kann ich nicht nur daneben stehen ..
wenn ich es tun würde, würde dies mein Engagement für die Menschenrechte
beeinträchtigen.“ Als Verletzung des
Völkerrechts formuliert, wollten die Segler auf der „Free Gaza“
die Weltöffentlichkeit auf die Realität
der augenblicklichen Lage aufmerksam machen. Obwohl Israel behauptet,
sich 2005 aus dem Gazastreifen
„zurückgezogen“ zu haben, kontrolliert es noch immer streng die Landgrenzen,
den Luftraum und die territorialen Gewässer des Gazastreifens.
Berichte
der UN und von NGO- Menschenrechtsorganisationen malen ein düsteres Bild. Die
vor über einem Jahr von Israel verhängte
Blockade über den Gazastreifen hat eine humanitäre Krisis von alarmierenden Proportionen geschaffen. Die ganze
Bevölkerung von 1,5 Millionen Palästinensern im Gazastreifen steht einer ruinierten Wirtschaft gegenüber. Mehr
als 80% der Bevölkerung hängt nun am
Tropf internationaler Hilfe, die Israel sporadisch hineinlässt. Patienten
werden die Exitvisa verweigert, um die
routinemäßigen speziellen Behandlungen
in Israels Krankenhäusern zu erhalten, weil diese nicht in den Krankenhäusern
des Gazastreifens zu bekommen sind. Etwa 150 Patienten sind schon gestorben.
Studenten, denen Stipendien von ausländischen Universitäten zugesprochen waren,
(Einschließlich Fulbright-Stipendien) sind auch im Gazastreifen eingesperrt.
Als die „Free-Gaza“-Segler nach Zypern zurückgekehrt waren,
hatten sie kostbare Last bei sich, die einer der Gründe für ihre Reise war: Ein
Patient, der kein Exit-Visum bekommen hatte, kann nun
die dringend nötige medizinische
Behandlung erhalten. Eine glänzende Studentin, die in einer Universität des
Westens zugelassen wurde, kann nun ihren Traum
einer besseren Zukunft durch
fleißiges Studium verfolgen…
Ist die „Free
Gaza“- Aktion ein Erfolg? Das hängt davon ab, wie
man Erfolg misst. In einem ist es ein Erfolg für beide Seiten: die Aktivisten
und die israelischen Behörden handelten
auf gewaltfreie Weise. Die Aktivisten waren nur mit Mut bewaffnet. Die
israelische Flotte hätte eine Menge Waffen zur Verfügung gehabt – aber
irgendjemand gab den Befehl, sich zurück zu halten. Wer immer auch den
Befehl gab, so weigerte er sich, dem
Präzedenzfall des Angriffes auf die USS-Liberty
von 1967 zu folgen und den Angriffen,
die die PLO daran hinderte, 1988 mit der SS Al-Awda
nach Haifa zu segeln.
Die
Friedensaktivisten haben sich weder als Piraten noch als Provokateure
herausgestellt sondern als friedliches Ärgernis, die die Welt daran erinnert haben, dass eine Krise
größeren Ausmaßes im Gazastreifen nach einem sofortigen Ende schreit. Eine
gewaltfreie Aktion dieser Art ist ein Erfolg, wenn sie andere in die Lage
versetzt, ein Problem in einem neuen Licht zu sehen. Diese besondere Aktion
hat sicherlich neues Interesse an
moralischen Argumenten im
Zusammenhang mit der Aufrechterhaltung
dieser Belagerung geweckt. Die von
israelischen Behörden vorgebrachte Hauptrechtfertigung für die Blockade des
Gazastreifens sei eine Antwort auf die palästinensischen Angriffe, besonders
die Raketen, die auf die in der Nähe gelegene Stadt Sderot
abgefeuert würden. Auch wenn eine mit Ägypten
zustande gekommene Feuerpause seit 19.Juni 2008 besteht, ist es immer noch für
ausländische Würdenträger - wie Senator Mc Cain und Obama – unerlässlich,
nach Sderot zu pilgern, um dort aus erster Hand die
Auswirkungen der willkürlichen Gewalt gegenüber Zivilisten zu sehen. Und es ist
auch deshalb eine gute Sache, denn auf diese Weise können diese Besucher lernen, entsprechende Empörung
über das willkürliche Zielen auf Zivilisten auszudrücken …
Wie der
Rabbiner Henry Siegman kürzlich in The
London Review of Books
bemerkte : dass diese primitiven Qassemraketen
während der letzten Jahre nicht mehr als
zwei oder drei israelische Tote verursacht haben, während Israels
Vergeltungsschläge täglich das Töten
nicht nur von militanten, sondern von unschuldigen Männern, Frauen und Kindern
verursacht, ist keine Rechtfertigung für Hamas Beschuss israelischer
Zivilisten. Das Qassamraketen noch nicht auf einen
Kindergarten voller Kinder in Sderot gefallen ist,
ist nicht die Folge geschickten
humanitären Zielens von Seiten des islamischen Jihad und der Hamasmilitanten.
