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Mit Taschenlampe auf der Suche nach dem kleineren Übel

 

Gideon Levy, 3.8.08

 

Die Olmert-Affäre ist gekommen und noch nicht vorüber. Ein paar Lieferscheine hier und einige Dolche dort werden auf die blutige politische Leiche auf dem Stadtplatz geworfen, und Ehud Olmert wird mit dem Sonnenuntergang verschwinden. Ein  hedonistischer, verschwenderischer Ministerpräsident, ein relativ armseliger, korrupter Mann, der wie viele andere nicht wusste, wo er die Linie zwischen öffentlichem und privatem Geld ziehen sollte, und der, wie viele seiner Kollegen in der oberen Verdienstgruppe der Regierung dachte, dass ein Politiker sich alles leisten kann, geht nun nach Hause. . Olmert und seine Verstöße werden in der Geschichte als  Fußnote erscheinen.

 

Im Gegensatz zu ein paar typisch leidenschaftlichen Behauptungen  einiger selbst ernannter Gesetzeshüter gefährdete Olmerts Verhalten nicht eine Sekunde lang die Regeln des Gesetzes in Israel; es gefährdete nicht die Regierungsform, noch  rüttelte er an den Grundfesten des Staates. Viel schwer wiegendere Korruptionsakte sind begangen worden. Viel größere Gefahren beschleichen und  bedrohen  letztlich die Rechtsvorschriften, und  unsere Demokratie ist auf Grund ganz anderer Phänomene  rissig und brüchig. Es ist nicht die Rishon Tours Affäre noch die des Hauses an der Cremieux-Straße noch die der Talanskys dieser Welt, noch  die Vetternwirtschaft und die Schirmherrschaft der Industrie, des Handels- und Arbeitsministerium, die das Wesen des Staates ausmachen. Im Gegenteil: die Art und Weise, in der relevante Instrumente der Macht in Aktion treten und eine totale Offensive beginnen, beweist klar, wenn es zu kleineren Bestechungen kommt, dann sind die Rechtsvorschriften noch in relativ guter Verfassung. Die Gefahr, mit der wir uns auseinandersetzen müssen, kommt von anderen unberechenbareren, ernsteren Verhältnissen. Keiner hat es bis jetzt auf sich genommen, einen Feldzug gegen diese Verhältnisse zu führen, weil dieser Krieg noch mehr Mut verlangt.

 

Wie die Programme des „Enthüllungsjournalismus’“, wie wir sie im Fernsehen sehen, so beschäftigt sich der Selbstgerechte  mit Lappalien. 

Dies ist ein Krieg, der universell alle Seiten befriedigt. Schließlich, wer möchte schon einen ehebrecherischen Rabbiner, einen schwindelnden Mechaniker oder einen Dieb als Ministerpräsident?

 

Man  muss darüber keine Worte verlieren, dass solche Charaktere geächtet werden müssen, doch sind diese Schlachten auf sehr kleinen Raum beschränkt, der nur von einer Taschenlampe beleuchtet wird statt mit Scheinwwerfern auf breiter Front, wo die größten Gefahren lauern.

Olmert hat den Kolbotek- (eine volkstümliche Verbraucher TV-Show) Litmustest nicht bestanden, und er verdient deshalb, entsprechend bestraft zu werden, aber das frömmelnde Image der auf Gerechtigkeit Versessenen,  die sich denen verschrieben haben, die ihn zu Fall gebracht haben, ist  übertrieben, wenn nicht gar lächerlich.

