Israel Palästina Nahost Konflikt Infos

„Kämpfer für den Frieden“: Idan Barir

 

  http://cfpeace.org/?cat=6&story_id=970

 

Als Kind wusste ich genau, was Patriotismus ist. Ich wuchs mit Bildern des glorreichen Kampfes von 1967 auf und wünschte mir, einer der großen Helden Israels zu sein, der damals die Altstadt von Jerusalem betrat.

1999 – ein Jahr nachdem ich zum Militärdienst musste, wurde ich zum 1. Mal in die besetzten Gebiete, nördlich von Nablus gesandt. Es war dort sehr ruhig und wir sahen nirgendwo Aktionen. Das nächste Mal jedoch war es anders. Die zweite Intifada war gerade ausgebrochen und wir wurden in ein  unruhiges Gebiet nahe Jenin geschickt. Unsere Basis war eine fast verlassene Siedlung, Kadim, in der gerade noch 8 Familien geblieben waren. Wenn man von dieser Hügelkuppe nach unten in die Stadt Jenin ging, war es, als ob  man vom Himmel in die Hölle kam.

Es war eine völlig verrückte Zeit. Bewaffnet mussten wir hinter Jungen mit Steinen  durch Gewächshäuser  voller Tomaten und Auberginenpflanzen herjagen. Uns war eingeprägt worden, zu glauben, dass jeder Palästinenser eine Bedrohung ist. In der 5. Woche, nachdem alle palästinensischen Gewächshäuser unter unsern Füßen zerstört waren, baute das Militär Gräben – wo einst Tomaten und Auberginen gediehen.

Im April 2000 wurden wir nach Hebron in eine sehr religiöse Siedlung verlegt, wo jeder Mann eine Kippa auf dem Kopf trug und lange Schläfenlocken hatte. Eines der Fiaskos der israelischen Besatzung war Kalebs Garten. Er war ein Siedler, der  mitten in einer kleinen palästinensischen Stadt Weinstöcke pflegte. Er kam um 6 Uhr morgens in seinen Garten und verließ ihn bei Sonnenuntergang. Und  zehn von uns mussten ihn rund um die Uhr bewachen.

Es war bei einer der Nachtschichten dort, dass ich Angst bekam und darüber nachzudenken begann: ist das nicht lächerlich und überflüssig. Das Leben von zehn Leuten wird in Gefahr gebracht, weil ein Idiot hier Weinstöcke pflegt.

 

Als ich meinen Armeedienst beendet hatte, kam ich zu einer Reserve-Einheit und 2006 wurden wir wieder nach Jenin beordert. Unser Einsatzort war ein Kontrollpunkt auf einem kleinen Hügel, der von hohen Zementwällen umgeben war. Wir sollten nächtliche Überfälle machen und Tränengas abfeuern - nur so zum Spaß. Für einige war es Spaß, aber für mich hatte dies keinen Sinn. Später wurde ich nach Kalkilia geschickt, um an einem landwirtschaftlichen Kontrollpunkt Dienst zu machen. Jeden Morgen hatten wir einen Appell  auf einem großen Vordach . Mein Kommandeur zeigte über das Land und versuchte, uns glauben zu machen, dass dies das Land sei, das wir verteidigen sollten. Sie mussten uns ja einen Grund angeben. Er sagte uns, dass wir vielen Gefahren während unseres Dienstes ausgesetzt sind, einschließlich Messerattacken und Schüssen. Die größte Gefahr aber seien  die Machsom Watch Frauen – eine Gruppe israelischer Frauen, die ruhig neben den Kontrollpunkten stünden aus Protest gegen die israelische Besatzung. Mein vorgesetzter Offizier sagte: „Wenn dich ein Palästinenser bedroht, dann kann man ihm einfach in den Kopf schießen, aber leider kannst du eine Machsom Watch Frau nicht  einfach erschießen.

 

Genau an diesem Tag kam eine der Machsom Watch Frauen an meinen Checkpoint und  ich begann mit einer sehr netten grauhaarigen Dame, die mich an meine Großmutter erinnerte, ein Gespräch. Ich konnte ihr nicht bei allem zustimmen, aber ich war stolz, dass sie dort war.

 

Einige Monate später reiste ich in Deutschland und traf dort einen Palästinenser aus Ramallah, der als Kellner arbeitete. Er hieß Ahmed. Er erzählte mir eine schreckliche Geschichte, wie er von israelischen Sicherheitsleuten verhaftet wurde und 10 Tage lang an einem geheimen Ort festgehalten wurde. Der Verhörende  steckte ihn in einen Sarg, der halb mit Wassergefüllt war und ließ ihn  sechs Tage lang darin . Er sagte, am ersten Tag glaubte er, sie könnten ihn nicht brechen, am 2. Tag kotete er sich ein und urinierte über sich, und seine Füße begannen zu erfrieren. Am 3. Tag schrie er , am 4. Tag bettelte er um sein Leben und versprach, alles zu sagen, was sie wollten. Er war sehr wütend auf die Israelis, und er sagte mir, zu einem anderen Zeitpunkt und an einem anderen Ort hätte er mich umgebracht.

 

Was mich schließlich zu der Überzeugung brachte, dass es mit Gewalt keine Lösung des Konfliktes gibt, waren Bilder im Fernsehen, als die IDF den Gazastreifen mit weißem Phosphor überschüttete. Während des Training wurde uns immer gesagt, dass es gegen die Genfer Conventionen sei, Phosphor anzuwenden. Aber ich sah hier wie Tag für Tag diese Phosphor-Bomben benützt wurden, und dann  am Abend hörte, wie das Militär  dies leugnete. Das war der Anfang für ein neues Denken. Ich schrieb an meinen Kommandeur und sagte ihm, dass ich nicht weiter gewillt bin, bei irgendwelchem Kampf in den besetzten Gebieten teilzunehmen.

Als Israeli schäme ich mich, dass unsere Armee solche Lügen verbreitet. Auch schämte ich mich über das, was mir Ahmed erzählte. Wenn ich die Chance  hätte, ihm noch einmal zu begegnen, würde ich ihm das sagen. „Ich will mit euch euren Kampf kämpfen. Aber ich möchte euch davon überzeugen, dass Rache kein Weg nach vorne ist. Es geht mir nicht ums Vergeben jener, die ich verletzt habe, weil ich weiß, dass ich das nicht verlangen kann. Ich habe auch das Gefühl, dass ich  mir selbst nicht vergeben kann und ich mich nicht von der Schuld oder großen Scham befreien kann. Vergebung sollte etwas Praktisches sein, das beiden Seiten dient und hilft. Wenn wir dies in etwas Konstruktives verwandeln können, dann ist das Vergebung.

 

(dt. Ellen Rohlfs)