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                                                        Mit der Kamera erwischt

Gideon Levy , Haaretz, 28.8.08

Dies ist israelisches Rechtswesen im Konzentrat: Oberstleutnant Omri Burberg, der Bataillonskommandeur, der verdächtigt wird, den völlig illegalen Befehl, auf einen gefesselten Palästinenser zu schießen, angeordnet zu haben, wandert frei herum und ist ein Kandidat für einen leitenden Trainingsposten bei den israelischen Verteidigungskräften. Gleichzeitig verbrachte Jamal Amira, der Vater von Salam, der Amateurfilmerin, die die Schießerei filmte, 26 Tage im israelischen Gefängnis, bis der Militärrichter so nett war, ihn in der letzten Woche gegen Kaution freizulassen.

"Obwohl die Behauptung vage ist, dass die IDF sich rächen wollte," schrieb Oberstleutnant Yoram Haniel, der Militärrichter, "kann die Tatsache nicht übersehen werden, dass von allen Protestierenden nur der Kläger inhaftiert wurde."

Das kann in der Tat nicht übersehen werden. Jamal Amira wurde kurz nachdem B'Tselem das Video veröffentlicht hatte, welches seine Tochter von dem furchtbaren Beschuss des gefesselten palästinensischen Mannes gefilmt hatte, verhaftet. Er sagt, die Grenzpolizisten hätten sich bei seiner Festnahme zugerufen, "Wir haben Salams Vater." Amira, 53, ein Vater von neun Kindern, hat viele israelische Freunde einschließlich eines altgedienten IDF-Reserveoffiziers. Amir wurde in das Ofer-Gefängnis geworfen, was nur als ein Racheakt von Leuten angesehen werden kann, die sich als "Freunde von Omri" bezeichneten.

In Na'alin, dem Dorf, das zurzeit in einen heftigen und tapferen Bürgerkampf um den Rest seines Landes verwickelt ist, auf welchem Israel den Zaun zu bauen versucht, feierte in dieser Woche Amiras Freilassung. Aber Amira ging direkt vom Gefängnis zu den Gräbern von zwei Männern des Dorfes, die im Kampf um ihr Land gestorben sind: Ahmed Moussa, 11, und Yussef Amira, 22. Erst später kam er dazu, an der Party teilzunehmen und mit Dutzenden von Besuchern zu feiern, unter ihnen seine israelischen Freunde vom nahen Moshav Shilat.

Am Wochenende eilten die Dorfbewohner von Na'alin wieder zu einem ihrer Freunde im Ramallah-Krankenhaus: Hitham Alian, 21, er war auf dem Weg zum Besuch seines Großvaters in den Kopf geschossen worden. Das Bild seines blutenden Kopfes schmückt fast jedes Mobiltelefon in Na'alin.

"Dies ist eine geschlossene militärische Zone" bellten die Grenzpolizei-Schlägertypen, die uns am Kontrollpunkt, der Na'alin versperrt, willkommen hießen und uns den Zutritt zum Dorf verwehrten. Einige Minuten später verschwanden die Polizisten und plötzlich verwandelte sich die Militärzone in eine offene zivile Zone, wenn auch nur für einen Augenblick. Ein verzerrter Lautsprecher rief die Kinder des Dorfes zu einer Zurück-Zur-Schule-Feier; und der Feldweg zum alten Olivenhain – den Israel zu enteignen und zu entwurzelten plant – war mit Steinen bedeckt, eine Erinnerung an den Kampf des Vortages. Israel baut den Zaun auf der Ostseite der Grünen Linie mit dem einzigen Zweck, die Grenzen von Kiryat Sefer und Hashmonaim auszudehnen, den beiden Siedlungen, die bereits auf dem gestohlenen Land von Bil'in und Na'alin gebaut wurden. Wie fühlen sich die ultraorthodoxen Bewohner von Kiryat Sefer und die Leute, die in Hashmonaim "eine hohe Lebensqualität" anstreben, wenn sie wissen, dass das Land unter ihren Häusern von anderen gestohlen wurde. Es raubt ihnen vermutlich nicht den Schlaf, aber wenn sie am Rand eines atemberaubenden Tales mit Olivenbäumen stehen und  sehen wie der Zaunverlauf die Bauern von ihren Hainen trennt, lässt es sich nicht vermeiden, dass das Herz dies merkt. Aus ungefähr 57.000 Dunams (5,7 ha) vor 1948 wurden 33.000 Dunams vor 1967 und jetzt verbleiben den 5000 Bewohnern des Dorfes nur noch 7000 Dunams. Der Zaun wird ihnen weitere 2500 Dunams entreißen.