 

Olmerts Vorgänger war wegen viel größerer Verbrechen angeklagt worden. Ariel Sharon  und seine Söhne legten angeblich ihre Hände auf Geldsummen, die bei weitem die Summe überschreiten, die Olmert nachgesagt wird. Aber Sharon ist als beliebter, bewunderter Führer und als liebenswerte Großvaterfigur, die sich um ihre Herde kümmerte und keiner Seele ein Leid antat, von der Bühne der Geschichte abgetreten. Ein Kampf gegen Sharons Korruption wäre ein weit schwierigeres Geschäft gewesen, weil Sharon eine starke, drohende Gestalt war, die sehr geliebt wurde. Er war auch für den Abzug der Siedler aus dem Gazastreifen verantwortlich, was  aus irgend welchen Gründen als ein Schritt in Richtung Frieden dargestellt wurde – vielleicht war dies der Grund, dass man die gerichtlichen Untersuchungen  gegen ihn einstellte. Diejenigen, die die Untersuchungen ohne Anklage  einstellten und Sharon  vergaben , sind auch jene, die jetzt bitterlich  einen totalen Krieg gegen seinen Nachfolger führten, der im Vergleich  zu ihm sauberer und schwächer ist.

Aber die Gefahr, die um die Ecke lauert, kommt aus einer ganz anderen Richtung. Die  Behörden, die dafür sorgen, dass Gesetzen Geltung verschafft wird, die Polizei , die Staatsanwälte und die Gerichte – die wir blind bewundern – haben jetzt für einige Zeit aufgehört, als System der Gerechtigkeit für gleiche Rechte für alle  zu operieren. Reiche und Arme, Juden und Araber werden nicht gleich behandelt. Kann irgendjemand ernsthaft behaupten, dass ein  Reicher, der mit einer Phalanx kostspieliger Anwälte umgeben ist, demselben juristischen Schicksal ausgeliefert ist wie  …ein durchschnittlichen Israeli? Würde ein jüdisches Kind, das einen Stein auf einen Wagen wirft, dieselbe Strafe erhalten wie ein arabisches Kind, das genau dasselbe tut? Verfolgen die IDF und die Polizei die Verbrechen der Siedler gegen die Palästinenser mit derselben Dringlichkeit?  Ist es Zufall, dass die israelischen Polizeioffiziere immer wieder einen lockeren Finger am Abzug haben, wenn sie ihre Waffen in die Richtung eines arabischen  (angeblichen) Gesetzesbrecher lenken?

 

Israels Rechtssystem hat die Grundlage für die Legitimierung eines Apartheidregimes geschaffen. Hier liegt die wirkliche Gefahr für die Rechtsvorschriften: die quasi automatische Einbeziehung des Rechtssystems durch das Verteidigungsestablishment gefährdet die Rechtsvorschriften mehr als all der Olmertismus. Die IDF ignorieren die Vorschriften des Obersten Gerichtshofes, genau wie das Verbot, Zivilisten als menschliche Schutzschilde zu verwenden („neighbor procedure“), wenn sie Militante verhaften.;  die Tatsache, dass der Shin Beth weiter Verdächtige foltert, steht im Widerspruch zu Vorschriften des Obersten Gerichtes; und die Unterlassung, die vom Gericht erlassene Order, die Route des Trennungszaunes zu verändern – dies sollte unter den Wächtern der Justiz die Alarmglocken läuten lassen.

 

Wenn Siedler weiterhin gegen Palästinenser randalieren – es vergeht kaum ein Tag ohne ein Pogrom ( ja Pogrom steht hier! ER) und es gibt keinen Ort, an dem nicht bewaffnetes Militär herumschweift, doch keiner untersucht diese Untaten und keiner kommt vor Gericht – dann bedroht dies den Staat mehr als Olmerts mit Geld vollgestopfte Kuverts. Die Situation in den südlichen Hebroner Bergen z.B., die  eine Zeit lang verlassenes (??ER) Gebiet wurden, gefährden die Rechtsvorschriften weit mehr als alle Ermittlungen gegen Olmert.

Angesichts von all diesem bleiben all die selbst ernannten Ritter der Gerechtigkeit ruhig, schließen ihre Augen und sehen nichts und hören nichts. Und was noch wichtiger ist, gegen diese Untaten gehen sie nicht vor. Dies wäre zwar schwierig; denn es würde  sich starker Widerstand erheben. Als Folge davon stecken sie ihrer Schwerter in günstigere Orte, die sicher sind und mit denen jeder einverstanden ist. …

 

 

(dt. und  etwas gekürzt:  Ellen Rohlfs)