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Gazas Kinder: Israel schafft eine neue Generation von Feinden

The Guardian,

 

11.August 2014-

 

Harriet Sherwood in Beit Lahia

Najia Warshaga, 9 Jahre alt, ist  eine Veteranin von 3 Konflikten in Gaza. Sie kann nicht normal schlafen und ist immer   ängstlich. Sie lebt jetzt im Haus ihres Onkels in Beit lahia, Gazastreifen. Sie wurde in der UNRWA-Schule verletzt, von der vermutet wurde, dass sie fliehenden  Familien Sicherheit gewährt.

Sie scheint das kollektive Leiden der Kinder des Gazastreifens darzustellen: ein kleines Mädchen, die Augen niedergeschlagen, Tränen um die Wimpern, eine mit Blut verschmierte Stirn, Qualen sind ihr ins Gesicht geschrieben.

Ihr Bild wurde  am Nachmittag  des Granatfeuers  in der UN-Schule in Jabaliya aufgenommen, da man dachte, diese sei ein Schutz vor dem Krieg. „Die Welt steht blamiert daneben,“ erklärt ein schockierter UN-Mitarbeiter, nachdem 15 Leute starben und mehr als 100 verletzt wurden.

Das Mädchen, dessen Bild rund um die Welt ging, ist Najia. Die im Alter von 9 schon eine Veteranin von drei blutigen Konflikten in Gaza ist. vier Wochen dieses Krieges, bei dem mindestens 447 Kinder getötet  und 2744 verletzt wurden, nach der UN. Tausende mehr sind schwer traumatisiert  - unter ihnen Najia.

Ihre  von israelischen Luftschlägen  auf die UN-Schule verursachten Verletzungen  wurden behandelt.  9 Tage nach der Bombardierung der Schule liegt M. auf dem Sofa im Haus eines Verwandten,  wo sie jetzt bleibt. Während sie sich erinnert, was geschah und davon erzählt, verdreht sie ihre Hände: „Ich war im Klassenzimmer Nr. eins und schlief. Da gab es einen großen Bumms, meine Mutter nahm uns in ihre Arme, dann landete noch eine Rakete. Ich schrie und weinte“, sagte sie.

Denkt sie weiter darüber nach? Eine Pause, dann nickt sie und  mit leiser Stimme: „ Ich träume von dem, was geschah.“

Ihre Mutter Majdolen, 31, ergänzt die Lücken in Najias  dürftigem Bericht. Die Familie verließ ihre Wohnung in Beit Lahya, nah an der Grenze zu Israel,  wenige Tage nachdem die Bombardierung begann, um in der nächsten Schule Zuflucht zu suchen. Ein paar Tage später, als sie fürchtete, dass dies auch unsicher sei, ging sie in die Schule in Jabaliya, wo rund 3300 Leute sich in Klassenräumen und Korridoren drängten und bis in den Schulhof hinaus. Sieben Familien schliefen in dem Klassenzimmer Nr 1 als die Raketen  4 Uhr 30 fielen. Najias Beine wurden verletzt und ihr vierjähriger Bruder Ali war am Kopf verletzt. Glücklicherweise waren  die physischen Verletzungen nicht schwer. Majdolen  hatte auch  Splitterwunden an ihrer Schulter und am Kopf. Die Jabaliya-Schule war eine der sechs von der UN geführten Schulen, die  während der letzten Wochen angegriffen wurde.

Die Familie wurde ins Shifa-Krankenhaus in Gazastadt gebracht, ein chaotischer und überfüllter Ort in diesen paar Wochen, dessen erschöpfter Mitarbeiterstab rund um die Uhr arbeitete und wo jedes Bett besetzt ist, Ali verbrachte zwei Tage dort; Najia wurde eine Woche dort behalten wegen des extremen Schocks. Sie nimmt noch immer Medizin. Sie ist sehr traumatisiert, seit dies geschah,“ sagt Majdolen. Sie kann nicht richtig schlafen, sie hat ständig Angst. Die Kinder wollen mich nicht verlassen, sie wollen mit mir schlafen und sie folgen mir, wohin ich auch gehe. „

Trotz der Augusthitze wickelt sich Najia nachts in eine Decke ein, sagt ihre Mutter. Die Familie schläft jetzt an ihrem vierten Ort, seitdem der Krieg begann, aber das Kind drängt noch an einen anderen Ort, weil es sich nirgendwo sicher fühlt.