"Alles was wir jetzt tun können, ist an die Decke starren," sagt Jamal Amira, der dabei ist, 138 Dunams auf Grund des Trennungszauns und  wegen Hasmonaim zu verlieren.

"Ich bin sicher, dass es Bauern geben wird, die einen Herzanfall haben werden, wenn die Olivenerntezeit kommt und sie ihre Bäume nicht erreichen können, sagt sein Sohn Mohammed, der das, was passiert, die "neue Besatzung von Na'alin" nennt und den Trennungszaun "den Diebeszaun".

In einer weißen Galabiya und in fließendem Hebräisch bietet er uns Feigen an, "meine letzten Feigen." Das Geräusch der Raupenschlepper ist aus der Entfernung zu hören und Amira wird durch eine Einschränkungsanordnung daran gehindert, sein Land zu erreichen. Nach seiner Festnahme wurden 70 seiner Olivenbäume abgesägt und zwei Brunnen auf seinem Grund zerstört. Mohammed ist überzeugt, dass dies auch aus Rache für die Dokumentation der Schießerei durch seine Schwester geschah, denn man hatte ihm versprochen, dass die Brunnen nicht angerührt würden.

 Am Sonntag den 20. Juli filmte Salam das Anschießen von Ashraf Abu Rahma. Das Video wurde am folgenden Tag von B'Tselem veröffentlicht, die Salam die Videokamera gegeben hatte.

"Anfangs konnten wir das nicht glauben", erinnert sich Mohammed, der neben Salam stand, als sie filmte. "Wir waren uns sicher, dass der Offizier Ashraf  in den Jeep setzen würde. Als wir am Abend das Video sahen, waren wir glücklich. Wir waren glücklich, eine solche Sache an die Öffentlichkeit gebracht zu haben. Wir wollten der Welt zeigen - und besonders dem israelischen Verteidigungsministerium -, was die IDF-Soldaten uns antun. Kommt seht die Handlungen des Bataillonskommandeurs, eines Oberstleutnants mit zwei 'Falalels' [Eichenblattbündeln], dem Befehlshaber von Na'alin. Erst hat er uns einer totalen Ausgangssperre ausgesetzt, eine Schließung für 5000 Leute, um ein paar Traktoren zu schützen, und jetzt die Schießerei."

"Omri" wurde nach der fünftägigen Ausgangssperre und wegen seines rüden Verhaltens gegenüber den Dorfbewohnern schon lange geschmäht. "Schickt einen solchen Offizier in den Libanon, aber warum nach Na'alin?", fragt Jamal.

Mohammed sagt, dass sie anfangs Sorge hatten, das Video zu veröffentlichen. "Wir hatten Angst, dass die Armee uns etwas antun würde. Die B'Tselem-Leute versprachen, dass uns nichts passieren würde. Aber die Befürchtungen wurden wahr. Sie nahmen Rache. Nach zwei Tagen wurde mein Vater verhaftet. Nach drei Tagen wurde ich mit einer Gummikugel ins Bein geschossen, als ich mein Haus verließ. Wir haben kein einziges heiles Fenster mehr  in unserem Haus. Manchmal haben mich die Soldaten gefragt, 'Hast du uns heute gefilmt?' So ist es seitdem an jedem Tag gewesen"

Drei Tage, nachdem das Video veröffentlicht wurde, am 23. Juli, fand in den Olivenhainen eine Frauendemonstration statt, und Jamal nahm daran teil. Die Dorfbewohner stellen immer sicher, dass einer der Besitzer, dessen Land gerade weggenommen wird, den Protest begleitet. Jamal fing an, mit den Grenzpolizisten zu diskutieren, von denen einer Jamal erzählte, das Land wäre nicht seines. Jamal begann in seiner Wut, Erdklumpen hinunterzuschlingen. Sein Sohn Ghaleb schaute aus der Entfernung zu, wie Offiziere seinen Vater angriffen und traten. Die Familie hat ein Video, das dies beweist. Jamal wurde in den Jeep gesetzt.  Ihm wurden Handschellen angelegt und die Augen verbunden. Er hörte wie die Offiziere einander sagten, "Wir haben Salams Vater, den Vater der Kamerafrau."