Es ist außerordentliches Glück. Natürlich weiß Siegmann, was dem einen recht
ist, ist dem andern billig: Die Unmoral von Hamas Angriffen auf israelische
Zivilisten, ist für die Israelis keine Lizenz, die Bevölkerung des
Gazastreifens in einen Zustand des
Aushungerns zu bringen. Die Gefühllosigkeit, die Israelis daran hindert, zu
sehen, dass ihr Benehmen gegenüber den Palästinensern – ob im Gazastreifen oder
auf der Westbank – nicht viel anders ist als das der Palästinenser gegenüber
israelischen Zivilisten, konnte keinen unglücklicheren Ausdruck finden als in Olmerts Versicherung: „Wir werden ihnen keinen Luxus
liefern, um ihnen ( den Menschen im Gazastreifen) das Leben bequemer zu
machen.“ Sprach Olmert von ‚Luxus“?.
Nach Karen Abu Zayd, Generalkommissar der UNWRA wurde
diesen Leuten nicht „Luxus“ verweigert, sondern ihnen wurde „absichtlich so wenig geliefert, dass dort jetzt ein
erbärmlicher Zustand von Not herrscht“.
Diese
Aktivisten haben sich aufgemacht, um die von Israel auf die zivile Bevölkerung
verhängte Blockade zu brechen … um Solidarität mit dem leidenden Volk von Gaza
auszudrücken. Jedoch kann man ihre Aktion nur richtig einschätzen, wenn man
bedenkt, dass sie gegen eine mächtige Flotte ansegelten und den Hafen von Gaza
erreichten. Und ihre Solidarität wurde
von über 40 000 Gazabewohnern mit großer Dankbarkeit entgegengenommen. Sie
begrüßten die Westler, die sich weigerten, ein Volk, das von den Mainstream-Medien vergessen wird, zu vergessen.
Ein
anderes Kriterium für den Erfolg der gewaltfreien Aktion ist, ob sie unser
Gewissen genügend beunruhigt und uns zu
Aktionen antreibt. Das ist die Hoffnung, die die Anthropologin Margaret Mead
ausdrückte: „Zweifle nie daran, dass eine kleine Gruppe von nachdenklichen,
engagierten Bürgern die Welt verändern kann. Tatsächlich ist es das einzige,
das immer funktioniert.“ Diese Aktivisten wagten zu glauben, ihre Aktion würde
„eine freie und regelmäßige Route zwischen dem Gazastreifen und der Außenwelt
schaffen.“ Das ist ganz schön viel
verlangt. Es ist auch der Punkt, an dem wir alle mit in die Geschichte kommen. Die „Free-Gaza“-Segler haben getan, was sie konnten. Nun ist es
an uns, das zu tun, was wir können.
Jeder von
uns kann sich besser über die
augenblickliche Situation im Gazastreifen informieren. Man könnte mit dem
offenen Brief über Gaza beginnen, den der palästinensische Psychiater Dr. Eyad Sarraj geschrieben hat ( www.jewishvoiceforpeace.org) .
Oder wir könnten uns der „Jüdischen Stimme für Frieden“ anschließen, die die
„internationale Kampagne zur Beendigung der Belagerung des Gazastreifens“ unterstützt. Oder wir könnten von unsern
politischen Verantwortlichen eine vernünftigere, sensiblere Politik im Nahen
Osten fordern. Eine Politik die sich weigert, eine kollektive Bestrafung der
ganzen Bevölkerung von Gaza zu unterstützen, wegen Verletzung des Völkerrechts
durch ein paar wenige. Eine Politik, die sich weigert, die täglichen
Bedürfnisse jener zu ignorieren, die im
am dichtesten bevölkerten Ort des Planeten leben.
Ed Gaffney lehrt Völkerrecht und die Anwendung von Gewalt an
der Valparaiso-Universität. Er kann erreicht werden: edgaffneyjr@gmail.com
(dt.
Ellen Rohlfs)