Sich die Kriege durch den Kopf gehen lassen: Operation Cast Lead 2008-09, Operation Pillar of Defense 2012 und die augenblickliche Operation Protective Edge – alle in ihrem kurzen Leben. Najia  erklärte, dass dieser Angriff der schlimmste gewesen ist.  Um das Maß  der verzweifelten Suche nach Sicherheit  der Familie voll zu machen, ist nicht nur die Schule angegriffen, sondern auch ihr Haus flach gebombt worden. „Es ist nicht mehr – da ist nichts mehr,“ sagt Majdolen.

Ärzte und  Psychotherapeuten  haben in Gaza bittere Erfahrungen beim Behandeln traumatisierter Kinder gemacht. Nach der Operation Cast Lead fand eine Untersuchung der Gazagemeinde (mental health Programm ( GCMHP von Dr Ejad Sarraj gegründet (ER)), dass 75 % der Kinder über 6 an einem oder mehreren Symptomen des post-traumatic Stress Disorder leiden …

Im Nachhinein dieses Krieges  berichtet Hasan Zeyada, ein Psychotherapeut von GCMHP dem Guardian: „ Die Mehrheit der Kinder leidet sehr an vielen psychologischen und sozialen Folgen. Unsicherheit und Gefühle der Hilflosigkeit, an Kraftlosigkeit . Wir beobachteten Kinder, die immer ängstlicher wurden – Schlafstörungen, Alpträume, Nachtterror, rückschrittliches Benehmen zeigen, wie z.B. sich an die Eltern klammern, Bettnässen, unruhiger und hyperaktiv werden, sich weigern, allein zu schlafen, die ganze Zeit mit den Eltern sein, überwältigt von Angst und Sorgen.. Manche fangen an, noch aggressiver zu sein.“

Eine Untersuchung von UNICEF der UN-Agentur für Kinder fand nach der Operation Pillar of Defence, 2012, dass 91% der Kinder Schlafstörungen während des Konfliktes hatten, von 94% wird gesagt, dass sie mit ihren Eltern schlafen, von 85 % dass sie zornig sind; 97 % fühlen sich unsicher, 38 % schuldig; 47% beißen auf ihren Nägel; 78% haben mit Juckreiz zu tun und fühlen sich krank, und 82 % waren entweder fortwährend  oder gewöhnlich in Angst vor  drohendem Tod.

Diese Zeit ist wahrscheinlich die schlimmste Zeit. „Jedes Kind über 6 Jahre war nun drei Kriegen ausgesetzt. Wir sprechen von einer traumatisierten Generation. Sie wird die Welt als gefährlich empfinden und sie werden eine Menge Frustration und Ärger/Zorn empfinden und einen Wunsch nach Rache“. „ Der augenblickliche Krieg ist intensiver und brutaler als die beiden vorherigen, „ sagt er.  Die Hauptpfeiler der palästinensischen Gesellschaft  - Familie und Religion – sind unaufhaltsam getroffen worden. Viele Familien (80) Familien haben unter mehrfachen Todesfällen gelitten, Tausende  von Wohnungen und Dutzende von Moscheen sind zerstört worden.

Zeyada hat  unter ihren vier Kindern Unsicherheit beobachtet.“Meine Tochter bedeckt ihre Augen und Ohren, wenn das Fernsehen Bilder zeigt. Wenn ich Brot holen gehe, ruft mich mein Sohn viele Male und schreit:“Wo bist du?“

Seine Familie ist nicht vor den Todeswellen geflohen, die über Gaza schwappten: Vor drei Wochen wurden seine Mutter, drei Brüder, seine Schwägerin und ein Neffe bei einem Angriff auf Zentral-Gaza getötet. „Da gab es keine Warnung“, sagt er.  Nun, zusätzlich zu seinen eigenen Kindern sorgt er sich um verschiedene untröstliche Neffen und Nichten.

„ Keiner kann garantieren, dass dies nicht noch mal geschieht“, sagt er. „Wenn wir  für die Kinder Sicherheit  garantieren könnten, würde es helfen, dass sie ihr Trauma überwinden. Aber wenn wir sie nicht vor einem neuen Gewaltzyklus schützen können, ist es sehr schwierig … Israel befindet sich  die ganze Zeit  im Prozess, sich eine neue Generation Feinde zu machen.

Zurück in Beit Lahiya, Najia  - noch immer in ihrem rosa  Schlafanzug mitten am Tag – sieht sich zum 1. Mal die Fotos an , die von ihr  nach der Bombardierung der Schule gemacht wurde. Verwirrung und  Angst gehen über ihr kleines Gesicht. Erholung – sollte sie kommen - ist noch weit weg.

(dt. Ellen Roh