Er wurde nach Hashmonaim gefahren, wo man ihn, wie er sagt, etwa drei Stunden auf dem Boden sitzen ließ. Er bat um Wasser, bekam aber keines. Nach mehreren Stunden gossen ihm Offiziere Wasser ins Gesicht. "Omri ist mein Freund," sagte einer der Offiziere zu ihm, erzählt Jamal. Irgendwann brachten sie ihn zu einem Grenzpolizeistützpunkt nahe Maccabim und ließen ihn dort für weitere drei bis vier Stunden in Handschellen im Jeep sitzen, immer noch ohne Wasser. Er erzählt, viele Grenzpolizisten kamen, um "Salams Vater" zu sehen. Als er wieder um Wasser bat, reagierte einer von ihnen mit:" Iss deine Kamera." "Ich werde dich in die Mangel nehmen" ist ein anderer Satz von einem Polizisten, den Jamal zu erwähnen zögert.

Nach Sonnenuntergang wurde Jamal zur Vernehmung nach Beit El gebracht. Er wurde beschuldigt, Polizisten angegriffen zu haben. Schließlich wurde er in das Ofer-Gefängnis gebracht. In der ersten Nacht taten ihm die Rippen weh, was er auf die Schläge zurückführte, die er bei der Demonstration erhalten hatte. Am nächsten Morgen wurde er von einem Arzt untersucht.

Nach acht Tagen im Gefängnis wurde Jamal vor Gericht gebracht. Er ist überschwänglich in seinem Lob für Gaby Lasky, die Menschenrechts- Rechtsanwältin, die ihn verteidigt hat; aber sie war nicht in der Lage, vor dem ersten Militärgericht seine Freilassung zu erwirken. Seine Untersuchungshaft wurde bis zum Ende des Verfahrens ausgedehnt und Jamal blieb über zwei Wochen in Haft bevor sein Einspruch angehört wurde.

Einige von seinen israelischen Freunden kamen zur Gerichtsanhörung. Er bittet, dass sie genannt werden: Oberst (in Reserve) Ami Arazi, Shlomo Rav-On, Rafi Reuveni und Ilan Kuperstein aus Shilat. Der palästinensische Premierminister Salam Fayyad und Parlamentsmitglied Mustafa Barghouti besuchten sein Haus, während er im Gefängnis saß. Die Familie hat ein Foto von Fayyad mit Salam, der Kamerafrau und Heldin der Familie.

Die Grenzpolizei und die IDF gaben keine Erklärung rechtzeitig für die Presse heraus.

Jamal kann sicherlich als ein "guter Araber" betrachtet werden. Bei seiner ersten Anhörung erzählte er dem Ankläger, dass er sehr viel für Israel getan hätte. "Verlegt den Zaun ins Wadi, und ich trinke am Zaun Kaffee mit jedem Israeli," sagt er mehrmals. Seine Söhne sprechen alle gut hebräisch. Ihr Haus ist das erste Haus nach dem IDF-Kontrollpunkt am Eingang zu Na'alin, und sie bewirten viele israelische Gäste dort. Er fürchtet, nicht länger in der Lage zu sein, ihnen Feigen und Olivenöl aus seinen Hainen anbieten zu können. Nach seiner Freilassung aus dem Gefängnis, nach einer Reihe von Verzögerungen und Demütigungen, wartete das halbe Dorf am Kontrollpunkt auf ihn.

Jamals Gerichtsverhandlung wird bald stattfinden. Er wird des Friedensbruchs, des Angriffs auf einen Soldaten und des Betretens einer geschlossenen militärischen Zone – seines privaten Besitzes - angeklagt. Der Militärrichter Oberstleutnant Yoram Haniel schrieb: "Es ist zu bezweifeln, dass das Beweismaterial in diesem Fall zu einer Verurteilung ausreichen wird."

 (dt. Peter Voss)